Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8499 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8401 - Werden in Niedersachsen mehr Medizinstudienplätze benötigt? Anfrage des Abgeordneten Burkhard Jasper (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 30.06.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 06.07.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur namens der Landesregierung vom 25.07.2017, gezeichnet In Vertretung Andrea Hoops Vorbemerkung des Abgeordneten Am 15. Mai 2017 haben das Land Niedersachsen, vertreten durch die Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Cornelia Rundt, und die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Mark Barjenbruch, eine „Gemeinsame Erklärung zur Sicherung der ärztlichen Versorgung auf dem Land“ vorgestellt. In einer Anlage zu dieser Erklärung mit dem Titel „Konzept zur Zukunft der vertragsärztlichen Versorgung 2030“ heißt es: „Die Lösung könnte in einer Erhöhung der Studienplatzzahl und der Einführung einer Landarztquote liegen.“ Bei bisherigen Diskussionen um die flächendeckende Versorgung mit Hausärzten ist auch immer wieder vorgeschlagen worden, die Anzahl der Studienplätze für Medizin zu erhöhen. Die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen hat dies ebenfalls gefordert. In Nordrhein-Westfalen sind zum Wintersemester 2016/17 durch die Zusammenarbeit der Ruhr-Universität-Bochum mit vier Krankenhäusern in Ostwestfalen-Lippe 60 zusätzliche klinische Studienplätze pro Jahr geschaffen worden (sogenanntes „Bochumer Modell“). Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weise ich darauf hin, dass ich ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung meiner Fragen habe, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung Das sogenannte Bochumer Modell resultiert aus dem Umstand, dass die Ruhr-Universität Bochum keine eigene Universitätsklinik hat. Die Medizinische Fakultät der Universität kooperiert mit verschiedenen Krankenhäusern der Region in unterschiedlicher Trägerschaft. Der klinische Teil des Medizinstudiums findet vollständig an den jeweiligen Klinikstandorten statt. Zum Wintersemester 2016/2017 hat sie die Zusammenarbeit mit bisher sechs Krankenhäusern um vier weitere erweitert. Basis der Zusammenarbeit ist ein einheitlicher Kooperationsvertrag zwischen der Universität und den kooperierenden Kliniken. Die Medizinische Hochschule Hannover ist als Campus-Universität errichtet worden, mit der Orthopädie im Annastift befindet sich lediglich eine Abteilung in einem externen Krankenhaus. Unter dem gemeinsamen Dach „Universitätsmedizin Göttingen“ der Georg-August-Universität sind die Medizinische Fakultät der Universität und das Universitätsklinikum zusammengefasst. Ziel die- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8499 2 ser integrativen Konstruktion („Integrationsmodell“) ist es, die enge Zusammenarbeit von Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum in Krankenversorgung, Lehre und Forschung organisatorisch zu verankern. Mit der Gründung eines universitätsmedizinischen Standorts in Oldenburg wurde eine Medizinische Fakultät an der Universität Oldenburg eingerichtet sowie ein Universitätsklinikum durch die Zusammenarbeit von Universität und den drei Oldenburger Krankenhäusern - das Klinikum, das Evangelische Krankenhaus und das Pius-Hospital - aufgebaut. Enge Kooperationen mit der Karl- Jaspers-Klinik im Bereich der Psychiatrie und mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sind ebenfalls wichtige Bausteine der Oldenburger Universitätsmedizin, die auf einer internationalen Kooperation mit der Rijksuniversiteit Groningen beruht („European Medical School Oldenburg- Groningen“). Die Krankenhausträger können gemäß § 63 i Abs. 2 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) ermächtigt werden, die an Forschung und Lehre mitwirkenden Abteilungen als Universitätsklinik mit einem fachspezifischen Zusatz zu bezeichnen. Das Medizinstudium teilt sich grundsätzlich in zwei Abschnitte: die vorklinische sowie die klinische Ausbildungsphase. Die vorhandenen Studienplätze werden nach der Kapazitätsverordnung jeweils unterschiedlich berechnet . Während sich die Kapazitäten für die vorklinische Phase an der Ausstattung mit Lehrpersonal orientieren, bemessen sie sich in den klinischen Semestern an den jährlichen Patientenzahlen. Die Ermittlung der Kapazitäten wird durch das Verwaltungsgericht überprüft. 1. Hält die Landesregierung die Erhöhung der Anzahl der Medizinstudienplätze in Niedersachsen für notwendig, um die flächendeckende Versorgung Niedersachsens mit Ärzten aus allen Fachrichtungen in Zukunft zu gewährleisten? Die Landesregierung sieht die immer wieder geforderte Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze als nicht geeignet an, um die strukturellen Unzulänglichkeiten des Versorgungssystems wie z. B. die Überversorgung vieler Gebiete, die zeitaufwändige und schlecht abgesicherte Weiterbildung zur Fachärztin bzw. zum Facharzt für Allgemeinmedizin und die mit einer Niederlassung im ländlichen Raum verbundenen Nachteile zu beseitigen. Auch in dem gemeinsamen Bericht der Gesundheitsund der Kultusministerkonferenz „Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen“ aus dem Jahr 2015 (GMK-KMK-Bericht) und dem Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung des Gesundheitswesens zur „Bedarfsgerechten Versorgung“ von 2014 wird darauf verwiesen , dass kein Ärztemangel besteht oder droht, sondern ein Verteilungsproblem vorliegt. Die Sicherstellung der flächendeckenden vertragsärztlichen Versorgung ist Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) mit Blick auf die Erfüllung ihres Versorgungsauftrages. Der GMK-KMK-Bericht macht viele konkrete Vorschläge für strukturelle Veränderungen, die geeignet sind, die ärztliche und vor allem die hausärztliche Versorgung zu verbessern. Hierzu gehören insbesondere Verbesserungen der Arbeits- und Rahmenbedingungen im Bereich der Weiterbildung und der Versorgungsstrukturen. Ein wesentliches Ergebnis des Berichts ist, dass ohne strukturelle Veränderungen eine Erhöhung der Anzahl der Medizinstudienplätze weder inhaltlich noch finanziell sinnvoll wäre, da die zusätzlichen Absolventinnen und Absolventen weiterhin in überversorgte Regionen und Fächer strömen würden. Dies wird auch durch die Ausführungen im Ärzteatlas 2016 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK bestätigt, wonach die Ärztedichte mit 4,1 praktizierenden Ärzten je 1 000 Einwohner im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz einnimmt. Die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte hat sich seit 1980 mehr als verdoppelt. 2. Soll die Anzahl der Medizinstudienplätze im Zusammenhang mit den Neubauten der Unikliniken in Hannover und Göttingen erhöht werden? Die Gründe für die Neubauten der Universitätskliniken basieren auf den mangelhaften Zuständen der Gebäude. Zudem wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8499 3 3. Gibt es Überlegungen, zusätzliche Medizinstudienplätze in Niedersachsen entsprechend dem „Bochumer Modell“ zu schaffen? Es gibt derzeit keine Überlegungen, zusätzliche Medizinstudienplätze nach dem „Bochumer Modell“ zu schaffen. Zudem wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Sieht die Landesregierung im „Bochumer Modell“ eine Möglichkeit, Medizinstudierenden kostengünstig ein besonders breites Spektrum der praktischen Ausbildung anzubieten ? Universitätskliniken nehmen Aufgaben der Maximalversorgung wahr. Als Krankenhäuser der höchsten medizinischen Versorgungsstufe übernehmen sie Patientinnen und Patienten mit besonders schwierigen und komplizierten Erkrankungen. Die zu erbringenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sind aufwendig und benötigen oft eine leistungsfähige Infrastruktur sowie eine fächerübergreifende Zusammenarbeit. Universitätskliniken bieten Medizinstudierenden dadurch bereits ein besonders breites Spektrum der praktischen Ausbildung. 5. Kann ein Studium nach dem „Bochumer Modell“ nach Auffassung der Landesregierung dazu beitragen, Studierende an die Region der klinischen Ausbildung zu binden? Niedersachsen hat mit der Einrichtung der European Medical School Oldenburg-Groningen (EMS) ein effektives Instrument zur Sicherstellung einer flächendeckenden ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum geschaffen. Denn das Lehrkonzept der EMS zeichnet sich durch einen hohen Praxisbezug aus. Seit Errichtung der EMS sind in einem großen Praxen-Netzwerk niedergelassene Ärztinnen und Ärzte im ländlichen Nordwesten für Hospitationen und Praktika in der EMS eingebunden . 130 Praxen im ganzen Nordwesten beteiligen sich so an der Ausbildung der Oldenburger Medizinstudierenden . Die Medizinische Fakultät der Universität Oldenburg bereitet die Praxen auf die Hospitationen vor und begleitet sie während dieser Zeit. Zugleich werden den Medizinstudierenden an der EMS verstärkt Kompetenzen vermittelt, die zur Ausübung ärztlicher Tätigkeiten unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen und absehbaren Anforderungen befähigen. Hierzu gehören u. a. Kommunikation und Empathie, Problemlösung, sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhang der Gesundheitsversorgung sowie Reflexion. Das Konzept der EMS bietet daher die Chance, Ärztinnen und Ärzte für den ländlichen Raum der Nordwestregion in Niedersachsen auszubilden . Nach der in § 72 Abs. 11 NHG vorgesehenen Evaluation des Studiengangs durch den Wissenschaftsrat in 2019 wird die Landesregierung das Ergebnis der Evaluation mit einer Stellungnahme zur weiteren Entwicklung des Studiengangs Humanmedizin an der Universität Oldenburg unter Berücksichtigung der Ausbildungskapazitäten bis zum 30.06.2020 dem Landtag vorlegen. Im Falle der positiven Evaluation wird eine Erhöhung der Studienanfängerplätze angestrebt. 6. In welchen Regionen Niedersachsens wäre nach Ansicht der Landesregierung eine Zusammenarbeit mit Krankenhäusern zur Schaffung zusätzlicher Plätze für die klinische Ausbildung möglich? In Göttingen gibt es seit Jahren die besondere Situation, dass aufgrund der Forschungskapazitäten der Hochschule im ersten Studienabschnitt bei der personenbezogen zu ermittelnden Aufnahmekapazität eine höhere Aufnahmekapazität zur Verfügung steht als für den klinischen Studienabschnitt , in dem die Ausbildungskapazität anhand der Patientenzahlen zu ermitteln ist. Angesichts der hohen Bewerberzahlen und fortdauernden gerichtlichen Überprüfung der Kapazitäten sind auch alle Teilstudienplätze für den ersten Studienabschnitt besetzt. Um angesichts der Teilstudienplatzproblematik mehr Vollzeitstudiengänge anbieten zu können, wurde in der Zielvereinbarung 2014 bis 2018 mit der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) festgelegt , dass die Zahl der Vollstudienplätze von 269 auf 300 durch Aufgabe von Teilstudienplätzen erhöht wird. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8499 4 In diesem Zusammenhang gibt es erste Überlegungen, durch Kooperationen mit Krankenhäusern in Niedersachsen die Bettenkapazität zu erhöhen. 7. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass die verstärkte Kooperation von Universitätskliniken mit weiteren Krankenhäusern gute Voraussetzungen für universitäre Forschung schaffen könnte? Die an Krankenhäusern durchgeführte klinische Forschung ist nicht gleichzusetzen mit der universitären Forschung an den Universitätskliniken. Universitäre Forschung ist in der Regel nicht anwendungsorientiert , sondern wissensorientiert. Gemäß den Empfehlungen des Wissenschaftsrats müssen bei der Zusammenarbeit mit externen Krankenhäusern zudem der akademische Anspruch und die mit einer Universität verbundenen Anforderungen erfüllt werden (s. Wissenschaftsrat: Allgemeine Empfehlungen zur Universitätsmedizin, Drs. 7984-07, S. 23). Herzuleiten sind die Anforderungen speziell aus der Approbationsordnung, die bereits spezifische Kriterien vorgibt, die erfüllt werden müssen, damit ein Krankenhaus als sogenanntes Lehrkrankenhaus - auf vertraglicher Basis - klinische Ausbildungstätigkeiten wahrnehmen kann. Diese Mindestvoraussetzungen wären auch an etwaige kooperierende Krankenhäuser zu stellen. Es wäre jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob diese Rahmenbedingungen erfüllt sind und ein gegenseitiger Nutzen aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt erzielt werden kann. (Ausgegeben am 26.07.2017) Drucksache 17/8499 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8401 Werden in Niedersachsen mehr Medizinstudienplätze benötigt? Anfrage des Abgeordneten Burkhard Jasper (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur