Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8601 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8481 - Wie bewertet die Landesregierung die Aufweichung des Tötungsverbots nach § 44 BNatschG durch den Bundestag? Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Jörg Bode (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 17.07.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 19.07.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 17.08.2017, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung der Abgeordneten Der Deutsche Bundestag hat trotz Protesten kurzfristig die zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes auf die Plenartagesordnung für den 22. Juni gesetzt . Unter anderem beinhaltet das Gesetz eine Aufweichung des Tötungsverbots nach § 44 BNatschG, welches künftig nur noch gilt, wenn eine Art dadurch signifikant gefährdet wird. Vorbemerkung der Landesregierung Der Bundestag hat am 22.06.2017 beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (Drs. 18/11939) mit Maßgaben anzunehmen (BR-Drs. 514/17). Der Bundesrat hat ferner am 7. Juli 2017 beschlossen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen (BR-Drs. 514/17 - Beschluss). Mit der Änderung des § 44 Abs. 5 BNatSchG wird der bisherigen Rechtsprechung in Bezug auf betriebs -, bau- und anlagenbezogene Risiken Rechnung getragen. Der Tatbestand wird schon seit Jahren von der Rechtsprechung dahin gehend eingeschränkt, dass der unvermeidbare Verlust einzelner Individuen nicht automatisch einen Verstoß gegen das Tötungsverbot darstellt. Vielmehr muss sich das Tötungsrisiko für Individuen der betreffenden Art signifikant erhöhen (Einzelbegründung zu Nr. 6 Drs. 18/11939, S. 17, mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann von einer „signifikanten“ (oder auch „deutlichen“) Erhöhung des Tötungsrisikos nur ausgegangen werden, wenn es sich um Tiere solcher Arten handelt, die aufgrund ihrer Verhaltensweisen gerade im Bereich des Vorhabens ungewöhnlich stark von den durch das Vorhaben geschaffenen Risiken betroffen sind, sich diese besonderen Risiken durch die konkrete Ausgestaltung des Vorhabens nicht beherrschen lassen und es damit zu einer deutlichen Steigerung des Tötungsrisikos kommt, die nicht mehr unterhalb des Gefahrenbereichs bleibt, der mit dem Vorhaben im betreffenden Naturraum immer verbunden ist (BVerwGE 133, 239 [Rn. 58]). Dieser Rechtsprechung (insbesondere: BVerwG Urt. v. 09.07.2008, 9 A 14/07) liegt die folgende Überlegung zugrunde: Der Verbotstatbestand des § 44 BNatSchG ist zwar individuenbezogen, allerdings ist bei lebensnaher Betrachtung niemals auszuschließen, dass trotz aller Vermeidungsmaßnahmen einzelne Exemplare durch betriebs-, bau- und anlagenbezogene Vorhaben zu Schaden kommen. Solche Einzelverluste sind dann zwar nicht gewollt, müssen aber als unvermeidlich hingenommen werden. Wäre der Tötungstatbestand bereits bei der Tötung eines Exemplars erfüllt, könnten beispielsweise Straßenbauvorhaben nur noch im Wege der Befreiung oder durch Aus- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8601 2 nahmeregelung zugelassen werden. Damit würden die nach dem artenschutzrechtlichen Regelungsgefüge als Ausnahmen konzipierten Vorschriften zum Regelfall. Es wird daher von der Rechtsprechung eine signifikante (auch: deutliche) Erhöhung des Tötungsrisikos gefordert. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Aufweichung des Tötungsverbots durch den Bundestag? Der Bundestag hat mit der Änderung des § 44 Abs. 5 BNatSchG lediglich die ohnehin seit Jahren durch die Gerichte ausgeübte bewährte Praxis in Gesetzesform überführt. Durch diese Änderung ist es daher zu keiner, insbesondere zu keiner „weiteren“, Aufweichung des Tötungsverbots gekommen . 2. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die neue Gesetzgebung dem Artenschutz widerspricht, und wenn nein, weshalb nicht? Es ergeben sich zum bisherigen Zustand keine Veränderungen und somit auch kein Widerspruch zum bisherigen Artenschutzrecht. Es kann auch nicht von einem Verstoß gegen das Artenschutzrecht ausgegangen werden, wenn sich das Tötungsrisiko nicht signifikant/deutlich erhöht. 3. Weshalb ist das Leben von Vögeln, die bisher dem Tötungsverbot unterlagen, weniger wert als das Leben der Wölfe, die unter dem höchsten Schutzstatus stehen? Das Tatbestandsmerkmal der signifikanten Risikoerhöhung betrifft alle Arten, die von einem Eingriff bzw. Vorhaben betroffen sind. Welche Arten von welchen Vorhaben betroffen sind, richtet sich nach der jeweiligen Art und dem jeweiligen Eingriff/Vorhaben. Der Umstand, dass tendenziell eher Vögel bei der Genehmigung von Windenergieanlagen und Wölfe eher bei der Genehmigung von Straßenbauvorhaben betroffen sind, liegt in der Natur der Sache und steht daher nicht im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand des § 44 BNatSchG oder dessen Auslegung. 4. Welche Folgen hat die neue Gesetzgebung für die Artenvielfalt in Niedersachsen? Da es sich, wie bereits oben beschrieben, lediglich um eine Anpassung der jahrelangen Praxis handelt, sind durch die oben angesprochene Gesetzgebung keine Folgen für die Artenvielfalt in Niedersachsen zu erwarten. 5. Wie definiert sich „signifikant“ in diesem Zusammenhang? Es wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 6. Wer entscheidet konkret über die Signifikanz? Es entscheiden die unteren Naturschutzbehörden im Einzelfall. (Ausgegeben am 21.08.2017) Drucksache 17/8601 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8481 Wie bewertet die Landesregierung die Aufweichung des Tötungsverbots nach § 44 BNatschG durch den Bundestag? Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz