Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8517 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8381 - Führt die inklusive Schule zu einem höheren Betreuungsaufwand der Tagesbildungsstätten ? Anfrage der Abgeordneten Reinhold Hilbers, Dr. Max Matthiesen, Volker Meyer, Burkhard Jasper, Petra Joumaah, Gudrun Pieper, Annette Schwarz (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 28.06.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 03.07.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 31.07.2017, gezeichnet Cornelia Rundt Vorbemerkung der Abgeordneten Träger von Tagesbildungsstätten (schulische Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Kinder mit Behinderungen) weisen darauf hin, dass sie seit Einführung der inklusiven Schule einen zunehmend höheren Betreuungsaufwand haben, weil nun Schülerinnen und Schüler mit eher leichterem Förderbedarf die allgemeinen Schulen besuchen, während die Schülerinnen und Schülerinnen mit höherem Förder- und damit auch Betreuungsbedarf weiterhin in den Tagesbildungsstätten unterrichtet werden. Den Tagesbildungsstätten entstehen nach eigenen Angaben durch den höheren Betreuungsaufwand höhere Personalkosten, die seitens des Landes Niedersachsen refinanziert werden müssten. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weisen wir darauf hin, dass wir ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung unserer Fragen haben, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung In Tagesbildungsstätten können Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung ihre Schulpflicht ableisten (§ 162 des Niedersächsischen Schulgesetzes - NSchG). Dabei erfüllen Tagesbildungsstätten den im NSchG festgelegten Erziehungs- und Bildungsauftrag und gewährleisten gleichzeitig Betreuung und Pflege. Diese in Deutschland einmalige Beschulungsform ist historisch gewachsen und ein anerkanntes wesentliches Merkmal der sonderpädagogischen Förderung in Niedersachsen. Bei den Tagesbildungsstätten handelt es sich um ein teilstationäres Angebot der Eingliederungshilfe in der sachlichen Zuständigkeit des Landes, das mit Mitteln im Rahmen der „Hilfen zur angemessenen Schulbildung“ auf der Grundlage von § 54 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) vom Land als überörtlichem Träger der Sozialhilfe finanziert wird. Mit den Tagesbildungsstätten werden Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII auf Grundlage des Niedersächsischen Landesrahmenvertrags als Leistungstyp 2.1.2.2 geschlossen. In der „Vereinbarung zur Fortführung der Inhalte und Regelungen der mit Wirkung ab 01.01.2002 abgeschlossenen Verträge Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8517 2 I. Niedersächsischer Landesrahmenvertrag nach § 93 d Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) II. Niedersächsischer Landesrahmenvertrag zur Vergleichbarkeit“ wird in Tagesbildungsstätten zwischen zwei Gruppen von Leistungsberechtigten mit vergleichbarem Hilfebedarf (Leistungsberechtigtengruppen, LBGR) unterschieden. Die im Rahmen der genannten Vereinbarungen abzuschließenden Vergütungen sind in Grund- und Maßnahmenpauschalen sowie Investitionsbeträge aufgegliedert. Während die Grundpauschalen für Unterkunft und Verpflegung und die Investitionsbeträge für beide LBGR jeweils die gleiche Höhe aufweisen, wird die Höhe der Maßnahmenpauschalen nach LBGR differenziert und richtet sich hauptsächlich nach den Personalschlüsseln für die pädagogische Leistung sowie zu erbringenden betreuerischen und pflegerischen Leistungen. Die Gruppen- bzw. Klassengröße in den Tagesbildungsstätten beträgt regelmäßig acht leistungsberechtigte Kinder und Jugendliche. Für die LBGR 1 wurden Personalschlüssel im Verhältnis von 1,2 Fachkräfte je acht leistungsberechtigte Kinder und Jugendliche (1,2 : 8), 0,8 : 8 für Hilfskräfte und ein Schlüssel von 1,0 : 16 für den gruppenübergreifenden Fachdienst vereinbart. Die LBGR 1 umfasst alle Kinder und Jugendlichen , die nicht nach der LBGR 2 eingestuft werden. Die Summe aus Grund- und Maßnahmenpauschale beträgt 2 341,97 Euro im Monat. Die leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen, bei denen fachärztlich nach einem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannten Verfahren „frühkindlicher Autismus“ festgestellt wurde, gehören der LBGR 2 an. Für die LBGR 2 werden aufgrund des erhöhten Betreuungs- und Pflegeaufwandes höhere Personalschlüssel im Umfang von 1,8 : 8 Fachkräften, 0,9 : 8 Hilfskräften sowie 1,0 : 9 im übergreifenden Fachdienst vereinbart. Die Summe aus Grund- und Maßnahmepauschale beträgt 3 457,32 Euro im Monat. 1. Teilt die Landesregierung die Einschätzung der Träger von Tagesbildungsstätten, dass diese seit Einführung der inklusiven Schule einen zunehmend höheren Betreuungsaufwand durch einen höheren Anteil an Schülerinnen und Schülern mit höherem Förderbedarf haben? Die inklusive Schule wurde in Niedersachsen zum Schuljahresbeginn 2013/2014 eingeführt. An den seit dem Jahr 2006 verfügbaren Daten lässt sich ein linearer Anstieg der Belegungszahlen in der LBGR 2 und ein Rückgang in der LBGR 1 feststellen. Anhand der Grafik wird diese Entwicklung deutlich: 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 LBGR 1 2878 2873 2965 2918 2915 2864 2765 2645 2614 2588 2554 LBGR 2 131 142 217 214 244 239 301 322 349 371 393 gesamt 3009 3015 3182 3132 3159 3103 3066 2967 2963 2959 2947 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 Belegung Tagesbildungsstätten LBGR 1 LBGR 2 gesamt Linear (LBGR 1) Linear (LBGR 2) Linear (gesamt) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8517 3 Ein direkter Zusammenhang des Anstiegs in der LBGR 2 mit der Einführung der inklusiven Schule ergibt sich aus den vorliegenden Zahlen danach nicht; diese Entwicklung hat vielmehr bereits in den Vorjahren eingesetzt. 2. Falls ja, wie beurteilt die Landesregierung diese Entwicklung? Entfällt. 3. Beabsichtigt die Landesregierung eine Anpassung der Finanzierung durch einen höheren Stellenschlüssel in den Einrichtungen? Bereits zum 01.01.2014 erfolgte nach entsprechenden Verhandlungen zwischen den Parteien der Landesrahmenvereinbarungen eine Anhebung des Stellenschlüssels für die LBGR 1 von vormals 1,5 auf zwei Stellen pro Gruppe. Die Träger der Tagesbildungsstätten hatten im Rahmen der Verhandlungen vorgetragen, dass bereits im Verlauf der dem Jahr 2014 vorangehenden Jahre, also bereits vor Einführung der inklusiven Schule, die Kinder und Jugendlichen innerhalb der LBGR 1 zunehmend mehrfache Behinderungen und einen durchschnittlich höheren Unterstützungsbedarf als in der Vergangenheit aufwiesen. Das Land hat mit seiner Zustimmung zur Verbesserung der Personalschlüssel den dargestellten gestiegen Bedarf innerhalb der LBGR 1 anerkannt. Die Landesregierung weist darauf hin, dass nach den landesrahmenvertraglichen Regelungen jährlich eine Anpassung der Leistungsvergütungen an die allgemeine Preisentwicklung bei hinsichtlich Inhalt, Umfang und Qualität unveränderten Bedingungen erfolgt. Eine darüber hinaus gehende Anpassung der Stellenschlüssel ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht geplant. 4. Falls nein, sollen die Tagesbildungsstätten weiterhin als alternatives Angebot zur Regelschule bestehen bleiben? Derzeit ist nicht beabsichtigt, grundlegende Veränderungen im Bereich der Tagesbildungsstätten vorzunehmen. (Ausgegeben am 02.08.2017) Drucksache 17/8517 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8381 Führt die inklusive Schule zu einem höheren Betreuungsaufwand der Tagesbildungsstätten? Anfrage der Abgeordneten Reinhold Hilbers, Dr. Max Matthiesen, Volker Meyer, Burkhard Jasper, Petra Joumaah, Gudrun Pieper, Annette Schwarz (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung