Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8178 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7935 - Windpark in Utgast Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Dr. Stefan Birkner (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 26.04.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 03.05.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 30.05.2017, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung der Abgeordneten In Holtgast-Utgast (LK Wittmund) wird aktuell ein Windpark mit 40 neuen Anlagen geplant. Laut Bebauungsplan der Gemeinde Holtgast vom 30.05.2011 waren 39 neue Windkraftanlagen vorgesehen . Genehmigt wurden nun 40 neue Windräder. Am 29.12.2016 wurde im Anzeiger für Harlingerland bekannt gegeben, dass für 31 dieser 40 neuen Windkraftanlagen im Windpark Utgast im Rahmen der Repoweringmaßnahmen keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich sei. Vorbemerkung der Landesregierung Der Windpark Utgast wurde 1993 durch die 37. Änderung des Flächennutzungsplans der Samtgemeinde Esens ausgewiesen und mit 51 Windenergieanlagen (WEA) unterschiedlicher Typen bebaut . Seit 2009 werden die Alt-Anlagen durch neue ersetzt. Die Gemeinde Holtgast hat aus der 37. Änderung des Flächennutzungsplans der Samtgemeinde Esens den einfachen Bebauungsplan Nr. 8 „Windpark Utgast“ entwickelt, um Rahmenbedingungen für das geplante Repowering zu schaffen, z. B. Höhenbegrenzungen, Festlegung von Schallkontingenten oder von WEA freizuhaltende Flächen. Konkrete Anlagenstandorte oder auch eine zahlenmäßige Obergrenze wurden nicht bestimmt. Im Repowering-Windpark Utgast sind insgesamt 40 WEA des Typs ENERCON E-70 E4 mit einer Gesamthöhe von jeweils 99,50 m, Leistung 2,3 MW, genehmigt. Für die geplanten neuen WEA wurden überwiegend Einzelanträge gestellt, in wenigen Fällen wurden zwei oder drei neue WEA in einem Antrag zusammengefasst. Die letzten neuen Anlagen werden im Laufe dieses Jahres in Betrieb gehen. Die Alt-Anlagen werden entsprechend abgebaut. 1. Wie bewertet die Landesregierung das Vorgehen des Landkreises, für 31 von 40 neuen Anlagen keine Umweltverträglichkeitsprüfung für den Windpark durchzuführen? Von den insgesamt (seit 2009) 31 Verfahren wurden zwei mit Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und die restlichen 29 in vereinfachten Verfahren gemäß § 19 BImSchG durchgeführt. Zwei Verfahren waren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, weil aufgrund des Erreichens des Schwellenwertes von 20 WEA nach Nr. 1.6.1 der Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich wurde. In den anderen Fällen wurden jeweils allgemeine Vorprüfungen des Einzelfalls gemäß § 3 c UVPG durchgeführt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8178 2 Die Vorprüfungen haben in jedem Fall ergeben, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erforderlich war. 2. Nach welcher Rechtsvorschrift kann die UVP hier umgangen werden? Gemäß § 3 c Satz 1 UVPG war eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht geboten (siehe Antwort zu Frage 1). 3. Aus welchem Grund darf ein Windpark unmittelbar an ein Vogelschutzgebiet angrenzen ? Für EU-Vogelschutzgebiete und FFH-Gebiete greifen die Regelungen des § 34 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Danach sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen (§ 34 Abs. 1 BNatSchG). Für die Anforderungen an die Bewertung der FFH-Verträglichkeit ist nicht entscheidend, ob sich das Projekt im Vogelschutzgebiet oder angrenzend befindet. Neben der FFH-Verträglichkeitsprüfung sind die artenschutzrechtlichen Anforderungen des § 44 BNatSchG zu berücksichtigen. Im Einwirkungsbereich auf Natura-2000-Gebiete müssen daher beide Prüfungen durchgeführt werden. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung und die artenschutzrechtliche Prüfung erfolgen einzelfallbezogen. In verschiedenen fachlichen Leitfäden und mit dem seit dem 24.02.2016 verbindlich anzuwendenden „Leitfaden Umsetzung des Artenschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Niedersachsen“ (Anlage 2 zum Gem. RdErl. des MU, ML, MS, MW und MI „Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen an Land (Windenergieerlass)“) werden für WEA-empfindliche Vogelarten artspezifische Abstandsempfehlungen gemacht. Diese sind nicht als „Tabuzonen “ zu verstehen, in denen die Errichtung von WEA ausgeschlossen ist. Vielmehr indiziert das Einhalten der empfohlenen Abstände, dass artenschutzrechtliche Verbotstatbestände sowie eine erhebliche Beeinträchtigung von EU-Vogelschutzgebieten nicht vorliegen. Wird der fachlich empfohlene Abstand unterschritten, könnte dies ein Anhalt für eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos sein und eine Einzelfallprüfung ist angezeigt. Die Unterschreitung der Abstandsempfehlungen begründet insofern eine besondere Prüfpflicht. Wird in der erforderlichen Artenschutzprüfung festgestellt, dass artenschutzrechtliche Verbotstatbestände nicht vorliegen, und ist die Zulässigkeit im Sinne des § 34 BNatSchG (FFH-Verträglichkeit) gegeben, kann ein Windpark auch in einem Vogelschutzgebiet oder direkt angrenzend errichtet werden. Gegebenenfalls sind mit der Genehmigung Auflagen (Vermeidungs- und Kohärenzmaßnahmen ) verbunden. 4. Sind die Windkraftanlagen in Utgast als ein Windpark zu sehen und, wenn nein, warum nicht? Der Windpark Utgast ist als ein Windpark zu sehen. 5. Wie weit müssen Windparks voneinander entfernt stehen, um nicht als ein Windpark zu gelten? Die Frage, ob es sich um eine einzelne Windfarm (Windpark) oder um mehrere Windfarmen handelt , ist vom Einzelfall abhängig. Bezüglich einer Umweltverträglichkeitsprüfung hat das OVG Münster in seinem Urteil vom 23.07.2014 (8 B 356/14) Folgendes ausgeführt: „Eine Windfarm im Sinne der Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG ist dadurch gekennzeichnet, dass sie aus mindestens drei Windenergieanlagen be- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8178 3 steht, die einander räumlich so zugeordnet sind, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden oder wenigstens berühren. Entscheidend für das Vorhandensein einer Windfarm ist der räumliche Zusammenhang der einzelnen Anlagen. Sind die Anlagen so weit voneinander entfernt, dass sich die maßgeblichen Auswirkungen nicht summieren, so behält jede für sich den Charakter einer Einzelanlage . Verbindliche gesetzliche Bewertungsvorgaben etwa in der Form standardisierter Maßstäbe oder Rechenverfahren hinsichtlich der räumlichen Zuordnung von Windenergieanlagen, die eine Windfarm bilden, gibt es nicht. Welche Bewertungskriterien heranzuziehen sind, hängt vielmehr von den tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab, deren Feststellung und Würdigung im Streitfall dem Tatrichter obliegt. Aufgrund besonderer tatsächlicher Umstände kann daher eine von typisierenden Bewertungsvorgaben - wie etwa dem Abstellen auf eine Entfernung von weniger als dem 10-fachen des Rotordurchmessers, auf die Anlagenhöhe oder auf den geometrischen Schwerpunkt der von den Anlagen umrissenen Fläche - losgelöste Einzelfallbeurteilung anhand der konkreten Auswirkungen auf die Schutzgüter des UVP- und Immissionsschutzrechts angebracht sein.“ 6. Inwieweit ist nach Auffassung der Landesregierung ein Fledermausmonitoring erst ab Inbetriebnahme einer Anlage rechtens und sinnvoll? Der aus Sicht der Landesregierung sinnvolle Umgang mit Fledermäusen im Zuge der Planung und Genehmigung von WEA ist im „Leitfaden Umsetzung des Artenschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Niedersachsen“ (Anlage 2 zum Gem. RdErl. des MU, ML, MS, MW und MI „Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen an Land (Windenergieerlass )“) dargelegt. Dieser ist seit dem 24.02.2016 verbindlich anzuwenden. Der Leitfaden legt dar, dass eine Betroffenheit von Fledermäusen aus Gründen der Rechtssicherheit vor einer Zulassung der Anlagen eingehend geklärt werden sollte. Die Klärung kann nicht erst Gegenstand eines Höhen-/Gondelmonitorings nach Zulassung der WEA sein. Ein Monitoring dient dazu, bei Unsicherheit über die Wirksamkeit von Schutz- und Kompensationsmaßnahmen weitere Erkenntnisse über die Beeinträchtigungen zu gewinnen, um die Durchführung des Vorhabens zu steuern. Artenschutzrechtliche Konflikte mit Fledermäusen können im Regelfall durch geeignete Abschaltzeiten gelöst werden. Durch ein Fledermausmonitoring nach Inbetriebnahme einer Anlage (Gondelmonitoring ) können die Abschaltzeiten gegebenenfalls nachträglich „betriebsfreundlich“ optimiert werden. Für WEA-Planungen bzw. Genehmigungen, die vor Einführung des Windenergieerlasses bzw. des o. g. Artenschutzleitfadens begonnen wurden, macht der Leitfaden folgende Aussage: „Sofern vor Inkrafttreten des Leitfadens der Untersuchungsrahmen für ein Vorhaben zwischen unterer Naturschutzbehörde und Antragsteller bereits abgestimmt worden ist, sind keine weitergehenden Untersuchungen erforderlich, wenn von diesen kein entscheidungsrelevanter Erkenntnisgewinn zu erwarten ist“. 7. Ist es nach Auffassung der Landesregierung rechtens, dass eine Windkraftanlage unter Volllast läuft, wenn das Gebiet für Anlagen mit reduziertem Immissionskontingent vorgesehen ist? Gegenstand der akustischen Beurteilung ist immer die Gesamtbelastung am maßgeblichen Immissionsort ; dies sind alle Anlagen im Einwirkungsbereich einer zu genehmigenden Anlage (TA Lärm 2.2). Zur Einhaltung der Richtwerte ergeben sich für einzelne Anlagen gemäß Bericht des Landkreises Auflagen, die für die Nachtzeit nur einen schallreduzierten Betrieb (reduzierte Leistung und Drehzahl) der Anlage zulassen. Diese Auflagen sind aber nicht zwangsläufig für alle Anlagen erforderlich . Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8178 4 8. Weshalb konnten mehr Anlagen genehmigt werden, als im Bebauungsplan der Gemeinde Holtgast vorgesehen sind? Nach Bericht des Landkreises Wittmund wurde im Bebauungsplan Nr. 8 der Gemeinde Holtgast keine zahlenmäßige Obergrenze für die Windkraftanlagen vorgesehen. 9. Wer trägt konkret die Beweislast für Lärmbelastungen durch Windkraftanlagen? Die Beweislast der Sicherstellung der Nichtüberschreitung der Immissionsrichtwerte (TA Lärm 6.1) trägt der Anlagenbetreiber. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens wurden daher mehrere individuelle und ein Gesamt-Lärmgutachten vorgelegt und für einige Anlagen Messungen angeordnet. 10. Muss in Schallgutachten die Windrichtung bei den Berechnungen der Schallimmission angegeben werden? Die Ermittlung der Geräuschimmissionen erfolgt auf Basis der DIN ISO 9613-2 unter Mitwindbedingungen . Die verschiedenen Witterungsbedingungen sind zu berücksichtigen, um den Langzeitmittelungspegel zu berechnen (TA Lärm A.1.2). (Ausgegeben am 31.05.2017) Drucksache 17/8178 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7935 Windpark in Utgast Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz