Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/7003 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6829 - Rechnen Finanzämter mit Fantasiezinssatz? - Bezahlen die Steuerschuldner für Versäumnisse der Behörden? Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 17.10.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 04.11.2016 Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung vom 24.11.2016, gezeichnet Peter-Jürgen Schneider Vorbemerkung des Abgeordneten Dem Präsidenten des Bundesfinanzhofs zufolge wird Bürgern und Unternehmen von der Finanzverwaltung in streitigen Steuerfällen vermehrt die Aussetzung der Vollziehung aufgezwungen, um das Zinsrisiko abzuwälzen („Die Finanzämter wälzen das Zinsrisiko auf die Bürger ab“, FAZ, 11.10.2016). Während sich der Zinssatz am Kapitalmarkt in Richtung Nulllinie bewegt habe, rechne der Fiskus in diesen Fällen weiterhin mit 6 %. Bei einer späten Erstattung - der sogenannte Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuerlast entstanden ist - müsse das Finanzamt das Guthaben mit diesem Satz verzinsen. Bei einer Nachzahlung wiederrum trage der Steuerpflichtige diese 6 % Zinsen. Die Folge sei, dass die Finanzverwaltung relativ großzügig die Aussetzung der Vollziehung gewähre, um später mit Mehreinnahmen rechnen zu können. Außerdem würden höhere Vorauszahlungen teilweise abgelehnt oder zögerlich bearbeitet, um spätere Belastungen zu vermeiden. Auch der Präsident des Steuerberaterverbandes nennt es einen Fakt, dass die Finanzämter bei großen Summen Bescheide zurückbehielten, um die Steuerschuldner in die Verzinsung zu treiben. Tatsächlich sei der Steuerpflichtige davon abhängig, dass die Finanzverwaltung zügig seine Akte bearbeite. Selbst wenn er und sein Steuerberater die Steuererklärung rechtzeitig abgegeben hätten , liefe er in die Verzinsung hinein, wenn die Behörde geschlafen oder geschlampt haben sollte. Zudem drohe auch Unternehmen eine Zinslast, wenn bei einer Betriebsprüfung eine Nachzahlung entstehen sollte. Die Zinslast könne sich je nach geprüftem Zeitraum über Jahre hinweg aufbauen. Davon seien vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen betroffen, da nur bei großen Unternehmen die zügige Betriebsprüfung nach der Steuererklärung die Regel sei, während bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen die Betriebsprüfung nur unregelmäßig stattfinde. Daher fordere der Steuerberaterverband schon seit Längerem, solche Betriebe zeitnäher zu prüfen und den Zinssatz anzupassen. Vorbemerkung der Landesregierung Die Fragen der Anfrage decken sich teilweise mit denen der Anfrage des Abgeordneten vom 26.04.2016 (Drs. 17/5646). Aktuellere Zahlen liegen derzeit nicht vor. Soweit Überschneidungen vorliegen, wird auf die entsprechende Antwort des Finanzministeriums vom 20.05.2016 zu dieser Anfrage (Drs. 17/5784) verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7003 2 1. Auf welcher Grundlage rechnet die Finanzverwaltung immer noch mit einem Zinssatz von 6 %? Der Zinssatz ist in § 238 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) vom Bundesgesetzgeber festgelegt. Hinsichtlich der vom Bundesgesetzgeber abzuwägenden Faktoren bei der Normierung des Zinssatzes verweise ich auf die Antwort zu Frage 3 der Anfrage vom 26.04.2016. 2. Wie hoch sind die Einnahmen aus den Verzugszinsen? Diesbezüglich verweise ich auf die Antwort zu Frage 4 der Anfrage vom 26.04.2016. 3. Wie hoch sind die Ausgaben aufgrund ausgezahlter Verzinsung? Diesbezüglich verweise ich auf die Antwort zu Frage 4 der Anfrage vom 26.04.2016. 4. Wie haben sich die Bearbeitungszeiten der einzelnen Fälle entwickelt (in den vergangen zehn Jahren)? Die Bearbeitungszeiten haben sich in den letzten zehn Jahren insgesamt verlängert. Ursächlich dafür war im Wesentlichen die größte EDV-Verfahrensumstellung in der Geschichte der niedersächsischen Steuerverwaltung von 2011 auf 2012. Ihr Ziel war es, im Verfahren KONSENS (KONSENS = Koordinierte neue Software-Entwicklung der Steuerverwaltung) bundeseinheitliche Automationsverfahren einzuführen (sogenannte KONSENS-Stufe 1). Während der Verfahrensumstellung war die Bearbeitung von Steuererklärungen in Niedersachsen nur sehr eingeschränkt möglich. Steuerbescheide konnten zeitweise landesweit nicht erlassen werden. Dadurch wurden - trotz aller Anstrengungen im Vorfeld, dies zu verhindern - zwangsläufig und letztlich unvermeidlich auch Arbeitsrückstände aufgebaut, die insbesondere im Jahr 2012 zu einer deutlich verlängerten Bearbeitungsdauer von Steuererklärungen geführt haben. Die bis dahin gewohnte Bearbeitungsdauer ist leider bis heute noch nicht vollständig wieder erreicht. Zielvereinbarungen mit den Finanzämtern sollen helfen, die Bearbeitungszeiten weiter zu reduzieren. Die Bearbeitungszeiten haben sich in dem für die Verzinsung jeweils entscheidenden Veranlagungszeitraum (das ist der dem 01.04. jeweils zwei Jahre vorausgehende Veranlagungszeitraum [Beispiel: 01.04.2016, Veranlagungszeitraum 2014]) seit 2006 – für die Einkommensteuererklärungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um 6,4 Tage, – für die Einkommensteuererklärungen der sonstigen natürlichen Personen um 15,4 Tage, – für Feststellungserklärungen um 9,9 Tage und – für die Körperschaftsteuererklärungen (steuerpflichtige Körperschaften) um 14,5 Tage verlängert. Von größerer Bedeutung für die Verzinsung ist allerdings das Abgabeverhalten der Bürgerinnen und Bürger. Als Anlage ist eine Grafik beigefügt, die für den Veranlagungszeitraums 2013 den auf die Jahresmenge bezogenen prozentualen monatlichen Erklärungseingang für die Steuererklärungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der sonstigen natürlichen Personen und der Körperschaften am Gesamteingang (bis zum 01.11.2016) darstellt. Erkennbar ist, dass die Einkommensteuererklärungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für den Veranlagungszeitraum 2013 im Wesentlichen von März bis November 2014 in den Veranlagungsfinanzämtern eingegangen sind. Unmittelbar vor und nach dem 01.04.2015 (Beginn der Verzinsung ) sind nur noch wenige Steuererklärungen eingegangen. Einkommensteuererklärungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind somit aufgrund ihrer regelmäßig frühen Abgabe typischerweise vor Beginn der Verzinsung bearbeitbar (zum 01.04.2015 waren rund 98 % der für den Veranlagungszeitraum 2013 eingegangenen Arbeitnehmersteuererklärungen auch abgearbeitet). Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7003 3 Der Eingang der Einkommensteuererklärungen der sonstigen natürlichen Personen für den Veranlagungszeitraum 2013 hingegen ist durch einen annähernd gleich hohen Eingang von Mai 2014 bis April 2015 gekennzeichnet. Die bis zum 01.04.2015 eingegangenen Einkommensteuererklärungen der sonstigen natürlichen Personen (86 % der erwarteten Erklärungen) waren zu 89 % veranlagt. Der gegenüber dem Arbeitnehmerbereich höhere Anteil unbearbeiteter eingegangener Erklärungen (9 % zum 01.04.2015 [89 % veranlagte Erklärungen gegenüber 98 % im Arbeitnehmerbereich], als Erklärungsvorrat bezeichnet) lässt sich auf dieses unterschiedliche Abgabeverhalten zurückführen. Das erste Halbjahr eines jeden Jahres ist durch die Bearbeitung der Eingänge des vorletzten Veranlagungszeitraumes geprägt. Ungefähr im Juni übersteigt die Zahl der bearbeiteten Erklärungen des vergangenen Veranlagungszeitraumes die Zahl der bearbeiteten Steuererklärungen des Zweitvorjahres . Dies führt dazu, dass sich bis Juli/August eines Jahres ein Erklärungsvorrat aufbaut, der unter Berücksichtigung der auch gegenüber Arbeitnehmerveranlagungen anspruchsvolleren Bearbeitung nicht bis zum 01.04. in gleichem Umfang zurückgeführt werden kann. Darüber hinaus ist die Zahl der eingegangenen Erklärungen 2014 um rund 12 000 und 2015 nochmals um weitere rund 23 000 Erklärungen gestiegen. Unabhängig vom Erklärungseingang drückt sich diese gesteigerte Arbeitslast auch im Anstieg der Grundkennbuchstaben von 2009 bis 2015 aus. Während für 2009 rund 771 000 Grundkennbuchstaben gespeichert waren, sind es bis zum 01.11.2016 für den Veranlagungszeitraum 2015 schon rund 861 000 Grundkennbuchstaben gewesen. Die Ausführungen zum Erklärungsverhalten gelten in gesteigertem Maße auch für die Körperschaftsteuererklärungen und die - in der Grafik nicht dargestellten - Feststellungserklärungen, deren Eingang weitgehend dem für die Körperschaftsteuererklärungen dargestellten Muster entspricht . Die Zahl der gespeicherten Grundkennbuchstaben hat gegenüber 2009 um 15 % (Körperschaftsteuererklärungen ) und 11 % (Feststellungserklärungen) zugenommen. Zum 01.04.2015 waren für den Veranlagungszeitraum 2013 bereits 90 % der erwarteten Körperschaftsteuererklärungen eingegangen. Von den eingegangenen Erklärungen waren 88 % veranlagt. Hervorzuheben ist insoweit, dass der Eingang im Dezember mit 16 % der Jahresgesamtarbeitsmenge rund dem Zweifachen eines durchschnittlichen Monatseinganges entspricht. Erkennbar ist, dass die Finanzämter keine Steuererklärungen zurückhalten. Sie bearbeiten sie in der Reihenfolge ihres Eingangs. Erstattungsfälle werden - ausnahmsweise - vorgezogen, wenn die Bürgerin oder der Bürger dies unter Hinweis auf eine finanzielle „Notlage“ beantragt. Im Durchschnitt führt die Veranlagung der sonstigen natürlichen Personen und der Körperschaften nach Anrechnung von Vorauszahlungen und anzurechnenden Steuern zudem zu einer abschließenden Erstattung an die Steuerpflichtigen. Für Rechtbehelfe werden keine Bearbeitungszeiten erhoben. Als Indiz für die Zeitnähe der Bearbeitung kann die Anzahl der in Bearbeitung befindlichen außergerichtlichen Rechtsbehelfe herangezogen werden. Die Daten dazu werden unterschieden nach dem Eingang im Finanzamt > 12 bis 24 Monate, > 24 bis 36 Monate und > 36 Monate und seit dem Jahr 2011 erfasst. Seit 2011 sind die Bestände deutlich gesunken (zwischen -6 und -34 %). In der Betriebsprüfung wird eine Unterscheidung zwischen Groß (G)-, Mittel (M)-, Klein (K)- und Kleinst (Kst)-Betrieben vorgenommen (nur G-Betriebe werden grundsätzlich anschlussgeprüft; je kleiner der Betrieb ist, desto statistisch seltener wird er geprüft). Die für eine Verzinsung von etwaigen Nachzahlungen wichtigen Kennzahlen „durchschnittlicher Prüfungszeitraum“ und „letztes Prüfungsjahr“ zeigen auf, dass kaum Unterschiede bezüglich der Betriebsgrößenklassen vorliegen. Der durchschnittliche Prüfungszeitraum im Jahr 2015 betrug für G-Betriebe 3,6 Jahre, M-Betriebe 3,3 Jahre, K-Betriebe 3,2 Jahre und Kst-Betriebe 3,1 Jahre. Das durchschnittlich letzte Prüfungsjahr von etwas über 2012 zeigt, dass in 2015 das jüngste geprüfte Jahr das Jahr 2012 war, teilweise aber bereits auch schon das Jahr 2013 geprüft wurde. Das bedeutet, dass - wie bereits in der Vergangenheit - bei den i. d. R. nicht anschlussgeprüften Betrieben (Größenklassen Kst bis M) das Jahr mit der letzten vorliegenden Steuererklärung und die zwei davor liegenden Jahre geprüft werden - zeitnäher geht es nicht. Die in diesem Zusammenhang erhobene Forderung, in diesen Fällen nur das aktuelle Jahr (also nur das der letzten vorliegenden Steuererklärung) zu prüfen, würde auf eine Steuerverschonung hinauslaufen. Wenn die vorgenannten Betriebe anders als Großbetriebe nicht jedes Jahr geprüft werden, muss zumindest Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7003 4 ein Dreijahreszeitraum (vgl. § 4 Abs. 3 der Betriebsprüfungsordnung) einer zutreffenden steuerlichen Festsetzung zugeführt werden. 5. Falls sich die Bearbeitungszeiten verlängert haben: Was plant die Landesregierung, um diese Zeiten wieder zu verkürzen? Siehe Frage 4. 6. Plant die Landesregierung eine Initiative, den Zinssatz für Steuernachzahlungen an das aktuelle Zinsniveau anzupassen? Nein. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7003 5 Anlage (Ausgegeben am 05.12.2016) Drucksache 17/7003 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/6829 - Rechnen Finanzämter mit Fantasiezinssatz? - Bezahlen die Steuerschuldner für Versäum-nisse der Behörden?