Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6511 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6341 - Wird der Strombedarf durch den Klimaschutz steigen? Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner und Dr. Gero Hocker (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 17.08.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 24.08.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 13.09.2016, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung der Abgeordneten Laut einer Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wissenschaft (HTW Berlin) muss Deutschland erheblich mehr Ökostrom produzieren als bislang geplant, um die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Die Studie, die neben dem Stromsektor auch den Energiebedarf von Verkehr, Wärmeversorgung und Industrie einrechnete, zeigte, dass Deutschland spätestens im Jahr 2040 jährlich 1 320 Terawattstunden an erneuerbarem Strom zum Erreichen der Klimaschutzziele braucht. Dieser deutlich höhere Strombedarf entsteht nach der „Sektorkopplungsstudie“, weil auch Verkehr, Wärme und Industrie zum Erreichen der Klimaschutzziele in Deutschland von fossilen Energieträgern auf erneuerbaren Strom umschwenken müssen. Laut der Studie müssten die Wind- und Solarenergie drei- bis sechsmal schneller ausgebaut werden als bisher geplant. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Energieversorgung in Niedersachsen bis 2050 nahezu vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Dies ist aus energie- und klimapolitischer Sicht von zentraler Bedeutung. Die Energiewende bietet für das Energieland Niedersachsen zudem große wirtschaftliche Potenziale, reduziert den Bedarf an Energieimporten und trägt so auch zur Sicherung hiesiger Wertschöpfung und Arbeitsplätze bei. Dass in Niedersachsen eine nahezu vollständige Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien auch unter Berücksichtigung der Nutzungskonkurrenzen technisch machbar ist, wurde kürzlich im Rahmen des Gutachtens „Szenarien zur Energieversorgung in Niedersachsen im Jahr 2050“ nachgewiesen. Das Gutachten skizziert hierfür mögliche Entwicklungspfade und kommt bei Ausschöpfung der möglichen Effizienzpotenziale auf eine Minderung des Energieverbrauchs in Niedersachsen im Jahr 2050 gegenüber 2012 von 45 bis 47 %. Die Feinjustierung der den Szenarien zugrunde liegenden Annahmen erfolgte dabei in Zusammenarbeit mit dem „Runden Tisch Energiewende“, dem rund 50 Persönlichkeiten aus der niedersächsischen Wirtschaft und Energiewirtschaft , aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Kommunen, Kirchen, Kammern, öffentlichen Einrichtungen sowie Umwelt- und Fachverbänden angehören. Zudem werden in dem Gutachten die zentralen Voraussetzungen für eine Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien aufgezeigt. Hierzu zählt neben einem ambitionierten und effizienten Ausbau der erneuerbaren Energien, dem Speicherausbau sowie einer weitgehenden Kopplung des Verkehrs- und Wärmesektors mit dem Stromsektor insbesondere eine deutliche Steigerung der Energieeffizienz, um so den Energieverbrauch zu verringern. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6511 2 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Studie der HTW Berlin? Die von Prof. Dr. Volker Quaschnig verfasste HTW-Studie „Sektorkopplung durch die Energiewende “ zeigt potenzielle Wege und die entsprechenden Handlungsoptionen zur Umsetzung der Energiewende auf. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und bedarf einer kontinuierlichen Evaluation, um mögliche Fehlsteuerungen zeitnah korrigieren zu können. Die Landesregierung begrüßt daher grundsätzlich jeden seriösen Diskussionsbeitrag, der die potenziellen Handlungsalternativen und Erfordernisse für eine Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien analysiert, ohne dass dies die Zustimmung zu einzelnen Aussagen bedeuten würde. 2. Wie beurteilt die Landesregierung das Ergebnis der Studie, dass sich der Stromverbrauch von heute rund 600 Terawattstunden auf 3 120 Terawattstunden im Jahr 2040 entwickeln könnte? Der Fokus der HTW-Studie liegt auf einer strombasierten Sektorkopplung. Dies wird den Stromverbrauch bei ansonsten gleichen Umfeldbedingungen stets erhöhen, weil zusätzlich auch der Mobilitäts - und Wärmebedarf strombasiert abgedeckt werden muss. Die HTW-Studie zeigt zugleich die hohe Bedeutung des Bereichs Energieeffizienz. Der in der Fragestellung angeführte Strombedarf in Höhe von 3 120 Terawattstunden ergibt sich ausweislich der HTW-Studie nur in einem Szenario, in dem keinerlei Energieeffizienzmaßnahmen durchgeführt werden. Ein Vergleichsszenario der HTW- Studie, das Energieeffizienzmaßnahmen berücksichtigt, kommt dagegen nur auf einen Strombedarf von 1 320 Terawattstunden. In der HTW-Studie ergibt sich damit durch Energieeffizienzmaßnahmen eine Reduktion des Energieverbrauchs um etwa 60 %. Anzumerken ist zudem, dass der in der HTW-Studie oder vergleichbaren Studien ausgewiesene Strombedarf im jeweiligen Zieljahr wesentlich durch die bei der Modellierung des Energieversorgungssystems getroffenen Annahmen, z. B. hinsichtlich Energieverbrauch und -verwendung determiniert wird. Dementsprechend ergeben sich zwischen den einzelnen Studien auch Unterschiede hinsichtlich des Strombedarfs im jeweiligen Zieljahr. Ein anderer wesentlicher Faktor ist beispielsweise auch, ob ein Austausch von Strom mit benachbarten Regionen einbezogen wird. Dies kann u. a. den Speicherbedarf, der aufgrund der zu berücksichtigenden Speicherverluste wiederum einen wesentlichen Einfluss auf den Strombedarf hat, senken. Schließlich können auch Annahmen zur zukünftigen Bevölkerungsentwicklung sowie zum Wirtschaftswachstum u. a. mit eine große Rolle spielen. 3. Wie soll dieser benötigte Strom erzeugt werden? Der benötigte Strom soll grundsätzlich nur noch durch erneuerbare Energien erzeugt werden. Hinsichtlich des in der HTW-Studie ermittelten quantitativen Bedarfs wird auf die Vorbemerkungen sowie die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 4. Inwieweit wäre ein solch schneller Ausbau realistisch, vor allem vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Nutzungskonkurrenzen? Die Landesregierung setzt sich im Übrigen intensiv für einen ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Mit dem Niedersächsischen Windenergieerlass wird landesseitig eine umweltund sozialverträgliche, planerisch geordnete Umsetzung des erforderlichen Ausbaus der Windenergienutzung unterstützt. Die Rahmenbedingungen für den Ausbau der Solarenergienutzung und der Erhalt der bereits vorhandenen technischen Kapazitäten zur Biomassenutzung werden von der Landesregierung aktiv mitgestaltet. Hinsichtlich der Einschätzungen der HTW-Studie zum quantitativen Ausbaubedarf wird im Übrigen auf die Vorbemerkungen sowie die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Anzumerken ist zudem, dass die HTW-Studie die vollständige Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien bereits Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6511 3 für das Jahr 2040 vorsieht, während Vergleichbares von der Landesregierung für 2050 angestrebt wird. 5. Inwieweit wäre ein solch schneller Ausbau vor dem Hintergrund der bereits heute vorhandenen Verzögerungen beim Netzausbau und bei der Speicherung möglich? Die aktuellen Verzögerungen im Netzausbau, die sich insbesondere in dem Ausbau der in Bundesverantwortung liegenden Gleichstromhöchstspannungsnetze ergeben, stellen das langfristig ausgerichtete Landesziel, die Energieversorgung in Niedersachsen nahezu vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen, nicht prinzipiell in Frage. Der Netzausbaubedarf in Deutschland, den der Netzentwicklungsplan für die nächsten 10 bzw. 20 Jahre ausweist, wird auf der Grundlage eines genehmigten Szenariorahmens von den Übertragungsnetzbetreibern ermittelt. In den unterschiedlichen Szenarien spielt auch die Sektorenkopplung eine Rolle. Durch das eingeführte Netzentwicklungsplanverfahren wird zudem sichergestellt, dass rechtliche und technische Modifizierungen jederzeit in die Planung einfließen können und damit langfristig ein optimiertes Gesamtsystem entsteht. Angesichts der besonderen wirtschaftlichen und klimapolitischen Bedeutung eines schnellstmöglichen Netzausbaus für die erfolgreiche Ausgestaltung der Energiewende hat Niedersachsen einen aktiven Steuerungsprozess für den in Landeszuständigkeit stehenden Netzausbau implementiert. Hierzu werden die laufenden Genehmigungsverfahren zum Stromnetzausbau in permanenter Abstimmung mit den Übertragungsnetzbetreibern besprochen und optimiert durchgeführt. Auch eine bessere Verzahnung von Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren (ROV) für die Energieleitungsprojekte in Niedersachsen wird gemeinsam mit den Übertragungsnetzbetreibern angestrebt. Das Ziel künftiger ROV muss sein, möglichst viele Trassierungsfragen bereits auf dieser Planungsebene zu klären, um das nachfolgende Planfeststellungsverfahren zu entlasten. Auf diesem Wege wird eine deutliche Beschleunigung im Genehmigungsprozess erwartet, ohne die formellen sowie informellen Beteiligungsmöglichkeiten einzuschränken. Im Hinblick auf Energiespeicher setzt sich die Landesregierung intensiv für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein, um so den Speicherausbau voranzubringen, und hat auch entsprechende Beschlüsse von Bundesrat und Ministerkonferenzen initiiert. Es gilt insbesondere , den Rechtsrahmen für Energiespeicher dergestalt zu überarbeiten, dass Energiespeicher nicht mehr als Letztverbraucher eingestuft werden. Hinsichtlich konkreter Einschätzungen der HTW-Studie zum Ausbaubedarf wird im Übrigen auf die Vorbemerkungen sowie die Antwort zu Frage 2 verwiesen. (Ausgegeben am 21.09.2016) Drucksache 17/6511 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6341 Wird der Strombedarf durch den Klimaschutz steigen? Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner und Dr. Gero Hocker (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz