Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6779 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6567 - Ist die Regelung des UVPG und des NUVPG hinsichtlich behördlicher Vorprüfungen des Einzelfalls mit Unionsrecht vereinbar? Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Christian Grascha (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 13.09.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 28.09.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 24.10.2016, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung der Abgeordneten Das Ergebnis der einzelfallbezogenen Vorprüfung nach § 3 c UVPG kann nicht separat gerichtlich angegriffen werden. Die Vorprüfung zur Feststellung einer UVP-Pflicht kann lediglich durch eine immissionsschutzrechtliche Abwehrklage der gerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht werden. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 10. Juni 2004 (-Rs. C-87/02 - Slg.2004 I-05975, Rn. 49) Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der Entscheidung, dass ein Projekt keiner UVP unterzogen zu werden braucht, formuliert. Die Regelung des UVPG, wonach das Ergebnis der behördlichen Vorprüfung, keine UVP-Pflicht für ein Vorhaben festzustellen, nicht separat überprüfbar und anfechtbar ist, steht nach Auffassung vieler Experten im Widerspruch zur Absicht des Unionsrechts, da es einen Verstoß zumindest gegen den Sinn der EU- Rechtsprechung darstellen könnte, der besagt, dass die „effektive Kontrolle behördlicher Entscheidungen durch die breite Öffentlichkeit“ hinsichtlich umweltrechtlicher Belange sicherzustellen ist. Das VG Osnabrück hat im Urteil vom 29. Juli 2015 (3 A 46/ 13, Rn. 87 ff.) zu dieser Problematik ausgeführt: „Die Kammer lässt auch ausdrücklich offen, ob die nunmehr in § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG i. V. m. § 3 a Satz 4 UVPG normierte eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der UVP-Vorprüfung eine Einschränkung der Begründetheitsprüfung von Rechtsbehelfen des Umweltrechts darstellt, die der Funktion der Regelungen als Umsetzungsrecht zu einer effektiven Kontrolle der durch das Unionsrecht gewährleisteten Rechte nicht gerecht wird. Die Bundesrepublik Deutschland hat als Völkerrechtssubjekt mit der Aarhus-Konvention und als EU-Mitgliedstaat mit der Öffentlichkeitsbeteiligungs -Richtlinie 2003/35/EG den weiten Zugang zu den Gerichten und die effektive Kontrolle behördlicher Entscheidungen des Umweltrechts auf supranationaler Ebene selbst mit beschlossen. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz bezweckt, die von Deutschland zuvor eingegangenen völkerund unionsrechtlichen Verpflichtungen vollumfänglich und damit vertragstreu umzusetzen. Ob Artikel 11 UVP-Richtlinie (2011/ 92 / EU) nicht nur verlangt, die Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 UmwRG auf den Fall einer zwar durchgeführten, aber fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung zu erstrecken (EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-72/12 Gemeinde Altrip u. a. - , ECLI:EU:C:2013:712, juris, Rn.38), sondern auch auf den Fall einer - nach dem Ergebnis einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle - fehlerhaft durchgeführten UVP-Vorprüfung anwendbar ist, um dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot Rechnung zu tragen, lässt die Kammer ausdrücklich offen.“ Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6779 2 Vorbemerkung der Landesregierung In den Vorbemerkungen zu der Kleinen Anfrage geht es den Fragestellern unter Verweis auf eine Entscheidung des VG Osnabrück um eine mögliche Unionsrechtswidrigkeit des reduzierten gerichtlichen Prüfmaßstabs bei UVP-Vorprüfungen. Die Landesregierung geht davon aus, dass mit der Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes vom 20.11.2015 die Vorgaben des EuGH-Urteils vom 07.11.2013 - C-72/12 Gemeinde Altrip u. a. - durch den Bund im Verhältnis 1:1 in nationales Recht umgesetzt worden sind. 1. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass das Ergebnis behördlicher Vorprüfungen , ob für ein Projekt eine UVP-Pflicht besteht, in Deutschland nur eingeschränkter gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist? Es ist ein besonderes Anliegen der Landesregierung, die effiziente Kontrolle behördlicher Entscheidungen durch die breite Öffentlichkeit hinsichtlich umweltrechtlicher Belange sicherzustellen. Allerdings ist nach geltendem Recht die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ein unselbstständiger Teil eines Verwaltungsverfahrens. In der Konsequenz ist auch das Ergebnis einer UVP-Vorprüfung im Zusammenhang mit dem Trägerverfahren überprüfbar. 2. Ist die Regelung des UVPG und des NUVPG hinsichtlich behördlicher Vorprüfungen des Einzelfalls mit Unionsrecht vereinbar? Mit den geltenden bundes- und landesgesetzlichen Regelungen ist das EU-Recht im Verhältnis 1:1 in nationales Recht umgesetzt worden. Danach sind gemäß § 3 c UVPG die Durchführung und das Ergebnis der Vorprüfung zu dokumentieren . Das Ergebnis ist gemäß § 3 a UVPG der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen. Ist als Ergebnis der Vorprüfung eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erforderlich, ist dies gemäß § 3 a UVPG „bekannt zu geben“. Die Feststellung ist nicht selbstständig anfechtbar. Die Einschätzung der zuständigen Behörde ist in einem gerichtlichen Verfahren betreffend die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens nur daraufhin zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3 c UVPG durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist. Im Hinblick auf die überarbeitete UVP-Richtlinie (RL 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.04.2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten) werden gegenwärtig Änderungen des Bundesrechts vorbereitet. Ziel ist hier nur die Klarstellung, dass die Ergebnisse von Vorprüfungen klar formuliert und für die Öffentlichkeit transparent werden müssen. Vom Ergebnis dieser Änderungen im UVPG wird es im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung bezüglich der Einzelfallvorprüfungen abhängen, ob und wie Änderungen des Landesrechts - NUVPG - vorzunehmen sein werden. 3. Stellen die niedersächsischen Zusatzbestimmungen des NUVPG eine weitere Einschränkung dieser Unions-Rechtsprechung dar? Nein. Die in der 15. und 16. Legislaturperiode des Niedersächsischen Landtages beschlossenen NUVPG-Regelungen stellen nach Auffassung der Landesregierung auch gegenwärtig keinen Verstoß gegen die EU-Rechtsprechung dar. 4. Wie kann die breite Öffentlichkeit ihr höchstrichterlich verbrieftes Recht auf Zugang zu gerichtlicher Überprüfung behördlicher Entscheidungen in Anspruch nehmen? Die gerichtliche Überprüfung behördlicher Entscheidungen kann im Rahmen des geltenden Rechts bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen erfolgen. Welche Voraussetzungen zu erfüllen sind, richtet sich nach dem allgemeinen Verwaltungsrecht und dem Fachrecht. Bei UVP-pflichtigen Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6779 3 Vorhaben kann insbesondere das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) zur Anwendung kommen , aus dem sich Beteiligungs- und Klagerechte ergeben können. 5. Was kann die informierte Öffentlichkeit bei offensichtlichen fehlerhaften behördlichen Entscheidungen zur Korrektur dieses Verfahrensfehlers tun, wenn sie selbst nicht zu einer privaten immissionsschutzrechtlichen Abwehrklage gegen ein Projekt befugt ist? Für die Landesregierung ist nicht ersichtlich, was die Fragesteller unter dem Begriff „informierte Öffentlichkeit “ verstehen. Anknüpfend an die Antwort zu Frage 4 können nach dem UmwRG anerkannte Verbände bei UVPpflichtigen Vorhaben Beteiligungs- und Klagerechte geltend machen. Im Rahmen des gegenwärtig laufenden Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung des UmwRG wird zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung eine angemessene Erweiterung der bestehenden Klagemöglichkeiten beraten. 6. Gibt es neben der oben genannten Rechtsprechung weitere Urteile zu dieser Problematik ? In folgenden Entscheidungen haben sich nach hiesigem Kenntnisstand Gerichte mit der UVP-Vorprüfung befasst: – BVerwG, Urteil vom 20.12.2011 - 9 A 31.10 -, – OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.08.2013 - 4 ME 76/13 -, – OVG NRW, Urteil vom 14.10.2013 - 20 D7 /09. AK -. (Ausgegeben am 31.10.2016) Drucksache 17/6779 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6567 Ist die Regelung des UVPG und des NUVPG hinsichtlich behördlicher Vorprüfungen des Einzelfalls mit Unionsrecht vereinbar? Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz