Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/6780 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6588 - Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat die Immunokastration auf den Menschen? Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Dr. Stefan Birkner (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 16.09.2016. Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz namens der Landesregierung vom 23.10.2016, gezeichnet Christian Meyer Vorbemerkung der Abgeordneten Ab 2019 ist betäubungsloses Kastrieren von Schweinen laut dem deutschen Tierschutzgesetz nicht mehr erlaubt. Als Alternative rückt die Immunokastration immer mehr in den Fokus, auch hier in Niedersachsen. Die Immunisierung der männlichen Schweine mit Improvac induziert eine Immunreaktion auf den „Gonadotropin Releasing Factor“ (GnRF). Dadurch werden Testosteron- und Androstenonspiegel gesenkt. Das vom Impfstoff unterdrückte körpereigene GnRF liegt bei den meisten Säugetieren in ähnlicher Form vor. Ein solcher Impfstoff für Schweine wäre daher auch beim Menschen in ähnlicher Weise wirksam. Vorbemerkung der Landesregierung Bei Improvac handelt es sich um ein immunologisches Produkt zur Kontrolle des Ebergeruchs bei unkastrierten (intakten) männlichen Schweinen. Es enthält ein unvollständiges, synthetisches Analogon des Gonadotropin-Releasing Faktors (GnRF), das, konjugiert mit einem inerten Carrierprotein , als Antigen fungiert und in Verbindung mit einem wässrigen Adjuvanssystem als sterile Injektionslösung angeboten wird. Improvac besitzt keinerlei hormonelle oder pharmakologische Wirksamkeit. Es wirkt wie ein konventioneller Impfstoff. Improvac stimuliert das Immunsystem der Schweine, um natürliche Antikörper gegen den vom Hypothalamus freigesetzten, endogenen GnRF der Tiere zu bilden. Diese Antikörper neutralisieren porcines GnRF und hemmen so die hypophysäre Synthese von sowohl luteinisierendem Hormon (FSH) als auch Follikel stimulierendem Hormon (FSH), wodurch die Hodenfunktion und die Anreicherung von Ebergeruch verursachenden Substanzen gehemmt werden. Der Effekt dieser immunologischen Kastration ist vorübergehend. Um eine Wirkung zu erzielen, sind zwei Improvac-Impfungen im Abstand von mindestens vier Wochen erforderlich. Dabei „sensibilisiert“ die erste Injektion ausschließlich das Immunsystem der Schweine, die zweite, mit zeitlichem Abstand erfolgende Injektion stimuliert die Bildung hoher GnRF-Antikörpertiter, die das natürliche GnRF der Schweine neutralisieren und so temporär die Hodenfunktion hemmen, wodurch es zur raschen Elimination der den Ebergeruch verursachenden Substanzen kommt. Neben der Unterbindung des Ebergeruchs wird das durch männliche Geschlechtshormone bedingte aggressive Verhalten verhindert. Diese Wirkung hält vier Wochen an. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6780 2 1. Wie bewertet die Landesregierung eine mögliche Wirkung des Impfstoffs auf den Verbraucher ? Nach Kenntnis der Landesregierung hat die Impfung männlicher Ferkel mit dem Impfstoff „Improvac “ keine Wirkung auf den Verbraucher. Der Impfstoff ist mit einer Wartezeit von null Tagen zugelassen . Die Wartezeit ist nach Definition des Arzneimittelgesetzes die Zeit, die bei bestimmungsgemäßer Anwendung des Arzneimittels nach der letzten Anwendung des Arzneimittels bei einem Tier bis zur Gewinnung von Lebensmitteln, die von diesem Tier stammen, einzuhalten ist. Die Wartezeit stellt sicher, dass Rückstände in diesen Lebensmitteln die zulässigen Höchstmengen für pharmakologisch wirksame Stoffe nicht überschreiten. Die Wartezeit wird durch die bei der Zulassung vorzulegenden Studien zur Beurteilung der Wartezeit (Wartezeitstudien) festgesetzt. Grundlage für die Festlegung der Wartezeit bilden die zuvor festgelegten Rückstandshöchstmengen (MRL). Für Wartezeitstudien wird Lebensmittel liefernden Tieren das zu prüfende Tierarzneimittel wie in der Dosierungsanleitung vorgesehen verabreicht. Ein speziell ausgewählter Rückstand der arzneilich wirksamen Substanz (Marker Residue) wird vom Zeitpunkt der Verabreichung an mindestens so lange überwacht, bis die Konzentration in jedem der essbaren Gewebe unter die festgelegte Rückstandshöchstmenge gefallen ist. Die Wartezeiten bis zum Unterschreiten der MRL in jedem Gewebe werden miteinander verglichen. Die längste Zeitspanne bestimmt die Wartezeit für das Tierarzneimittel. Bezogen auf die Anwendung des Impfstoffs Improvac bedeutet dies, dass im Fleisch von geimpften Schweinen schon null Tage nach der Anwendung des Impfstoffs keine Überschreitung von zulässigen Rückstandshöchstmengen zu erwarten ist. 2. Gibt es Studien, die belegen, dass der Wirkstoff von Improvac den Hormonhaushalt des Menschen beeinflusst? Wenn ja, welche Studien gibt es, und zu welchem Ergebnis sind die Studien gekommen? Der Landesregierung liegen keine Studien vor, die sich mit der Wirkung von „Improvac“ im menschlichen Organismus befassen. In der Zusammenfassung des Europäischen Öffentlichen Beurteilungsberichtes (EPAR) der European Medicines Agency (EMEA) heißt es: „Eine versehentliche Selbstinjektion von Improvac kann beim Menschen ähnliche Wirkungen wie beim Schwein auslösen: eine vorübergehende Abnahme der Sexualhormonspiegel und eine Einschränkung der Fortpflanzungsfähigkeit bei Männern und Frauen, einschließlich Problemen bei einer Schwangerschaft. Das Risiko für derartige Wirkungen ist nach einer zweiten oder weiteren versehentlichen Injektion höher als nach der ersten Injektion. Es sollte besonders darauf geachtet werden, versehentliche Selbstinjektionen zu vermeiden. Das Arzneimittel darf daher nur mit einer Sicherheitsvorrichtung verabreicht werden, die über einen Nadelschutz und einen Mechanismus zur Verhütung einer versehentlichen Betätigung des Abzugs verfügt. Improvac darf nicht von Frauen verabreicht werden, die schwanger sind oder sein könnten. Bei Augenkontakt sind die Augen sofort reichlich mit Wasser ausspülen. Bei Hautkontakt ist die Haut sofort mit Wasser und Seife zu waschen.“ 3. Gibt es Studien, die beweisen, dass über den Fleischkonsum keine Wirkungen vom Impfstoff auf den Menschen ausgehen? Wenn ja, welche Studien gibt es, und zu welchem Ergebnis sind die Studien gekommen? Eine Studie aus dem Jahr 2008 (CLARKE, Iain, et al. Inherent food safety of a synthetic gonadotropin -releasing factor (GnRF) vaccine for the control of boar taint in entire male pigs. International Journal of Applied Research in Veterinary Medicine, 2008, 6. Jg., Nr. 1, S. 7-14) beschäftigte sich mit der Frage, ob von dem Impfstoff bzw. von dem Fleisch geimpfter Schweine eine gesundheitliche Gefährdung für den Verbraucher ausgehen könnte. Die erforderlichen Versuche wurden an Tieren (u. a. Schweine und Ratten) durchgeführt: Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/6780 3 Einer Gruppe von Schweinen wurde der Impfstoff zweimal im Abstand von 28 Tagen oral verabreicht . Danach wurden die Auswirkungen auf den Hormonhaushalt der Schweine geprüft, indem Blutproben auf den Gehalt an Testosteron und GnRF-Antikörper untersucht wurden. Es wurden keine Abweichungen bezüglich des Testosterongehalts im Blut der Schweine festgestellt. Auch eine Immunantwort war nicht feststellbar. Die Autoren der Studie werteten dieses Ergebnis als gewichtigen Beleg dafür, dass der hypothetisch angenommene Verzehr von Impfstoff-Rückständen durch den Mensch keine Antikörperbildung und keine Auswirkungen auf den Hormonhaushalt hat. In einem weiteren Tierversuch der Studie wurde der Impfstoff Ratten in einer sehr hohen Dosierung oral verabreicht. Auch hier waren keine Auswirkungen auf den Hormonhaushalt feststellbar. Die hohe Dosis an verabreichtem Impfstoff entfaltete außerdem keine toxische Wirkung auf die Ratten. Einer weiteren Gruppe von Ratten wurde der Impfstoff unter die Haut injiziert. Bei diesen Ratten kam es (erwartungsgemäß) zu einer Immunantwort. Bei der Sektion der Ratten mit anschließender Untersuchung der Organe war Impfstoff- Antigen nicht nachweisbar. Die Autoren schlossen aus dem Ergebnis ihrer Versuche, dass der Impfstoff bei oraler Aufnahme weder giftig noch systemisch verfügbar ist und keine Immunantwort hervorruft und folglich keine Auswirkung auf den Hormonhaushalt hat. 4. Welche Position hat die Landesregierung bezüglich der Einführung der Immunokastration als Alternative zur herkömmlichen Kastration in der Schweinemast? Im Rahmen der letzten Novellierung des Tierschutzgesetzes ist festgelegt worden, dass die Ferkelkastration ohne Betäubung nur noch bis zum 31.12.2018 zulässig ist. Gegenwärtig stehen nach Einschätzung der Facharbeitsgruppe Schweine des Niedersächsischen Tierschutzplans drei praxiserprobte Verfahren zum Verzicht auf die betäubungslose Ferkelkastration zur Verfügung: 1. chirurgische Kastration unter Narkose einschließlich Schmerzausschaltung, 2. Jungebermast, 3. Ebermast mit Impfung gegen den Ebergeruch („Immunokastration“). Die drei Methoden bieten die Möglichkeit, den rechtlich vorgegebenen Verzicht auf die betäubungslose Kastration spätestens ab dem 31.12.2018 umzusetzen. Schweinehalterinnen und Schweinehalter können selbst entscheiden, welches der drei genannten Verfahren zur Anwendung im eigenen Betrieb am besten geeignet ist. Laut Tierärztlicher Vereinigung für Tierschutz (TVT) ist die Ebermast ob mit oder ohne Immunokastration aus Gründen des Tierschutzes die geeignetste Methode, da durch Verzicht auf die blutige Kastration und damit einen chirurgischen Eingriff die Belastung für das Tier am geringsten ist. (Ausgegeben am 31.10.2016) Drucksache 17/6780 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6588 Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat die Immunokastration auf den Menschen? Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz