Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6169 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5998 - Siloah-Bauarbeiter beklagen Ausbeutung Anfrage des Abgeordneten Rainer Fredermann (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 22.06.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 30.06.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung vom 25.07.2016, gezeichnet Olaf Lies Vorbemerkung des Abgeordneten Am 21./23. und 26. Mai 2016 berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung über die Bedingungen , unter denen bulgarische Bauarbeiter den Altbau des Krankhauses im hannoverschen Stadtteil Linden abgerissen haben. In dem Text heißt es: „Zehn Stunden Arbeit, kaum Pausen, kaum Bezahlung : Auf der Baustelle des Siloah-Klinikums der Region Hannover haben bulgarische Billiglöhner wochenlang ohne Bezahlung geschuftet - bei einem Arbeitstag von 7 bis 18 Uhr und einer Stunde Pause (…)“. Auch die Beratungsstelle für mobile Beschäftigte, die sich im Auftrag des Landes um die faire Bezahlung gerade osteuropäischer Leiharbeiter kümmert, hat sich eingeschaltet. Ausweislich der weiteren Berichterstattung ist inzwischen auch der Zoll, der sich um die Bekämpfung von „Schwarzarbeit “ kümmert, mit der Angelegenheit befasst. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weise ich darauf hin, dass ich ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung meiner Fragen habe, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung Da das Krankenhaus Siloah keine Einrichtung des Landes ist, liegen der Landesregierung über die Vorgänge dort keine eigenen Erkenntnisse vor. Zur Beantwortung wurden daher die Region Hannover , die Beratungsstelle für mobile Beschäftigte in Hannover sowie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls beteiligt. Auf den von dort erhaltenen Auskünften beruht diese Antwort. Das Klinikum Region Hannover hat den Abriss der alten Bestandsgebäude in einem offenen EU-weiten Verfahren nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) im Juli 2015 öffentlich ausgeschrieben. Nachdem 24 Unternehmen die Angebotsunterlagen abgefordert hatten, haben insgesamt elf in Deutschland ansässige Firmen ein Angebot abgegeben. Der Zuschlag wurde nach Auswertung der Unterlagen und Prüfung durch die Vergabekammer Lüneburg im Dezember 2015 an ein Fachunternehmen aus Thüringen erteilt. Alle Bieter im Vergabeverfahren haben eine Bietererklärung zur Tariftreue beibringen müssen und sich damit schriftlich verpflichtet, nicht unter den Mindestentgelt-Regelungen des Arbeitnehmer- Entsendegesetzes zu entlohnen. Gleiches gilt für die Verpflichtungen gegenüber den Sozialkassen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6169 2 Diese Erklärung wurde auch dem Auftragnehmer abgenommen. Gleichzeitig wurde er in den Vertragsbedingungen darauf hingewiesen, dass dieselben Anforderungen bei einem Einsatz eines Nachunternehmers gelten. Der Auftragnehmer hat sich zwei lokale Nachunternehmer in Hannover gesucht und beauftragt. Von beiden Firmen lagen entsprechende Gewerbeanmeldungen, Steuerbescheinigungen und Unbedenklichkeitsbescheinigungen zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge vor. Nachdem bei einem der beiden Nachunternehmer Unregelmäßigkeiten in den Beschäftigungsverhältnissen vermutet wurden, hat sich der Auftragnehmer von diesem Nachunternehmer getrennt. Die Kontrolle der Baustelle durch den Zoll wurde im Rahmen seiner Routineaufgaben schon vor der Presseberichterstattung durchgeführt. Die Abrissbaustelle wird durch ein in Hannover ansässiges akkreditiertes Fachunternehmen in der Fachbauleitung und Sicherheits- und Gesundheitskoordination gemäß der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen überwacht. Mit Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigungen zur Zahlung der Sozialversicherungsabgaben sowie der Freistellungerklärungen des Finanzamtes aus Februar 2016 und Mai 2016 gab es aus Sicht des Auftraggebers keine Veranlassung daran zu zweifeln, dass der Auftragnehmer seinen erklärten Pflichten nachgekommen ist. Im Folgenden wurden Gehaltsabrechnungen eingesehen mit der Feststellung des gezahlten Mindestlohns und abgeführter Sozialabgaben. 1. Ausweislich der oben zitierten Berichterstattung ist die Angelegenheit noch immer nicht vollständig geklärt. Wie kann nach Auffassung des Landes zuverlässig verhindert werden, dass erneut osteuropäische Bauarbeiter zu Löhnen unterhalb der bundesgesetzlichen Mindestlohnvorschriften auf staatlichen oder kommunalen Baustellen in Niedersachsen zum Einsatz kommen? Nach den Vorgaben des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes dürfen öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten , bei Ausführung des Auftrags ein bestimmtes Mindestentgelt zu zahlen. Hierbei handelt es sich um eine Auftragsausführungsbedingung, die damit erst bei Vertragsvollzug überprüfbar ist. Die öffentlichen Auftraggeber sind gehalten, Kontrollen durchzuführen, um zu überprüfen, ob die beauftragten Unternehmen und die jeweiligen Nachunternehmen die vergaberechtlichen Verpflichtungen einhalten. Liegen Anhaltspunkte vor, dass Vorgaben zur Zahlung von bestimmten Mindestentgelten nicht eingehalten werden, sind sie zur Durchführung von Kontrollen verpflichtet. Im Übrigen obliegen die Überprüfungen der Einhaltung der Vorgaben des Mindestlohngesetzes, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes den Behörden der Bundeszollverwaltung. 2. Konnte inzwischen geklärt werden, ob im vorliegenden Fall die Sozialversicherungsbeiträge vollständig entrichtet wurden? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Die Prüfung der Einhaltung der Meldepflichten nach § 28 a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) gegenüber den Krankenkassen, die als Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zuständig sind, ist Aufgabe der Zollbehörden. Die Zollbehörden unterrichten die Krankenkassen als Einzugsstellen, wenn sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben Anhaltspunkte für Verstöße ergeben. Laut Mitteilung der Region Hannover hat sich der Auftragnehmer bei seinem Nachunternehmer von der ordnungsgemäßen Entrichtung der Löhne (Mindestlohn) und Sozialversichsicherungsabgaben überzeugt. Danach liegen dem Auftragnehmer entsprechende Nachweise in Form von Gehaltsabrechnungen mit Nachweis der Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge vor. Nach Auskunft der Finanzkontrolle Schwarzarbeit wurden bzw. werden sowohl der Neubau als auch der Abbruch der Altbauten des Krankenhauses Siloah durch Prüfungsmaßnahmen der Fi- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6169 3 nanzkontrolle Schwarzarbeit beim Hauptzollamt Hannover begleitet. Vorbereitende Prüfungsmaßnahmen unter Einbeziehung weiterer zuständiger Stellen bezüglich der Abbrucharbeiten wurden eigenständig im April 2016 aufgenommen. Am 18. Mai 2016 hat eine Personenkontrolle vor Ort stattgefunden. Die damit verbundenen Prüfungen und Auswertungen von Geschäftsunterlagen dauern noch an. Ein Ermittlungsverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft Hannover mittlerweile eingeleitet. Belastbare Daten zum Ermittlungsumfang liegen noch nicht vor. 3. Welche Verantwortung trifft nach Auffassung des Landes das Klinikum Region Hannover , wenn auf seinen Baustellen deutsche Arbeitsschutznormen und Arbeitnehmerrechte missachtet werden? Baumaßnahmen, auch die des Klinikums Region Hannover, unterliegen der Baustellenverordnung. Unter anderem ist eine Vorankündigung an die staatliche Arbeitsschutzbehörde zu übermitteln und ein Koordinator einzusetzen. Nach Kenntnis der Landesregierung erfolgte die Anzeige im Fall der in Rede stehenden Abrissarbeiten bei dem zuständigen Gewerbeaufsichtsamt Hannover am 26. Mai 2016. Die Erstverantwortung für den Arbeitsschutz der Beschäftigten verbleibt nach § 5 Abs. 3 der Baustellenverordnung beim Arbeitgeber. Letztendlich muss der Arbeitgeber gegebenenfalls mit dem Auftraggeber in Verhandlung treten, wenn ein sicheres Arbeiten nicht möglich sein sollte. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das Arbeitszeitgesetz eine tägliche Arbeitszeit bis zu zehn Stunden und eine einstündige Pause zulässt. Hinsichtlich der vergaberechtlichen Kontrollen und der Überprüfung der Einhaltung von Mindestarbeitsbedingungen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Wie konnte es zur Beschäftigung von bulgarischen Bauarbeitern zu derartigen Rahmenbedingungen unter Geltung des niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes überhaupt kommen? Der Auftragnehmer hat einen in Hannover ansässigen Nachunternehmer beauftragt. Dieser hat wiederum in Hannover wohnende und aus Bulgarien stammende Arbeitnehmer eingestellt. Die Abrechnung der vom Nachunternehmer zu entrichtenden Gehälter erfolgte über ein in Hannover ansässiges Steuerberatungsbüro. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 5. Sieht die Landesregierung einen gesetzgeberischen Nachsteuerungsbedarf? Nein. 6. Wenn ja, welchen? Entfällt. 7. Wenn nein, warum nicht? Die Regelungen des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes zur Tariftreue und zu Mindestentgelten sind aus Sicht der Landesregierung sinnvoll und notwendig, aber auch ausreichend . Sie ergänzen die bundesrechtlichen Vorgaben und dort geregelten Kontrollmechanismen. Naturgemäß können gesetzliche Ge- und Verbote Verstöße nicht gänzlich verhindern, sie dienen jedoch wirksam der Abschreckung und der Sanktionierung im Einzelfall. Zur Bekämpfung des Missbrauchs bei der Arbeitnehmerüberlassung und beim Einsatz von Werkvertragsarbeitnehmern gerade auch aus osteuropäischen Mitgliedstaaten der EU verfügt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit bereits jetzt über umfangreiche Kontrollrechte. Zudem hat die Bundes- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6169 4 regierung mittlerweile den Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ vorgelegt. Der erste Durchgang im Bundesratsverfahren ist abgeschlossen , s. Beschluss des Bundesrates vom 8. Juli 2016, BR-Drucksache 294/16 (B). Nach Kenntnis der Landesregierung soll das Gesetz am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Die Landesregierung begrüßt diesen Gesetzentwurf ausdrücklich als Schritt in die richtige Richtung , um prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurückzudrängen und Stammarbeitsplätze zu sichern . Das Ergebnis des parlamentarischen Verfahrens und die Auswirkungen des dann verabschiedeten und in Kraft getretenen Gesetzes in der Praxis bleiben abzuwarten. (Ausgegeben am 02.08.2016) Drucksache 17/6169 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5998 Siloah-Bauarbeiter beklagen Ausbeutung Anfrage des Abgeordneten Rainer Fredermann (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr