Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/7860 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7376 - Gab es bei Windkraftprojekten in Niedersachsen Ausnahmen vom Tötungsverbot im Sinne von §§ 44 und 45 des Bundesnaturschutzgesetzes? Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Jörg Bode (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 10.02.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 14.02.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 07.04.2017, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung des Abgeordneten Nach § 44 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BNatSchG ist es verboten, Individuen besonders geschützter Arten zu fangen, zu verletzen oder zu töten, sie so erheblich zu stören, dass sich der Erhaltungszustand einer lokalen Population verschlechtert, und ihre Fortpflanzungs- und Ruhestätten zu beschädigen oder zu zerstören. Ausnahmen dürfen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG erteilt werden, wenn „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ vorliegen . Vorbemerkung der Landesregierung Für die Erteilung von Ausnahmen von den besonderen Artenschutzvorschriften des § 44 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) sind in Niedersachsen die unteren Naturschutzbehörden zuständig . Der gesetzliche Rahmen für die Erteilung der o. g. Ausnahmen ist gemäß § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG klar definiert und umfasst nicht nur das Kriterium eines „Vorhabens aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art.“ Voraussetzung für die im Einzelfall zu erteilenden Ausnahmegenehmigungen sind das „Fehlen zumutbarer Alternativen“ und das „Verbot einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Populationen betroffener Arten.“ 1. Wurden in Niedersachsen im Zusammenhang mit der Genehmigung von Windkraftanlagen von Bauwilligen Anträge auf Ausnahmen vom Tötungsverbot gemäß §§ 44 und 45 BNatSchG gestellt? Dem MU liegen landesweite Daten zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen in Bezug auf die Genehmigung von Windenergieanlagen für den Zeitraum 2011 bis 2016 vor. Danach wurden in 16 Landkreisen mindestens 61 Anträge auf Erteilung einer solchen Ausnahme gestellt (s. detaillierte Tabelle zu Frage 2). 2. Um welche konkreten Vorhaben handelte es sich dabei, und wie haben die Landesbehörden in den Fällen konkret entschieden? Die nachfolgende Tabelle gibt separat für den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen unteren Naturschutzbehörde einen landesweiten Überblick über erteilte artenschutzrechtliche Ausnahmen im Zu- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7860 2 ge der Genehmigung von Windenergieanlagen. Die eingereichten Anträge sind bis auf fünf Fälle bewilligt worden. In drei der fünf Fälle (hier: Landkreise Gifhorn und Nienburg) wurde bislang noch nicht entschieden. In den beiden übrigen Fällen wurde den beantragten Ausnahmen teilweise, das heißt nicht für alle beantragten Arten, stattgegeben. Landkreis Erteilte Ausnahmen Betroffene Tierarten LK Aurich mind. 1 WP Hage Stockente, Mehl- und Rauchschwalbe, Star, Lach-, Silber- und Sturmmöwe, Höckerschwan, Graureiher , Jagdfasan LK Emsland mind. 1 WP Hassmoor Turmfalke LK Gifhorn 2 Anträge vorliegend Mäusebussard und Kolkrabe LK Grafschaft Bentheim 1 WP Georgsdorf Mäusebussard LK Harburg mind. 4 Windparks: - Heidenau - Halvesbostel - Pattensen - Scharmbeck Feldlerche, Mäusebussard, Kranich und verschiedene Fledermausarten LK Heidekreis 9 Windparks: - Buchholz - Ilhorn - Ilhorn - Wesseloh - Isdingen - Woltem - Woltem - Wietzendorf - Hollige 8x Feldlerche, 1x Mäusebussard und Turmfalke LK Hildesheim 1 WP Heinde Rotmilan LK Leer 1 WP Burlage Mäusebussard und Feldlerche LK Nienburg 1 (WP. Hoyerhagen), ein weiterer Antrag vorliegend Rotmilan, Mäusebussard, Feldlerche LK Oldenburg 10 Windparks: - Rote Erde - Iserloy - Haidhäuser (2x) - Hatten - Hengsterholz - Uhlhorn - Sann.-Helmer (2x) - Düngstrup Mäusebussard, Turmfalke, Feldlerche, Kiebitz LK Osnabrück mind. 11; Windparks: - Hekese - Ohrtermersch - Haneberg - Sellberg - Belm - Ahrensfeld - Wittefeld - Rieste - Kalkriese Mäusebussard, Waldohreule, Turmfalke, Feldlerche , Heidelerche, Waldschnepfe Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7860 3 Landkreis Erteilte Ausnahmen Betroffene Tierarten - Merzen - Glandorf LK Osterholz 3 WP Schwanewede (3x) Mäusebussard und Sturmmöwen LK Schaumburg 1 WP Beckedorf Mäusebussard LK Stade 1 WP Ahlerstedt Mäusebussard LK Vechta 1 WP Bakum Feldlerche, Mäusebussard LK Wesermarsch 12 Windparks: - Lemwerder (3x) - Neuenhuntorfermoor - Hobendiek - Rodenkircherwurp - Oldenbrokerfeld II - Bollenhagen - Düke - Oldenbrokerfeld IIIb - Kampen - Bardenfleth Wachtel, Kiebitz, Mäusebussard, Turmfalke, Großer Brachvogel, Feldlerche, Baumfalke 3. Unter welchen Umständen würde eine entsprechende Ausnahmegenehmigung erteilt werden? Nach § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG können die nach Landesrecht für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden von den Verboten des § 44 BNatSchG im Einzelfall Ausnahmen aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art zulassen. Der gemeinsame Runderlass des MU, des ML, des MS, des MW und des MI vom 24.02.2016 (Nds. MBl. S. 190) zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen an Land (Windenergieerlass) gibt in Nr. 4.8 der Anlage 1 die nachfolgenden Hinweise zur Ausnahmeprüfung nach § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG. Der Windenergieerlass ist für die Kommunen verbindlich, soweit sie im übertragenen Wirkungskreis als Immissionsschutz- und Bauaufsichtsbehörden, Naturschutzbehörden oder sonstige nachgeordnete Behörden bei der Genehmigung und Überwachung von Windenergieanlagen tätig werden. Da das öffentliche Interesse nach § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG zwingend und überwiegend sein muss, reicht demnach nicht jedes öffentliche Interesse sozialer oder wirtschaftlicher Art aus. Zwingend sind die Gründe des öffentlichen Interesses nicht allein deshalb, wenn auf allgemeine politische Ziele ohne räumliche, zeitliche und sachlich-funktionale Konkretisierung verwiesen wird. Dem Kriterium „zwingend“ kommt folglich der Bedeutungsgehalt der Geeignetheit und Erforderlichkeit zu. Zur Feststellung, ob zwingende Gründe vorliegen, ist in einer einzelfallbezogenen Abwägungsentscheidung das Gewicht der zu erwartenden Beeinträchtigungen für die artenschutzrechtlichen Schutzgüter mit den für das Vorhaben streitenden öffentlichen Interessen gegenüberzustellen. Öffentliche Gründe können z. B. Erhöhung der Verkehrssicherheit, Entlastung der Gemeinde im Hinblick auf Lärm- und Schadstoffbelastung der Anwohner oder die Aufgabe, der Windenergie substanziell Raum zu schaffen, sein. Langfristigen Nutzungsinteressen kommt ein höherer Stellenwert zu als Nutzungen, die nur mit kurzfristigen Vorteilen verbunden sind. Die Abwägung zwischen den zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses und den artenschutzrechtlichen Schutzgütern erfordert einzelfallrelevante Betrachtungen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7860 4 Von dem Verbot des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG können im Einzelfall nach § 45 Abs. 7 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 BNatSchG Ausnahmen unter der Voraussetzung zugelassen werden, dass keine zumutbaren Alternativen gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Arten nicht verschlechtert. (Ausgegeben am 12.04.2017) Drucksache 17/7860 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7376 Gab es bei Windkraftprojekten in Niedersachsen Ausnahmen vom Tötungsverbot im Sinne von §§ 44 und 45 des Bundesnaturschutzgesetzes? Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz