Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7606 - Gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten mit Behinderung Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat und Thomas Schremmer (GRÜNE) an die Landesregierung , eingegangen am 13.03.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 16.03.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 18.04.2017, gezeichnet Cornelia Rundt Vorbemerkung der Abgeordneten Geflüchtete mit Behinderung gehören zu der Gruppe der besonders schutzbedürftigen Personen. Einen ersten Eindruck von der Anzahl Geflüchteter, die mit einer Behinderung leben, gibt eine Studie der Hilfsorganisationen Help Age und Handicap International. Auf dieser Grundlage schätzt Handicap International, dass 10 bis 15 %der Geflüchteten in Deutschland eine Behinderung haben. Für Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfänger mit einer Behinderung gilt wie für alle anderen Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfänger auch, die eingeschränkte medizinische Versorgung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Zwar können Geflüchtete mit Behinderung nach § 6 AsylbLG darüber hinausgehende Leistungen geltend machen, wenn diese zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich oder zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten sind. Die tatsächliche Nutzung dieser theoretischen Möglichkeit einer Kostenübernahme unterliegt jedoch dem Ermessen der Behörden, die zunächst den Einzelfall prüfen. In der Praxis führt dies laut Dr. Susanne Schwalgin, Referentin für Migration und Internationales bei der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., zu langwierigen Prüfungen des Anspruchs durch die Kostenträger sowie zu einer unterschiedlichen Auslegung des Ermessensspielraums. Die gegenwärtige Praxis sei daher mit den internationalen völkerrechtlichen Verträgen wie der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und der UN-Kinderrechtskonvention sowie geltendem EU-Recht in Einklang zu bringen. Der UN-Fachausschuss mahnte darüber hinaus in diesem Zusammenhang im Rahmen der ersten Staatenprüfung Deutschlands zur Umsetzung der UN-BRK im Frühjahr dieses Jahres an mehreren Stellen seines Abschlussberichtes Verbesserungen im Umgang mit Geflüchteten an. Nach der EU-Aufnahmerichtlinie vom 27.01.2003 (2003/9/EG) Artikel 15 Abs. 2 bzw. der Neufassung dieser Richtlinie vom 26.06.2013 (2013/33/EU) Artikel 19 Abs. 2 soll zudem besonders schutzbedürftigen Geflüchteten die „erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung“ bewilligt werden. Die Europäische Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, da die Richtlinie bis zum 20.07.2015 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Nach Auffassung der Beratungsstelle, an die sich geflüchtete mit Behinderungen in dieser prekären Situation wenden, ist die Minimalversorgung des Asylbewerberleistungsgesetzes oftmals nicht ausreichend . Notwendige Maßnahmen würden daher oftmals nicht gewährt und müssten eingeklagt werden. Daraus stellen sich im Rahmen der Aufnahme und Versorgung von behinderten Geflüchteten Fragen hinsichtlich des Zugangs zum Hilfesystem oder zu der behindertengerechten, barrierefreien Unterbringung. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Gesundheitsversorgung für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) richtet sich in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nach den §§ 4 und 6 AsylbLG. Danach sind nach § 4 AsylbLG zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Darüber hinaus kommen nach § 6 AsylbLG sonstige Leistungen in Betracht, wenn diese im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Insbesondere Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die besondere Bedürfnisse haben , wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wird die erforderliche medizinische Versorgung oder sonstige Hilfe gewährt. Das Land Niedersachsen ergänzt diese Grundversorgung mit Angeboten im Rahmen von freiwilligen Leistungen. Beispielhaft sind anzuführen: – Gewährung von Zuwendungen an Beratungsstellen zur Verbesserung der rechtlichen, sozialen, beruflichen sowie gesellschaftlichen Integration, – Qualifizierung von Integrationslotsinnen und Integrationslotsen mit den Aufgaben, Geflüchtete und Zugewanderte in allen Fragen der Alltagsbewältigung, aber auch bei der Bewältigung besonderer Herausforderungen zu unterstützen, – das Projekt „Niedrigschwellige Hilfe für besonders Schutzbedürftige“ und – das Psychosoziale Zentrum für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e. V. (NTFN) mit einer Vielzahl von Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten. Zu den freiwilligen Leistungen vgl. auch unten zu Frage 14. Die in Niedersachsen für die Aufnahme und Unterbringung der Flüchtlinge zuständigen Stellen berücksichtigen im Rahmen der Möglichkeiten deren besonderen Belange und Interessen. Im Rahmen des Erstgesprächs, das in der Regel unmittelbar nach der Aufnahme in den Standorten der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) vom Sozialdienst mit jedem Flüchtling geführt wird, werden gerade besonders schutzbedürftige Flüchtlinge sehr sensibel behandelt. Dort wird nach einem Betreuungsansatz gearbeitet, der rechtliche, soziale, medizinische und pädagogische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt und die wesentlichen Bereiche der sozialen Betreuung (allgemeiner Sozialdienst, Gesundheitsdienst, Kinderbetreuung) eng miteinander verknüpft. Ziel ist dabei die ganzheitliche, respektvolle Wahrnehmung und Wertschätzung jedes Einzelnen. Die Feststellung von Hilfen für besonders schutzbedürftige Personen, hierzu zählen u. a. Menschen mit Behinderungen und Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, stellt einen Schwerpunkt der Arbeit dar. Bei der Unterbringung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge wird die individuelle Situation im Rahmen der Möglichkeiten berücksichtigt. Geeignete Einrichtungen zu finden, in denen diese Personen auch nach ihrer Verteilung in die Kommunen sicher und diskriminierungsfrei untergebracht werden können, ist dabei sehr wichtig. Zu berücksichtigen ist aber, dass sich manche Personen erst nach einiger Zeit in der Aufnahmeeinrichtung offenbaren und erst im Verlaufe ihres Aufenthalts, wenn sie einigermaßen zur Ruhe gekommen sind, mit ihren Problemen und ihrer Schutzbedürftigkeit an den Sozialdienst wenden. 1. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um die barrierefreie und behindertengerechte Ausstattung von Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes zu gewährleisten ? In dem mit der Oberfinanzdirektion Niedersachsen - Bau und Liegenschaften - erstellten Musterraumprogramm für bauliche Standards des Landes Niedersachsen bei der Unterbringung von Flüchtlingen sind an jedem Standort in einem geeigneten Unterkunftsgebäude mindestens zehn barrierefreie Räume und entsprechende Sanitäranlagen vorgesehen. Diese werden baulich zeitnah hergestellt bzw. bereits teilweise vorhandene Räumlichkeiten werden modernisiert. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 3 Am Standort Osnabrück können bereits jetzt mobilitätseingeschränkte Personen untergebracht werden. Der Standort ist als ehemaliges Krankenhaus zu einem großen Teil barrierefrei ausgestattet und verfügt über Personenaufzüge. Auch im Ankunftszentrum Fallingbostel steht ein Gebäude für die Aufnahme von Menschen mit Handicap zur Verfügung. In Braunschweig steht ein barrierefreier Eingang zum Unterkunftsgebäude 1 zur Verfügung, wo zusätzlich behindertengerechte Sanitäranlagen eingerichtet wurden. Am Standort Oldenburg sind diverse Unterkünfte als auch Verwaltungsbereiche barrierefrei gestaltet. Eine Verteilung mobilitätsbeschränkter Personen an die Standorte ist je nach Auslastung kurzfristig möglich. Auf die Vorbemerkungen weise ich hin. 2. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um sicherzustellen, dass besonders schutzbedürftige Personengruppen, im Besonderen hier Menschen mit Behinderung , bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) den Zugang zu erforderlichen medizinischen und sonstigen Hilfen erhalten? Bei Ankunft in den Einrichtungen wird bei einem medizinischen Screening das Handicap festgestellt . Auf Grundlage dessen werden vorhandene Hilfsmittel (beispielsweise Rollstühle und Rollatoren ) zur Verfügung gestellt sowie die Vereinbarung von Arztterminen und Beantragung der verordneten medizinischen Hilfsmittel beim Sozialamt der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI) veranlasst. Medizinisch notwendige Termine außerhalb des Standortes werden im Einzelfall durch Extra-Transport (z. B. Taxi) und mit Begleitung sichergestellt. Darüber hinaus wird auch beim Erstgespräch mit dem Sozialdienst nach Besonderheiten, zu denen auch Behinderungen gehören , gefragt. Im Rahmen der Erstuntersuchung erfolgt zudem eine weiterführende Untersuchung, bei der entsprechende Bedarfe festgestellt werden können. Im Bedarfsfalle wird von den Gesundheitsdiensten ein ambulanter Pflegedienst eingesetzt, der die Bedürftigen täglich beim Waschen, Duschen, der Medikamentenausgabe etc. unterstützt. Sollte die betroffene Person in der Erstaufnahmeeinrichtung aufgrund der Schwere der Behinderung nicht adäquat versorgt werden können, wird der Bedürftige vom Gesundheitsdienst in einem ortansässigen Pflegeheim stationär untergebracht. 3. Wer übernimmt in den jeweiligen EAE-Standorten die qualifizierte Prüfung des Hilfebedarfes für Menschen mit Behinderung, und wie sieht diese im Konkreten aus (bitte nach Standort und Behörde oder Träger aufschlüsseln)? Die qualifizierte Prüfung des Hilfebedarfs erfolgt an allen Standorten durch die eingerichteten Sozial - und Gesundheitsdienste in Zusammenarbeit mit vor Ort praktizierenden Ärztinnen und Ärzten sowie Fachärztinnen und Fachärzten aus der Umgebung. Die Kostenübernahme wird bei den Sozialämtern der Landesaufnahmebehörde beantragt und dort nach den Vorgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes geprüft. 4. Wie viele Personen erhalten in den Erstaufnahmestandorten Leistungen nach § 6 AsylbLG? Zum Stichtag 21.03.2017 erhielten folgende Personen Leistungen nach § 6 AsylbLG: Standort Personen Ankunftszentrum Bramsche 21 Ankunftszentrum Fallingbostel/Oerbke 0 Standort Braunschweig 10 Standort Friedland 3 Standort Oldenburg 10 Standort Osnabrück 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 4 Eine generelle Schwierigkeit bei der Ermittlung der Zahlen für alle Standorte ergibt sich dadurch, dass Mittel für Beschwerden und Erkrankungen auch unter § 4 AsylbLG fallen können. Die Trennschärfe ist an dieser Stelle eingeschränkt und eine eindeutige Zuordnung nicht immer möglich. 5. Welche Maßnahmen und Verfahren sind bei der Verteilung von Geflüchteten mit Behinderung auf die jeweilige Kommune vorgesehen? Wird in diesen Fällen auf einen besonderen Hilfebedarf (Hilfsmittel, barrierefreie Unterkunft, bsd. Leistungsansprüche etc.) seitens der Landesaufnahmebehörde hingewiesen? Bei der Verteilung von Geflüchteten mit Handicap wird die aufnehmende Kommune im Vorfeld durch den Sozial- bzw. Gesundheitsdienst in Absprache mit dem zuständigen Verteiler über den Grad der Behinderung telefonisch informiert. Der Kommune wird somit ausreichend Zeit gegeben, sich z. B. um eine barrierefreie Unterkunft, weitere Hilfsmittel oder um einen ambulanten Pflegedienst etc. für die Bedürftige bzw. den Bedürftigen zu kümmern. Die Verteilung erfolgt dann in Abstimmung mit der Zuweisungsgemeinde. Damit ist gewährleistet, dass bei der Aufnahme die Versorgung in der Kommune gesichert ist. 6. Welche Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es für das Personal von Erstaufnahmeeinrichtungen, Beratungsstellen, Ausländerbehörden, Gesundheitsämtern zur Beratung und Versorgung von Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfängern mit Behinderung im Hinblick auf die gesonderte Rechtslage ? Gemäß § 10 AsylbLG i. V. m. § 2 des Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG (Aufnahmegesetz - AufnG) sind in Niedersachsen die Landkreise und kreisfreien Städte zur Durchführung des AsylbLG im übertragenen Wirkungskreis zuständig. Die Kommunen entscheiden somit eigenverantwortlich über die Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen ihres Personals. Die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Standorte der Landesaufnahmebehörde wird aktiv unterstützt. So stehen u. a. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sozial- und Gesundheitsdienst regelmäßige Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, insbesondere im Hinblick auf besonders schutzbedürftige Menschen, zur Verfügung. Die Qualifizierungs - und Weiterbildungsmöglichen des externen Personals werden über die jeweiligen Träger sichergestellt . Für die Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitswesen werden jährlich verschiedene Fortbildungsveranstaltungen durch die Akademie für öffentliches Gesundheitswesen angeboten. Die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf ist eine öffentlich-rechtliche Bildungsinstitution . Finanziert wird die Akademie durch das Land Niedersachsen und sieben weitere Länder. In 2017 werden folgende Fortbildungskurse angeboten: – Interkulturelle Kommunikation im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, – Transkulturelle Kommunikation - In neuen Situationen richtig kommunizieren, – Begutachtung nach dem Schwerbehindertenrecht gemäß SGB IX, – Standards und Qualitätssicherung im Seh- und Hörscreening des Jugendgesundheitsdienstes, – Hör- und Sehscreening in der Schuleingangsuntersuchung sowie – der Sozialpsychiatrische Dienst als professioneller Helfer. Das Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e. V. (NTFN e. V.) berät und unterstützt traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen. Arbeitsschwerpunkte sind die fachgerechte Versorgung traumatisierter Flüchtlinge unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, Verbesserung des Zugangs der Flüchtlinge zu psychotherapeutischer Hilfe und die Berücksichtigung der besonderen Situation traumatisierter Flüchtlinge in Recht und Verwaltung. Daneben bietet das NTFN Schulungen , Vorträge und Veranstaltungen zur weitflächigen Aufklärung zum Thema Trauma und Flucht für Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 5 Akteure der Flüchtlingsarbeit und des Sozial- und Gesundheitswesens an, auch für die Sozialdienste in der Landesaufnahmebehörde und den Flüchtlingswohnheimen. 7. Welche Ansprüche im deutschen Hilfesystem haben Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfänger mit Behinderung (bitte aufschlüsseln nach Asylbewerberleistungsgesetz , SGB II, V, IX, Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (BGG), NBGG und UN-Behindertenrechtskonvention)? Aus dem AsylbLG ergeben sich hierzu keine speziellen Regelungen für Leistungsberechtigte mit Behinderungen. Für Leistungsberechtigte, also auch für Menschen mit Behinderungen, nach § 1 AsylbLG ist der Leistungsumfang der Gesundheitsversorgung in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland in den §§ 4 und 6 AsylbLG abschließend bundeseinheitlich geregelt. Danach sind zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist (§ 4 Abs. 1 AsylbLG). Eine Gewährung als sonstige Leistung (§ 6 AsylbLG) kommt darüber hinaus nur in Betracht, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist. Leistungsberechtigte, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben, erhalten gemäß § 2 AsylbLG Leistungen entsprechend den Regelungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) und damit Leistungen im Krankheitsfall auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung. Die zuständigen Leistungsbehörden - in Niedersachsen sind dies die Landkreise, kreisfreien Städte , die Stadt Göttingen und die Region Hannover - haben die ärztliche und zahnärztliche Versorgung sicherzustellen. Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG haben gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Bei dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der zurzeit geltenden Fassung handelt es sich um kein eigenständiges Leistungsgesetz. Leistungsansprüche von Menschen mit Behinderung richten sich nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen (§ 7 SGB IX). Soweit Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mit Behinderungen in Besitz eines Schwerbehindertenausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX sind, können damit je nach Lage des Einzelfalls Ansprüche auf Nachteilsausgleiche verbunden sein. Beispielsweise besteht bei Feststellung der Schwerbehinderung nach § 2 Abs. 2 SGB IX sowie des Merkzeichens G (erheblich gehbehindert ), aG (außergewöhnliche Gehbehinderung), H (Hilflosigkeit) oder Gl (gehörlos) und nach Erhalt einer entsprechenden Wertmarke Anspruch auf unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr. Bei Vorliegen des Merkzeichens B (ständige Begleitung) wird eine Begleitperson kostenfrei befördert. Beim Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) des Bundes sowie beim Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetz (NBGG) handelt es sich grundsätzlich nicht um Leistungsgesetze, die Ansprüche für Menschen mit Behinderungen im Sinne der Frage regeln. Sie richten sich vorrangig an gesetzlich näher definierte Träger der öffentlichen Gewalt bzw. öffentliche Stellen. Die im BGG und im NBGG beschriebenen Rechte für Menschen mit Behinderungen, beispielsweise das Recht von Menschen mit einer Hör- oder Sprachbehinderung, zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren, gelten für alle Menschen mit Behinderungen , also auch für Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 6 Auch die UN-Behindertenrechtskonvention regelt grundsätzlich keine unmittelbaren Leistungsansprüche im Sinne der Frage. Es handelt sich vielmehr um eine Menschenrechtskonvention, die die allgemeinen Menschenrechte aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen konkretisiert und die hieraus resultierenden staatlichen Verpflichtungen ableitet. 8. Können Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfänger mit Behinderung einen Schwerbehindertenausweis und ein Pflegegrad bewilligt und somit weiterreichende Versorgung und Hilfsmittel im Sinne von SGB IX gewährt bekommen? Aus dem AsylbLG ergeben sich hierzu keine speziellen Regelungen für Leistungsberechtigte mit Behinderungen. Weitergehende Leistungen können für Grundleistungsberechtigte mit Behinderungen über § 6 AsylbLG gewährt werden. Für Leistungsberechtigte nach § 2 AsylbLG erfolgt eine analoge Anwendung des SGB XII. Schwerbehindert und damit berechtigt zum Erhalt eines Schwerbehindertenausweises ist nach § 2 Abs. 2 SGB IX eine Person, bei der ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 festgestellt wurde und die einen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Beschäftigung rechtmäßig in der Bundesrepublik hat. Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX ist i. d. R. auch während eines laufenden Asylverfahrens (Aufenthaltsgestattung nach § 55 des Asylgesetzes) begründet, da aufgrund des Asylantrages davon auszugehen ist, dass Asylbewerberinnen und -bewerber (i. S. d. § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) nicht nur vorübergehend in der Bundesrepublik verweilen werden. Nach geltender Rechtsprechung zum Schwerbehindertenrecht ist ein Aufenthalt auch nach Ablehnung des Asylantrages unter Aussetzung der Abschiebung (Duldung nach § 60 a des Aufenthaltsgesetzes ) gewöhnlich, sofern keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen getroffen wurden oder zu erwarten sind, d. h. nicht mit einer Abschiebung zu rechnen ist. Die in § 2 Abs. 2 SGB IX geforderte Rechtmäßigkeit des gewöhnlichen Aufenthaltes richtet sich gemäß dem BSG-Urteil vom 29.04.2010 (B 9 SB 2/09 R) nicht nach den ausländerrechtlichen Vorschriften , wonach ein rechtmäßiger Aufenthalt nach Aussetzung der Abschiebung nach Ablehnung des Asylantrages nicht gegeben ist. Vielmehr liegt auch in diesen Fällen ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des SGB IX vor, denn dem Verbleiben eines Menschen in der Bundesrepublik wird nicht direkt entgegengetreten, er ist rechtlich nicht gehindert, sich in Deutschland aufzuhalten. Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen werden Feststellungsverfahren nach § 69 SGB IX in Niedersachsen bei Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfängern durchgeführt . Ein gegebenenfalls auszustellender Schwerbehindertenausweis wird in allen Fällen grundsätzlich bis zum Ablauf des Aufenthaltstitels befristet. Die Zuerkennung eines Pflegegrades richtet sich nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs Elftes Buch (SGB XI). Nach § 1 Abs. 2 SGB XI sind in den Schutz der sozialen Pflegeversicherung, also dieses Gesetzes, alle einbezogen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind. Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind nicht in die Versicherungspflicht einbezogen und erhalten demnach auch keine Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. 9. Was unternimmt die Landesregierung, um die angemessene medizinische Versorgung und Ausstattung mit (orthopädischen) Hilfsmitteln, Hörhilfen, Orientierungshilfen für Blinde etc. von Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfängern mit Behinderung sicherzustellen? Die medizinische Versorgung für Grundleistungsberechtigte (auch mit Behinderungen) nach § 3 AsylbLG wird zunächst über § 4 AsylbLG sichergestellt. Darüber hinaus können nach § 6 AsylbLG sonstige Leistungen gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich, zu Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 7 zur Erfüllung verwaltungsrechtlicher Mitwirkungspflichten erforderlich sind. Die Leistungsbehörden prüfen im Einzelfall und entscheiden im Rahmen ihres Ermessens, sodass eine weitergehende medizinische Versorgung der Leistungsberechtigten (auch mit Behinderungen) sichergestellt ist. Auch für den Kreis der Leistungsberechtigten nach § 2 AsylbLG wird die grundlegende Gesundheitsversorgung analog dem SGB XII sichergestellt. Darüber hinaus haben die Leistungsbehörden die Möglichkeit, im Einzelfall Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII zu gewähren. Auch hier handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die die Leistungsbehörden im Rahmen ihres Ermessens zu treffen haben. 9. Welche Anwendungshinweise stehen den Leistungsbehörden zur Verfügung, oder gibt es Empfehlungen oder anderweitige Handreichungen zur besonderen Rechtslage von Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfängern mit Behinderung? Für die Anwendung der bundeseinheitlich geltenden Regelungen des AsylbLG gibt es verschiedene Auslegungshilfen. Die Ärztekammern und Zahnärztekammern der Bundesländer, die Bundesärztekammer und die Bundeszahnärztekammer sowie weitere Verbände (KVN, KZVN, u. a.) haben auf ihren Internetseiten zahlreiche Leitfäden, Praxisratgeber und Handlungsempfehlungen zum Leistungsrecht nach dem AsylbLG für Ärztinnen und Ärzte und Zahnärztinnen und Zahnärzte veröffentlicht . Darüber hinaus hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) einen „Ratgeber Gesundheit für Asylsuchende in Deutschland“ herausgegeben. Eigene Vorgaben des Landes für die Anwendung dieser bundesgesetzlichen Vorschrift, auch in Bezug auf Leistungsberechtigte mit Behinderungen, bestehen nicht. 10. Welche Beratungs- und Unterstützungsangebote für Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfänger mit Behinderung, insbesondere Minderjährige und ihre Familien , gibt es in Niedersachsen? Aus dem AsylbLG ergeben sich keine speziellen Beratungs- und Unterstützungsangebote für Leistungsberechtigte mit Behinderungen, sodass die Kommunen nach der Verteilung selbstständig auf eigene Beratungs- und Unterstützungsangebote vor Ort zurückgreifen können. Während des Aufenthalts in der LAB NI stehen die allgemeinen Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände zur Verfügung . Am Standort der LAB NI in Oldenburg kann auch auf zusätzliche Angebote wie die der Interkulturellen Arbeitsstelle für Forschung, Dokumentation und Beratung e. V. (IBIS) oder etwa bei Kindern mit Behinderung auf das Sozialpädiatrische Kinderzentrum Oldenburg (SPZ OL) zurückgegriffen werden. Das Land Niedersachsen gewährt auf Grundlage einer Richtlinie, die sich derzeit in der finalen Abstimmung befindet, Zuwendungen für die Beratung und Unterstützung für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte . Damit soll zu einer Verbesserung der rechtlichen, sozialen, beruflichen sowie gesellschaftlichen Integration beigetragen werden. Zentrale Aufgaben der Beratungsstellen sind insbesondere die Information und Beratung aufenthalts - und sozialrechtlichen Fragen, sozialpädagogische und psychosoziale Beratung, Sprachförderung , Mitwirkung bei der Integration in Bildung, Ausbildung und Arbeit und der Unterstützung bei der Vermittlung staatsbürgerlicher Kenntnisse. Im Rahmen der Beratung werden u. a. zugewanderte Familien umfänglich zu lebenspraktischen Themen informiert und zu einer eigenständigen und verantwortungsvollen Lebensgestaltung in Niedersachsen befähigt. Bei speziellen Fragestellungen zur medizinischen Versorgung werden Geflüchteten mit Behinderungen und deren Familien weitere Unterstützungsangebote empfohlen und entsprechende Kontakte vermittelt, beispielweise an die Jugendmigrationsdienste (JMD). Die vom Bund finanzierten Beratungsstellen beraten Eltern, junge Menschen mit Migrationshintergrund sowie ihre Eltern und fördern die Partizipation in allen Bereichen des sozialen, kulturellen und politischen Lebens sowie Chancengerechtigkeit. Die Jugendmigrationsdienste und die Beratungsstellen des Landes arbeiten im Rahmen der Kooperativen Migrationsarbeit Niedersachsen (KMN) zusam- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 8 men. Das Psychosoziale Zentrum des Netzwerks für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e. V. (NTFN) bietet zudem eine Vielzahl von Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten an. Daneben bieten die kommunalen Sozialpsychiatrischen Dienste nach dem NPsychkG entsprechende Hilfen an oder vermitteln diese, auch in Kooperation mit dem NTFN. Im Rahmen des Projekts „Niedrigschwellige Hilfen für besonders Schutzbedürftige“, welches das NTFN gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Niedersachsen durchführt und vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) des BAMF gefördert wird, werden Asylsuchende beraten und unterstützt, die aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität einer gezielten Unterstützung bedürfen. Zu der Gruppe der sogenannten vulnerablen Flüchtlinge, wie sie die EU-Aufnahmerichtlinie definiert, gehören u. a. – unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, – traumatisierte Flüchtlinge, – schwer erkrankte Menschen, – Menschen mit Behinderungen und – Gewaltopfer. Die Unterstützung erfolgt in Form von Diagnostik, therapeutischer Beratung und Krisenintervention, Therapievermittlung und Sicherstellung der Kostenübernahme bei Krankenkassen und Sozialämtern . Darüber hinaus erfolgen eine fachliche Unterstützung bei der Wahrnehmung der in der Aufnahmerichtlinie festgelegten Rechte vulnerabler Flüchtlinge sowie eine verfahrensrechtliche Beratung zum Asylverfahren. Mit der Richtlinie Integrationslotsinnen und Integrationslotsen werden Maßnahmen zur Qualifizierung von ehrenamtlich Tätigen, die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in allen Bereichen unterstützen , gefördert. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Kommunen bei der Aufwertung sowie Weiterentwicklung des ehrenamtlichen Engagements zu fördern und dadurch die Partizipation von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in allen gesellschaftlichen Bereichen nachhaltig zu verbessern. 11. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung selbst ergriffen, um Asylbewerberleistungsempfängerinnen und -empfänger mit Behinderung über die ihnen zustehenden Leistungen und Hilfsmittel zu informieren oder für eine solche Beantragung entsprechende Hilfestellungen zu gewährleisten? Die vom Land geförderten Beratungsstellen vermitteln vor Ort weitere Kontakte, an die sich die schutz- und zukunftssuchenden Menschen wenden können. Falls erforderlich, unterstützen die Beratungsstellen z. B. beim Ausfüllen von Anträgen für entsprechende Hilfeleistungen. Das Psychosoziale Zentrum für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e. V. sowie das Projekt „Niedrigschwellige Hilfen für besonders Schutzbedürftige“ erhalten finanzielle Förderungen durch das Land Niedersachsen. Hinsichtlich der Förderung des ehrenamtlichen Engagements - Integrationslotsinnen und Integrationslotsen - wird auf die Ausführungen zu Frage 10 verwiesen. 12. Welche Erkenntnisse zur Lage von Geflüchteten mit Behinderung liegen der Landesbeauftragten für Behinderung vor? Die Landesregierung stellt im Folgenden die Stellungnahme der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen unverändert dar, macht sich diese aber nicht zu Eigen. Auf Einladung der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen , Verena Bentele, und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoğuz, fand am 21.02.2017 mit Vertretungen aus Politik und Gesellschaft eine Netzwerkkonferenz „Migration und Behinderung“ statt, an der die Niedersächsische Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen nicht teilnehmen konnte. Der Nieder- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 9 sächsischen Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen wurde berichtet, dass es weiterhin bundesweit Schwierigkeiten beim Erkennen und Decken der Bedarfe dieser Gruppe, bei der Gesundheitsversorgung und auch bei der Teilhabe geben würde. Häufig sei der Zugang zum Hilfesystem für Migrantinnen und Migranten mit Behinderungen noch immer zu schwierig. Deshalb müsse sowohl die interkulturelle Öffnung der Behindertenhilfe als auch die Inklusion in der Integrationsberatung erfolgen. Einerseits seien Beratungs- und Hilfestrukturen zu wenig bekannt oder vertraut , andererseits würden passende Angebote z. B. bei Integrationskursen oder den Beratungsstellen der Kommunen und der Verbände fehlen. Ziel muss sein, die gleichberechtigte Teilhabe auch für Menschen mit Einwanderungsgeschichten und Behinderungen zu gewährleisten. Bereits in der Woche davor, am 15.02.2017, gab es im Rahmen der 24. Verbändekonsultation eine Öffentliche Anhörung der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention zum Thema Flüchtlinge mit Behinderungen: Versorgungs- und Unterbringungssituation von Flüchtlingen mit langfristigen körperlichen, geistigen, psychischen und/oder Sinnesbeeinträchtigungen: Eine zentrale Frage lautete: Wie ist die aktuelle Versorgungs- und Unterbringungssituation von Flüchtlingen mit Behinderungen in Deutschland? Hierzu wurden 13 zivilgesellschaftliche Organisationen und Träger befragt. Insgesamt nahmen an der Veranstaltung ca. 100 Interessierte teil, die im Anschluss der Anhörung gemeinsam in einen Erfahrungsaustausch traten. Flüchtlinge mit körperlichen, geistigen, psychischen oder Sinnesbeeinträchtigungen gehören zum Personenkreis besonders Schutzbedürftiger. Dazu zählen auch chronisch kranke und traumatisierte Flüchtlinge. Die Erfahrungsberichte aus der Praxis anlässlich der Anhörung zeigten: Ihre bedarfsgerechte Versorgung und Unterbringung ist derzeit nicht gesichert. Die gehörten Expertinnen und Experten, die in der Sozialberatung an der Schnittstelle von Migration und Behinderung arbeiten , berichteten von einer Vielzahl von Schwierigkeiten, die sich zum Teil drastisch auf die Lebenssituation der Flüchtlinge mit Behinderungen auswirken. Ihre Erfahrungen basieren auf der Beratung von insgesamt rund 2 000 Geflüchteten mit Behinderungen im Jahr 2016. Systematische Unterversorgung Die Akteure erklärten übereinstimmend, ein grundlegendes Problem bestehe darin, dass Flüchtlinge mit Behinderungen deutschlandweit nicht registriert werden und keine bedarfsgerechte Versorgung eingeleitet wird. Es hinge vom Engagement einzelner Sozialarbeitender oder Ehrenamtlicher ab, ob sie erkannt und unterstützt würden. Anträge auf notwendige Therapien, Hilfsmittel oder medizinische Behandlungen würden spät oder gar nicht bewilligt. Während der ersten fünfzehn Monate des Asylverfahrens verwiesen die Behörden regelmäßig darauf, das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sehe lediglich die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände vor. Es liegt zwar im Ermessen der Behörden, darüber hinausgehende Leistungen, etwa aus dem Katalog der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, zu bewilligen, aber dies würde kaum bis gar nicht getan. Von dieser restriktiven Bewilligungspraxis seien auch chronisch kranke Kinder betroffen , die über lange Zeiträume unterversorgt bleiben, sodass sich ihr Gesundheitszustand zum Teil irreversibel verschlechtert. Prekäre Unterbringungssituation Flüchtlinge werden erst in Notunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen und danach in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften oder dezentral in den Kommunen untergebracht. Die Akteure berichteten, bei der Verteilung werde in der Regel nicht berücksichtigt, ob eine Beeinträchtigung vorliegt. Es gäbe kaum barrierefreie Unterkünfte, und wenn doch, seien diese nur auf körperlich beeinträchtigte Personen ausgelegt. Der Zugang zu Unterkünften für besonders Schutzbedürftige sei meistens durch lange Wartezeiten verstellt. Sprachbarrieren könnten nur durch ehrenamtliche Dolmetscherinnen und Dolmetscher überwunden werden, die jedoch nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung stünden. Gehörlose Flüchtlinge lebten isoliert, da häufig niemand vor Ort der Gebärdensprache mächtig sei. Flüchtlinge mit Behinderungen würden nicht zuletzt nur unzureichend über ihre Rechte und den nicht stigmatisierenden Behinderungsbegriff aufgeklärt. Die Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention legt einen ihrer Arbeitsschwerpunkte 2017 auf das Thema „Geflüchtete mit Behinderungen“ und wird die Ergebnisse in den Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte an den Deutschen Bundestag zur Menschenrechtssituation in Deutschland einfließen lassen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 10 Verbändekonsultationen Die Verbändekonsultationen werden in diesem Jahr mit zwei weiteren Terminen fortgesetzt. Drei Mal im Jahr lädt die Monitoring-Stelle behindertenpolitische Organisationen zu Verbändekonsultationen ein. Sie dienen dem Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Zivilgesellschaft und Monitoring-Stelle über die UN-Behindertenrechtskonvention und der Diskussion von Strategien mit Blick auf die Einhaltung und Umsetzung der Konvention. Das Spektrum der vertretenen Organisationen ist vielfältig. (bl) Quelle: Öffentliche Anhörung zum Thema Flüchtlinge mit Behinderungen: Versorgungs- und Unterbringungssituation von Flüchtlingen mit langfristigen körperlichen, geistigen, psychischen und/oder Sinnesbeeinträchtigungen (15. Februar 2017) Auch im Bundestag stand das Thema Geflüchtete mit Behinderungen auf der Tagesordnung. Es gab Kritik, dass das Asylbewerberleistungsgesetz die notwendige medizinische Versorgung erheblich erschwere: Rüffer: „Das hat der zuständige UN-Fachausschuss im Staatenprüfungsverfahren auch deutlich kritisiert. Und das gerade erst verabschiedete Bundesteilhabegesetz schließt behinderte Geflüchtete sogar explizit von Leistungen der Eingliederungshilfe, wozu auch Heil- und Hilfsmittel gehören, aus“, betont die Abgeordnete. Selbst im aktuellen Teilhabebericht der Bundesregierung weise der wissenschaftliche Beirat darauf hin, dass die gesundheitliche Versorgung von behinderten Geflüchteten „in besonderem Maße problematisch ist“. Weiter heißt es in der Pressemitteilung: „Erschreckend ist auch, wie gleichgültig die Bundesregierung beispielsweise gegenüber sehbehinderten oder blinden Asylsuchenden ist: Formulare des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Asylverfahren in Brailleschrift wird es nicht geben, weil die technischen Voraussetzungen fehlen (Frage/Antwort 9). Der Internet-Auftritt des BAMF hätte bereits 2014 barrierefrei gestaltet werden sollen, doch bis heute ist nichts geschehen. Absurd und lächerlich ist die Begründung, die die Bundesregierung dafür hat: Aufgrund des Zustroms von Asylsuchenden gebe es keine personellen Ressourcen. Anscheinend sind BAMF- MitarbeiterInnen in Personalunion für Asylverfahren und die Programmierung der Website zuständig (Frage/Antwort 12). Quelle: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/109/1810940.pdf Behinderung und Flucht Unter den vielen Menschen, die seit 2015 auf der Suche nach Schutz und Sicherheit nach Deutschland gekommen sind, befinden sich auch Menschen mit Beeinträchtigungen. Da Beeinträchtigungen und Behinderungen nicht überall bzw. nicht systematisch bei der Erstregistrierung erhoben werden, ist nicht bekannt, wie hoch ihr Anteil an der Gesamtzahl der Geflüchteten ist. Auch zur Lebenssituation von geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen insgesamt ist wenig bekannt. Da der weltweit größte Anteil von Kindern und Erwachsenen mit Beeinträchtigungen in Kriegsregionen lebt (vgl. Kastl 2010), liegt es auf der Hand, dass unter den Geflüchteten aus Kriegsgebieten wie Syrien auch Menschen mit Beeinträchtigungen sein müssen. So ist davon auszugehen, dass sich viele Menschen mit Kriegsverletzungen oder auch durch Folter bedingten Beeinträchtigungen auf die Flucht begeben. Hinzu kommen diejenigen, die schon im Herkunftsland mit Beeinträchtigungen gelebt haben, bzw. Familien mit beeinträchtigten Kindern oder anderen Angehörigen. Aber auch die Flucht selbst erhöht das Risiko, eine Beeinträchtigung zu erwerben oder eine bereits bestehende zu verschlimmern, z. B. durch Infektionen, die nicht behandelt werden können, nicht versorgte Wunden oder Mangelernährung. Hinzu kommen psychische Problematiken durch Kriegs-, Folteroder verfolgungsbedingte Traumata. Eine 2014 vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in sechs irakischen Flüchtlingslagern durchgeführte Erhebung kam zu dem Ergebnis, dass sich in fast jedem zehnten Haushalt ein Mitglied mit einer Beeinträchtigung befand. Dabei handelte es sich überwiegend um Männer (62 %) und Kinder (41 %), die vor allem körperliche (50 %) und psychische/kognitive Beeinträchtigungen aufwiesen, die mehrheitlich (53 %) seit der Geburt bestanden; lediglich 3 % waren die Folgen bewaffneter Konflikte (UNHCR 2014: 2). Eine ebenfalls 2014 von HelpAge International und Handicap International unter syrischen Flüchtlingen in verschiedenen Flüchtlingscamps durchgeführte Befragung mit dem Titel „Hidden Victims of the Syrian Crisis“ fand unter den Befragten 22,4 % mit einer Beeinträchtigung, 15,6 % mit chronischer Krankheit und 5,6 % mit einer Verletzung, wobei nicht ausgewiesen wird, ob diese im Kontext eines Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 11 bewaffneten Konfliktes erworben wurden. Man muss also davon ausgehen, dass eine größere Anzahl der nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge Beeinträchtigungen oder gesundheitliche Probleme haben, denen im Asylverfahren jedoch nicht Rechnung getragen wird. Unterkünfte sind nur selten barrierefrei, Zuständigkeiten oft unklar und Informationen über auf die Beeinträchtigung bezogene Unterstützungsmöglichkeiten selten zu erlangen. Nach deutschem Gesetz haben Asylsuchende nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - solange sie keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen - nur Anspruch auf die Behandlung akuter Erkrankungen, wozu weder Physio- noch Psychotherapie gehören, auch die Bewilligung notwendiger Hilfsmittel scheitert oft an dieser Hürde. Bis eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird, vergeht jedoch oftmals viel Zeit, in der sich der Gesundheitszustand dramatisch verschlechtern kann. Dies trifft Kinder mit Beeinträchtigungen in besonderem Maße, da sie auf diese Weise eingetretene Verschlimmerungen/Chronifizierungen den Rest ihres Lebens begleiten werden. Bettina Eisenhardt von der Fachstelle Menschenkind in Berlin spricht in diesem Zusammenhang von einer strukturellen Unterversorgung und Menschenrechtsverletzungen (Eisenhardt 2014: 4). Die großen Behindertenverbände wie die Lebenshilfe und der Verband körper- und mehrfachbehinderter Menschen, aber auch große Einrichtungen wie Bethel haben inzwischen Arbeitsschwerpunkte „Migration und Behinderung“ eingerichtet. Dennoch scheinen sich die Beratungsangebote vor Ort der Thematik nur langsam zu öffnen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) und das Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) führen derzeit eine Langzeitstudie zur Lebenssituation von Menschen durch, die seit 2013 in Deutschland Schutz vor politischer Verfolgung und gewaltsamen Konflikten gefunden haben (Befragungen in 2016, 2017 und 2018). Im Rahmen der Flüchtlingsbefragung werden auch verschiedene Informationen über Gesundheit, Krankheiten und Beeinträchtigungen im Alltag und bei der Arbeit erhoben. (http://www.iab.de/de/iab-aktuell/fluechtlingsbefra gung_2016.aspx)“ 13. Welche Maßnahmen werden im Rahmen des Aktionsplans Inklusion für Niedersachsen im Hinblick auf besonders schutzbedürftige Geflüchtete mit Fokus auf die eingeschränkten Leistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes ergriffen? Wie bereits in der Vorbemerkung und der Antwort zu Frage 7 ausgeführt, ist für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG der Leistungsumfang der Gesundheitsversorgung in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland in den §§ 4 und 6 AsylbLG abschließend bundeseinheitlich geregelt. Darüber hinausgehende Leistungen sind, wie in der Vormerkung zu dieser Anfrage dargestellt, möglich. Für eine Erweiterung dieser Regelungen wäre der Bund zuständig. Der Aktionsplan Inklusion 2017/2018 sieht keine speziellen Maßnahmen für besonders schutzbedürftige Geflüchtete vor. Dies hat auch damit zu tun, dass das Land Niedersachsen bereits tätig geworden ist. Auf die in der Vorbemerkung und zur Frage 14 dargestellten freiwilligen Leistungen des Landes wird insoweit hingewiesen. 14. Welchen Nachbesserungsbedarf sieht die Landesregierung in Niedersachsen im Hinblick auf die Versorgung von Geflüchteten mit Behinderung vor dem Hintergrund der internationalen und völkerrechtlichen Verträge und der Kritik des UN-Fachausschusses zur Umsetzung der UN-BRK und der Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie? Die Landesregierung hat von den „Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands“ der Vereinten Nationen (CRPD/c/DEU/CO/1, vom 17.04.2015) Kenntnis erhalten. In diesem Kontext sind die vorgenannten freiwilligen Leistungen des Landes Niedersachsen gleichfalls zu betrachten. Beispielhaft lässt sich dies an Geflüchteten mit psychischen Behinderungen aufzeigen: Die Einrichtungen, die sich mit deren Versorgung befassen, integrieren diesen besonders schutzwürdigen Personenkreis in die hiesigen Strukturen, wobei die freiwilligen Leistungen des Landes Niedersachsen - u. a. das geförderte Psychosoziale Zentrum für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen e. V. - sinnvolle und wichtige Ergänzungen darstellen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7876 12 Beispielsweise hat das Land Niedersachsen das Modellprojekt zur Verbesserung der Gesundheitshilfe von Familien aufgelegt. Familien mit Säuglingen und Kleinkindern, insbesondere auch Flüchtlingsfamilien mit Kindern, können sich bei Gesundheitsfragen und psychosozialem Betreuungsbedarf wohnortnah an die neu eingerichtete Zentrale wenden. Hier werden die erforderlichen Hilfen koordiniert und einfache Behandlungsmaßnahmen direkt vom Fachpersonal durchgeführt. Dieses innovative Gesundheitsangebot steht allen Müttern und Vätern mit Kindern an den ausgewählten drei Modellstandorten zur Verfügung und bezieht Kinder mit Behinderungen von Eltern mit Migrations - oder Flüchtlingsgeschichte ein. Das Modellprojekt Zentralen Frühe Hilfen ist zum 01.10.2016 in den Landkreisen Northeim und Verden und zum 01.12.2016 in der Stadt Wilhelmshaven gestartet . (Ausgegeben am 26.04.2017) Drucksache 17/7876 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7606 Gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten mit Behinderung Anfrage der Abgeordneten Filiz Polat und Thomas Schremmer (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung