Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8586 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8441 - Folgen der Abschaffung der Förderschulen Lernen Anfrage der Abgeordneten Björn Thümler und Kai Seefried (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 06.07.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 13.07.2017 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung vom 11.08.2017, gezeichnet In Vertretung Erika Huxhold Vorbemerkung der Abgeordneten Im Schuljahr 2017/2018 nehmen die Förderschulen Lernen in Niedersachsen im 5. Schuljahrgang erstmals keine Schülerinnen und Schüler mehr auf, da diese Förderschulart auslaufend abgeschafft wird. Das ist die Folge einer Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes, die von SPD und Grünen mit ihrer Einstimmenmehrheit im Landtag beschlossen wurde. Manche Eltern von Kindern mit Unterstützungsbedarf im Bereich Lernen berichten, dass sie sich für ihre Kinder im Anschluss an die Grundschulzeit eine weiterführende Schule wünschten, die besonders auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehe. Zum Teil sollen Förderschulen Lernen diesen Berichten zufolge zugesagt haben, dass sie Kinder, die gerade den 4. Schuljahrgang einer Grundschule beendet haben, zum Beginn des Schuljahres 2017/2018 in den 6. Schuljahrgang aufnehmen würden. Die Kinder würden in diesem Fall ein Schuljahr überspringen und in den letzten Jahrgang der Förderschule Lernen gelangen, der noch bis zum Schulabschluss geführt wird. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weisen wir darauf hin, dass wir ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung unserer Fragen haben, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung Mit dem Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule vom 23.03.2012 (Nds. GVBl. S. 34) ist bereits in der letzten Legislaturperiode geregelt worden, dass Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen im Primarbereich aufsteigend ab dem Schuljahr 2013/2014 auslaufen. Die Schulgesetznovelle 2015 sieht - nach Auslaufen des Primarbereichs der Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen - auch die durch jahrgangsweises Auslaufen ausschleichende Aufhebung des Sekundarbereichs I der Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen vor. Ab dem Schuljahr 2017/2018 - so die konsequente Folgeregelung - kann daher auch keine Aufnahme mehr aufsteigend ab dem 5. Schuljahrgang (Sekundarbereich I) erfolgen. Mit dieser Regelung folgt das Gesetz u. a. dem 1. Bericht des UN-Fachausschusses vom 17.04.2015 über das Staatenprüfungsverfahren Deutschlands zum Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention . In dem Bericht der Vereinten Nationen wird Deutschland u. a. gebeten, sofort Maßnahmen zu ergreifen, um ein inklusives Bildungssystem in allen Bundesländern durchzusetzen so- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8586 2 wie die Förderschulen abzubauen, um Inklusion zu ermöglichen. In dem Bericht äußert der Fachausschuss zudem seine Besorgnis, dass in Deutschland auch sechs Jahre nach Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention immer noch die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen Förderschulen besucht. 1. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, in denen Förderschulen Lernen zum Beginn des Schuljahrs 2017/2018 die Aufnahme von Kindern, die gerade die Grundschule absolviert haben, in den 6. Schuljahrgang ermöglichen? Zum genannten Zeitpunkt haben im Bereich der Regionalabteilung Hannover vier Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen Schülerinnen und Schülern die Aufnahme in den 6. Schuljahrgang zugesagt : – FÖS-LE Erich-Kästner-Schule, Alfeld (ein Schüler aus Primarbereich FÖS ES), – FÖS-LE Schule am Hagedorn, Deensen (drei Schülerinnen und Schüler), – FÖS-LE Hacheschule, Syke (fünf Schülerinnen und Schüler), – FÖS-LE Gutenbergschule, Hoya (fünf Schülerinnen und Schüler). Im Bereich der Regionalabteilung Osnabrück haben dies sieben Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen entsprechend zugesagt. – FöS-LE+GE Pestalozzischule, Emden (eine Schülerin/ein Schüler), – FöS-LE Extumer Weg, Aurich (vier Schülerinnen und Schüler), – FöS-LE Pestalozzischule, Leer (eine Schülerin/ein Schüler), – FöS-LE+GE Chr.-Wilh.-Schneider, Esens (zwei Schülerinnen und Schüler), – FöS-LE Schule am Voßbark, Rastede (eine Schülerin/ein Schüler), – FöS-LE+GE A.-Lindgren-Schule, Edewecht (eine Schülerin/ein Schüler), – FöS-LE+SR Pestalozzischule, Brake (neun Schülerinnen und Schüler). 2. Falls zutreffend: Billigt oder unterstützt die Landesregierung dieses Vorgehen? Die Landesregierung und die Schulen sind in ihrem Handeln durch die in den Vorbemerkungen der Landesregierung dargestellte Rechtslage gebunden. Ein hiervon abweichendes Handeln wird selbstverständlich nicht unterstützt. In Hinblick auf die getätigten Zusagen der in der Antwort zu Frage 1 genannten Schulen, die betroffenen Schülerinnen und Schüler in den 6. Schuljahrgang aufzunehmen, und die dadurch erworbene Vertrauensschutzposition der Erziehungsberechtigten kann die Entscheidung der Schulleitungen ausnahmsweise fortbestehen. Dabei ist tragend, dass die Schulleitungen selbst den Anschein gesetzt haben, das Überspringen des 5. Schuljahrgangs sei zulässig, und die Erziehungsberechtigten damit zu einer Anmeldung verleitet haben. 3. Gibt es eine Rechtsgrundlage für das beschriebene Vorgehen, und wenn ja, welche? Eine Rechtsgrundlage für die Überweisung in die Förderschule stellt § 59 Abs. 5 Satz 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) dar. Danach kann eine Schülerin oder ein Schüler auf Vorschlag der Schule durch die Schulbehörde an die Schule einer anderen, für sie oder ihn geeigneten Schulform überwiesen werden, wenn sie oder er auch unter Beachtung der Anforderungen an eine inklusive Schule (§ 4 NSchG) nur an der anderen Schule hinreichend gefördert werden kann und ihr oder sein Kindeswohl den Schulwechsel erfordert. Die NLSchB hat in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen weiterhin vorliegen. Diese Norm ist als sehr enge Ausnahme vom Grundsatz des gemeinsamen Unterrichts von Schülerinnen und Schülern mit Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8586 3 und ohne Behinderung als Eingriffsnorm gefasst, die es ermöglicht, auch gegen den Willen der Erziehungsberechtigen an eine Förderschule zu überweisen. Sie kann aber auch als Rechtsgrundlage aufgefasst werden, nach der die Behörde zu einer beantragten Überweisung verpflichtet werden kann. In den vorliegenden Fällen sind Verfahren zur sonderpädagogisch förderbedingten Überweisung jedoch nicht durchgeführt worden. 4. Wie bewertet die Landesregierung das beschriebene Vorgehen a) in Bezug auf das Kindeswohl, b) in Bezug auf das Elternwahlrecht, c) in Bezug auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften? Zu a: Die inklusive Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen an einer allgemeinen Schule ist dem Kindeswohl zuträglich . Dementsprechende Regelungen finden sich im Schulgesetz. Auf die Vorbemerkungen der Landesregierung und die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. Zu b: Die Erziehungsberechtigten haben nach § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG im Rahmen der Regelungen des Bildungsweges die Wahl zwischen den Schulformen und Bildungsgängen, die zur Verfügung stehen. Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen stehen in dem durch § 14 Abs. 6 i. V. m. § 183 c Abs. 5 NSchG eröffneten Zeitrahmen zur Verfügung. Danach können die Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen im Schuljahr 2017/2018 noch in den Schuljahrgängen 6 bis 10 vorgehalten werden. Nach Ende der 4. Klasse der Grundschule kann daher nur eine andere Schule des Sekundarbereichs I angewählt werden, um dort den 5. Schuljahrgang zu besuchen. Ein Recht, einen Schuljahrgang auszulassen, um eine Förderschule im Förderschwerpunkt Lernen besuchen zu können, kann aus § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG nach Auffassung der Landesregierung nicht hergeleitet werden. Zu c: Die Aufnahme in den 6. Schuljahrgang einer Förderschule im Förderschwerpunkt Lernen nach Ende des 4. Schuljahrgangs der Grundschule verstößt gegen Rechtsvorschriften, insbesondere gegen § 59 Abs. 4 Satz 2 NSchG i. V. m. § 3 Abs. 1 der Verordnung über den Wechsel zwischen Schuljahrgängen und Schulformen der allgemeinbildenden Schulen (WeSchVO). Danach rücken die Schülerinnen und Schüler nach Ende des 4. Schuljahrgangs in den nächsthöheren Schuljahrgang auf. 5. Was entgegnet die Landesregierung Eltern, die ihr Kind mit Unterstützungsbedarf im Bereich Lernen im Anschluss an die Grundschulzeit an einer spezialisierten Förderschule anmelden möchten? Die Inklusion wächst seit 2013 an allen Schulformen des Sekundarbereichs I auf. Im Schuljahr 2017/2018 sind die Schuljahrgänge 5 bis 9 inklusive Schuljahrgänge. Damit verfügen die gegebenenfalls aufnehmenden Schulen im Sekundarbereich I mittlerweile über vier Jahre Erfahrung im inklusiven Unterricht mit Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Schwerpunkt Lernen. In dieser Zeit haben sich die Lehrkräfte und Schulleitungen entsprechend fortgebildet. Die schulischen Lernprozesse werden überall so angelegt, dass sie am individuellen Bedarf der jeweiligen Schülerin oder des jeweiligen Schülers ausgerichtet werden. Davon profitieren in hohem Maße auch die Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Schwerpunkt Lernen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8586 4 6. Erwägt die Landesregierung, den Wünschen vieler Eltern nachzukommen, indem die Förderschule Lernen doch erhalten bleibt und im 5. Schuljahrgang weiter Schülerinnen und Schüler aufnimmt? Nein. Die Landesregierung ist an das geltende Schulgesetz gebunden. 7. Mit welcher besonderen Förderung bzw. Unterstützung können Kinder rechnen, die nach dem Besuch einer Grundschule direkt in den 6. Schuljahrgang einer Förderschule Lernen wechseln und damit einen Schuljahrgang überspringen? Das beschriebene Vorgehen entspricht nicht der Rechtslage. Insofern stellt sich die Frage nach einer besonderen Förderung nicht. 8. Wie viele Schülerinnen und Schüler besuchten im Schuljahr 2016/2017 den 5. Schuljahrgang der Förderschulen Lernen in Niedersachsen? Gemäß den Daten der Erhebung zur Unterrichtsversorgung an den allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen zum Stichtag 18.08.2016 besuchten den 5. Schuljahrgang der niedersächsischen Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen insgesamt 1 140 Schülerinnen und Schüler. 9. Mit wie vielen Schülerinnen und Schülern rechnet die Landesregierung im Schuljahr 2017/2018 im 6. Schuljahrgang der Förderschulen Lernen in Niedersachsen? Gemäß den Daten des Planungsinstruments izn-Stabil-Prognose zum Prognosetermin 01.08.2017 (Stand: 20.07.2017) rechnet die Landesregierung im Schuljahr 2017/2018 im 6. Schuljahrgang der öffentlichen Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen (ohne Schulen des MS) in Niedersachsen mit rund 1 200 Schülerinnen und Schülern. Von den Schulen in freier Trägerschaft werden im Planungsinstrument keine Planungsdaten geführt. Die Fachanwendung izn-Stabil-Prognose ist ein Planungsinstrument, das auf Basis der voraussichtlichen Soll-Bedarfe sowie der voraussichtlichen Ist-Veränderungen den jeweiligen Bezugswert für die Personalplanung (BPP) zu einem konkreten Prognosetermin für einzelne Schulgliederungen und Schulen landesweit aggregiert und in der landesweiten Gesamtsumme ermittelt. Dieses Instrument dient dazu, auf Basis der ermittelten Werte eine bedarfsgerechte Verteilung von Einstellungsmöglichkeiten vorzunehmen sowie weitere personalwirtschaftliche Maßnahmen zu planen. Grundsätzlich kann vor Abschluss des Prognosetermins ein Zwischenstand des BPP zu einem bestimmten Datum gegeben werden. Die im Planungsinstrument angegebenen Werte sind von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren abhängig und können sich noch mehrfach ändern - sowohl in der landesweiten Summe als auch auf jede einzelne Schule bezogen - und sind nicht vergleichbar mit einem stichtagsbezogenen Unterrichtsversorgungswert. Es handelt sich also bei den BPP um Werte, die auf Basis der bisher bekannten Daten ermittelt werden und die insofern nur eine begrenzte Aussagekraft besitzen. (Ausgegeben am 15.08.2017) Drucksache 17/8586 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8441 Folgen der Abschaffung der Förderschulen Lernen Anfrage der Abgeordneten Björn Thümler und Kai Seefried (CDU) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums