Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8451 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8276 - Rüstet Niedersachsens Polizei heimlich auf? Anfrage der Abgeordneten Thomas Adasch und Angelika Jahns (CDU) an die Landesregierung , eingegangen am 09.06.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 13.06.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 12.07.2017, gezeichnet In Vertretung des Staatssekretärs Friedhelm Meier Vorbemerkung der Abgeordneten Der NDR fragt auf seiner Internetseite am 11.05.2017, ob die Landesregierung auf eine Anfrage der CDU-Landtagsabgeordneten Angelika Jahns und Thomas Adasch fehlerhaft geantwortet habe. Der Bund der Kriminalbeamten soll laut NDR in einem internen Schreiben fragen, ob die Spitze des Innenministeriums über die Vorgänge im eigenen Haus ausreichend informiert sei. Hintergrund sind die Antworten der Landesregierung auf die Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung der Abgeordneten Angelika Jahns und Thomas Adasch „Rüstet Niedersachsens Polizei wirklich auf?“ nach der Ausstattung der niedersächsischen Polizei mit sogenannten Sturmgewehren (Drs. 17/7500). In der Anfrage wurde u. a. gefragt, wie viele sogenannte Sturmgewehre, wie das bekannte Gewehr G36 der Firma Heckler & Koch, in der niedersächsischen Polizei vorhanden seien oder ob die Beschaffung geplant sei. Die Landesregierung nannte auf diese Frage in ihrer Antwort (Drs. 17/7696) keine konkrete Zahl, sondern führte lediglich aus, dass die Spezialeinheiten der niedersächsischen Polizei im erforderlichen Maß mit Gewehren des Typs G36 ausgestattet seien. Aus Hamburg, Bremen und seit Kurzem Schleswig-Holstein ist jedoch die genaue Zahl der nun angeschafften oder bestellten G36 bekannt (Bremen 33, Hamburg 130, Schleswig-Holstein ca. 500). In Schleswig-Holstein war die Anschaffung zunächst innerhalb der inzwischen abgewählten rotgrünen Koalition umstritten. Der grüne Koalitionspartner soll der Anschaffung laut Focus Online vom 20.09.2016 kritisch gegenübergestanden haben. Das G36 kann deutlich weiter schießen und hat eine höhere Durchschlagskraft als die in Niedersachsens Polizei weit verbreitete Maschinenpistole des Typs MP5 des gleichen Herstellers. Es ist laut Experten in einem Feuergefecht dem bekannten russischen Sturmgewehr AK47 (Kalaschnikow ) ebenbürtig. Für die MP5 soll dies nicht gelten. Der NDR zitiert den Bund der Kriminalbeamten damit, dass zum Zeitpunkt der Beantwortung der Anfrage noch nicht einmal alle Spezialeinheiten der niedersächsischen Polizei mit G36 ausgestattet gewesen seien. Zwar soll das Spezialeinsatzkommando des LKA damit ausgestattet gewesen sein, die Mobilen Einsatzkommandos (MEK) der sechs Polizeidirektionen, die ebenfalls zu den Spezialeinheiten gehören, seien jedoch bislang damit nicht ausgestattet. Die Antwort soll daher laut NDR fehlerhaft gewesen sein. Laut NDR soll die Ausstattung der MEKs erst bis Juni dieses Jahres geschehen . Die Anschaffung des G36 für die MEKs soll laut NDR aber schon letztes Jahr im Mai be- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8451 2 schlossen worden sein. Die konkrete Bestellung soll dann aber wegen eines Krankheitsfalls einige Zeit unbearbeitet geblieben sein, bevor sie an den Hersteller abgeschickt wurde. Dies soll im Innenministerium zum Zeitpunkt der Beantwortung der Anfrage nicht bekannt gewesen sein, was „bedauerlich“ sei. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weisen wir darauf hin, dass wir ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung unserer Fragen haben, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung Bei der Bundesrepublik Deutschland handelt es sich um einen föderal verfassten Staat, der aus 16 deutschen Ländern besteht. Zuständig für die innere Sicherheit der Bundesrepublik sind die Polizeien der Länder. Nach dem Grundgesetz ist die Polizei wie die Ausübung aller staatlichen Befugnisse grundsätzlich Ländersache (vgl. Artikel 30 GG). Die Einstufung einer Geheimhaltungsbedürftigkeit nach Verschlusssachenanweisung (VSA) obliegt somit den einzelnen Ländern. Die Spezialeinheiten (SEen) in Niedersachsen (das Spezialeinsatzkommando [SEK] und die mobilen Einsatzkommandos [MEK]) verfügen entsprechend der zugewiesenen Aufgabenstellung über umfangreiche Sonderausstattungen. Sie sind in sogenannten Sollausstattungskatalogen abgebildet und werden laufend aktualisiert, um u. a. die Erfüllung polizeitaktischer Erfordernisse sowie die Kompatibilität im länderübergreifenden Einsatz zu gewährleisten. Die Einzelheiten der SEK- und der MEK-Sollausstattung (somit auch die Anzahl von Gewehren des Typs H&K G36) sind in Niedersachsen als geheimhaltungsbedürftig eingestuft und unterliegen der VSA mindestens in der Stufe „VS-Nur für den Dienstgebrauch“. Allgemein ist zur Ausrüstung mit dem Gewehr H&K G36 anzuführen, dass dieses mit Erl. MI v. 25.06.2016 für die MEK der Polizei des Landes Niedersachsen eingeführt und die bedarfsgerechte Beschaffung der Waffen beauftragt wurde. Das SEK ist bereits seit dem Jahr 2012 umfänglich ausgestattet . Wie bereits zu der Kleinen Anfrage „Rüstet Niedersachsens Polizei wirklich auf?“ (Drs. 17/7500) ausgeführt wurde, erfüllt die Landesregierung ihre Pflicht zur modernen, sachgerechten Ausstattung der Landespolizei uneingeschränkt und misst ihr einen sehr großen Stellenwert bei. Dass die Polizei des Landes Niedersachsen nicht heimlich aufrüstet und sie die Ausstattung der Polizei stattdessen als Teil der eigenen Strategie 2020 ansieht, zeigt sich nicht zuletzt in zwei anwenderbezogenen Workshops mit polizeilich zugänglichen, umfangreichen Dokumentations- und Informationsbroschüren. Ein dritter Workshop ist darüber hinaus in Vorbereitung und wird am 25.07.2017 stattfinden. 1. Wie viele Gewehre des Typs G36 des Herstellers Heckler & Koch sind gegenwärtig in Niedersachsens Polizei im Bestand welcher Polizeieinheiten oder werden gegenwärtig beschafft? Siehe Vorbemerkungen. Angesichts des Geheimhaltungsinteresses der Ausstattung der SEen der Polizei Niedersachsen ist das Ministerium für Inneres und Sport selbstverständlich bereit, Ausstattungsdetails bei Erforderlichkeit dem Ausschuss für Inneres und Sport in nicht öffentlicher Sitzung darzustellen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8451 3 2. Wieso nannte die Landesregierung in ihrer Antwort die genaue Anzahl der vorhandenen Maschinenpistolen MP5 (1 770), aber nicht der vorhandenen oder bestellten G36? Die Anzahl an MP5 ist in Niedersachsen gemäß VSA nicht als geheimhaltungsbedürftig eingestuft. Ansonsten siehe Vorbemerkungen. 3. Warum erhalten lediglich die Spezialeinheiten der niedersächsischen Polizei Gewehre des Typs G36 und nicht weitere Dienststellen? Das Gewehr H&K G36 ist u. a. aufgrund der Leistungsdaten, seines Gefährdungspotenzials für unbeteiligte Dritte bei unsachgemäßer Anwendung sowie der aufwändigen Fortbildung keine Waffe für den polizeilichen Alltag außerhalb von Spezialeinheiten. Das G36 ist als Waffe für den Kriegseinsatz konzipiert. Es hat ein Leergewicht von 3,63 kg, eine durchschnittliche Mündungsenergie des Geschosses von 1 800 Joule und einen deutlichen Rückstoß. Eine sichere Handhabung des Gewehrs und eine Abschätzung der Wirkung des Geschosses im Zielmedium kann nur mit einer permanenten und intensiven Fortbildung gewährleistet werden, die außerhalb der SEen nicht in hinreichendem Maße gewährleistet werden kann. 4. Gab es Überlegungen, auch für die Polizeikommissariate und Polizeiinspektionen Gewehre des Typs G36 zu beschaffen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum hat man davon Abstand genommen? Nein. Weiteres siehe Frage 3. 5. Gab es Gespräche im Koalitionsausschuss oder mit Vertretern der Partei oder Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen vor der Entscheidung, wie viele Gewehre des Typs G36 beschafft werden? Die Frage der Einführung von Gewehren des Typs H&K G36 wurde in der fachlich zuständigen Polizeiabteilung (Abt. 2) des Innenministeriums abschließend entschieden. Entsprechend sind aus dieser Ebene heraus keine weiteren Gespräche im Koalitionsausschuss und mit den Fraktionen geführt oder initiiert worden. 6. Wurde die genaue Zahl der beschafften und bestellten Gewehre des Typs G36 deswegen nicht in der Antwort der Landesregierung genannt, weil der grüne Koalitionspartner nicht aufgeschreckt werden sollte? Nein. Siehe Vorbemerkungen. 7. Am 23.06.2017 stellte Innenminister Pistorius bei einem Pressetermin neue Bewaffnung und Schutzausrüstung der niedersächsischen Polizei vor. Die damals schon beschlossene Bestellung von Gewehren des Typs G36 für die MEKs erwähnte er dabei nicht. War diese Bestellung dem Minister nicht bekannt, hat er dies bewusst der Öffentlichkeit verschwiegen? Oder aus welchem sonstigen Grund wurde die Beschaffung nicht mitgeteilt ? Siehe Vorbemerkungen. 8. Wie lange wurde die Bestellung der G36 wegen eines Krankheitsfalles verzögert? Wann fiel dies auf? Nach den hier aktuell vorliegenden Informationen wurde das Beschaffungsverfahren mit Erl. MI v. 25.05.2016 eingeleitet und mit diesem die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen (ZPD NI) beauf- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8451 4 tragt. Im Rahmen der Vergabe ging die Auftragsbestätigung der Firma Heckler & Koch, mit der Festlegung des Liefertermins, bei der ZPD NI am 16.03.2017 ein. Aus Erfahrungen anderer Beschaffungen war zum Zeitpunkt der Einleitung des Beschaffungsverfahrens davon auszugehen, dass die Gewehre im Januar bzw. spätestens im Februar 2017 ausgeliefert werden. Auf Basis einer Nachfrage aus dem Kreis der SEen zum Sachstand der Gewehrbeschaffung wurde im Innenministerium auf Nachfrage am 30.03.2017 bekannt, dass sich diese u. a. aufgrund der Krankheit eines Mitarbeiters in der Zentralen Polizeidirektion (60 Werktage) verzögert hat. Insgesamt ist festzustellen, dass das Beschaffungsverfahren ungewöhnlich lang dauerte. Dabei spielte nicht nur eine krankheitsbedingte Verzögerung eine Rolle. Allein für die Bearbeitung der Angebotsanfrage bis zum Eingang des Angebots in der ZPD NI benötigte die Firma Heckler & Koch 35 Werktage. 9. Wie erklärt sich die mindestens fehlerhafte Beantwortung der Kleinen Anfrage zur schriftlichen Beantwortung? Warum wurde diese nicht nachgebessert? Die Beantwortung der Kleinen Anfrage wurde auf Grundlage der hier vorliegenden Informationen getätigt. Siehe dazu Frage 8. 10. Laut der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung benutzten die sogenannten RAF-Rentner bei ihren Überfällen in Stuhr, Wolfsburg und Cremlingen sogenannte Sturmgewehre des Typs Kalaschnikow. Wie lange dauert es zukünftig, bis Polizeikräfte bei ähnlichen Überfällen mit Gewehren des Typs G36 am Tatort sind? In einem Flächenland wie Niedersachsen unterliegen Einsatzreaktionszeiten zahlreichen Einflussfaktoren . Neben einer effektiven Einsatzdisposition unter Priorisierung von Einsatzanlässen und der verantwortungsvollen Einsatzwahrnehmung durch die agierenden Kräfte sind Einsatzreaktionszeiten auch abhängig von grundsätzlichen organisatorischen Regelungen, wie z. B. Anzahl und Zuständigkeitsbereichen der Dienststellen und den damit verbundenen tatsächlichen Entfernungen zwischen Dienststellen und Einsatzorten. Dabei sind zusätzlich die aktuelle Verkehrslage und die Witterung als Faktoren zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund können grundsätzliche belastbare Aussagen zu Durchschnittswerten zwischen Alarmierung und Eintreffen der Erst-Einsatzkräfte vor Ort nicht getroffen werden. Neben der Optimierung der Ausstattung ist auch eine schnelle und unmittelbare Verfügbarkeit von SEen in dem Flächenland Niedersachsen sicherzustellen, um die Erstinterventionskräfte des Einsatz - und Streifendienstes schnellstmöglich unterstützen zu können. Obwohl z. B. die den SEen zugehörigen MEK den Polizeibehörden in Niedersachsen disloziert angebunden sind und bei einer entsprechenden Lage unmittelbar eingesetzt werden können, können auch diesbezüglich keine belastbaren Aussagen zu Einsatzreaktionszeiten getroffen werden. Dies gilt auch für das SEK unter Hinweis auf die beabsichtigte Einrichtung eines zweiten Standortes. 11. Wie beurteilt die Landesregierung die Aussichten von mit MP5 ausgestatten Polizisten in einer Schießerei mit Tätern, die über Kalaschnikows verfügen? Sind diese für jede Situation optimal ausgestattet? Auf der Grundlage der polizeilichen Aus- und Fortbildung, bestehender Konzepte und Maßnahmenkataloge sowie einer Ausstattung mit den dafür notwendigen Einsatzmitteln ist die Polizei Niedersachsen grundsätzlich befähigt, effektiv und effizient lebensbedrohliche Einsatzlagen, wie z. B. mit bewaffneten Gewalttätern, zu bewältigen. Eine ballistische Schutzausstattung, die auch hohen Energien von Kriegswaffen wie Gewehren oder Maschinenpistolen widerstehen kann, erhöht in Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8451 5 Verbindung mit regelmäßigen Trainings die Aktionsfähigkeit und Handlungskompetenz der eingesetzten Kräfte. Eine veränderte Ausstattung sowie die optimierte Ausbildung versetzt die Polizei in die Lage, derartige Einsätze mit den ihr zur Verfügung stehenden Fähigkeiten, Führungs- und Einsatzmitteln sowie Einsatzkräften einschließlich ihrer SEen bewältigen zu können. 12. Können die vom Land zuletzt angeschafften Hilfsmittel zum besseren Zielen mit der MP5 bei allen vorhandenen MP5 montiert werden? Wenn nein, bei wie vielen nicht? Der in der Polizei des Landes Niedersachsen vorhandene Bestand an Maschinenpistolen des Typs H&K MP5 soll sukzessive mit Leuchtpunktvisieren ausgestattet werden. Nicht alle der derzeit im Bestand befindlichen MP5 können mit der für den Aufbau des Leuchtpunktvisiers notwendigen Montageschiene ausgestattet werden. Abhängig von der Modellvariante bzw. vom Baujahr sind die Voraussetzungen zur Befestigung der Montageschiene gegeben bzw. nicht vorhanden. Die Prüfung der Umbaufähigkeit der MP5 erfolgt im Rahmen einer Waffenrevision, die aktuell durch die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen in Zusammenarbeit mit den bestandsführenden Dienststellen erfolgt. Es ist beabsichtigt, die MP5 auszutauschen, bei denen eine Nachrüstung technisch nicht mehr möglich ist. (Ausgegeben am 18.07.2017) Drucksache 17/8451 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8276 Rüstet Niedersachsens Polizei heimlich auf? Anfrage der Abgeordneten Thomas Adasch und Angelika Jahns (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport