Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8603 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8480 - Wettbewerbsverzerrung durch Gefängnisbetriebe in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Jörg Bode (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 17.07.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 19.07.2017 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 18.08.2017, gezeichnet Antje Niewisch-Lennartz Vorbemerkung der Abgeordneten Das Magazin Spiegel berichtete am 1. Mai 2017 in einem Artikel mit der Überschrift „Arbeit im Gefängnis - Billiglöhner hinter Gittern“ über die Löhne in den Betrieben der Justizvollzugsanstalten (JVA) - folgend Gefängnisbetriebe - in Niedersachsen und das Konkurrenzverhältnis zu den Firmen in der freien Wirtschaft. Der Mindestlohn gilt nicht für die Tätigkeiten in den JVA, daher können diese Gefängnisbetriebe grundsätzlich zu günstigeren Konditionen als die Konkurrenz außerhalb der JVA produzieren. Dieser Umstand führt dazu, dass die örtlichen Firmen erhebliche finanzielle Nachteile erleiden müssen, die das Fortbestehen der Firma gefährden. Als ein solcher Fall wird in dem besagten Artikel die Geschichte von Raik Weigelt, 51 Jahre, aus Burgdorf bei Hannover angeführt. Im Jahr 2001 machten er und seine Ehefrau sich als Verpackungsdienstleister selbstständig. Das Geschäft lief zwischenzeitlich gut, sodass das Ehepaar eine Halle mit Arbeitsräumen einkaufte und 60 Leute in seinem Unternehmen beschäftigte. Allerdings als die JVA Sehnde - nur 20 Autominuten entfernt - einen Verpackungsdienst in den Räumen der Anstalt unter günstigeren Bedingungen, ohne Mindestlohn und Rentenversicherung, angeboten hat, gingen die Umsätze zurück, sodass seine Firma derzeit nur noch fünf Personen beschäftigen kann. Vorbemerkung der Landesregierung Nach den gesetzlichen Vorgaben des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG) dienen Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung sowie Aus- und Weiterbildung dem Ziel, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten und zu fördern. Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung sowie Aus- und Weiterbildung sind wesentliche Behandlungsmaßnahmen , die auf die Resozialisierung der Gefangenen zielen. Sie ermöglichen es den Gefangenen, zum einen den Tag zu strukturieren, zum anderen aus dem erzielten Arbeitsentgelt bzw. der Ausbildungsbeihilfe das Überbrückungsgeld für den notwendigen Lebensunterhalt der oder des Gefangenen und ihrer oder seiner Unterhaltsberechtigten in den ersten vier Wochen nach der Entlassung zu sichern. Die Ausgestaltung der Gefangenenbeschäftigung folgt dem gesetzlichen Auftrag. Die Arbeitsbetriebe der Justizvollzugsanstalten orientieren sich in ihrer Ausstattung und ihrem Leistungsangebot an den Verhältnissen der freien Wirtschaft. Es gibt zahlreiche Faktoren, die den Arbeitsprozess und die Wirtschaftlichkeit im Justizvollzug nachteilig beeinflussen. So ist die Produktivität eines Gefangenen nicht vergleichbar mit der eines freien Arbeitnehmers, da Gefangene oftmals nicht an regelmäßiges Arbeiten gewöhnt und auch nicht altersgemäß belastbar sind. Die logistische Situation in Vollzugsanstalten sowie das Verbot Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8603 2 der Teilnahme am Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen gemäß VOL/A wirken sich ebenfalls nachteilig aus. Sozialversicherung und Entlohnung der Gefangenen folgen den Regelungen der Sozialgesetzgebung . Der gesetzliche Mindestlohn gilt nicht für Gefangene (vgl. BAG, Beschluss vom 3. Oktober 1978 - 6 ABR 46/76 - juris, dort Rn. 13 ff.; BVerwG, Beschluss vom 14. August 2013 - 6 P 8/12 - juris , dort Rn. 13 f.; BVerfG, Beschluss vom 1. Mai 1995 - 2 BvR 646/93 u. a. - juris Rn. 13). Als Kalkulationsgrundlage für die Gefangenenarbeit wird nicht die Höhe der Gefangenenlöhne angesetzt , sondern vergleichbare ortsübliche Löhne freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Gefangenenarbeit ist im Lohnsegment der Behindertenwerkstätten und der Heimarbeit anzusiedeln. Auf diese Weise wird der verminderten Leistungsfähigkeit vieler Gefangener Rechnung getragen. Die Ergebnisse werden als Deckungsbeitrag für die entstandenen Kosten der Gefangenenbeschäftigung jährlich an den Landeshaushalt abgeführt. Die Auftragskalkulation im Segment „Sortier- und Verpackungsarbeiten“, zu welchem die im Spiegel genannte Firma zählen dürfte, erfolgt auf Grundlage von Heimarbeitstarifen wie in vergleichbaren Betrieben außerhalb des Vollzugs auch. Die Justizvollzugsanstalten treten dabei durchaus in Konkurrenz zu den in diesem Segment tätigen Betrieben. Aufgrund limitierter Kapazitäten in den Vollzugseinrichtungen findet ein bewusster Verdrängungswettbewerb aber nicht statt. Der Vollzug bemüht sich in erster Linie um eine sinnvolle Beschäftigung der Gefangenen; eine starke Marktposition wird nicht angestrebt. Das bestätigen die Geschäftsergebnisse des Jahres 2016. Der Umsatzanteil im Segment „Sortier- und Verpackungsarbeiten“ nimmt lediglich einen Anteil i. H. v. 6,9 % am Gesamtumsatz ein. Der niedersächsische Justizvollzug versteht sich weniger als Konkurrent, mehr als Partner der Wirtschaft. Für die heimische Wirtschaft ist die Zusammenarbeit mit Justizvollzugsanstalten ein wichtiger Faktor, da Unternehmerkunden auf Auftragsspitzen ohne eigene Investitionen flexibel reagieren können. Im Geschäftsjahr 2016 wurden Aufträge von etwa 230 Unternehmen an die niedersächsischen Justizvollzugsanstalten vergeben. Die Arbeitsbetriebe der Justizvollzugsanstalten bieten sich vor allem als Subunternehmer der heimischen Wirtschaft an; der Verkauf eigener Erzeugnisse mit der Zielgruppe Endverbraucher nimmt einen eher untergeordneten Stellenwert ein. Der Landesregierung liegen mit Ausnahme des im Spiegel beschriebenen Verpackungsdienstleisters keine Erkenntnisse vor, dass sich mittelständische Firmen durch den Justizvollzug vom Markt gedrängt fühlen. Ein Handlungsbedarf wird von daher nicht gesehen. 1. Hat die Landesregierung Kenntnis von dem oben geschilderten Sachverhalt? Ja. 2. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass aufgrund der günstigeren Bedingungen die JVA die kleinen mittelständigen Firmen aus der Umgebung verdrängen? Siehe Vorbemerkung. 3. Wie beabsichtigt die Landesregierung sicherzustellen, dass örtliche Firmen nicht durch die Gefängnisbetriebe in ihrer Existenz bedroht werden? Siehe Vorbemerkung. (Ausgegeben am 21.08.2017) Drucksache 17/8603 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8480 Wettbewerbsverzerrung durch Gefängnisbetriebe in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums