Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6509 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6175 - Gefährdeten Berichterstattung und Pressemitteilung den Erfolg polizeilicher Maßnahmen gegen salafistische Gruppierung? Anfrage des Abgeordneten Grant Hendrik Tonne (SPD) an die Landesregierung, eingegangen am 29.07.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 05.08.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 05.09.2016, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung des Abgeordneten Nach einer Pressemitteilung des Ministeriums für Inneres und Sport vom 27. Juli 2016 durchsuchten Polizeikräfte am selben Tag die Räume der DIK-Moschee „Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V.“ in Hildesheim sowie die Wohnungen von acht Vorstandsmitgliedern der Gruppierung . Bei der Durchsuchung wurden u. a. Dokumente, Datenträger und eine größere Summe Bargeld beschlagnahmt. Insgesamt seien ca. 400 Einsatzkräfte eingesetzt gewesen. Nach der Mitteilung des Ministeriums sei der DIK in Hildesheim ein bundesweiter Hotspot der radikalen Salafistenszene , den die niedersächsischen Sicherheitsbehörden bereits seit längerer Zeit beobachten. Nach Monaten der Vorbereitung sei mit den durchgeführten Durchsuchungen ein wichtiger Schritt zum beabsichtigten Verbot des Vereins erfolgt. Die hannoversche Tageszeitung Neue Presse berichtete bereits in ihrer Ausgabe vom 27. Juli 2016 von einem bevorstehenden Schlag gegen den DIK. Darin heißt es: „Nach Einschätzung von Insidern könnten die Ermittler in wenigen Tagen zum entscheidenden Schlag gegen den Verein ausholen .“ In der Pressemitteilung 297/2016 der CDU-Landtagsfraktion vom selben Tage begrüßt der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Jens Nacke, den bevorstehenden polizeilichen Einsatz ebenfalls öffentlich. Vorbemerkung der Landesregierung Der „Deutschsprachige Islamkreis Hildesheim e. V.“ (DIK) steht seit längerer Zeit im Visier der Sicherheitsbehörden . Es handelt sich beim DIK um einen Verein, der sich zu einem Schwerpunkt der salafistischen Betätigungen in Niedersachsen entwickelt hat. Das Ministerium für Inneres und Sport hat ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren nach § 4 Abs. 1 des Vereinsgesetzes gegen den DIK eingeleitet, da der Anfangsverdacht für das Vorliegen der Verbotsgründe des § 3 Abs. 1 Satz 1 des Vereinsgesetzes bejaht wurde. Es besteht der Verdacht, dass sich der Verein gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider läuft. Auf Veranlassung des Ministeriums für Inneres und Sport fand am 27. Juli 2016 eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des DIK in Hildesheim statt. In die Durchsuchungsmaßnahmen waren auch die Wohnungen von insgesamt acht Vorstandsmitgliedern einschließlich mutmaßlicher Hintermänner des Vereins einbezogen. Grundlage für die Durchsuchungen war eine richterliche Durchsuchungsanordnung durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 26. Juli 2016. Ziel der Maß- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6509 2 nahme war das Auffinden von Beweismitteln, die im Rahmen des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens von Bedeutung sein können. Insgesamt wurden Mobiltelefone, PC, Laptops, Festplatten, eine größere Anzahl von Speichermedien , Schriftstücke und Dokumente sowie Bargeld sichergestellt. Das Beweismaterial wird zurzeit ausgewertet. Das vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. 1. Welche Gefahren gehen nach den Erkenntnissen der Landesregierung mutmaßlich von dem DIK aus, und welche Erkenntnisse rechtfertigen ein Verbot des Vereins? Der Verein „Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V.“ ist als Standort salafistischer Aktivitäten bekannt. Dort werden Islamseminare und Vorträge mit überregionalen salafistischen Predigern angeboten bzw. organisiert. Nach Einschätzung der Landesregierung haben die Seminare einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Radikalisierung und auf mögliche Ausreiseabsichten nach Syrien / Irak von Teilnehmern, da derartige Seminare dazu dienen, die salafistische Ideologie weiter zu verbreiten. Islamseminare gelten zudem als Kontaktbörse von Islamisten. Dadurch kann es durch die überregionale Vernetzung zu einer immer schneller werdenden Radikalisierung kommen, bei der Medien, wie soziale Netzwerke, Messenger sowie das Internet eine immer größere Rolle spielen . Des Weiteren bestehen Verbindungen zum salafistischen Verein „Helfen in Not e. V.“ aus Neuss (Nordrhein-Westfalen). Dieser steht als Organisator hinter einer Vielzahl von Benefizgalen für vom Bürgerkrieg betroffene Menschen in Syrien, bei denen überregional bekannte Prediger aus der salafistischen Szene auftreten. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen stellt diesbezüglich fest, dass der Verein in die salafistische Szene eingebunden ist, in der auch der Kampf gegen die Feinde des Islams, also der militante Dschihad, gutgeheißen wird. Darüber hinaus wird auch die Darstellung verschiedener Besucher/Mitglieder des Vereins als salafistisch und sogar pro-dschihadistisch bewertet. Eine Gesamtschau der Erkenntnisse führt zu dem Schluss, dass die salafistische Moschee erhebliche Anerkennung im salafistischen Spektrum erfährt und einen bundesweiten Anziehungspunkt für salafistisches Personenpotenzial darstellt, sodass dort Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 3 Abs. I Nr. 1 NVerfSchG Vorschub geleistet wird. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Aufgrund des laufenden vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens können keine Angaben zu konkreten Erkenntnissen gemacht werden, welche ein Verbot des Vereins rechtfertigen könnten. 2. Seit wann wird der DIK in Hildesheim von den niedersächsischen Sicherheitsbehörden beobachtet? Der Verein hat sich im November 2011 gegründet. Die Vereinsräumlichkeiten existieren ca. seit dem Frühjahr 2012. Der DIK Hildesheim wird bei der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde seit 2012 als Beobachtungsobjekt „Salafistische Bestrebungen“ geführt. Das Landeskriminalamt Niedersachsen führt gegen den DIK Hildesheim e. V. seit Mitte 2015 ein Gefahrenermittlungsverfahren. Durch die Polizeiinspektion Hildesheim wurden seit Mitte 2014 im Rahmen der Gefahrerforschung niederschwellige Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt. 3. Seit wann ist der Durchsuchungseinsatz im Vorfeld vorbereitet worden? Der konkrete Durchsuchungseinsatz wurde aufgrund der o. g. Presseberichterstattung auf den 27. Juli 2016 vorgezogen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6509 3 Die Polizeidirektion Göttingen wurde am 25. Juli 2016 erstmalig vom Ministerium für Inneres und Sport informiert, dass sie die Umsetzung von Durchsuchungsmaßnahmen im Rahmen eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens bezüglich des DIK Hildesheim vorzubereiten und vorzunehmen hat. Am 26. Juli 2016 erfolgte vom Ministerium für Inneres und Sport die Einladung zu einer gemeinsamen Einsatzbesprechung für den 27. Juli 2016, da die Durchsuchungsmaßnahmen auf Grundlage des vom Verwaltungsgericht Hannover am 26. Juli 2016 erlassenen Durchsuchungsbeschlusses gemeinsam mit LKA und Verfassungsschutz abgestimmt werden sollten. 4. Wann wurde der erforderliche Durchsuchungsbeschluss beim zuständigen Gericht beantragt , und wann ist dieser an die einsatzleitende Dienststelle übermittelt worden? Der Antrag auf Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung wurde am 25. Juli 2016 beim Verwaltungsgericht Hannover eingereicht. Der Beschluss über die Durchsuchungsanordnung datiert vom 26. Juli 2016 und wurde der einsatzleitenden Dienststelle (Polizeidirektion Göttingen) am 27. Juli 2016 übermittelt. 5. Wie viele Personen waren über den konkreten Durchsuchungseinsatz informiert? Gehörten auch Mitglieder des Landtages dazu? Bereits am Morgen des 27. Juli 2016 veröffentlichte die Neue Presse (NP) den in der Vorbemerkung des Abgeordneten zitierten Artikel. Die vertraulichen Informationen, dass ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den DIK läuft, sowie die Absicht, eine Durchsuchung durchzuführen, waren der Öffentlichkeit bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Aufgrund der vorgenannten Presseberichterstattung wurde die Durchsuchung unmittelbar vorbereitet und am 27. Juli 2016 ab 19 Uhr durchgeführt. Pressevertreter waren schon zu Beginn der Maßnahme vor Ort. Es ist daher davon auszugehen, dass Informationen durch jemanden, der mit dem Vorgang befasst war, bewusst an die Medien gegeben wurden. Das Ministerium für Inneres und Sport hat deshalb bei der Staatsanwaltschaft Hannover Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Verrats von Dienstgeheimnissen und einer besonderen Geheimhaltungspflicht sowie aller übrigen in Betracht kommenden Delikte erstattet. Vor dem Hintergrund des laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Hannover kann zur Beantwortung der Frage nichts näher ausgeführt werden. 6. Musste die Einsatztaktik aufgrund der angesprochenen Veröffentlichungen seitens der Polizeidirektion verändern werden, und hätte man für eine gründliche Einsatzvorbereitung noch mehr Zeit benötig? Die Einsatztaktik musste aufgrund der Presseveröffentlichung nicht verändert werden. Die konkrete Einsatzvorbereitung begann am 27. Juli 2016 um 10.00 Uhr. Durch die Einsatzdurchführung noch am gleichen Tage musste in verschiedenen Bereichen improvisiert werden. Ein Einsatz dieses Umfanges mit einer großen Zahl an Fremdkräften benötigt i. d. R. mehrere Tage der Vorbereitung. 7. Ist der Einsatzerfolg durch die Veröffentlichung nach Einschätzung der Landesregierung gefährdet worden? Wenn Betroffene von bevorstehenden Maßnahmen im Vorfeld Kenntnis erhalten und nicht überrascht werden, verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass Beweismittel aufgefunden werden. Insofern muss nach Einschätzung der Landesregierung davon ausgegangen werden, dass der Einsatzerfolg gefährdet wurde. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6509 4 8. Waren die eingesetzten Beamten nach Einschätzung der Landesregierung durch das Bekanntwerden der bevorstehenden Durchsuchungen einer stärkeren Gefährdung ausgesetzt? In Anbetracht der kurzen Vorbereitungszeit konnte keine ausreichende Gefährdungsanalyse durchgeführt werden. Durch das Bekanntwerden von polizeilichen Maßnahmen besteht zudem die Möglichkeit , dass Betroffene Gegenmaßnahmen vorbereiten, die für die eingesetzten Kräfte potenziell gefährlich sind. Diese Gefahrenlage wurde jedoch bei der Durchführung der Einsatzmaßnahme berücksichtigt . 9. Hat die Landesregierung Indizien dafür, dass durch die Veröffentlichungen Beweismittel vor der Durchführung der Durchsuchungsmaßnahmen beseitigt wurden? Wie bereits in der Antwort zu Frage 7 ausgeführt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Beweismittel beiseite geschafft worden sind. Bei der Durchsuchung wurden umfangreiche Asservate sichergestellt. Diese werden zurzeit durch das LKA Niedersachsen ausgewertet. Noch liegen keine Ergebnisse oder Ersteinschätzungen vor. Schon deshalb kann die Frage derzeit nicht beantwortet werden. Im Übrigen können aus dem laufenden vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren keine weitergehenden Auskünfte erfolgen. (Ausgegeben am 20.09.2016) Drucksache 17/6509 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6175 Gefährdeten Berichterstattung und Pressemitteilung den Erfolg polizeilicher Maßnahmen gegen salafistische Gruppierung? Anfrage des Abgeordneten Grant Hendrik Tonne (SPD)