Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6616 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6330 - Seilbahn im Wattenmeer: Aprilscherz oder Leuchtturmprojekt? Anfrage des Abgeordneten Hillgriet Eilers (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 16.08.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 23.08.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung vom 28.09.2016, gezeichnet In Vertretung Daniela Behrens Vorbemerkung des Abgeordneten Der Baltrumer Inselbürgermeister Berthold Tuitjer äußerte kürzlich den Vorschlag, die Insel Baltrum durch den Bau einer 4,1 km langen Seilbahn mit Neßmersiel auf dem Festland zu verbinden. Fünf 68 m hohe Masten wären nötig, um die Verbindung zu erschließen. Eine Seilbahnanbindung, die mit regenerativ erzeugtem elektrischem Strom betrieben werden könnte, vermeidet schädliche Emissionen im Weltnaturerbe Wattenmeer und könnte einen wichtigen Beitrag für das Naturerleben /-erfahren, eine ganzjährige und bequeme Auslastung der Insel und einen wichtigen Beitrag zu einer innovativen Elektromobilität im Bereich ÖPNV leisten. Als eine neue touristische Attraktion könnte eine Seilbahnverbindung die Tourismusbranche und somit die Haupteinnahmequelle der Inselbevölkerung stärken. Eine Seilbahnanbindung würde den Schiffsverkehr im Weltnaturerbe und Eingriffe durch Fahrrinnenanpassungen reduzieren. Lediglich die Eingriffe in die Schutzgüter Landschaftsbild und Boden wären erheblich und kompensationspflichtig. Für die Bürgerinnen und Bürger der Insel kann sich eine Seilbahn ebenfalls als vorteilhaft erweisen. Sie können schnell, regelmäßig und von Gezeiten unabhängig zwischen Insel und Festland pendeln. In zwei Gondeln sollen jeweils bis zu 80 Personen sowie Güter befördert werden. Eine Überfahrt würde zehn Minuten dauern . Aktuell sind mit der Fähre lediglich eine bis drei Überfahrten aufgrund der Gezeiten möglich. Während Wirtschaftsminister Lies von einem potenziellen touristische Leuchtturmprojekt spricht, zweifelt Umweltminister Wenzel an diesem Vorhaben, Umweltschützer bezeichnen es als Aprilscherz , und die Nationalparkverwaltung bezeichnet das Projekt als „nicht genehmigungsfähig“ (http://www.nwzonline.de/region/per-seilbahn-auf-insel-baltrum-schweben_a_31,0,3034189625. html). 1. Wie beurteilt die Landesregierung eine mögliche Umsetzung des Baltrumer Seilbahnprojekts ? Vor dem Hintergrund des ökologisch besonders sensiblen Bereichs Wattenmeer bedarf es einer detaillierten Prüfung der Auswirkungen auf die Umwelt. Im derzeitigen Planungsstadium können nur ökologische Betroffenheiten benannt werden; eine genaue Quantifizierung der positiven wie negativen Auswirkungen einer Seilbahnverbindung nach Baltrum kann erst mit fortgeschrittener Planungstiefe erfolgen. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die Realisierung eines Seilbahnprojektes in einem Nationalpark und Weltnaturerbegebiet auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen wird. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6616 2 2. Welche wirtschaftlichen sowie ökologischen Auswirkungen (positiv/negativ) hätte eine Seilbahnverbindung im Wattenmeer? Vor dem wirtschaftlichen Hintergrund könnte eine von den Gezeiten unabhängige Seilbahnverbindung im Sinne einer touristischen Attraktion und aufgrund einer verbesserten Erreichbarkeit der Insel die Anziehungskraft des Tourismusstandortes Baltrum steigern und zu mehr Tagesgästen und Übernachtungen führen. Zudem hätte ein derartiges Projekt sicherlich eine Leuchtturmwirkung für die gesamte Region Nordsee und weit darüber hinaus. Für Gäste und Bewohner ergeben sich deutlich flexiblere Reisemöglichkeiten zum Festland und damit unter Umständen Kostensparpotenziale oder erweiterte berufliche Möglichkeiten. Inwieweit Einsparungen durch einen Verzicht auf die Fährverbindung und das dafür notwendige Ausbaggern der Fahrrinne möglich sind, kann derzeit noch nicht abschließend bewertet werden. Dazu bedarf es einer vertieften Untersuchung u. a. der Witterungsabhängigkeit der Seilbahn. Mit großer Sicherheit ist aber davon auszugehen, dass speziell für großvolumige oder schwere Transporte eine ergänzende Verbindung zur Seilbahn weiterhin erforderlich ist. Ob dies ausschließlich eine Fähre mit der erforderlichen Fahrrinne sein kann, wäre zu prüfen. Bei Projekten dieser Größenordnung muss allgemein von primären und sekundären ökologischen Auswirkungen ausgegangen werden. Primäre Auswirkungen folgen aus einer Errichtung und dem eigentlichen Betrieb einer Seilbahnverbindung. Ausmaß und Umfang der möglichen Auswirkungen können allerdings ohne nähere Details nicht solide bewertet werden. Bei einer Querung des Wattenmeeres sind Beeinträchtigungen des Nationalparks (NLP) und des UNESCO-Weltnaturerbegebietes unausweichlich. So benötigt die skizzierte Seilbahnverbindung offenbar eine Mehrzahl an Ständermasten. Diese müssen im Wattenmeer gegründet und umfassend gegen Auskolkungen gesichert werden. Alleine dadurch werden sich zwangsläufig erhebliche Beeinträchtigungen für die Wattlebensräume sowie auch für die Wert bestimmenden rastenden bzw. nahrungssuchenden Vogelarten ergeben. Diese Einschätzung wird auch dadurch untermauert, dass die einmal im Gebiet installierten Anlagen angesichts der Dynamik des Wattenmeerbodens und sich ständig verlagernder Priele dauerhaft und vermutlich aufwendig unterhalten werden müssen . Die Errichtung gebietsfremder anthropogener Strukturen im Wattenmeer steht im Widerspruch zu den Schutzzielen des Nationalparks. Oft werden anthropogene Strukturen zu Standorten untypischer Hartsubstratlebensgemeinschaften und verändern die kleinräumige Ökologie. Auch wird dadurch das Risiko der Anhaftung von gebietsfremden, gegebenenfalls invasiven Arten, die sich vorrangig an Hartsubstraten anlagern, erhöht. Überdies werden die Seilbahnmasten sowie die Trag- und -sicherungsseile selbst mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch ein gravierendes Hindernis für die Vogelwelt im NLP, insbesondere für den Vogelzug darstellen. Der laufende Betrieb kann auch dazu führen, dass umliegend weite Bereiche aufgrund der Unruhe als Rastgebiete für Vögel ausfallen. Anders als Schiffsbewegungen wird dies auch zu Niedrigwasserzeiten gegeben sein, zu denen die Vögel gerade die Wattflächen zur Nahrungsaufnahme nutzen . Wegen der zu erwartenden Mehrbelastungen werden keine positiven ökologischen Effekte durch das geplante Projekt erwartet. 3. Vor dem Hintergrund, dass die Fähren das Hauptverkehrsmittel im Inselverkehr sind: In welcher Anzahl wird der Hafen Baltrum jährlich von Fahrgastschiffen, Fracht- und sonstigen Schiffen derzeit frequentiert? Der Hafen Baltrum konnte im Jahr 2015 insgesamt 1 508 Schiffsankünfte verzeichnen. Von diesen Anläufen waren 1 366 der Baltrum-Linie zuzuordnen. Eine exakte Trennung zwischen Fahrgastund Frachtschiffen ist nicht möglich, da große Teile der Fracht auch mit den Fahrgastschiffen transportiert werden, der Frachter aber auch regelmäßig einige Fahrgäste mitnimmt. Ausgewiesen sind die Fahrten wie folgt: Fähren 1 188, Frachter 178. Die verbleibenden 142 Schiffsankünfte setzten sich aus Ausflugsschiffen, Behördenschiffen und dem Entsorgungsschiff zusammen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6616 3 Ungezählt - und damit nicht erfasst - sind die Traditionsschiffe und Sportboote, die den Hafen angelaufen haben. 4. Ist der Bau einer Seilbahn im Nationalpark Wattenmeer unter Berücksichtigung möglicher ökologischer Vor- und Nachteile derzeit genehmigungsfähig und rechtlich durchsetzbar ? Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 des Niedersächsischen Gesetzes über Eisenbahnen und Seilbahnen bedürfen Bau und Änderung einer Seilbahn der Planfeststellung. Der Plan darf nach dieser Vorschrift nur festgestellt werden, wenn der Seilbahnbau nicht gegen geltende Rechtsvorschriften verstößt und die von ihm berührten privaten und öffentlichen Belange gegen- und untereinander abgewogen wurden. Zu jenen Rechtsvorschriften zählen insbesondere die Normen zum Schutz von Natur und Landschaft. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Bestimmungen zu Sicherung und Erhalt besonders schutzwürdiger Gebiete. Der Bereich, in dem der Seilbahnbau realisiert werden soll, gehört zu einem der am strengsten geschützten Gebiete Deutschlands, dem Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Hier gelten insbesondere die Regelungen des Gesetzes über den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ (NWattNPG). Hiernach ist in nahezu dem gesamten Geltungsbereich dieses Gesetzes - auch zwischen Baltrum und dem Festland - die Errichtung baulicher Anlagen, also auch Seilbahnen, grundsätzlich unzulässig . Befreiungsmöglichkeiten nach § 67 Abs. 1 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege - Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) sind unter Berücksichtigung der Fauna-Flora -Habitat- und Vogelschutzbelange im Rahmen von § 34 BNatSchG sowie auch des gesetzlichen Biotopschutzes (§ 30 BNatSchG) enge Grenzen gesetzt. In dieser Hinsicht bedarf es eines überwiegenden öffentlichen Interesses für das Projekt. Im Falle der Bejahung und hier zu erwartender erheblicher Beeinträchtigungen des Nationalparks als NATURA-2000-Gebiets durch das Projekt gilt das noch verschärft: hier müssen für öffentliche Interessen „zwingende Gründe“ sprechen. Schon angesichts der bestehenden und funktionierenden Fähranbindung dürften einer Begründung für die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Befreiung hohe Hürden entgegenstehen. Vergleichbar strenge Anforderungen an eine solche Ausnahme stellt das hier ebenfalls einschlägige europäische Habitatschutzrecht. Insoweit sind die Schutzgüter des Nationalparks beachtlich, namentlich die „besondere Eigenart der Natur und Landschaft“ sowie das „charakteristische Landschaftsbild“ sowie die in Anlage 5 zum NWattNPG genannten besonderen Erhaltungsziele für die Wattgebiete (z. B. natürliche Hydrodynamik ). Insbesondere angesichts der großen naturschutzfachlichen Bedeutung (Singularität) des betroffenen Schutzgebiets kann die Beurteilung der Zulässigkeit dieses Vorhabens aber erst erfolgen wenn eine höhere Planungstiefe vorliegt, an der sich die betroffenen Gebiete und die Eingriffsintensität erkennen lassen. 5. Vor dem Hintergrund heutiger Bauten und Nutzungen im Wattenmeer und der angrenzenden Nordsee: Was ist derzeit an Nutzungen und baulichen Anlagen in der Nordsee und im Wattenmeer zulässig, und welche Nutzungen und baulichen Anlagen sind derzeit nicht genehmigunsfähig? Grundsätzlich ist die Nationalparkverwaltung bemüht, das Wattenmeer im NLP von allen baulichen Aktivitäten freizuhalten. Nicht benötigte Altstrukturen werden zurückgebaut bzw. sollen zurückgebaut werden. Bei den aktuellen baulichen Einrichtungen im Wattenmeer handelt es sich zum überwiegenden Teil um Anlagen des Küstenschutzes, der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sowie um Forschungseinrichtungen. Die Zulässigkeit von neuen Bauten und Nutzungen lässt sich nur in konkreten Einzelfällen beurteilen. Für den Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ lassen sich die aktuell möglichen Bauten und Nutzungen den Regelungen des NWattNPG entnehmen. Hiernach unzulässige Bauten und Nutzungen müssten ein gesetzliches Befreiungsverfahren durchlaufen , in dem eine Abwägung vorzunehmen ist. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6616 4 6. Wäre für die angedachte Seilbahnanbindung eine Anpassung des Nationalparkgesetzes erforderlich? 7. Wenn ja: An welcher Stelle und in welcher Form wäre dies erforderlich? 8. Wären weitere gesetzliche Anpassungen erforderlich und, wenn ja, welche? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 6 bis 8 zusammenhängend beantwortet. Für den Bau der Seilbahn würde eine naturschutzrechtliche Befreiung von den Vorschriften des Nationalparkgesetzes benötigt. Für das Betreiben der Seilbahn wäre eine Änderung des Nationalparkgesetzes rechtstechnisch theoretisch denkbar, indem für den Betrieb ein weiterer Freistellungstatbestand formuliert werden könnte. Auf die Frage der Vereinbarkeit des Projekts mit dem Status Weltnaturerbegebiet wird erneut hingewiesen. Außerdem bleibt der Nationalpark ein gemeldetes NATURA-2000-Gebiet, das nach § 32 Abs. 2 und 3 BNatSchG hoheitlich zu sichern und über § 34 BNatSchG vor Beeinträchtigungen geschützt ist. Der dem zugrunde liegende Regelungsmechanismus folgt europäischen Richtlinien, die jeder Mitgliedstaat umzusetzen hatte und beizubehalten hat. Eine europarechtswidrige Aufweichung des Sicherungsumfangs verbietet sich. 9. Wird die Landesregierung eine Initiative ergreifen, die gesetzlichen Grundlagen zur Verbesserung der Erreichbarkeit der Insel Baltrum zu ändern (bitte mit Begründung)? Es wird auf die Antwort zu den Fragen 6 bis 8 sowie auf die zunächst erforderliche Prüfung der tatsächlichen Auswirkungen verwiesen, die erst in einer vertieften Planungsphase erfolgen kann. (Ausgegeben am 23.08.2016) (Ausgegeben am 10.10.2016) Drucksache 17/6616 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6330 Seilbahn im Wattenmeer: Aprilscherz oder Leuchtturmprojekt? Anfrage des Abgeordneten Hillgriet Eilers (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr