Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6370 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6172 - Gibt es Sozialdumping im Straßengüterverkehr? Anfrage der Abgeordneten Heidemarie Mundlos (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 27.07.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 01.08.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung vom 26.08.2016, gezeichnet Olaf Lies Vorbemerkung der Abgeordneten Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e. V. hat bereits am 01.10.2015 einen Maßnahmenkatalog „Zur Wiederherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen im Straßengüterverkehr und gegen Sozialdumping“ vorgelegt. In der Zusammenfassung heißt es: „Durch die Erweiterung der Europäischen Union seit 2004 hat sich das Lohn- und Sozialkostengefälle im Straßengüterverkehr erheblich verstärkt. Der Anreiz, große Fuhrparkflotten in die neuen EU-Beitrittsländer zu verlegen, ist unverändert hoch.“ Der BGL führt weiter aus, dass Fahrpersonal erst nach mehreren Wochen/Monaten zum jeweils offiziellen Betriebsstandort zurückkehre, Ruhezeiten und die private Freizeit damit häufig in der Umgebung des Fahrerhauses des eigenen Lkws und somit auf Ratsstätten, Umschlagsanlagen oder Hafenanlagen verbracht würden. Wer an Wochenenden durch Industriegebiete nahe der Bundesautobahn fährt, könne beobachten, dass dort häufig Lkws aus Osteuropa abgestellt sind, in denen offenbar deren Fahrer „kampieren“. Der BGL erklärt darüber hinaus, dass die Mautstatistik in Deutschland belege, dass mittlerweile 40 % aller mautpflichtigen Verkehre in Deutschland durch gebietsfremde Transportunternehmen geleistet würden. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weise ich darauf hin, dass ich ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung meiner Fragen habe, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung Speditionen und Logistikdienstleister organisieren und steuern nationale und internationale Lieferketten . Der wachsende Anteil ausländischer Transportunternehmen am grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr ist eine Konsequenz der Vollendung des Binnenmarktes und der Erweiterung der EU. Die Beauftragung ausländischer Transportunternehmen zur Durchführung internationaler Beförderungsdienstleistungen ist im Fernverkehr ein tägliches Massengeschäft, das nicht allein von wirtschaftlichen Interessen bestimmt wird, sondern vor allem organisatorischen Zwängen mit einem hohen regionalen und fachlichen Spezialisierungsgrad der einzelnen Lieferkettenglieder im In- und Ausland geschuldet ist. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6370 2 Deutsche Speditionen und Logistikdienstleister haben seit den 1990er-Jahren ihre Prozesse und Dispositionsstrukturen den Standortverlagerungen ihrer Auftraggeber aus Industrie und Handel angepasst , indem sie - sofern sie vor Ort nicht eigene Unternehmen gegründet oder Joint Venture- Vereinbarungen getroffen haben - Kooperationen mit ausländischen Transportunternehmen eingegangen sind. Auf diese Weise haben sie zur Integration neuer EU-Mitgliedstaaten in den gemeinschaftlichen Wirtschaftsraum beigetragen. Gleichzeitig wurde dadurch die eigene Wettbewerbsfähigkeit gesichert und der deutsche Logistikstandort gestärkt. 1. Wie beurteilt die Landesregierung das Problem der Verlagerung großer Fuhrparkflotten in andere EU-Länder? Der Landesregierung liegen keine detaillierten Statistiken über Verlagerungen von Fuhrparkflotten in andere EU-Länder vor. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Einschätzung des BGL, dass hiermit im Straßengüterverkehr eine Art Sozialdumping einhergehe? Die Verlagerung darf nicht zu Verwerfungen im Straßengüterverkehrsmarkt führen. Von daher ist eine konsequente Ahndung von Verstößen und rechtswidrigen Verhaltens notwendig, um Wettbewerbsverzerrungen auf dem deutschen und europäischen Straßengüterverkehrsmarkt einzudämmen . 3. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für richtig, um den beschriebenen Zustand zu verändern und insbesondere deutschen Logistikunternehmen und deren Fahrerinnen und Fahrern eine faire Chance am Markt zu eröffnen? 4. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung konkret, um den beschriebenen Zustand zu verändern und insbesondere deutschen Logistikunternehmen und deren Fahrerinnen und Fahrern eine faire Chance am Markt zu eröffnen? 5. Wie beurteilt die Landesregierung die in dem Maßnahmenkatalog des BGL vom 01.10.2015 aufgeführten Lösungsansätze? Die Fragen 3 bis 5 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die vom BGL auf Grundlage des Artikels 91 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geforderte „Neujustierung der Dienstleistungsfreiheit“ mittels einer Beschränkung auf nur vorübergehende Betätigungsmöglichkeiten ist in den Rechtsvorschriften für den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr bereits im geforderten Sinn enthalten. Seit Mai 2010 sind die Bedingungen für die Durchführung von Kabotage (Gewerblicher Güterkraftverkehr mit Be- und Entladeort in einem Staat, dem sogenannten Aufnahmestaat, durch einen Unternehmer , der in diesem Staat weder Sitz noch Niederlassung hat) einheitlich in der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 geregelt. Nach dem dortigen Artikel 8 Abs. 2 ist jeder Inhaber einer Gemeinschaftslizenz für den gewerblichen Güterkraftverkehr nach einer grenzüberschreitenden beladenen Einfahrt in den Aufnahmemitgliedstaat zu drei Kabotagebeförderungen innerhalb von sieben Tagen berechtigt. Die in einem Positionspapier des BGL beispielhaft geschilderte Handlungsweise (Firmensitz nicht im Inland, Einsatz von Beschäftigten aus Drittstaaten, dauerhafte Durchführung von Transporten) ist bereits nach den geltenden gesetzlichen Regelungen unzulässig. Insofern wird von der Landesregierung in diesen Zusammenhängen kein Regelungsproblem gesehen. Die Notwendigkeit einer diesbezüglichen Änderung der o. a. Verordnung ist deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erforderlich . Die im Maßnahmenkatalog aufgeführte Problematik, dass das Fahrpersonal aus hauptsächlich osteuropäischen Ländern seine wöchentlichen Ruhezeiten nicht in seinen Heimatorten mit sozialem Umfeld verbringt, ist bekannt und wurde bereits im vergangenen Jahr auf der Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6370 3 Bund/Länderreferentenbesprechung EU-Sozialvorschriften im Straßenverkehr zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Länder und des Bundes diskutiert. Die derzeitige Regelung im Artikel 8 Abs. 8 der VO (EG) Nr. 561/2006 ist nicht ausreichend, um das Verbringen der wöchentlichen Ruhezeiten in der Fahrerkabine des Lkws oder dessen unmittelbarer Nähe in einer nicht festen Unterkunft zu verhindern. Deshalb hatte der Bundesrat bereits in seiner Sitzung am 07.11.2014 beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, eine entsprechende Regelung im nationalen Recht zu veranlassen, sofern hierzu keine europarechtliche Regelung zustande kommen sollte. Diese Regelung sollte dafür Sorge tragen, dass Fahrer, die die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit aufgrund der Disposition des Unternehmens nicht am Ort des Unternehmenssitzes oder an ihrem Wohnort nehmen können, diese während der gesamten Dauer in einer für den Erholungszweck geeigneten festen Unterkunft mit entsprechenden sanitären Einrichtungen verbringen können. Im November 2015 wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) der Entwurf eines Gesetzes u. a. im Artikel 2 zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes den Ländern zur Kenntnisnahme vorgelegt. Dieser Entwurf beinhaltete einen Paragraphen, in dem der Unternehmer dazu verpflichtet wurde, dafür Sorge zu tragen, dass das Fahrpersonal die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nicht im Fahrzeug verbringen soll. Im Juli 2016 wurde ein erneuter Entwurf zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes den Ländern zur Stellungnahme vorgelegt. In diesem Entwurf fehlte der beschriebene Paragraph zur Regelung der wöchentlichen Ruhezeit. Die Landesregierung wird sich deshalb im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens dafür aussprechen , dass ein entsprechender Paragraph in die Änderung des Fahrpersonalgesetzes aufgenommen wird, um hier eine konkrete Regelung bezüglich der Verbringung der wöchentlichen Ruhezeit zu schaffen. 6. Steht die Landesregierung zu diesem Punkt im Gespräch mit dem BGL oder einem anderen Verband? Nein. 7. Wenn ja, wann wurden zuletzt mit wem Gespräche welchen Inhalts geführt? Entfällt. 8. Wenn nein, warum nicht? Die Landesregierung steht mit verschiedenen Verbänden und Vertreter der Branche in regelmäßigem Kontakt. Auch wenn zu dem beschriebenen Sachverhalt keine konkreten Gespräche geführt werden, sind der Landesregierung die Positionen des BGL bekannt. (Ausgegeben am 01.09.2016) Drucksache 17/6370 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6172 - Gibt es Sozialdumping im Straßengüterverkehr? Anfrage der Abgeordneten Heidemarie Mundlos (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr