Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/7638 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7409 - Hat das Justizministerium in bestimmten Fällen angeordnet, keine Haftbefehle zu beantragen ? Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 17.02.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 22.02.2017 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 22.03.2017, gezeichnet Antje Niewisch-Lennartz Vorbemerkung des Abgeordneten Wie die Kreiszeitung am 7. Februar 2017 berichtete, wurden drei Flüchtlinge aus Marokko zwischen 20 und 27 Jahren in Diepholz in der Nacht zum 7. Februar auf einem Privatgrundstück festgenommen , weil sie versucht haben sollen, einen Einbruchsdiebstahl zu begehen. Ein Verdächtiger wurde im Garten festgenommen. Zwei weitere versteckten sich, mit Küchenmessern bewaffnet, im Kleiderschrank. Bei den Verdächtigen wurde mutmaßliches Diebesgut festgestellt, welches aus einem zuvor aufgebrochenen BMW und Mercedes stammen soll. Den Aufbruch der Autos gaben sie zu. Einer der Verdächtigen wurde in der Vergangenheit in sein Heimatland abgeschoben, kam dann aber wieder nach Deutschland zurück. Die zwei anderen leben in einer Diepholzer Unterkunft, haben jedoch auch in den Niederlanden einen Asylantrag gestellt. Die Staatsanwaltschaft beantragte keinen Haftbefehl, da sie die zu erwartende Strafe für zu gering für eine Untersuchungshaft hielt. Lediglich die Polizei versuchte zu prüfen, ob eine Abschiebehaft möglich ist. Zudem sollen die drei Männer noch an anderen Einbrüchen in der Vergangenheit beteiligt gewesen sein. Am 9. Februar 2017 berichtete die Kreiszeitung, dass die Verdächtigen wieder auf freiem Fuß seien und die Ausländerbehörde ihnen lediglich ein Schreiben überreicht habe, in welchem sie aufgefordert würden, innerhalb einer bestimmten Frist aus Deutschland auszureisen. Vorbemerkung der Landesregierung Eine der in der Vorbemerkung genannten Person lebt im Zuständigkeitsbereich des Landes Berlin. Die beiden anderen Personen haben angegeben, marokkanische Staatsangehörige zu sein, und wurden unter der angegebenen Identität und Staatsangehörigkeit dem Landkreis Diepholz zugewiesen . Im Zuge der erkennungsdienstlichen Behandlung durch die Polizei ist bekannt geworden, dass eine der Personen zuvor eine andere Identität genutzt hat. Sie hat unter der Angabe, unbegleiteter Flüchtling aus Marokko zu sein, bereits einen Asylantrag gestellt und war schon dem Landkreis Northeim zugewiesen. Dieser Asylantrag ist negativ beschieden worden, sodass sie unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert worden ist. Das BAMF ist über die Mehrfachidentität informiert. Der Landesregierung ist nicht bekannt, ob diese Person in den Niederlanden um Asyl nachgesucht hat. Die andere Person, die dem Landkreis Diepholz als marokkanischer Asylsuchender zugewiesen worden war, ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig. Die Mit- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7638 2 wirkung bei der Klärung von Identität und Staatsangehörigkeit ist verweigert worden. Daraufhin hat die Ausländerbehörde mit den vorliegenden erkennungsdienstlich gewonnenen Daten und den eigenen Angaben zur Person über die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) die Identitätsklärung und Passersatzpapierbeschaffung eingeleitet. Diese Person hat unter Verwendung einer weiteren Identität als vermeintlich libyscher Staatsangehöriger nach der Antragstellung in Deutschland einen weiteren Asylantrag in den Niederlanden gestellt. Die Niederlande haben mittlerweile einen Übernahmeantrag nach der Dublin-III-Verordnung an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Der Aufenthalt dieser Person ist derzeit unbekannt. Sie ist zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben worden. 1. Gibt oder gab es eine Anordnung des Justizministeriums an die Staatsanwaltschaften, in bestimmten Fällen keine Haftbefehle zu beantragen? Nein. 2. Falls ja, wie ist der genaue Wortlaut der Anordnung? Entfällt 3. Wieso erachtete die zuständige Staatsanwaltschaft die zu erwartende Strafe als zu gering , obwohl die drei Männer bezüglich mehrerer Straftaten verdächtig sind und zwei Straftaten bereits zugegeben haben? Die Staatsanwaltschaft Verden hatte nach der Festnahme der Beschuldigten davon abgesehen, einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zu beantragen, weil ein solcher neben dem dringenden Tatverdacht gemäß § 112 StPO das Vorliegen eines Haftgrundes verlangt. Den allein in Betracht kommenden Haftgrund der Fluchtgefahr hat die Staatsanwaltschaft nicht als gegeben angesehen, weil die Beschuldigten nach staatsanwaltlicher Bewertung wegen ihrer Anbindung an die Aufnahmeeinrichtungen über einen festen Wohnsitz verfügten und zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht vorbestraft waren. Das zu erwartende Strafmaß hat es - auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach § 112 Abs. I Satz 2 StPO - aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht gerechtfertigt, dennoch den Erlass von Untersuchungshaftbefehlen zu beantragen. Inzwischen ist gegen die Beschuldigten, von denen lediglich der Heranwachsende geständig ist, wegen der drei genannten Taten Anklage erhoben worden. 4. Warum wurden keine weiteren Maßnahmen nach dem Ende des Polizeigewahrsams ergriffen und nur ein Schreiben der Ausländerbehörde übergeben? Nach Rücksprache zwischen der Polizei und der zuständigen Ausländerbehörde wurde den beiden Personen, die den niedersächsischen Ausländerbehörden zugewiesen sind, durch die Polizei eine sogenannte Anlaufbescheinigung ausgehändigt. Eine Anlaufbescheinigung beinhaltet die Aufforderung , sich bei der genannten Stelle - im Regelfall bei der zuständigen Ausländerbehörde oder beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - zu melden. Die entsprechenden Bescheinigungen wurden der Polizei durch die zuständige Ausländerbehörde des Landkreises Diepholz vorab zur Verfügung gestellt. Weitere Maßnahmen wurden nach der auf der Grundlage der damaligen Erkenntnisse getroffenen Entscheidung der Staatsanwaltschaft, keine Anträge zum Erlass von Untersuchungshaftbefehlen zu stellen, mangels weiterer - insbesondere ausländerrechtlicher - Handhabe nicht ergriffen. 5. Wie lang beträgt die Frist in dem oben erwähnten Schreiben? Eine Anlaufbescheinigung zur Vorsprache bei der Ausländerbehörde enthält keine Frist. Sofern die Anlaufbescheinigung keinen bestimmten Termin zur Vorsprache nennt, hat die Ausländerin oder der Ausländer grundsätzlich unverzüglich bei der Ausländerbehörde vorzusprechen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7638 3 6. Wieso kam es zu keiner Abschiebehaft? Abschiebungshaft kann erst dann beantragt werden, wenn die Aufenthaltsbeendigung tatsächlich durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes). Das ist in diesen Fällen schon aufgrund der ungeklärten Identität und Staatsangehörigkeit der in Rede stehenden Personen nicht möglich. Die Ausländerbehörde hat daher ausweislich ihres Berichts auf das Stellen eines Abschiebungshaftantrags verzichtet. 7. Ist der genaue Aufenthaltsort der Verdächtigen bekannt? Der Aufenthaltsort des in Berlin lebenden und des heranwachsenden Beschuldigten ist bekannt. Den Aufenthalt der dritten, bei Tatbegehung 27-jährigen Person kennt die Landesregierung demgegenüber nicht. 8. Falls ja, sind die Verdächtigen bereits ausgereist? Darüber hat die Landesregierung keine Erkenntnisse. 9. Gibt es bereits Haftbefehle aufgrund von Anträgen anderer Staatsanwaltschaften als der aus Verden hinsichtlich der Verdächtigen, und lag diese Information zum Zeitpunkt der Entscheidung in Diepholz, die Verdächtigen wieder auf freien Fuß zu setzen, vor? Haftbefehle anderer Staatsanwaltschaften waren und sind nicht bekannt. (Ausgegeben am 24.03.2017) Drucksache 17/7638 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7409 Hat das Justizministerium in bestimmten Fällen angeordnet, keine Haftbefehle zu beantragen? Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums