Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6117 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5921 - Wie viele Fälle von minderjährigen verheirateten Flüchtlingen gibt es in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Mechthild Ross-Luttmann und Volker Meyer (CDU) an die Landesregierung , eingegangen am 13.06.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 16.06.2016 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 15.07.2016, gezeichnet Antje Niewisch-Lennartz Vorbemerkung der Abgeordneten Die Zeitung Die Welt berichtet in ihrer Ausgabe vom 01.06.2016 („Wenn die Ehefrau erst 15 Jahre alt ist“), dass eine Vielzahl von nach Deutschland gekommenen minderjährigen Flüchtlingen verheiratet sei. Es wird ein Fall aus Bayern geschildert, bei dem ein Paar im Februar 2015 in Syrien nach Scharia-Recht verheiratet wurde und im August 2015 nach Deutschland kam. Die Braut soll damals gerade 14 Jahren alt gewesen sei, während ihr „Ehemann“ und Cousin über 21 Jahre alt sein soll. Das Jugendamt trennte das Paar und nahm das Mädchen in Obhut. Es wurde in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Mit diesem Fall sollen sich im Anschluss bereits das Familiengericht beim Amtsgericht Aschaffenburg und das Oberlandesgericht Bamberg befasst haben. Nachdem das Amtsgericht bestimmte, dass die hiesigen gesetzlichen Regelungen für Minderjährige Vorrang hätten - und nicht der Schutz der Ehe, die nach einem speziellen syrischen Scharia-Recht geschlossen wurde -, hob das Oberlandesgericht Bamberg den Beschluss auf. Alia durfte danach zu ihrem Mann ziehen. Die Justizminister von Nordrhein-Westfalen und Bayern haben das Thema der verheirateten minderjährigen Flüchtlinge für die Justizministerkonferenz angemeldet. Der nordrhein-westfälische Justizminister Kutschaty stellte laut Welt in einem Schreiben fest, dass im Kontext des Flüchtlingszuzuges vermehrt Fälle von verheirateten minderjährigen Mädchen aus Syrien oder anderen Ländern festzustellen seien. Laut Welt geht man in Nordrhein-Westfalen von 188 Fällen aus, während in Baden-Württemberg 177 „Kinderbräute“ gezählt würden. In der Welt warnen Hilfsorganisationen wie Unicef oder Terre des Femmes vor einer neuen großen Gefahr für junge Mädchen. So soll vor allem bei minderjährigen Mädchen aus Syrien die Anzahl von Kinderehen stark angestiegen sein. Vor allem in Flüchtlingscamps in Jordanien, im Libanon, im Irak und der Türkei soll sich die Zahl der Zwangsehen erhöht haben. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weisen wir darauf hin, dass wir ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung unserer Fragen haben, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6117 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Ehe steht nach Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dies gilt nicht nur für Ehen zwischen Deutschen oder für in Deutschland geschlossene Ehen, sondern für alle Ehen. Vor diesem Hintergrund werden in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich auch diejenigen Ehen anerkannt, die im Ausland geschlossen worden sind. Hierfür müssen diese lediglich nach den im Eheschließungsland geltenden Gesetzen geschlossen worden sein und dürfen nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar sein. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, können sich die Verheirateten in der Bundesrepublik Deutschland auf den Schutz des Artikels 6 des Grundgesetzes berufen. Aufgrund des anhaltenden syrischen Bürgerkriegs und des damit verbundenen Verlustes der staatlichen Ordnung in weiten Teilen Syriens erscheint es hinsichtlich der nach syrischem Recht geschlossenen Ehen im Rahmen der jeweils erforderlichen Einzelfallprüfung zur Frage der Wirksamkeit von im Ausland geschlossenen Ehen notwendig zu prüfen, ob die grundsätzlichen Voraussetzungen der Anerkennung ausländischen Privatrechts im Rahmen der Eheschließung eingehalten worden sind. Mit Blick auf die auf syrischem Territorium geschlossenen Ehen gilt es daher zu beachten, dass die syrische Verfassung Syrien als säkularen Staat beschreibt. Festgestellt wird darin ferner, dass die islamische Rechtswissenschaft (d. h. vor allem Normen zur Rechtsfindung, Arabisch: al-fiqh alislami ) eine der Rechtsquellen sei; der Begriff Scharia findet sich in der syrischen Verfassung hingegen nicht. Die staatlichen Rechtsbereiche sind jedoch gänzlich dem - der Herkunft nach - europäischen Zivilrecht unterstellt. Hier spielt das islamische Recht also keine Rolle. Eine Ausnahme bilden allerdings das Personenstands- sowie das Familienrecht (beispielsweise Ehe- und Scheidungsrecht ): In Letzterem verfügen alle drei religiösen Gruppen im Land (I. Muslime, II. Drusen, III. Juden und Christen) über eine eigene Gerichtsbarkeit. Im Falle von Muslimen sind sogenannte shari´a-Gerichte zuständig. Eheschließungen werden hier nach tradierten religiösen Vorgaben vorgenommen , wobei zu beachten ist, dass die Ehe nach islamischer Auffassung nicht als Sakrament zustande kommt - auch wenn religiöse Zeremonien Beachtung finden -, sondern durch einen (zivilrechtlichen ) Vertrag (´aqd). Allerdings sind nur vom syrischen Staat anerkannte Ehen auch in der Bundesrepublik Deutschland anerkennungsfähig. Wie in den meisten anderen, mehrheitlich muslimischen Ländern weicht auch in Syrien die Bestimmung des Mindestalters zur Eheschließung von den religiösen Bestimmungen mit konkreten Altersangaben ab (bei Frauen die Vollendung des 17. Lebensjahres, bei Männern die Vollendung des 18. Lebensjahres). Unterhalb dieses Alters ist nach syrischem Personalstatutgesetz eine Eheschließung von Jungen, die das 15. Lebensjahr, und Mädchen, die das 13. Lebensjahr vollendet haben, möglich, wenn der zuständige Richter die körperliche Reife und die Geschlechtsreife beider als erwiesen ansieht und zusätzlich die Zustimmung des Ehevormunds (üblicher Weise Vater oder Großvater) vorliegt. Insgesamt gilt es zu beachten, dass bei Eheschließungen mit Auslandsbezug im Einzelfall vielfältige Faktoren für die rechtliche Beurteilung zu berücksichtigen sind. Mit Blick auf mehrheitlich islamische Länder gilt dies auch hinsichtlich etwaiger Bezüge auf religiöse Rechtsbestimmungen und Rechtsquellen, deren Geltungsbereiche und Einschränkungen durch staatliche Gesetzgebung. Zur Beantwortung der Fragen 1 bis 4, 8, 11 und 12 wurden die niedersächsischen Jugendämter für die Personengruppe der unbegleiteten ausländischen Minderjährigen um Datenübermittlung gebeten . Von 56 Jugendämtern haben 46 Jugendämter bis zum 30.06.2016 geantwortet. Dem Niedersächsischem Landesjugendamt liegen keine ergänzenden Erkenntnisse vor. Ferner hat zur Beantwortung der Fragen 1 bis 4 die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) für den Zeitraum ab 01.01.2015 die ihr bekannt gewordenen Fälle gemeldet. Derartige Fälle von verheirateten ausländischen Minderjährigen werden an den Standorten der LAB NI in der Regel durch die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Fachbereiche, insbesondere der Aufnahme (Registrierung) und des Sozialen Dienstes, bekannt. Sie ergeben sich aus Dokumenten, Ausweispapieren und Befragungen. Soweit Fälle bekannt geworden sind, werden diese durch den Sozialen Dienst an den jeweiligen Standorten betreut. Die Fälle werden durch die LAB NI dem zuständigen Jugendamt gemeldet und Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6117 3 die betroffenen Personen bei Bedarf durch dieses in Obhut genommen. Die Hinzuziehung der Polizei durch die LAB NI erfolgt nicht. Insoweit ist es sehr wahrscheinlich, dass in den Antworten der Jugendämter und der LAB NI Doppelmeldungen enthalten sind. Für die Integration und die Unterstützung der betroffenen minderjährigen Geflüchteten ist aber entscheidend , dass sie in der Bundesrepublik Deutschland - unabhängig von ihrem Personenstand - diejenige Hilfe erhalten, die sie in ihrer konkreten Situation benötigen. 1. Wie viele Fälle von „Kinderbräuten“ im Alter von unter 14 Jahren in Niedersachsen sind der Landesregierung bekannt? Es wurden zwei Fälle seitens der Jugendämter und ein Fall seitens der LAB NI benannt. 2. Wie viele Fälle von „Kinderbräuten“ im Alter von 14 oder 15 Jahren in Niedersachsen sind der Landesregierung bekannt? Es wurden 21 Fälle seitens der Jugendämter und vier Fälle seitens der LAB NI benannt. 3. Wie viele Fälle von „Kinderbräuten“ im Alter von 16 oder 17 Jahren in Niedersachsen sind der Landesregierung bekannt? Es wurden 76 Fälle seitens der Jugendämter und elf Fälle seitens der LAB NI benannt. 4. Inwieweit sind vergleichbare Fälle mit verheirateten männlichen Minderjährigen bekannt ? Die Jugendämter haben fünf vergleichbare Fälle mit verheirateten männlichen Minderjährigen benannt . 5. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob es sich dabei um Zwangsehen handelt und wie hoch die Anzahl ist? Nein. Von den Amtsgerichten wird lediglich im Rahmen der Familienstatistik bei Vormundschaftssachen erhoben, wie hoch der Anteil der unbegleiteten minderjährige Flüchtlingen bei beantragten Vormundschaften ist. Daten über Zwangsehen werden hingegen nicht erhoben. 6. Inwieweit sind Ehen, die in Syrien oder Flüchtlingslagern in angrenzenden Ländern nach islamischen Recht geschlossen wurden, mit in Deutschland geschlossen Zivilehen gleichgestellt? Wo gibt es Unterschiede? Eine im Ausland geschlossene Ehe wird in Deutschland grundsätzlich anerkannt und ist damit einer in Deutschland geschlossenen Ehe gleichgestellt, wenn im Zeitpunkt der Eheschließung die materiell -rechtlichen Eheschließungsvoraussetzungen (z. B. Ledigkeit, Mindestalter) für beide Partner nach ihrem jeweiligen Heimatrecht vorlagen und wenn das Recht am Ort der Eheschließung oder das Heimatrecht beider Ehegatten hinsichtlich der Form der Eheschließung gewahrt wurde (Artikel 11 Abs. 2 Variante 2 und Artikel 13 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch - EGBGB) und die Ehe nicht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt („ordre public“). In diesen Fällen ist eine im Ausland geschlossene Ehe einer deutschen Ehe unterschiedslos gleichgestellt. Dabei ist nicht von Bedeutung, ob die Ehe nach staatlichem Recht oder nach religiösem Ritus geschlossen wurde. Von Bedeutung ist lediglich die Wirksamkeit der Ehe nach dem Recht des jeweiligen Staates. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6117 4 7. Sind in Deutschland Eheschließungen nach islamischen Recht möglich, und welche rechtliche Wirkung geht von einem solchen Eheschluss aus? Im Inland können Ehen grundsätzlich nur nach deutschem Recht geschlossen werden; zuständig ist die Standesbeamtin oder der Standesbeamte (§ 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB). Eine zwischen zwei Ausländern in der Bundesrepublik nach einer ausländischen Rechtsordnung geschlossene Ehe wird in Deutschland nur ausnahmsweise anerkannt und einer deutschen Ehe gleichgestellt: Nach Artikel 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB kann in Deutschland eine Ehe zwischen ausländischen Verlobten vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der nach dem Recht dieses Staates vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Als ordnungsgemäß ermächtigte Personen im Sinne der genannten Vorschrift kommen u. a. auch Geistliche in Betracht. Ordnungsgemäß ermächtigt ist aber eine die Trauung durchführende Person nur dann, wenn die ausländische Regierung des Herkunftslandes eines der Verlobten der Bundesrepublik gegenüber diese als nach dem Recht des Ermächtigungslandes zur Mitwirkung bei Eheschließungen im Ausland als befugt benannt hat. Damit kann auch eine in Deutschland nach religiösem Ritus geschlossene islamische Ehe zwischen zwei ausländischen Staatsangehörigen nach deutschem Recht anerkannt werden, wenn der islamische Geistliche über eine entsprechende Ermächtigung verfügt und die sonstigen Voraussetzungen zur Eheschließung nach dem Heimatrecht der Ehegatten gewahrt wurden. 8. Inwieweit sind der Landesregierung Fälle bekannt, in denen die Ehe im Ausland geschlossen wurde und bei denen mindestens einer der Ehepartner beim Eheschluss minderjährig war, diese aber als Volljährige nach Niedersachsen gekommen sind oder hier inzwischen volljährig geworden sind? Von den Jugendämtern wurden 13 Fälle benannt, in denen die Ehe im Ausland geschlossen wurde und bei denen mindestens einer der Ehepartner beim Eheschluss minderjährig war und noch minderjährig nach Niedersachsen gekommen ist, zwischenzeitlich aber volljährig geworden ist. 9. Sieht die Landesregierung rechtspolitischen Handlungsbedarf? Wenn ja, welchen? Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und die Landesjustizverwaltungen werden in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe das Bestehen eines rechtspolitischen Handlungsbedarfs prüfen. 10. Wie bewertet die Landesregierung die bestehende Möglichkeit nach deutschem Recht, dass das Familiengericht Minderjährigen die Eheschließung erlauben kann? Sollte diese Ausnahme vom Erfordernis der Volljährigkeit abgeschafft werden? In der deutschen Rechtsordnung ist die Ehemündigkeit eine Voraussetzung, um eine Ehe wirksam eingehen zu können. Diese ist in § 1303 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Danach kann eine Person grundsätzlich die Ehe eingehen, sobald sie das 18. Lebensjahr vollendet hat und damit volljährig ist. Hat ein künftiger Ehegatte das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, kann das Familiengericht auf dessen Antrag eine Befreiung von dem Erfordernis der Volljährigkeit erteilen. Voraussetzung hierfür ist, dass die antragstellende Person das 16. Lebensjahr vollendet hat und ihr künftiger Ehegatte volljährig ist (§ 1303 Abs. 2 BGB). Eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Vorschrift enthielt bereits das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896 (RGBl. S. 195). Probleme bei der Anwendung dieser Vorschrift auf innerstaatliche Sachverhalte sind bislang nicht aufgetreten, sodass sich hieraus auch kein zwingendes Bedürfnis ergibt, das bestehende Recht zu ändern. Ein Problem tritt erst dann auf, wenn unbegleitete minderjährige Geflüchtete verheiratet sind. Ist deren im Ausland geschlossene Ehe als wirksam anzusehen, genießt diese auch den Schutz von Artikel 6 GG. Da sich aber die Beurteilung der Wirksamkeit einer im Ausland begründeten Ehe nicht Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6117 5 an der konkreten Ausgestaltung der innerstaatlichen Norm des § 1303 BGB bemisst, sondern die jeweils ausländischen Rechtsnormen maßgebend sind, solange sie nicht gegen die öffentliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland („ordre public“) verstoßen, würde eine innerstaatliche Änderung des Ehefähigkeitsalters keine unmittelbaren Auswirkungen auf die im Ausland geschlossenen Ehen haben, sodass sich auch hieraus kein innerstaatlicher Handlungsbedarf auf diesem Gebiet ableiten lässt. 11. Wie wird in Niedersachsen mit Fällen von Minderjährigen, die nach islamischen Recht verheiratet wurden, verfahren? Die Jugendämter haben bisher in der Regel bei der Frage, ob eine Ehe, die nach islamischem Recht geschlossen wurde, anzuerkennen ist, das Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF) vom 13.01.2016 - V 1.100 Ho/An zugrunde gelegt. Danach sei eine im Ausland geschlossene Ehe in Deutschland ohne weiteres anzuerkennen. Die sachlichen Voraussetzungen einer Eheschließung unterstünden für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Für die Anerkennungsfähigkeit der Eheschließung in Deutschland sei es nicht entscheidend, ob die Ehe nach staatlichem oder religiösem Recht des Heimatstaates geschlossen wurde, sondern ob die Eheschließung vom Heimatstaat als wirksam anerkannt werde. Allerdings werde eine Eheschließung vor Vollendung des 14. Lebensjahres als Verstoß gegen den ordre public (d. h. die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts) betrachtet und die Anerkennungsfähigkeit der Eheschließung verneint. In diesen Fällen sei nicht von der Anerkennungsfähigkeit der Ehe auszugehen, sondern es sei nach allgemeinen Regeln zu prüfen, ob der oder die Betroffene unbegleitet oder begleitet eingereist und ob der „Ehegatte“ als Begleitung anzusehen sei. Den Rückmeldungen aus den Jugendämtern zu dieser Frage ist zu entnehmen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter jeden Einzelfall individuell und sehr verantwortungsvoll prüfen und analysieren. Für alle unbegleiteten ausländischen Minderjährigen gelten die anerkannten Maßstäbe des Kinder- und Jugendhilferechts. Insoweit wird zunächst der jugendhilferechtliche Bedarf geklärt. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen, z. B. ob eine Inobhutnahme der oder des verheirateten Minderjährigen erforderlich ist, orientiert sich immer am Wohl der betroffenen Minderjährigen. Zur Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts führen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter mithilfe von Dolmetscherinnen und Dolmetschern intensive Gespräche mit den Betroffenen. Es werde u. a. die hiesige Kultur, die Stellung der Geschlechter sowie die Rechtslage erläutert. Als Nachweis über die Eheschließung werde beispielsweise die Vorlage von Personenstandsanzeigen verlangt. Die Minderjährigen werden in der Regel getrennt von ihrem Partner befragt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, offen und angstfrei zu sprechen. Im Rahmen dieser intensiven persönlichen Kontakte wird die individuelle Situation ergründet. Die Jugendämter achten insbesondere auf das Alter der Betroffenen und prüfen grundsätzlich, ob gegebenenfalls Indizien für eine etwaige Zwangsverheiratung oder sonstige Gefährdungen des Kindeswohls vorliegen könnten. Soweit die Minderjährigen jünger als 14 Jahre alt sind, werde deutlich gemacht, dass nach deutschem Recht eine Straftat vorliegen könnte, sollte der Geschlechtsverkehr vollzogen werden. Als Maßstab für die Beurteilung einer getrennten oder gemeinsamen Unterbringung werde der jeweilige Reifegrad der Beteiligten herangezogen. Einzelne Jugendämter berichteten, dass, wenn seitens der Betroffenen dem Jugendamt gegenüber der Trennungswunsch vom Partner signalisiert würde, eine sofortige Trennung vom Partner oder den Angehörigen durch Inobhutnahme erfolge. Es wurde auch berichtet, dass mit den verheirateten Minderjährigen, die älter als 16 Jahre sind und auf dem Verbleib bei den Partnern bestehen, intensiv über Alternativen gesprochen werde, aber in allen diesen Fällen ein Amtsvormund eingesetzt werde. Soweit keine kindeswohlgefährdenden Hinweise vorliegen, werde der Wille der betroffenen Minderjährigen respektiert . Ein grundsätzlicher Verfahrensschritt der Jugendämter ist die Prüfung, ob eine Begleitung durch eine personensorge- oder erziehungsberechtigte Person erfolgt. Ist keine entsprechende Person Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6117 6 feststellbar, so erfolgen i. d. R. eine Inobhutnahme und ein Antrag beim zuständigen Familiengericht auf Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge und Bestellung eines Vormunds. 12. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, in denen minderjährige Ehepartner getrennt von ihren volljährigen Ehepartnern von den Jugendämtern untergebracht wurden oder werden? Die Jugendämter haben zwölf Fälle benannt, in denen minderjährige Ehepartner getrennt von ihren volljährigen Ehepartnern untergebracht wurden. Gründe für eine getrennte Unterbringung waren beispielsweise das junge Alter der Minderjährigen (13 Jahre), Zwangsheirat, Misshandlung durch den Partner, häusliche Gewalt oder eine sonstige Kindeswohlgefährdung. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 11 verwiesen. 13. Geht die Landesregierung davon aus, dass von syrischen Scharia-Gerichten geschlossene Ehen nach deutschem Recht Bestand haben? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Altersgrenzen? Zur Beantwortung der Frage wird zunächst auf die Antwort auf Frage 6 verwiesen. Soweit die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, werden in Deutschland die im Ausland geschlossenen Ehen anerkannt. Welche Altersgrenze bei einer nach ausländischem Recht geschlossenen Ehe gewahrt werden muss, bleibt der Bewertung der Rechtsprechung im konkreten Fall überlassen. Eine mit einem minderjährigen Ehepartner im Ausland geschlossenen Ehe wird in Deutschland nur dann nicht anerkannt, wenn die Anwendung der das Mindestheiratsalter regelnden ausländischen Rechtsnorm mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten , unvereinbar ist (Artikel 6 EGBGB - „ordre public“). Die Rechtsprechung bewertet im Rahmen der Anerkennung von nach ausländischem Recht geschlossenen Ehen nicht jede Unterschreitung der deutschen Altersgrenzen als einen Verstoß gegen den deutschen „ordre public“. Aus Gründen des Kindeswohls und zum Schutz der verfassungsrechtlich garantierten sexuellen Selbstbestimmung wird aber die im deutschen Sexualstrafrecht gezogene Grenze von 14 Jahren (vgl. § 176 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs) als Richtschnur herangezogen . In der Rechtsprechung ist z. B. eine Ehemündigkeit mit neun oder zehn Jahren für ordrepublic -widrig befunden worden. Gegenteilige Entscheidungen sind für Sachverhalte ergangen, in denen ein Ehepartner das 14. Lebensjahr vollendet hatte. 14. Was tut die Landesregierung konkret, um minderjährige Ehepartner zu schützen? In Niedersachsen wenden sich im Durchschnitt jährlich 140 bis 150 Menschen an das Niedersächsische Krisentelefon GEGEN Zwangsheirat. Dort erhalten sie fachkundige Beratung und Unterstützung . Inwiefern es sich bei den Hilfesuchenden um Flüchtlinge oder bereits seit längerer Zeit hier lebende Menschen mit Migrationshintergrund handelt, wird - u. a. aufgrund der Anonymität der Beratung - nicht erfasst. Der Anteil der minderjährigen Ratsuchenden liegt durchschnittlich bei 30 %. Neben der Beratung durch das Niedersächsische Krisentelefon gibt es für schutzsuchende junge Migrantinnen eine anonyme Wohngruppe und Schutzeinrichtung für Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund „Ada“. 15. Gibt es Aufklärungskampagnen der Landesregierung, um minderjährige Ehegattinnen und Ehegatten auf ihre Rechte hinzuweisen? Das Niedersächsische Krisentelefon arbeitet mit dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung seit 2007 an einer kontinuierlichen landesweiten Vernetzung und Aufklärungsarbeit. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6117 7 Beteiligt sind örtliche Jugendämter, Ausländerbehörden, Polizei, Gewaltberatungsstellen, allgemeine Beratungsstellen und Migrationsselbsthilfegruppen und Vereine. Zur Prävention von Zwangsehen führt das Krisentelefons seit Jahren Aufklärungsarbeit in Form von Vorträgen, Flyern, Plakaten, Informationskoffern und Fortbildungen durch. Lehrerinnen und Lehrern sowie Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern werden spezielle Konzepte und Unterrichtsmaterialien angeboten. Zusätzlich führt das Niedersächsische Krisentelefon Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer und pädagogisches Personal durch. Das Niedersächsische Krisentelefon dient neben der Prävention auch der Hilfeleistung für Betroffene und Menschen aus deren Umfeld. Lehrkräfte, Freunde und Bekannte, Eltern und insbesondere betroffene Mädchen und Jungen können sich (anonym) unter der kostenlosen Telefonnummer 0800-0667888 informieren. Eine persönliche und telefonische Beratung in deutscher, türkischer, kurdischer oder arabischer Sprache ist möglich. Daneben wird im Bedarfsfall auch an regional qualifizierte Stellen weitergeleitet. 16. Sind der Landesregierung in diesem Zusammenhang bereits Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen die sexuelle Selbstbestimmung der verheirateten minderjährigen Flüchtlinge bekannt? Eine gesonderte Erfassung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von verheirateten minderjährigen Flüchtlingen erfolgt in Niedersachsen nicht. Die Beantwortung der Frage würde dementsprechend eine manuelle Einzelauswertung erfordern. Eine solche würde einen Arbeitsaufwand verursachen, der aufgrund der Arbeitsbelastung der Staatsanwaltschaften nicht zumutbar und im Rahmen einer Kleinen Anfrage unverhältnismäßig wäre. Derzeit ist der Landesregierung ein Ermittlungsverfahren bekannt, in dem gegen einen 27 Jahre alten Beschuldigten wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs eines Kindes ermittelt wurde, weil der Verdacht bestand, dass der Beschuldigte seine - nach den Eintragungen in einer irakischen Heiratsurkunde - 13-jährige Ehefrau, mit der er zusammen als Flüchtling aus dem Irak in die Bundesrepublik eingereist war, geschwängert hat. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, weil davon auszugehen war, dass die Tat im Irak begangen wurde, sodass eine Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts nicht festgestellt werden konnte. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat hierzu ergänzend mitgeteilt, dass zudem auch Zweifel an den Altersangaben in der irakischen Heiratsurkunde bestehen. Darüber hinaus liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse zu Einzelfällen vor. 17. Was tut die Landesregierung, um in solchen Fällen Straftaten wegen Verstoßes gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Jugendlichen und Kindern zu verhindern? Zum Schutz von Frauen und Kindern in den Aufnahmeeinrichtungen des Lands im Allgemeinen ist Folgendes zu bemerken: Es ist der Landesregierung ein großes Anliegen sicherzustellen, dass insbesondere bei der Unterbringung der Flüchtlingsfrauen und -familien die individuelle Situation im Rahmen der Möglichkeiten berücksichtigt wird. Dabei ist der verlässliche Ablauf administrativer Vorgaben, wozu u. a. die Erstuntersuchung, Arztbesuche , Sozialleistungen und Gespräche mit dem Sozialdienst gehören, der Gewaltprävention sehr dienlich. Es erfolgt eine enge Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner durch den Sozialdienst , was eine frühzeitige Erkennung von Problematiken fördert. Im Rahmen des Erstgespräches findet bereits eine umfassende Aufklärung zum Thema Kinder- und Gewaltschutz statt. Von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Standorten der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen werden Führungszeugnisse verlangt, das Sicherheitspersonal wird zusätzlich überprüft. Das in den Einrichtungen hauptamtlich tätige Personal ist grundsätzlich fachlich ausgebildet und sensibilisiert. Bei den im Rahmen der Kinderbetreuung an den Standorten der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen tätigen Personen handelt es sich um pädagogische Fachkräfte, die ihre Eignung u. a. auch durch die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses nachweisen müssen. Die einzelnen Dienste innerhalb der Einrichtungen arbeiten kontinuierlich und vertrauensvoll zusammen, sodass Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6117 8 ein entsprechender Austausch beim Erkennen von Signalen erfolgen kann und rechtzeitige Hilfen möglich sind. Mit dem „Konzept zum Kinderschutz und Gewaltschutz für Frauen in Aufnahmeeinrichtungen des Landes für Asylbegehrende und Flüchtlinge“ wurden vom Ministerium für Inneres und Sport sowie dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gemeinsam Empfehlungen zum Schutz von Kindern und Frauen vor Misshandlung und Gewalt in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes erarbeitet. Das Konzept wird seitens der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen umgesetzt . Das Konzept sieht u. a. vor: – geschlechterspezifische Unterbringung, – Sicherheitsvorkehrungen in Sanitärbereichen (gute Beleuchtung, Trennung der Geschlechter, Frauenduschzeiten, Sicherheitspersonal), – weibliche Ansprechpartner im Sozialdienst mit einem Betreuungsschlüssel von 1:75 und – Unterstützungs- und Beratungsangebote für Gewaltbetroffene. Im Rahmen der Umsetzung des Konzepts wurde eine Einrichtung für allein reisende Frauen mit und ohne Kinder in Dassel, einer Außenstelle des Grenzdurchgangslagers Friedland, geschaffen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die Antwort auf Frage 11 verwiesen. (Ausgegeben am 22.07.2016) Drucksache 17/6117 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5921 Wie viele Fälle von minderjährigen verheirateten Flüchtlingen gibt es in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Mechthild Ross-Luttmann und Volker Meyer (CDU) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums