Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6204 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5990 - Ist die Landesregierung bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie im Wald gut aufgestellt? Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 16.06.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 28.06.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 29.07.2016, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung des Abgeordneten Am 21. Mai 1992 ist die Richtlinie 92/43 EWG des Rates der Europäischen Union (Flora-Fauna- Habitat-Richtlinie) erlassen worden. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie hat zum Ziel, wildlebende Arten, deren Lebensräume und die europaweite Vernetzung dieser Lebensräume zu sichern und zu schützen. Nach der Zielvorgabe der EU-Richtlinie gilt nach Einschätzung von Experten allgemein ein Verschlechterungsverbot für die FFH-Gebietskulisse bei Wahrung der wirtschaftlichökonomischen , sozialen und kulturellen Interessen. Im Bundesnaturschutzgesetz (BNatschG) heißt es in § 26 Abs. 2: „In einem Landschaftsschutzgebiet sind unter besonderer Beachtung des § 5 Abs. 1 und nach Maßgabe näherer Bestimmungen alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebiets verändern oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen.“ Der § 5 Abs. 1 des BNatschG hat folgenden Wortlaut: „Bei Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege ist die besondere Bedeutung einer natur- und landschaftsverträglichen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft für die Erhaltung der Kultur- und Erholungslandschaft zu berücksichtigen.“ Von FFH- Gebieten betroffene Land- und Forstwirte haben vor diesem Hintergrund wenig Verständnis dafür, dass die Überlegungen zum Schutz dieser Gebiete aus ihrer Sicht auf eine Stilllegung und ein Bewirtschaftungsverbot hinauslaufen. Für Unverständnis bei den Betroffenen sorgt auch, dass in Naturschutzgebieten ein Erschwernisausgleich nach der Erschwernisausgleichs-VO gezahlt wird, diese Zahlung in Landschaftsschutzgebieten trotz nahezu gleicher Eingriffsschwere versagt wird. Da es sich bei den jetzt zu erlassenden Verordnungen aus Sicht der Betroffenen um enteignungsgleiche Eingriffe handelt, wie z. B. bei der Auflage, sogenannte Habitatbäume nicht mehr zu nutzen, sondern bis zum Absterben im Wald zu lassen, müsste aus ihrer Sicht der Artikel 14 Abs. 3 des Grundgesetzes zum Tragen kommen, in dem es heißt: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“ Am 21. Oktober 2015 hat die Landesregierung den sogenannten Sicherungserlass (Unterschutzstellung von Natura-2000-Gebieten im Wald durch Naturschutzgebietsverordnung) verabschiedet. Darin wird geregelt, dass die Unterschutzstellung auch durch Verabschiedung einer Landschaftsschutzgebietsverordnung erfolgen kann, die Zahlung eines Erschwernisausgleiches wird aber explizit ausgeschlossen. Im Landkreis Osnabrück wird aktuell die Verabschiedung einer Landschaftsschutzgebietsverordnung für das FFH-Gebiet „Kleiner Berg und Teutoburger Wald“ diskutiert. Das Gebiet ist ca. 2 200 ha groß und äußerst kleinteilig parzelliert. Die möglichen Bewirtschaftungsauflagen führen zu einer ganzen Reihe von Fragen bei den betroffenen Eigentümern. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6204 2 Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weise ich darauf hin, dass ich ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung meiner Fragen habe, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung Als Teil der Bundesrepublik Deutschland ist auch das Land Niedersachsen verpflichtet, die gemeldeten Natura-2000-Gebiete hoheitlich zu sichern. Anders als von der Vorgängerregierung ursprünglich angenommen und lange Zeit vertreten, ist der Vertragsnaturschutz für eine ausreichende Sicherung der Gebiete kein geeignetes Instrument. Abgesehen von dieser formalen Frage hat der Vertragsnaturschutz im Wald bei den Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern kaum Resonanz gefunden. Bei der Sicherung der Gebiete sind nach den Vorgaben der Landesregierung Mindeststandards für die Waldbewirtschaftung vorzusehen. Die Einhaltung dieser Mindeststandards bewegt sich vollständig im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Eine Bewirtschaftung der Flächen ist weiterhin möglich. Für die naturschutzrechtlich festgelegten Einschränkungen in Naturschutzgebieten hat die Landesregierung eine Ausgleichsmöglichkeit auf der Grundlage der Erschwernisausgleichsverordnung Wald geschaffen. Wenn Flächeneigentümerinnen und Flächeneigentümer bzw. waldbewirtschaftende Personen die Schutzkategorie Naturschutzgebiet für ihre Flächen vermeiden wollen und stattdessen ein Landschaftsschutzgebiet bevorzugen, ist mit dem Erlass der Landschaftsschutzgebietsverordnung mit gleichartigen Bestimmungen zur Waldbewirtschaftung kein Überschreiten der Grenzen hin zum enteignungsgleichen Eingriff gegeben. Werden in einer Naturschutzgebiets- oder Landschaftsschutzgebietsverordnung Auflagen festgelegt , die die Grenzen der Sozialpflichtigkeit überschreiten, weil sie weit über die von der Landesregierung festgelegten Mindeststandards hinausgehen, ist dieses im Einzelfall zu beurteilen und gegebenenfalls auf dem Rechtsweg zu klären. Die Haltung der Landesregierung zu solchen Fällen ist die, dass jede naturschutzfachlich erforderliche, dem Grundsatz der Geeignetheit folgende und das Übermaßverbot beachtende Auflage denkbar ist. Diese muss aber bei Überschreiten der im „Unterschutzstellung von Natura-2000-Gebieten im Wald durch Naturschutzgebietsverordnung“ (Unterschutzstellungserlass ) festgelegten Mindeststandards von der verordnungsgebenden Behörde mit den Betroffenen bilateral einvernehmlich ausgehandelt werden. Zur Umsetzung ist in solchen Fällen auch an die Inanspruchnahme vertragsnaturschutzrechtlicher Lösungen zu denken. 1. Warum hat die Landesregierung nur die Unterschutzstellung von FFH-Gebieten durch Naturschutzgebiete, nicht aber durch Landschaftsschutzgebiete im Rahmen von Handlungsanweisungen geregelt? Die Landesregierung hat mit dem Unterschutzstellungserlass geregelt, für welchen Lebensraumtyp bzw. für welche waldgebundene Art welche speziellen Aspekte und Auflagen zu berücksichtigen sind, um die Erreichung bzw. Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes zu gewährleisten. Es obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der verordnungsgebenden Behörde - in der Regel der unteren Naturschutzbehörde -, ob die Unterschutzstellung in Form eines Naturschutzgebietes oder gegebenenfalls eines Landschaftsschutzgebietes vorgenommen werden kann bzw. soll. Bei dieser Fragestellung spielt auch die Haltung der betroffenen Flächeneigentümerinnen/Flächeneigentümer eine Rolle. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6204 3 2. Warum wird ein Erschwernisausgleich nur in Naturschutzgebieten, nicht aber in Landschaftsschutzgebieten gezahlt, obwohl es auch in Landschaftsschutzgebieten zu enteignungsgleichen Eingriffen kommen wird? Nur für Naturschutzgebiete sind die gesetzlichen Voraussetzungen für Ausgleichszahlungen gegeben . Wie bereits erwähnt, kommt es durch Auflagen in Landschaftsschutzgebietsverordnungen, die analog zu den Auflagen gemäß dem für Naturschutzgebiete geltenden Unterschutzstellungserlass vorgesehen werden, nicht zu enteignungsgleichen Eingriffen. 3. Welche materiellen Unterschiede sieht die Landesregierung zwischen den §§ 23 und 26 des Bundesnaturschutzgesetzes, und welche Folgen hat das für die Bewirtschaftung durch Land-und Forstwirte in diesen Gebieten? Was die materiellen Unterschiede betrifft, legt das Bundesnaturschutzgesetz die Kriterien für die Schutzgebietskategorien Naturschutzgebiet und Landschaftsschutzgebiet eindeutig fest und bedarf keiner weiteren Interpretation. Nutzungen dürfen dem Schutzzweck der jeweiligen Gebiete nicht zuwiderlaufen. Das Niedersächsische Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz bestimmt zusätzlich in § 16, dass Naturschutzgebiete außerhalb der Wege nicht betreten werden dürfen. Dies gilt jedoch nicht für das Betreten im Rahmen der Waldbewirtschaftung. Ausnahmen vom Wegegebot kann die Schutzgebietsverordnung zulassen. 4. Welche Probleme sieht die Landesregierung bei der Bewirtschaftung kleinteiliger Waldparzellen in Verbindung mit möglichen Auflagen? Die Bewirtschaftung kleinteiliger Waldparzellen - ob mit oder ohne Berücksichtigung spezieller naturschutzfachlicher Auflagen - ist losgelöst von den sie umgebenden Waldflächen als ordnungsgemäße , nachhaltige Forstwirtschaft kaum denkbar. Daher ist es sinnvoll, dass die Personen, die kleine Parzellen bewirtschaften, forstliche Zusammenschlüsse bilden, um ihre Flächen gemeinsam zu bewirtschaften. Die Entscheidung darüber liegt jedoch ausschließlich bei den bewirtschaftenden Personen selbst. Die Umsetzung von Auflagen ist bei sehr kleinen Flächengrößen durch eine einzelne bewirtschaftende Person oft nur mit Einschränkungen möglich, da deren Wald nicht alle Altersklassen gleichzeitig enthält. 5. Welche aktuellen Forschungsergebnisse gibt es zur CO2-Bilanz von Holz, das absterbend im Wald verbleibt, und von Holz, das für alternative Nutzungszwecke entnommen wird? Holz, das nach dem Absterben im Wald verbleibt und dem natürlichen Zerfall überlassen wird, setzt den darin gespeicherten Kohlenstoff - größtenteils in Form von CO2 - allmählich wieder frei. Ein Verbleib von Totholz im Wald ist somit auf lange Sicht CO2-neutral. Die Auswirkungen der CO2-Speicherung im Holz hängen direkt von der jeweiligen Nutzungsform ab. Werden aus dem Holz langlebige Güter hergestellt, ist der darin festgelegte Kohlenstoff auf lange Zeit der Atmosphäre entzogen (z. B. Holzbau, Möbel), bei bestimmten Verwendungen lediglich mittelfristig gespeichert (z. B. Schalbretter, Formen, Landschaftsbau, Totholz im Wald) oder wird schlagartig freigesetzt (energetische Verwendung). 6. Welche Rechtsgrundlage führt die Landesregierung zur Einführung einer Bagatellgrenze bei Zahlung des Erschwernisausgleichs an, und zu welchen Konsequenzen führt dies in kleinteiligen Waldparzellen? Bagatellgrenzen ergeben sich aus der Gegenüberstellung des für die Beantragung und Bearbeitung notwendigen Aufwandes zu dem damit erreichbaren Ertrag. In der Konsequenz bedeutet das, dass bei kleinteiliger Bewirtschaftung von Waldflächen durch die Bagatellgrenze für mögliche Auflagen kein Erschwernisausgleich zu erlangen ist. Anders als die Vorgängerregierung hat die jetzige Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6204 4 Landesregierung für den Erschwernisausgleich die Möglichkeit der Übertragung der Ansprüche an einen forstwirtschaftlichen Zusammenschluss vorgesehen. 7. Womit rechtfertigt die Landesregierung die Unterschiede zwischen dem Willen der EU („Verschlechterungsverbot“) und dem Handeln der niedersächsischen Behörden, die in FFH-Gebieten von „Entwicklung und Ausgestaltung“ sprechen? Der Wille der EU-Kommission, wie er in der FFH-Richtlinie zum Ausdruck kommt, ist nicht nur auf ein Verschlechterungsverbot ausgerichtet, sondern auf die Erreichung und Erhaltung eines günstigen Erhaltungszustandes. In entsprechenden Schutzgebietsverordnungen können hierfür Auflagen festgelegt werden, diese sind allerdings auf „Duldung“ bzw. „Verzicht“ ausgerichtet und nicht auf aktives Handeln. Soll die Person, die eine im FFH-Gebiet liegende Waldparzelle bewirtschaftet, im Sinne von „Entwicklung und Ausgestaltung“ handeln, so sind dafür gesonderte einvernehmliche Absprachen bzw. Vereinbarungen zu treffen (siehe Vorbemerkungen der Landesregierung). 8. Wie sieht die Landesregierung bei der Sicherung der FFH-Gebiete den Text der EU („bei Wahrung der wirtschaftlich-ökonomischen, sozialen und kulturellen Interessen“) gewährleistet ? Die Wahrung der „wirtschaftlich-ökonomischen“ Interessen sieht die Landesregierung durch die Möglichkeit der Gewährung eines Erschwernisausgleichs, dessen Höhe sich nach den jeweiligen Auflagen für die betreffenden Wald-Lebensraumtypen richtet, vollumfänglich gegeben, denn der Erschwernisausgleich stellt eine jährliche Zahlung dar, die die bewirtschaftende Person für die Einhaltung der Auflagen auf Antrag erhält, wenn das betreffende Gebiet als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist. Die „sozialen und kulturellen“ Interessen sind in jedem Fall berücksichtigt, wenn durch die Unterschutzstellung besonders erhaltenswerte und schützenswerte Gebiete der Gesellschaft auf Dauer erhalten bleiben und neben den wirtschaftlichen Leistungen auch vielfältige Ökosystemleistungen für die Gesellschaft erbringen. (Ausgegeben am 09.08.2016) Drucksache 17/6204 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5990 Ist die Landesregierung bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie im Wald gut aufgestellt? Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz