Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8337 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8092 - Kann Niedersachsen seinen Strombedarf ohne konventionelle Kraftwerke decken? Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Dr. Stefan Birkner (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 09.05.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 18.05.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 16.06.2017, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung der Abgeordneten Laut einem vom Umweltministerium in Auftrag gegebenen Gutachten „verstopfen konventionelle Kraftwerke Stromnetze“. Eine schnellere Abschaltung von konventionellen Kraftwerken spare zudem Netzkosten. Vorbemerkung der Landesregierung Die Stromnetze stoßen zunehmend an ihre Belastungsgrenzen. Im vergangenen Jahr mussten die Übertragungsnetzbetreiber bereits an mehr als 330 Tagen Maßnahmen zur Vermeidung von Netzengpässen durchführen. Im ersten Quartal dieses Jahres gab es - den Angaben der Übertragungsnetzbetreiber folgend - sogar nur einen einzigen Tag, an dem keine dieser Maßnahmen erforderlich waren. Dabei wurden auch regenerative Stromerzeugungsanlagen in beträchtlichem Maße abgeregelt . Dies verdeutlicht, dass die Stromnetze fit gemacht werden müssen für die Energiewende. Dabei sollten auch bestehende Potentiale zur Netzentlastung effektiv eingebunden werden. Ein vertiefter Blick auf das Stromversorgungssystem zeigt, dass die Stromnetze in erheblichem Maße durch konventionelle Kraftwerke ausgelastet werden, die auch in Phasen eines hohen Stromdargebots nahezu durchgehend am Netz verbleiben und weiter Strom produzieren. So hat eine von den Übertragungsnetzbetreibern veröffentlichte Studie im vergangenen Jahr gezeigt, dass auch bei negativen Börsenstrompreisen konventionelle Kraftwerke mit einer Leistung von 25 GW kontinuierlich am Netz verbleiben und Strom produzieren (vgl. Consentec (2016): Konventionelle Mindesterzeugung - Einordnung, aktueller Stand und perspektivische Behandlung). Grundsätzlich bedarf es derzeit noch einer gewissen Mindestleistung konventioneller Kraftwerke zur Bereitstellung von Systemdienstleistungen (beispielsweise Momentanreserve, Regelleistung, Blindleistung oder Kurzschlussleistung), sodass selbst an Tagen, an denen rechnerisch genügend Strom aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung stünde, Kraftwerke aus Sicherheitsgründen betrieben werden müssen. Das zentrale Ziel des vom Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz in Auftrag gegebenen Gutachtens bestand darin, die Höhe dieser für einen stabilen Netzbetrieb erforderlichen konventionellen Mindestleistung abzuschätzen. Die Berechnungen zeigen, dass unter Berücksichtigung der nötigen Systemdienstleistungen insbesondere für die erforderliche Momentanreserve die aus netztechnischer Sicht erforderliche konventionelle Mindestleistung deutlich unterhalb der aktuell zu beobachtenden Dauerstromproduktion konventioneller Kraftwerke liegt. Zu einem vergleichbaren Ergebnis ist kürzlich auch die Bundesnetzagentur in ihrem „Bericht über die Mindesterzeugung“ gekommen (vgl. Bundesnetzagentur [2017]: Bericht über die Mindesterzeugung ). Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8337 2 Die konventionelle Dauerstromproduktion geht damit im Kern oftmals auf die Inflexibilität insbesondere älterer Kohle- und Atomkraftwerke sowie ökonomische Fehlanreize zurück und nicht auf Erfordernisse der Versorgungssicherheit. In den vergangenen Jahren haben die Anzahl und der Umfang der Eingriffe der Netzbetreiber zur Engpassvermeidung erheblich zugenommen. Die Kosten dieser Maßnahmen müssen von den Stromverbraucherinnen und Stromverbrauchern getragen werden. Die Bundesnetzagentur hat die Höhe dieser Kosten im Jahr 2015 bereits auf etwa 1 Milliarde Euro beziffert. In Bezug auf die übergeordnete Fragestellung dieser Kleinen Anfrage ist somit hervorzuheben, dass die Einspeisung konventioneller Kraftwerke nicht zu jedem Zeitpunkt in dem aktuell zu beobachtenden Maße erforderlich ist, um eine stabile und sichere Stromversorgung in Niedersachsen und Deutschland zu gewährleisten. Entsprechend könnten in Netzengpasssituationen durch eine Absenkung der konventionellen Dauerstromproduktion auf das für die Netzstabilität erforderliche Maß die kostenintensiven Eingriffe zur Engpassvermeidung reduziert werden. Dies würde die Stromverbraucherinnen und Stromverbraucher entlasten und zusätzliche Netzkapazitäten für erneuerbare Energien öffnen, ohne dass die Versorgungssicherheit beeinträchtigt würde. In diesen Stunden müssen konventionelle Kraftwerke schneller abschalten, sprich sie müssen flexibler reagieren , auch um dem Einspeisevorrang für erneuerbare Energien zu genügen. Hierfür bedarf es u. a. wirksamer Anreize für einen flexiblen und netzdienlichen Betrieb konventioneller Kraftwerke. Um darüber hinaus die derzeit aus netztechnischer Sicht noch erforderliche konventionelle Mindestleistung zu reduzieren, sollten Systemdienstleistungen künftig zudem verstärkt durch erneuerbare Energien und Flexibilitätsoptionen wie Speicher erbracht werden. Auf Initiative von Umweltminister Stefan Wenzel hat die 88. Umweltministerkonferenz am 05.05.2017 einstimmig den Beschluss „Entlastung der Stromnetze durch eine Absenkung der Mindestleistung (‚must-run‘) konventioneller Kraftwerke“ gefasst, mit dem der Handlungsbedarf und die Effizienzpotentiale im Bereich der konventionellen Dauerstromproduktion aufgezeigt werden. 1. Wer hat das Gutachten gemacht? Das Gutachten wurde vom Energie-Forschungszentrum Niedersachsen (EFZN) erstellt. 2. Wie viel hat das Gutachten gekostet? Das Gutachten wurde für 24 000 Euro zuzüglich MwSt. beauftragt. 3. Was war der genaue Auftrag an die Gutachter? Der Auftrag an die Gutachter lässt sich im Kern in vier Bereiche unterteilen. Erstens eine trennscharfe definitorische Abgrenzung der aus netztechnischer Sicht erforderlichen konventionellen Mindestleistung. Zweitens eine quantitative Analyse der aktuell und in Zukunft für die Erbringung von Systemdienstleistungen erforderlichen konventionellen Mindestleistung. Drittens eine Abschätzung , inwieweit Systemdienstleistungen zukünftig zunehmend durch Erzeugungsanlagen auf Basis von erneuerbaren Energien bereitgestellt werden können. Viertens eine Analyse des derzeitigen Betriebs konventioneller Kraftwerke in Niedersachsen. 4. Kann Niedersachsen nach Auffassung der Landesregierung aktuell ohne konventionelle Kraftwerke seinen Strombedarf zu jeder Zeit decken? 5. An wie vielen Tagen der Jahre 2016 und 2017 konnte Niedersachsen seinen Strombedarf zu jeder Zeit durch erneuerbare Energien decken? 6. Wie viel Speicherkapazität fehlt Niedersachsen nach Auffassung der Landesregierung aktuell, um den Strombedarf Niedersachsens ohne konventionelle Kraftwerke zu decken ? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8337 3 Die Fragen 4 bis 6 werden aufgrund des sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Wie in den Vorbemerkungen bereits ausgeführt, zeigt das vom Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz in Auftrag gegebene Gutachten, dass die Einspeisung konventioneller Kraftwerke nicht zu jedem Zeitpunkt in dem aktuell zu beobachtenden Maße erforderlich ist, um eine stabile und sichere Stromversorgung in Niedersachsen und Deutschland zu gewährleisten. Im Übrigen ist anzumerken, dass die Energiewende ein langfristig angelegter Prozess ist, der eine nahezu vollständige Dekarbonisierung der Energieversorgung zum Ziel hat. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist seit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 erfolgreich vorangegangen. Bundesweit lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch im Jahr 2016 nach Angaben der AG Energiebilanzen bereits bei 31,7 %. Für Niedersachsen liegen aktuell nur Daten bis zum Jahr 2015 vor. In diesem Jahr konnte der Stromverbrauch in Niedersachsen bilanziell bereits zu fast 75 % aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, die im Land erzeugt oder dort eingespeist wurden. Die erneuerbaren Energien sind damit zur zentralen Stütze der Stromversorgung geworden. Zugleich wird deutlich, dass die Energiewende noch lange nicht am Ziel ist und eine Vollversorgung auf Basis erneuerbarer Energien zu jedem Zeitpunkt derzeit noch nicht möglich ist. Diese erfordert einen weiteren ambitionierten Ausbau der erneuerbaren Energien und komplementärer Flexibilitätsoptionen wie insbesondere Speicher. Die Landesregierung setzt sich intensiv dafür ein, dass die hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Höhe der für eine autarke Vollversorgung Niedersachsens mit erneuerbaren Energien erforderlichen Stromspeicherkapazität wurde im Rahmen des Gutachtens „Szenarien zur Energieversorgung in Niedersachsen im Jahr 2050“ abgeschätzt. Die Feinjustierung der den Szenarien zugrunde liegenden Annahmen erfolgte dabei in Zusammenarbeit mit dem „Runden Tisch Energiewende“, dem rund 50 Persönlichkeiten aus der niedersächsischen Wirtschaft und Energiewirtschaft, aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Kommunen, Kirchen, Kammern, öffentlichen Einrichtungen sowie Umwelt- und Fachverbänden angehören. Die Gutachter beziffern den Bedarf an Stromspeicherkapazität im Szenario „100 Prozent EE“ auf etwa 13,6 TWh (vgl. Faulstich et al. [2016]: Szenarien zur Energieversorgung in Niedersachsen im Jahr 2050, S. 48). Diese Berechnung basiert auf dem Einspeiseprofil der dargebotsabhängigen erneuerbaren Energieträger aus dem Jahr 2012. Anzumerken ist, dass Sensitivitätsanalysen in vergleichbaren Studien zeigen, dass eine Veränderung des Bezugszeitraums einen erheblichen Einfluss auf die Höhe der erforderlichen Stromspeicherkapazität haben kann. Zugleich bedarf es heute und in Zukunft Erzeugungsanlagen, die die Residuallast abdecken. Dies sind derzeit noch im Wesentlichen konventionelle Kraftwerke. Zukünftig werden es zunehmend neben Speichern und sonstigen Flexibilitätsoptionen Erzeugungsanlagen sein, die Gas, insbesondere aus erneuerbaren Energien elektrolytisch gewonnenes Gas, rückverstromen. (Ausgegeben am 21.06.2017) Drucksache 17/8337 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8092 Kann Niedersachsen seinen Strombedarf ohne konventionelle Kraftwerke decken? Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz