Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8317 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8095 - Werden niedersächsische Bürger mit den Kosten für die Beseitigung von Blindgängern allein gelassen? Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 10.05.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 18.05.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 14.06.2017, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung des Abgeordneten Seit dem Ende des 2. Weltkrieges liegen in niedersächsischem Boden immer noch Blindgänger aus Bombenabwürfen, die nach und nach durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst entfernt werden. Die Suche nach den Kampfmitteln und die Entfernung der gefunden Bomben, die gegebenenfalls noch explosionsfähig sind, verursachen Kosten, die zum Teil niedersächsischen Bürgern aufgebürdet werden. In einem Bericht des NDR heißt es zu der Auswertung von Luftbildern in Lüneburg: „Wenn an den Verdachtspunkten in den Stadtteilen Wilschenbruch, Rotes Feld und Schäferfeld keine Blindgänger gefunden werden, zahlt die Stadt die Sondierungsarbeiten. Finden die Experten aber tatsächlich Weltkriegsbomben, würden die Eigentümer zur Kasse gebeten, sagt der Leiter des Ordnungsamts, Joachim Bodendieck. Es könnten 20 Grundstückseigentümer betroffen sein. Je nach Aufwand könnten Kosten zwischen einigen Tausend und mehreren Zehntausend Euro entstehen . Die Beseitigung der Weltkriegsbombe durch den Kampfmittelräumdienst werde aber nicht in Rechnung gestellt.“ Auch in Georgsmarienhütte (Landkreis Osnabrück) soll die Suche nach Blindgängern fortgesetzt werden. Seit Mitte März geht in der Hüttenstadt die 2014 begonnene Überprüfung weiter, ob sich vorliegende Verdachtsmomenten für einen Blindgänger im Erdreich bestätigen. Für betroffene Anlieger sind das Verfahren und die Kostenträgerschaft unbefriedigend. In einem Leserbrief vom 13. April 2017 in der Neuen Osnabrücker Zeitung heißt es dazu: „Manche Bombe reißt 10 m breite Krater in Häuser, Straßen, Fabrikanlagen etc., manche fallen auf weiches Ackeroder Brachland und explodieren nicht, sondern verschwinden im Boden. Aber hinterlassen immerhin ein Einschlagloch, das nach dem Bombenangriff noch aus großer Höhe fotografiert werden konnte. Nach vielen Jahren wird der Acker zu Bauland und wird durch den ,Häuslebauer‘ teuer erworben . Und dieser Mensch soll nun dafür zahlen, dass man ihm ein Grundstück mit Blindgänger ,angedreht‘ hat.“ Vorbemerkung der Landesregierung Nach Artikel 30 des Grundgesetzes (GG) ist die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder , soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Diese Aufgaben werden von den Ländern gemäß Artikel 83 GG in eigener Zuständigkeit ausgeführt. Für die Beseitigung von Kampfmitteln der beiden Weltkriege sowie für damit belastete Böden trifft das Grundgesetz keine besonderen Regelungen. Die Erledigung dieser Aufgaben ist als Gefahrenabwehr zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung sowie zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für Leben oder Gesundheit der Allgemeinheit geboten. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8317 2 Die Kampfmittelbeseitigung in Niedersachsen ist folglich eine Aufgabe der allgemeinen Gefahrenabwehr . Zwar obliegt die Verpflichtung zur Kampfmittelbeseitigung als Gefahrenabwehr nach Artikel 30 GG grundsätzlich dem Land Niedersachsen, es hat jedoch die Verpflichtung zur allgemeinen Gefahrenabwehr auf die Gemeinden als zuständige Gefahrenabwehrbehörden, zuletzt mit Verabschiedung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) vom 19.01.2005, übertragen. Die Gemeinden als zuständige Gefahrenabwehrbehörden treffen daher alle hoheitlichen Maßnahmen , die gegenüber Grundstückseigentümern und anderweitig Verantwortlichen erforderlich sind. Sie entscheiden auch über erforderliche Sperrungen, Evakuierungen etc. Dabei werden sie gegebenenfalls durch die Polizei und andere Einrichtungen vor Ort unterstützt. Zur weiteren Unterstützung der Gemeinden in Niedersachsen hält das Land personelle und technische Mittel vor, die im Rahmen der Amtshilfe für die zuständigen Gemeinden eingesetzt werden. Diese ausführende Organisationseinheit ist der Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Niedersachsen (KBD). Die Landesregierung hat am 22.11.2011 beschlossen, das Dezernat 55 der Zentralen Polizeidirektion (Kampfmittelbeseitigungsdienst) mit Wirkung vom 01.01.2012 in das heutige Landesamt für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen zu verlagern. Gleichzeitig wurde beschlossen, den Aufgabenbereich Kampfmittelbeseitigung hinsichtlich der Aufgabenwahrnehmung und der Kostentragung neu zu strukturieren: Aufgabenwahrnehmung Die systematische Auswertung von Luftbildaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg zum Auffinden von Bomben, die Auswertung für einzelne Grundstücke auf Antrag, die tatsächliche Bergung, die Entschärfung, der Transport und die Zwischenlagerung von Kampfmitteln werden vom Land mit eigenem Personal wahrgenommen. Daneben unterstützt das Land die Gemeinden als zuständige Gefahrenabwehrbehörden bei ihrer Aufgabenwahrnehmung beratend. Alle Aufgaben im Bereich der Gefahrenerforschungsmaßnahmen, wie z. B. die Einmessung von Blindgängerverdachtspunkten, Sondierungsmaßnahmen, die Freilegung von Verdachtspunkten und notwendige Vor- und Nebenarbeiten für Blindgängerbergungen, werden auf Veranlassung der Grundstückseigentümer oder aber der zuständigen Gefahrenabwehrbehörden durch gewerbliche Fachfirmen wahrgenommen. Die tatsächliche Vernichtung der Kampfmittel erfolgt durch gewerbliche Fachfirmen. Kostentragung Die für die systematische Auswertung von Luftbildaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg zum Auffinden von Bomben entstehenden Kosten werden vom Land getragen; die für die Auswertung für einzelne Grundstücke auf Antrag entstehenden Kosten trägt der Antragsteller. (Die auf Antrag für einzelne Grundstücke erstellte Auswertung von Luftbildaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg zum Auffinden von Bomben dient insbesondere dazu, bei geplanten Baumaßnahmen gegebenenfalls Untersuchungen veranlassen zu können, um Unfällen mit Kampfmitteln bei den anschließenden Bauarbeiten vorzubeugen. Die Veranlassung einer derartigen Auswertung vor einem beabsichtigten Grundstückserwerb kann den potenziellen Erwerber aber auch vor einen möglichen Fehlkauf im Hinblick auf das Vorhandensein von Kampfmitteln auf dem Grundstück schützen) Das Land trägt daneben aus Billigkeitsgründen den Teil der bei der Beseitigung von Kampfmitteln anfallenden Kosten, der der Abwehr einer unmittelbaren Gefahr dient. Es trägt daher die Kosten der tatsächlichen Bergung, der Entschärfung, des Transports und der Vernichtung eines Kampfmittels . Dazu gehören jedoch nicht gegebenenfalls erforderliche Vor- und Nebenarbeiten, insbesondere nicht das Abräumen von Gegenständen oberhalb des Erdreichs. Kosten, die im Bereich der Gefahrenerforschungsmaßnahmen, wie z. B. der Einmessung von Blindgängerverdachtspunkten, Sondierungsmaßnahmen sowie der Freilegung von Verdachtspunkten entstehen, werden ausschließlich vom jeweiligen Veranlasser getragen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8317 3 1. Welche unterschiedlichen Kosten können bei der Blindgängersuche und der Beseitigung von Kampfmitteln entstehen? Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. 2. Wie ist die Kostenträgerschaft für die unterschiedlichen Kosten gesetzlich geregelt? Die Kampfmittelbeseitigung in Niedersachsen ist eine Aufgabe der allgemeinen Gefahrenabwehr, die Kostenträgerschaft richtet sich daher nach den Regelungen des Gefahrenabwehrrechts. Die Gemeinde als die für die Kampfmittelbeseitigung zuständige Gefahrenabwehrbehörde kann nach der geltenden Rechtslage grundsätzlich den jeweiligen Grundstückseigentümer als Zustandsverantwortlichen für sein Grundstück mit den Kosten der Beseitigung von Kampfmitteln in Anspruch nehmen. Der Grundstückseigentümer ist als Zustandsverantwortlicher nach § 7 Abs. 2 Nds. SOG ordnungspflichtig. Nach dieser Vorschrift ist der Eigentümer einer Sache für deren ordnungsgemäßen Zustand verantwortlich. Die zuständige Gefahrenabwehrbehörde gibt dem Grundstückseigentümer durch Verfügung auf, die Gefahr zu beseitigen, d. h. das Kampfmittel von seinem Eigentum in geeigneter Weise zu entfernen . Der Grundstückseigentümer ist damit verpflichtet, die in der Verfügung vorgesehenen Maßnahmen vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen oder zu dulden. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Beseitigungsverfügung liegen in der Regel vor, wenn sich ein Kampfmittel auf einem Grundstück befindet. Die Kampfmittelbeseitigung dient der Abwehr einer Gefahr im Sinne von § 11 Nds. SOG. Das führt im Ergebnis dazu, dass der Grundstückseigentümer nach geltender Rechtslage grundsätzlich sämtliche für die Beseitigung der Gefahr (des Kampfmittels) auf seinem Grundstück entstehende Kosten zu tragen hat. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit können sich jedoch Grenzen seiner Verantwortlichkeit ergeben. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass aufgrund der Eigentumsgarantie des Artikels 14 GG eine Grenze der Zumutbarkeit im Hinblick auf die Belastung mit den Kosten der Gefahrenbeseitigung gegeben ist, wenn der Eigentümer sich aus seiner Sicht in einer „Opferposition“ befindet. Eine Unzumutbarkeit für die Belastung des Eigentümers mit den Kosten einer Sanierungsmaßnahme ergibt sich regelmäßig allerdings erst, wenn die Kosten der Sanierung den Verkehrswert des Grundstücks nach Durchführung der Sanierung übersteigen. Um die finanziellen Belastungen für den Grundstückseigentümer bei der Kampfmittelbeseitigung jedoch ungeachtet der geltenden Rechtslage möglichst gering zu halten, wird er in Niedersachsen zur Deckung der entstehenden Kosten für die tatsächliche Bergung, die Entschärfung, den Transport und die Vernichtung eines Kampfmittels nicht herangezogen. Darüber hinaus haben bislang die Gefahrenabwehrbehörden die ihnen durch die Sicherungs- und Evakuierungsmaßnahmen bei der Kampfmittelbeseitigung entstehenden Kosten überwiegend selbst getragen und nicht nach erfolgter Prüfung auf den möglicherweise nach § 7 Nds. SOG Verantwortlichen und entsprechend Kostenpflichtigen abgewälzt. Der KBD wird bei der Kampfmittelbeseitigung im Wege der Amtshilfe für die Gefahrenabwehrbehörde unterstützend tätig. Die dem KBD im Rahmen der Amtshilfe entstandenen Auslagen sind nach den gesetzlichen Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) grundsätzlich erstattungspflichtig . Er übernimmt jedoch für die nach § 7 Nds. SOG Verantwortlichen aus Billigkeitsgründen den Teil der bei der Beseitigung von Kampfmitteln anfallenden Kosten, der der Abwehr einer unmittelbaren Gefahr dient. Das Land trägt daher derzeit die bereits oben genannten Kosten der tatsächlichen Bergung, der Entschärfung, des Transports und der Vernichtung eines Kampfmittels . Gefahrerforschungseingriffe auf der Grundlage des § 11 Nds. SOG sind anerkannte Maßnahmen der Gefahrenabwehrbehörden sowie auch der Polizei. Hierzu zählen auch Sondierungsmaßnahmen aufgrund von Hinweisen auf das Vorhandensein von Kampfmitteln. § 66 Nds. SOG sieht die Ermächtigung vor, Kosten - auch - für Gefahrerforschungseingriffe geltend zu machen. Die hierfür Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8317 4 anfallenden Kosten können dem Polizeipflichtigen - Verhaltens- oder Zustandsverantwortlichen - auferlegt werden, wenn sich der Gefahrenverdacht bestätigt. Andernfalls verbleiben jene Kosten bei der Behörde, die den Gefahrerforschungseingriff veranlasste (s. § 24 VwVfG). 3. Gibt es die Möglichkeit von Härtefallprüfungen im Einzelfall, und wer entscheidet darüber ? Die Gemeinden können die nach § 7 Nds. SOG verantwortlichen Grundstückseigentümer als Zustandsstörer zur Kostentragung für die ihnen entstandenen Kosten grundsätzlich heranziehen. Inwieweit sie hierauf aus Billigkeitsgründen verzichten, bleibt jedoch ihnen überlassen. Ebenso steht es ihnen frei, über mögliche Härtefallprüfungen im Einzelfall zu entscheiden. 4. Hält die Landesregierung die Verteilung der Kosten für gerechtfertigt, oder sieht sie Verbesserungsbedarf? Der Grundstückseigentümer wird in Niedersachsen weder zur Deckung der entstehenden Kosten für die tatsächliche Bergung noch für die Entschärfung, den Transport und die Vernichtung eines Kampfmittels herangezogen. Vielmehr übernehmen Bund und Land diese Kosten aus Billigkeitsgründen . Dabei trägt das Land Niedersachsen im Regelfall die Kosten für die Beseitigung von alliierter Munition auf nicht bundeseigenen Liegenschaften; der Bund trägt die Kosten, sofern es sich um ehemals reichseigene Munition handelt. Daneben steht es alleinig in der Verantwortung der zuständigen Gefahrenabwehrbehörde, im Einzelfall zu entscheiden, ob sie den nach § 7 Nds. SOG verantwortlichen Grundstückseigentümer als Zustandsstörer zur Kostentragung für die ihr entstandenen Kosten heranzieht. Dabei steht es ihr selbstverständlich frei, auf die Heranziehung zu den Kosten in Abwägung aller maßgeblichen Umstände in dem zu entscheidenden Einzelfall aus Billigkeitsgründen - gegebenenfalls auch teilweise - zu verzichten. Die bisherige Praxis der zuständigen Gefahrenabwehrbehörden, die Erstattung der durch die Evakuierung eines bestimmten Gebietes anlässlich einer Bombenräumung entstandenen Kosten gegenüber einem privaten Grundstückseigentümer nicht geltend zu machen, um die finanziellen Belastungen für den Betroffenen bei der Kampfmittelbeseitigung ungeachtet der geltenden Rechtslage möglichst gering zu halten, wird für verständlich und nachvollziehbar gehalten. 5. Warum werden nicht alle anfallenden Kosten durch den Staat getragen? Wie dargestellt, hat der Grundstückseigentümer nach geltender Rechtslage grundsätzlich sämtliche für die Beseitigung der Gefahr (des Kampfmittels) auf seinem Grundstück entstehende Kosten zu tragen. In Niedersachsen wird er jedoch aus Billigkeitsgründen zumindest zur Deckung der entstehenden Kosten für die tatsächliche Bergung, die Entschärfung, den Transport und die Vernichtung eines Kampfmittels nicht und ganz überwiegend auch nicht für die durch die Sicherungs- und Evakuierungsmaßnahmen bei der Kampfmittelbeseitigung entstehenden Kosten eines Kampfmittels herangezogen. Diese beschriebene geübte Praxis wird im Hinblick auf die Gesamtverantwortlichkeit des Staates für die Hinterlassenschaften der beiden Weltkriege für ausreichend und auch gerechtfertigt gehalten . Auf die eigenständigen Entscheidungen der zuständigen Gefahrenabwehrbehörden hinsichtlich der Geltendmachung ihrer Erstattungsansprüche wird seitens der Landesregierung kein Einfluss genommen. (Ausgegeben am 19.06.2017) Drucksache 17/8317 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8095 Werden niedersächsische Bürger mit den Kosten für die Beseitigung von Blindgängern allein gelassen? Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport