Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8065 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7821 - Wer hat Vorrang: das Mufflon oder der Wolf? Anfrage der Abgeordneten Martin Bäumer und Ernst Ingolf Angermann (CDU) an die Landesregierung , eingegangen am 03.04.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 11.04.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 08.05.2017, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung der Abgeordneten Schon am 30. September 2015 veröffentlicht die Zeitung Die Welt in ihrer Onlineausgabe einen Artikel mit dem Titel „Die Rückkehr der Wölfe ist das Ende der Mufflons“. In diesem Artikel heißt es: „In einer Denkschrift des Instituts für Wildbiologie Göttingen/Dresden heißt es dazu: ‚Mit der Rückkehr des Wolfs wird sich die Verbreitungssituation des Muffelwildes radikal verändern. Die letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass das Auftreten von Wölfen zumindest im Flachland binnen kurzer Zeit zum Erlöschen der lokalen Vorkommen führt. So wird z. B. das Muffelwildvorkommen im Bereich der Göhrde aufgrund der rasanten Entwicklung des Wolfsbestands in Niedersachsen binnen weniger Jahre verschwinden. Diese Entwicklung wirft vor dem Hintergrund der Verbreitungsgeschichte und der akuten Bedrohung der Ausgangspopulationen die Frage nach einem möglichen unwiederbringlichen Verlust genetischer Diversität beim Mufflon als einzigem europäischem Wildschaf auf.‘“ In der Göhrde sollen von vormals 250 Tieren nur noch 50 Tiere leben, Grund dafür ist der Wolf, der den Bestand zunehmend dezimiert. Auf der Internetseite www.noen.at fand sich am 15. März 2017 ein Artikel mit der Überschrift „Reduzieren Wölfe den Mufflon-Bestand?“. Darin wird der Verdacht geäußert, dass in Niederösterreich von 800 bis 900 Mufflons nur noch 80 Tiere übrig seien. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weisen wir darauf hin, dass wir ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung unserer Fragen haben, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung Hinsichtlich der Einordnung als „heimisches Wildtier“ wird auf die vom Landwirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit der Landesjägerschaft herausgegebenen Landesjagdberichte verwiesen: „Mufflons gehören zur Gattung der Wildschafe, deren Vertreter über die nördliche Erdhalbkugel verbreitet sind. In Europa ist Muffelwild das einzige vorkommende Wildschaf. Mittlerweile haben Untersuchungen belegt, dass Muffelwild auf den häufig als Urheimat bezeichneten Inseln Korsika und Sardinien erst seit ca. 8 000 Jahren nachweislich vorkommt. Da zu dieser Zeit keine Landbrücke zu den Inseln mehr vorhanden war, kann von einer gezielten menschlichen Einbürgerung ausgegangen werden. Man geht heute davon aus, dass im Zuge der menschlichen Wanderungen domestizierte Wildschafe auf Flößen die Inseln erreichten und dort überlebensfähige Populationen Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8065 2 bildeten. Im Gegensatz dazu konnten die als Fleischlieferant gehaltenen und verwilderten Schafe auf dem Festland aufgrund des hohen Prädationsdrucks durch die großen Beutegreifer nicht überleben . Das Auftreten der Moderhinke, welches in erster Linie auf nicht artgerechte Standorte zurückgeführt wird, ist Grund für die immer häufiger laut werdende Forderung, das Muffelwild aus Tierschutzgründen zu eliminieren. In der Praxis gibt es Beispiele dafür, dass vermutlich nicht allein der Standort für diese Schalenerkrankung ausschlaggebend ist. In Brandenburg und der Magdeburger Börde lebt Muffelwild auf weichen Sand-/Lössböden. Hier wirken sich die Standorte nicht negativ auf die Schalen aus.“ (Quelle: Landesjagdbericht 2010/2011) „Das Europäische Mufflon, jägersprachlich Muffelwild oder kurz Muffel genannt, ist die westlichste und kleinste Unterart des Mufflons. Verbreitet war er ursprünglich nur auf den Mittelmeerinseln Korsika und Sardinien, ist inzwischen aber in zahlreichen Gegenden Europas eingeführt worden. Es ist unklar, ob der Europäische Mufflon durch Beschneidung der Lebensräume und starke Bejagung vor 3 000 bis 4 000 Jahren in Europa ausgerottet wurde und einzig auf Korsika und Sardinien überlebte oder ob er erst in vorgeschichtlicher Zeit in den Mittelmeerraum eingeführt wurde. Nach Meinung mancher Zoologen ist der Europäische Mufflon kein echtes Wildschaf, sondern Nachfahre einer sehr ursprünglichen Hausschafrasse. Tatsächlich gibt es starke Anzeichen dafür, dass Europäische Mufflons erst vor etwa 7 000 Jahren als Begleiter des jungsteinzeitlichen Menschen nach Korsika und Sardinien gelangten, da aus früheren Zeiten keine Spuren von ihnen auffindbar sind. In den letzten 200 Jahren sind Europäische Mufflons in Europa an verschiedenen Stellen ausgesetzt worden. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sie direkt aus Sardinien und Korsika als Park- und Jagdwild in Deutschland eingeführt. Hier trieb vor allem der Hamburger Kaufmann Oscar Louis Tesdorpf die Einbürgerung voran. Die ersten Exemplare wurden 1903 in der Göhrde ausgesetzt , die nächsten 1906 im Revier Harzgerode, dann folgten der Taunus und der Solling. Überall bevorzugte das Mufflon ebene oder niedere Lagen mit Waldbewuchs und nicht wie erwartet gebirgige Gegenden mit Felsen. Allmählich ging man dazu über, auch Hausschafmischlinge auszusetzen , insbesondere Kreuzungen mit dem Zackelschaf.“ (Quelle: Landesjagdbericht 2013/2014) Quellen: http://www.ml.niedersachsen.de/service/publikationen_downloads/landesjagdbericht-5156.html (jeweilige Downloaddateien für die betreffenden Jagdjahre) 1. Ist der Wolf in Deutschland aus naturschutzrechtlicher Sicht eine heimische Art? Ja. 2. Ist der Wolf in Deutschland im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes eine gebietsfremde Art? Nein. 3. Ist das Mufflon in Deutschland eine heimische Art? Beim Mufflon ist nicht eindeutig geklärt, ob es sich phylogenetisch um eine echte Wildtierart handelt oder um eine verwilderte alte Haustierrasse. Aus fachlicher Sicht ist das Mufflon nicht als einheimische Wildtierart einzustufen, da dieses in Deutschland künstlich eingebracht wurde. Vielfach haben auch nach der künstlichen Ansiedlung des Mufflons in Deutschland Vermischungen mit Hausschafen stattgefunden. 4. Ist das Mufflon in seinen Lebensräumen (z. B. in der niedersächsischen Göhrde) gebietsfremd ? Ja, das Mufflon, von Mittelmeerinseln stammend, wurde hier durch den Menschen zu jagdlichen Zwecken künstlich angesiedelt (z. B. Göhrde war Hof- bzw. Staatsjagdrevier). Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8065 3 Das Mufflon hat in Deutschland keine angestammten Lebensräume und kommt hier überwiegend in Lebensräumen vor, die wenig Ähnlichkeit mit seinen felsigen Herkunftsgebieten haben. Vor allem darin ist der Grund für die bei Mufflons weit verbreitete Huferkrankung „Moderhinke“ zu suchen. Teilweise sehr hohe Inzuchtraten führen bei den Freilandbeständen des Mufflons zu Degenerationserscheinungen , die, ohne Entnahme betroffener Tiere, für diese mit erheblichen Leiden bis hin zu qualvollem Verenden verbunden sind. Besonders auffällig sind hier z. B. sogenannte Einwachser , bei denen die Hörner durch fehlende Außenkrümmung mit zunehmendem Alter von oben in den Hals hineinwachsen oder so dicht an diesem entlangwachsen, dass die Beweglichkeit des Kopfes stark eingeschränkt und die Haut permanent wundgescheuert wird. 5. Ist die Ausbreitung des Wolfes in den Mufflonregionen (und die daraus drohende Ausrottung des Mufflon) aus Sicht des Bundesnaturschutzgesetzes als „invasiv“ zu bezeichnen ? Nein. 6. Falls ja, welche Folgen ergeben sich für das Handeln der Landesregierung aus § 40 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG? Entfällt. 7. Falls nein, wie beurteilt die Landesregierung in diesem Zusammenhang einen aktuellen Aufsatz in der Zeitschrift Natur und Recht von Steffen Guber und Prof. Dr. Dr. Sven Herzog? Dieser Aufsatz ist eine aus jagdlicher Motivation erstellte Darstellung und dient der Untermauerung der Vorstellungen der Autoren zum Umgang mit dem Wolf. Nach deren Auffassung soll der Wolf in das Jagdrecht überführt werden, damit ein jagdliches Wildtiermanagement durchgeführt werden kann. Dies steht im Widerspruch zu den europa- und bundesrechtlichen Vorschriften und entspricht nicht den Vorstellungen der Landesregierung und des Landtags. Der Landtag hat mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen 2016 einen Antrag zur Aufnahme des Wolfs in das Jagdrecht abgelehnt . 8. Wie berücksichtigt die Landesregierung den § 40 Abs. 3 Satz 1 des BNatSchG in Bezug auf das Mufflon und den Wolf in ihrem Handeln? § 40 Abs. 3 BNatSchG beinhaltet Regelungen für neu auftretende Tiere und Pflanzen invasiver Arten . Da weder der Wolf noch das Mufflon invasive Arten sind, ist diese Vorschrift hier nicht einschlägig . 9. Teilt die Landesregierung die in der Vorbemerkung wiedergegebene Auffassung, dass der Bestand des Mufflons in Deutschland bedroht ist (Antwort bitte begründen)? Als natürliche Feinde gelten im Mittelmeerraum und in den Hochgebirgen der Steinadler sowie der Luchs und der Wolf. Die Wildschafe haben im Laufe der Evolution sowohl individuelle als auch soziale Schutzstrategien entwickelt, um Feinden rechtzeitig entgehen zu können. In den Ursprungsgebieten Korsika und Sardinien entkommen die Wildschafe dem Wolf aufgrund ihrer tradierten exakten Habitatkenntnisse, indem sie geschickt Felspartien mit Klippen aufsuchen, in die der Wolf nicht folgen kann (PIEGERT & ULOTH 2000). Anders sieht es im flachen Gelände aus, hier fehlt diese Schutzstrategie. Daher dürfte es das Mufflon bei Anwesenheit großer Beutegreifer in demselben Lebensraum in flachem Gelände außerhalb der Mittelgebirge auf Dauer schwer haben, da es nicht über das entsprechende Verhaltensrepertoire verfügt, um, wie z. B. Reh-, Rot- und Damwild (ebenfalls eine zu jagd- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8065 4 lichen Zwecken künstlich bei uns angesiedelte Tierart aus anderen geographischen Regionen), mit der Bedrohung durch Wolf und Luchs leben zu können. Das Mufflon ist keine heimische Art, sondern wurde an verschiedenen Orten in Niedersachsen zu Jagdzwecken angesiedelt. Im vergangenen Jagdjahr wurden 412 Tiere erlegt. Bereits seit 1993 - also deutlich vor der Rückkehr des Wolfes - geht die Jagdstrecke des Mufflons in Niedersachsen erheblich zurück, wie der Landesjagdbericht zeigt. Aktuell scheint es in Niedersachsen insgesamt eine Stabilisierung der Jagdstrecken zu geben: Quelle: Landesjagdbericht 2017. (Ausgegeben am 16.05.2017) Drucksache 17/8065 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7821 Wer hat Vorrang: das Mufflon oder der Wolf? Anfrage der Abgeordneten Martin Bäumer und Ernst Ingolf Angermann (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz