Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8837 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8794 - Greift Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig in Verfahren ein, wenn Personen im Umfeld der rotgrünen Landesregierung Gegenstand von Ermittlungen sein könnten? Anfrage des Abgeordneten Grant Hendrik Tonne (SPD) an die Landesregierung, eingegangen am 27.09.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 05.10.2017 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 02.11.2017, gezeichnet Antje Niewisch-Lennartz Vorbemerkung des Abgeordneten Die Landesregierung hat meine Kleine Anfrage zur mündlichen Beantwortung zum Thema: „Wird die Staatsanwaltschaft Hannover durch Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig gegen ihren Willen zu Ermittlungen gegen Dr. Brandt (CIMA) gezwungen?“ in der Drucksache 17/8755 wie folgt beantwortet : „Der Leitende Oberstaatsanwalt S. von der Generalstaatsanwaltschaft Celle wies die Staatsanwaltschaft Hannover mit E-Mail vom 28.08.2017 auf einen Artikel im Rundblick Nr. 147 hin, ausweislich dessen die Sozialministerin Einfluss auf eine Auftragsvergabe an das Institut CIMA genommen haben soll. Er bat die Staatsanwaltschaft um Mitteilung, ob ein Anfangsverdacht wegen einer etwaigen Straftat geprüft werde. Die Staatsanwaltschaft teilte daraufhin mit Bericht vom 29.08.2017 mit, dass nach ihrer Auffassung ein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten nicht gegeben sei. Sie habe von der Einleitung von Ermittlungen abgesehen, weil die bekannten Presseveröffentlichungen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht rechtfertigten. Sie werde den Sachverhalt aber weiter im Blick behalten und habe deshalb einen Beobachtungsvorgang angelegt. Nach Eingang des Berichts vom 29.08.2017 bat Herr Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig den Herrn Leitenden Oberstaatsanwalt S., eine rechtliche Bewertung hinsichtlich eines möglichen Anfangsverdachts vorzunehmen. Dieser teilte Herrn Dr. Lüttig daraufhin seine Einschätzung mit, dass die Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorlägen. Herr Dr. Lüttig nahm nunmehr Kontakt mit dem Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Hannover auf und bat ihn um ein Gespräch am Morgen des folgenden Tages. Am 30.08.2017 kam es in den Räumen der Generalstaatsanwaltschaft Celle zu einer Besprechung, an der von der Generalstaatsanwaltschaft sowohl Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig als auch der Leitende Oberstaatsanwalt S. teilnahmen. Von der Staatsanwaltschaft Hannover waren neben dem Leitenden Oberstaatsanwalt der zuständige Abteilungsleiter sowie der zuständige Dezernent anwesend . Die Staatsanwaltschaft Hannover blieb bei der Auffassung, dass sie die Voraussetzungen eines Anfangsverdachts für nicht gegeben erachte. Später erörterte der Leitende Oberstaatsanwalt S. die in der Besprechung zum Ausdruck gekommenen unterschiedlichen Auffassungen mit weiteren Mitarbeitern der Abteilung III/Zentrale Stelle Organisierte Kriminalität und Korruption. Das Ergebnis dieser Erörterung, dass ein Anfangsverdacht zu bejahen sei, trug der Leitende Oberstaatsanwalt S. sodann am 30.08.2017 Herrn Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig vor, der daraufhin entschied, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, die Ermittlungen aufzunehmen. In Umsetzung dieser Entscheidung formulierte der Leitende Oberstaatsanwalt S. am Folgetag, dem 31.08.2017, unter Berücksichtigung eines weiteren Artikels des Rundblicks ein an den Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover gerichtetes Schreiben. Da Herr Dr. Lüttig am 31.08.2017 aus dienstlichen Gründen nicht im Hause war, unterzeichnete der Leitende Ober- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8837 2 staatsanwalt S. das Schreiben vom 31.08.2017 in dessen Vertretung selbst und leitete es Herrn Dr. Lüttig anschließend zur Kenntnisnahme zu. Herr Dr. Lüttig zeichnete das Schreiben am 01.09.2017 als ‚gesehen‘ ab.“ 1. Hat es bereits zuvor oder danach eine Einflussnahme oder eine versuchte Einflussnahme der Generalstaatsanwaltschaft Celle in Verfahren im Umfeld der Landesregierung gegeben? Ist insbesondere versucht worden, weitere Verfahren der Staatsanwaltschaft Hannover oder anderer Staatsanwaltschaften des Geschäftsbereiches der Generalstaatsanwaltschaft - womöglich erneut nach Presseauswertung durch die Generalstaatsanwaltschaft - zu initiieren? Die Generalstaatsanwaltschaft Celle ist in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde von den nachgeordneten Staatsanwaltschaften mit allen Verfahren, die der Allgemeinen Verfügung des Justizministeriums vom 23.10.2015 (Berichtspflichten in Straf- und Bußgeldsachen) unterliegen, zu befassen. Dazu zählen auch Verfahren, die sich auf das „Umfeld der Landesregierung“ beziehen. Ermittlungsverfahren oder Vorprüfungsverfahren gegen Mitglieder der Landesregierung und/oder deren Umfeld werden aber statistisch nicht erfasst. Auch bereitet die gebotene Eingrenzung des Personenkreises , der dem erfragten „Umfeld“ der Landesregierung zuzurechnen ist, Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund hat Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig berichtet, dass eine händische Auswertung des Aktenbestandes der Generalstaatsanwaltschaft Celle bzw. des Aktenbestandes der Staatsanwaltschaften Bückeburg, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Stade und Verden erforderlich sei, um die Frage genau zu beantworten. Eine solche Auswertung ist in einer zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zeitlich und personell vertretbaren Art und Weise nicht zu leisten. 2. Stellt es einen üblichen Vorgang dar, dass Abteilungsleiter der Generalstaatsanwaltschaft Auswertung von Presseartikeln mit Blick auf mögliche Anhaltspunkte für Straftaten betreiben, und zählt dies zu ihrem originären Aufgabenbereich? Sollte dies nicht der Fall sein: Warum ist dies im konkreten Fall erfolgt, obwohl die Prüfung eines Anfangsverdachtes - auch anhand von Presseberichterstattung - und der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens die originäre Aufgabe der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft ist? Der Leiter der Zentralen Stelle Organisierte Kriminalität und Korruption (ZOK), der zugleich auch Leiter der Abteilung III der Generalstaatsanwaltschaft Celle ist, nimmt keine gezielte Auswertung von Presseartikeln über mögliche strafbare Handlungen vor. Er ist jedoch - wie auch die weiteren Mitglieder der ZOK - gehalten, strafrechtlich relevante Erkenntnisse, die er aus der Presse, dem Internet oder sonstigen Quellen gewinnt, an die zuständige Staatsanwaltschaft im Bezirk der Generalstaatsanwaltschaft Celle weiterzuleiten, falls diese Erkenntnisse dort von Interesse sein könnten. Auch andere Abteilungsleiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle verfahren entsprechend, sofern davon auszugehen ist, dass die Informationen dort nicht vorliegen könnten. Die Informationen, die zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Herrn Dr. Brandt (CIMA) führten, ergaben sich aus dem Rundblick. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat berichtet, dass die Staatsanwaltschaft Hannover zum damaligen Zeitpunkt nach dem Kenntnisstand der Generalstaatsanwaltschaft diese elektronische Zeitschrift noch nicht abonniert hatte. Der Generalstaatsanwaltschaft erschien deshalb ein Hinweis auf den Inhalt des Rundblicks angezeigt. 3. Aus welchem Grunde sah sich die Generalstaatsanwaltschaft Celle gehalten, im konkreten Falle - sollte es weitere vergleichbare geben, auch dort - als Fachaufsicht in den Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft einzugreifen? Besteht seitens der Generalstaatsanwaltschaft Celle kein Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Staatsanwaltschaft Hannover, sodass ein proaktives Einschreiten der Fachaufsicht geboten scheint? Gab es zuvor vergleichbare Vorgänge, die seitens der Generalstaatsanwaltschaft die Einschätzung begründeten, ein Agieren der Staatsanwalt- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8837 3 schaft Hannover in eigener Zuständigkeit würde ein zukünftig aktives und frühzeitiges Eingreifen der Fachaufsicht notwendig machen? Die Generalstaatsanwaltschaft Celle pflegt zu den nachgeordneten Behörden und damit auch zur Staatsanwaltschaft Hannover grundsätzlich ein vertrauensvolles und kooperatives Arbeitsverhältnis . In dem Verfahren gegen Dr. Brandt (CIMA) sah Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig aus den in der Antwort der Landesregierung (Drucksache 17/8755) dargelegten Gründen Anlass, die Staatsanwaltschaft Hannover um die Aufnahme von Ermittlungen zu bitten. Herr Dr. Lüttig hat nach seinen eignen Angaben keine Erinnerung, ob es vor dem Verfahren gegen Herrn Dr. Brandt (CIMA) vergleichbare Vorgänge gegeben hat, die seitens der Generalstaatsanwaltschaft die Einschätzung begründeten , ein Agieren der Staatsanwaltschaft Hannover in eigener Zuständigkeit mache ein aktives und frühzeitiges Eingreifen der Fachaufsicht notwendig. Die Generalstaatsanwaltschaft bewertet ihr Verhalten im Fall CIMA zudem nicht als „proaktives fachaufsichtliches Einschreiten“, weil sie lediglich auf einen Artikel im Rundblick hingewiesen habe, der nach ihrer Kenntnis der Staatsanwaltschaft Hannover nicht vorgelegen habe, und sie zudem nur um Mitteilung gebeten habe, ob hinsichtlich des im Rundblick beschriebenen Vorgangs ein Anfangsverdacht geprüft werde. 4. In welchen Fällen hat die Generalstaatsanwaltschaft in den letzten drei Jahren aufgrund von Presseberichterstattung Behörden ihres Geschäftsbereichs um die Prüfung eines Anfangsverdachtes gebeten und warum jeweils? Handelte es sich ebenfalls um Vorgänge im Umfeld der Landesregierung und, wenn ja, um welche? Die Generalstaatsanwaltschaft Celle führt hierzu keine Statistik. Hinweise auf Presseberichterstattung zu Vorgängen, die eine Staatsanwaltschaft aus dem Geschäftsbereich anbetreffen und bei denen anzunehmen ist, dass sie der fraglichen Behörde nicht vorliegen, sind jedoch nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft nicht unüblich. Ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen . 5. In wie vielen vergleichbaren Fällen gab es „Fachgespräche“ der geschilderten Art? Stellen diese einen üblichen Vorgang dar? Welches ist der Sinn von „Fachgesprächen “, die zwischen Vorgesetztem und Untergebenen stattfinden - also in einem klaren Weisungsverhältnis -, wenn als Ergebnis die Rechtsauffassung des Vorgesetzten gegen die Rechtsauffassung des Weisungsempfängers durchgesetzt wird? Über die Zahl der Fachgespräche wird keine Statistik geführt. Es ist jedoch ein üblicher Vorgang, dass zwischen Generalstaatsanwaltschaft und nachgeordneter Staatsanwaltschaft solche Fachgespräche geführt werden. Sie dienen dazu, unterschiedliche Auffassungen auszutauschen und gemeinsam eine Lösung für ein Problem zu finden. Das Weisungsrecht des Generalstaatsanwalts (§§ 146, 147 Nr. 3 GVG) kommt nur dann zur Anwendung, wenn eine einvernehmliche Lösung nicht gefunden wird. 6. In welchen vergleichbaren Fällen (mit Ausnahme derer, in denen die Generalstaatsanwaltschaft zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide der Staatsanwaltschaften zuständig war) hat die Generalstaatsanwaltschaft entgegen der rechtlichen Auffassung der zuständigen Staatsanwaltschaft die Prüfung eines Anfangsverdachtes oder die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens angewiesen? Hierzu sind keine Angaben möglich, weil insoweit keine statistischen Daten erhoben werden. Es wäre eine händische Auswertung des Aktenbestandes der Generalstaatsanwaltschaft Celle erforderlich , was zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage in einer zeitlich und personell vertretbaren Art und Weise nicht zu leisten ist. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8837 4 7. In welchen vergleichbaren Verfahren im Umfeld der Landesregierung hat sich die Generalstaatsanwaltschaft in Person von Dr. Lüttig Berichte erstatten lassen oder hat Dr. Lüttig persönlich diese erhalten? Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig hat hierzu berichtet, dass Besprechungen mit der Behördenleiterin und den Behördenleitern des Celler Bezirks Routinevorgänge seien. Zwischen der Generalstaatsanwaltschaft Celle (einschließlich des Generalstaatsanwalts) und den Leitern der nachgeordneten Staatsanwaltschaften würden monatlich Besprechungen durchgeführt. Im Rahmen solcher Besprechungen werde ihm auch über aktuelle Strafverfahren berichtet. Darüber hinaus erfolgten oft anlassbezogene Besprechungen zu einzelnen Strafverfahren, ohne dass sich diese auf die Landesregierung oder deren „Umfeld“ beziehen müssten. In diesen anlassbezogenen Besprechungen werde ihm ebenfalls Bericht erstattet. Angesichts der Häufigkeit solcher Berichte könne er aus seiner Erinnerung heraus nicht mehr nachvollziehen, in welchen konkreten Fällen ihm berichtet worden sei. (Ausgegeben am 02.11.2017) Drucksache 17/8837 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8794 Greift Generalstaatsanwalt Dr. Lüttig in Verfahren ein, wenn Personen im Umfeld der rot-grünen Landesregierung Gegenstand von Ermittlungen sein könnten? Anfrage des Abgeordneten Grant Hendrik Tonne (SPD) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums