Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/7881 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7642 - Lagerstättenwasser aus der Förderung von Erdöl und Erdgas: Wie werden radioaktive Stoffe entsorgt? Anfrage der Abgeordneten Elke Twesten, Miriam Staudte und Volker Bajus (GRÜNE) an die Landesregierung, eingegangen am 21.03.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 24.03.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung vom 19.04.2017, gezeichnet Olaf Lies Vorbemerkung der Abgeordneten Bei der Förderung von Erdöl und Erdgas gelangen mit dem Lagerstättenwasser und Erdölbegleitgas auch natürlich vorkommende radioaktive Stoffe an die Erdoberfläche. Diese konzentrieren sich in Schlämmen oder in verfestigten Ablagerungen der Förder- und Transporteinrichtungen (Scales). Vorbemerkung der Landesregierung Bei der Erdöl- und Erdgasproduktion können in Abhängigkeit der standortspezifischen Lagerstättenverhältnisse Rückstände anfallen, die natürliche radioaktive Stoffe enthalten (normally occurring radioactive substances - sogenannte NORM-Stoffe). Diese Stoffe werden durch Lösungsvorgänge im Untergrund freigesetzt und gelangen gemeinsam mit dem Lagerstättenwasser an die Erdoberfläche . Das geförderte Öl und Gas ist selbst nicht radioaktiv. Die Konzentration der natürlichen radioaktiven Stoffe im Lagerstättenwasser ist so gering, dass sich die von ihnen ausgehende radioaktive Strahlung kaum von der überall vorkommenden Umgebungsstrahlung abhebt. An bestimmten Stellen in den ober- oder unterirdischen Produktionsanlagen kann es jedoch zu Ausfällungen der natürlichen radioaktiven Stoffe kommen, die sich dann als Krusten (Scales) in Rohren und Anlagenteilen der Produktionseinrichtungen oder auch in den Tankschlämmen ablagern. Diese radioaktiven Rückstände werden nach entsprechender Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde , in diesem Fall das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG), über zugelassene Entsorgungswege und Verfahren gemäß Strahlenschutzverordnung zum Zwecke einer bestimmten Beseitigung oder Verwertung aus der strahlenschutzrechtlichen Überwachung entlassen (§ 98 der Strahlenschutzverordnung) und gemäß den Bestimmungen des Abfallrechtes entsorgt. 1. Welche radioaktiven Stoffe fallen bei der Erdöl- und Erdgasförderung in Niedersachsen an? Wie bereits vorbemerkend erläutert, können bei der Produktion von Kohlenwasserstoffen Rückstände anfallen, die natürliche radioaktive Stoffe (sogenannte NORM-Stoffe) enthalten. „Trägermineralien “ der natürlichen Radionuklide sind hierbei Blei und Sulfate (insbesondere Bariumsulfat), die unter den Druck- und Temperaturbedingungen außerhalb der Lagerstätte kaum mehr löslich sind und daher im Produktionsprozess ausfallen. Die natürlichen radioaktiven Stoffe sind hierbei fest in einer mineralischen Matrix („Kesselstein“) eingebunden. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7881 2 So fallen feste Ablagerungen (Scales) beispielsweise in Steigrohren, Eruptionskreuzen (obertägiger Bohrlochverschluss) oder in Leitungen an. Pastöse Schlämme, d. h. Gemische aus flüssigen Kohlenwasserstoffen , Scale-Ausfällungen, Korrosionsprodukten (Rost) und Materialien aus der Lagerstätte (Ton und Sand), lagern sich vorwiegend in Tanks oder Abscheidern ab. Chemisch betrachtet, kommt es in den Ablagerungen und Schlämmen dabei zu einer Anreicherung der natürlichen Radionuklide Radium 226 und Radium 228 und Blei 210. 2. Welche Mengen dieser Stoffe sind bei der Förderung in Niedersachsen in den vergangenen fünf Jahren angefallen (bitte getrennt aufführen nach Schlämmen, Scales und gegebenenfalls Gasen)? In den Jahren 2012 bis 2016 sind bei Erdöl- und Erdgasgewinnung in Niedersachsen folgende Mengen natürlich radioaktiver Stoffe angefallen: Jahr Schlamm Scales Tonnen [t] Megabequerel [MBq] Tonnen [t] Megabequerel [MBq] 2012 220 4 800 65 150 2013 120 1 500 300 1 500 2014 120 3 000 270 8 200 2015 200 3 200 130 1 200 2016* 130 7 800 140 100 * für 2016 liegen noch nicht alle Mengen abschließend vor 3. Wie werden radioaktiv belastete Schlämme und Scales entsorgt? Mit radioaktiven Ablagerungen kontaminierte Stähle werden in der Regel als Rohstoff wieder gewonnen . Beim Einschmelzen des Stahls gelangt der gesamte radioaktiv belastete Scale in die Schlacke. Die Schlacke wird in zugelassenen Deponien entsorgt. Darüber hinaus kann belasteter Stahlschrott, in Abhängigkeit von den Entsorgungswegen, auch direkt auf zugelassenen Deponien entsorgt werden, wenn z. B. aus technischen Gründen ein Einschmelzen nicht möglich ist. Schlämme werden in der Regel thermisch behandelt. Durch den Entzug von Wasser und die Entfernung von Kohlenwasserstoffen erfolgt eine Volumenreduzierung von rund 40 %. Nach der thermischen Behandlung überbleibende mineralische Rückstände werden ebenfalls in zugelassenen Deponien entsorgt. 4. Welche rechtlichen Grundlagen gelten für den Umgang mit radioaktiven Stoffen aus der Erdöl- und Erdgasförderung? Der Umgang mit natürlich vorkommenden radioaktiven Stoffen aus der Erdöl- und Erdgasförderung unterliegt den Vorschriften der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV). 5. Wer ist für die Genehmigung der Entsorgung dieser Stoffe zuständig, und inwiefern ist dabei eine Beteiligung der Öffentlichkeit bzw. der betroffenen Kommunen erforderlich? Wie wird die Entsorgung dieser Stoffe dokumentiert? Der Umgang und die Entsorgung derartiger Rückstände wird seitens des LBEG nach Maßgabe der §§ 97 bis 101 StrlSchV in Abstimmung mit anderen gegebenenfalls betroffenen Behörden genehmigt und überwacht. Die NORM-Stoffe werden - anders als radioaktive Abfälle - nicht nach Maßgabe von § 29 StrlSchV aus der strahlenschutzrechtlichen Überwachung freigegeben, sondern können nach § 98 StrlSchV Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7881 3 bei Sicherstellung der dort genannten Randbedingungen aus der strahlenschutzrechtlichen Überwachung entlassen werden. Mitteilungs- und Meldepflichten über anfallende Rückstände mit erhöhter natürlicher Radioaktivität bestehen für die niedersächsischen Erdöl- und Erdgasunternehmen nicht, da die hierfür in der StrlSchV vorgesehene Mengenschwelle von über 2 000 t Material pro Jahr in keinem der Betriebe erreicht wird. Informationen über Art und Menge der anfallenden Rückstände ergeben sich im Falle der Entlassung von überwachungsbedürftigen Rückständen aus der Überwachung auf der Grundlage des § 98 StrlSchV. Soweit Rückstände die Überwachungsgrenzen nach § 97 StrlSchV nicht überschreiten oder nach § 98 StrlSchV aus der Überwachung entlassen werden, sind sie keine radioaktiven Stoffe im Sinne des Atom- und Strahlenschutzrechtes mehr und werden im Weiteren nach den abfallrechtlichen Vorschriften behandelt. Für die Beseitigung derartiger Abfälle erstellt die Niedersächsische Gesellschaft zur Endablagerung von Sonderabfall mbH (NGS) in einem mit dem LBEG abgestimmten Verfahren einen Zuweisungsbescheid , soweit es sich nach der Entlassung um gefährliche Sonderabfälle im Sinne des Niedersächsischen Abfallgesetzes handelt. Die angedienten Sonderabfälle werden damit von der Zentralen Stelle für Sonderabfälle einer zugelassenen und aufnahmebereiten Abfallentsorgungsanlage zugewiesen. 6. Unterliegt der Umgang mit diesen Stoffen der Strahlenschutzverordnung? Auf die Antwort zur Frage 4 wird verwiesen. Arbeiten mit solchen Rückständen unterliegen in der Regel keiner Überwachungspflicht im Rahmen des beruflichen Strahlenschutzes nach Teil 3 der Strahlenschutzverordnung, da die Strahlenexpositionen der Beschäftigten unterhalb von 1 Millisievert im Kalenderjahr liegt. Soweit in Einzelfällen erforderlich , kann die zuständige Behörde jedoch entsprechende Strahlenschutzmaßnahmen anordnen . 7. Wurden in Niedersachsen Rückstände aus der Erdöl- und Erdgasförderung in sogenannten Rohrcontainern in Bohrungen entsorgt? Wenn ja, um welche Bohrungen handelt es sich, und wird dies noch heute praktiziert? In der Vergangenheit, insbesondere in den 80er- und 90er-Jahren, wurden lagerstättenspezifische Produktionsrückstände, die mit natürlich vorkommenden radioaktiven Materialen und/oder Quecksilber und seinen Verbindungen kontaminiert sind, während der Verfüllung einzelner Bohrungen eingebracht. Dazu wurden die kontaminierten Produktionsrückstände in sogenannten Rohrcontainern zwischen senkrecht abdichtenden Zementstrecken (oberhalb und unterhalb des Rohrcontainers ) ins Bohrloch eingelassen. Bei den Rohrcontainern handelte es sich um ehemalige Förderrohre , die beidseitig zugeschweißt worden. Dieses Entsorgungsverfahren wird jedoch seit Jahren nicht mehr praktiziert (letztmalig im Februar 2003 im Zuge der Verfüllung der Bohrung Söhlingen Z6). In folgenden Bohrungen wurde dieses Verfahren angewandt: – Dageförde Z 1 (a) – Düste Z3 – Hankensbüttel Süd 19a – Hankensbüttel Süd 77 – Hankensbüttel Süd 88 – Hardesse 67 – Hardesse 76 – Hardesse 78 – Hengstlage T6 – Hohne 14 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7881 4 – Hohne 48 a – Hohnebostel 2 – Langförden Z1 – Munster Z4 – Munster Z5 – Oerrel-Süd 50 – Ortholz Z2 – Quaadmoor Z3 – Söhlingen Z6 – Soltau Z3 – Staffhorst Z8 – Syke Z3 – Visbek Z13 – Visbek Z15 – Wittorf Z1 – Wustrow Z8 – Wustrow Z10 – Wustrow Z16a 8. Wie viele genehmigte Versenkbohrungen gibt es derzeit in Niedersachsen (bitte jeweils angeben, ob und bis wann die Genehmigungen befristet sind)? In Niedersachsen gibt es derzeit noch 38 genehmigte Bohrungen für die unterirdische Versenkung von Lagerstättenwasser. Die bergrechtlichen Zulassungen der genehmigten Versenkbohrungen enden, sobald die maximal zulässige Gesamteinleitmenge erreicht ist. Angesichts des unternehmensspezifischen Lagerstättenwassermanagements und der schwankenden Lagerstättenwassermengen liegen der Landesregierung derzeit keine konkreten Erkenntnisse vor, zu welchem Zeitpunkt die zulässigen Einleitmengen bohrungsscharf erreicht werden. Darüber hinaus enden die bergrechtlichen Zulassungen, sofern die Versenkbohrungen die Anforderungen der neuen Gesetzgebung nicht erfüllen können. So ist die untertägige Ablagerung von Lagerstättenwasser in nicht druckabgesenkte Gesteinsformationen ab dem 07.08.2021 nicht mehr zulässig . Besonders betroffen hiervon sind die Unternehmen in den förderstarken Gebieten zwischen Elbe und Weser, die zum Teil Gesteinsformationen (sogenanntes Kalkarenit, eine Sonderform von Kalkstein), die künftig nicht mehr den gestiegenen Umweltschutzanforderungen entsprechen, nutzen . 9. Sind weitere Versenkbohrungen beantragt? Dem LBEG liegen derzeit keine Anträge für Vorhaben zur Versenkung von Lagerstättenwasser vor. 10. Die dieser Tage in Kraft getretene Bergrechtsreform sieht u. a. neue Regelungen für den Umgang und die Entsorgung von Lagerstättenwasser vor. Inwieweit haben sich die Anforderungen an den Umgang mit Lagerstättenwasser verändert, und welche Auswirkungen hat dies auf die Entsorgungspraxis in Niedersachsen, auch in Bezug auf die radioaktiven Inhaltsstoffe? Die aufgrund des Gesetzes zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie vom 04.08.2016 (BGBl. I S. 1972) nunmehr geltenden neuen Regelungen für den Umgang und die Entsorgung von Lagerstättenwasser lassen sich wie folgt zusammenfassen: Nach § 1 Nr. 2 c der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben (UVP-V Bergbau) bedarf die „Entsorgung oder Beseitigung, einschließlich Versenkbohrungen, der Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/7881 5 bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas und Erdöl aus der Lagerstätte nach über Tage geförderten Flüssigkeiten geogenen Ursprungs (Lagerstättenwasser)“ der Umweltverträglichkeitsprüfung . Entscheidend damit ändert sich auch das Zulassungsverfahren. So kann die Zulassung von einem Versenkvorhaben nur in einem transparenten Planfeststellungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden. Weiterhin stellt nach § 9 Abs. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz - WHG) „die untertägige Ablagerung von Lagerstättenwasser ...“ jetzt einen Benutzungstatbestand dar, für den eine wasserrechtliche Erlaubnis erforderlich ist. Damit wird nicht nur dem vorsorgenden Grund- und Trinkwasserschutzes in besonderer Weise Rechnung getragen, vielmehr werden die betroffenen Landkreise in den Entscheidungsprozess aktiv eingebunden. Auch wurde gemäß § 13 a Abs. 1 WHG ein generelles Verbot für Vorhaben zur untertägigen Ablagerung von Lagerstättenwasser in bestimmten Gebieten eingeführt. Dazu zählen: – Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebiete, – Einzugsgebiete von Talsperren und natürlichen Seen, die der Entnahme von Rohwasser für die öffentliche Wasserversorgung dienen, – Einzugsgebiete von Wasserentnahmestellen für die öffentliche Wasserversorgung sowie Einzugsgebiete von Brunnen nach dem Wassersicherstellungsgesetz, – das Einzugsgebiet eines Mineralwasservorkommens, einer Heilquelle oder einer Stelle zur Entnahme von Wasser zur Herstellung von Lebensmitteln. Zudem ist die untertägige Einbringung des Lagerstättenwassers prinzipiell nur dann zulässig, wenn der Unternehmer das Lagerstättenwasser in druckabgesenkte kohlenwasserstoffhaltige Gesteinsformationen (d. h. ehemalige Förderhorizonte) einbringt (§ 22 c Abs. 1 der Bergverordnung für alle bergbaulichen Bereiche [Allgemeine Bundesbergverordnung - ABBergV]). Diese Erdgas- oder Erdöllagerstätten haben durch ihre Existenz bereits über Jahrmillionen nachgewiesen, dass Gase oder Fluide über sehr lange Zeiträume sicher gespeichert werden können. Eine nachteilige Veränderung des Grundwassers darf hierdurch nicht zu besorgen sein. Für bestehende Versenkbohrungen ist im Rahmen der vom Gesetzgeber vorgegebenen Übergangsfristen sicherzustellen, dass der Stand der Technik eingehalten wird. Ab dem 07.08.2021 ist die untertägige Ablagerung von Lagerstättenwasser in nicht druckabgesenkte Gesteinsformationen gemäß § 22 c Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 22 c Abs. 4 ABBergV nicht mehr zulässig. (Ausgegeben am 26.04.2017) Drucksache 17/7881 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7642 Lagerstättenwasser aus der Förderung von Erdöl und Erdgas: Wie werden radioaktive Stoffe entsorgt? Anfrage der Abgeordneten Elke Twesten, Miriam Staudte und Volker Bajus (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr