Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/8851 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8810 - Wie werden die Ermittlungen in Ritterhude vorangebracht? Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 09.10.2017, an die Staatskanzlei übersandt am 10.10.2017 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 10.11.2017, gezeichnet Antje Niewisch-Lennartz Vorbemerkung des Abgeordneten Im September 2014 explodierte die Chemie-Entsorgungsfirma Organo Fluid GmbH. Bei diesem Vorfall kam ein Mitarbeiter ums Leben, und etliche Wohnhäuser im Umkreis wurden beschädigt. Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft wurden aufgenommen. Aus einer Presseinformation der Staatsanwaltschaft Verden vom 09.05.2016 ergibt sich, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Verden wegen der Explosion erweitert worden seien. Ermittelt werde u. a. wegen Bestechung und Bestechlichkeit. Ein Artikel auf ndr.de vom 09.09.2017 zeigt auf, dass die Anwohner fürchten, dass der Vorfall in Vergessenheit gerate und man das Gefühl habe, dass die Behörden dies aussitzen würden. Am 29.09.2017 übergab ein Vertreter der CDU-Fraktion ein Gutachten zu dieser Thematik der Staatsanwaltschaft Verden. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Firma spätestens seit 2012 unter die sogenannte Seveso-II-Richtlinie hätte fallen müssen. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weise ich darauf hin, dass ich ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung meiner Fragen habe, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. 1. Wie hoch war der Personaleinsatz zu dem o. g. Vorfall in Ritterhude in den Jahren 2014, 2015, 2016 und 2017, d. h., mit wie vielen Arbeitsstunden waren wie viele Staatsanwälte und Polizisten in den Ermittlungsverfahren jeweils in welcher Weise eingesetzt (bitte nach Aktenzeichen sortiert)? Im Zusammenhang mit dem Explosionsereignis vom 09.09.2014 wurden bei der Staatsanwaltschaft Verden drei Ermittlungsverfahren eingeleitet. 601 Js 48125/14, Tatvorwurf: fahrlässige Tötung und unerlaubtes Betreiben einer Anlage Das Verfahren richtet sich gegen den Inhaber des Unternehmens, zwei Mitarbeiter der Organo Fluid Dr. Koczott GmbH sowie eine Mitarbeiterin des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Cuxhaven wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und darüber hinaus gegen die drei Erstgenannten wegen des Verdachts des unerlaubten Betreibens einer Anlage. Hauptsachbearbeiterin dieses Verfahrens war bis November 2016 die Leiterin der Abteilung für Organisierte Kriminalität. Sie hatte die Option, einen weiteren Staatsanwalt in die Ermittlungen einzubinden, soweit dies für erforderlich erachtet würde. Ab November 2016 ist das Verfahren in der Abteilung geführt worden, die schwer- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8851 2 punktmäßig Umweltstrafverfahren bearbeitet. Dort ist ein Staatsanwalt als Hauptsachbearbeiter zuständig , begleitet durch den Leiter dieser Abteilung. 601 Js 7364/15, Tatvorwurf: Bestechung, Bestechlichkeit und Vorteilsgewährung Dieses Verfahren wurde durch die Sachbearbeiterin des Verfahrens 601 Js 48125/14 am 18.02.2015 eingeleitet und gegen den Inhaber der Organo Fluid Dr. Koczott GmbH wegen des Verdachts der Bestechung und der Vorteilsgewährung sowie gegen einen Mitarbeiter des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Cuxhaven wegen des Verdachts der Bestechlichkeit geführt. Im November 2016 ist das Verfahren in die Zentralstelle für Korruptionsstrafsachen abgegeben worden und wurde dort durch den Leiter der Abteilung geführt. Polizeilicherseits sind die Ermittlungen durch die Zentrale Kriminalinspektion (ZKI) Oldenburg geführt worden. 601 Js 32588/16, Tatvorwurf: Bestechlichkeit Dieses Verfahren ist aufgrund der Erkenntnisse der ZKI Oldenburg aus den durchgeführten Ermittlungen im Verfahren 601 Js 7364/15 eingeleitet worden und richtet sich gegen weitere Empfänger von Präsenten. In keinem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Verden werden geleistete Arbeitsstunden gesondert erfasst, sodass eine Aussage zu dem Arbeitszeiteinsatz pro Kalenderjahr nicht möglich ist. Bei der zuständigen Polizeidirektion Oldenburg wurden die Ermittlungen in zwei Teilkomplexen bearbeitet: Komplex I - Ermittlungsgruppe (EG) „Organo“: Gegenstand waren die Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässiger Tötung, der Klärung der Explosions-/Brandursachen, die Verletzungen von Anwohnern sowie Sach- und Umweltschäden. Die Ermittlungen erfolgten in der EG „Organo“ der Polizeiinspektion Verden/Osterholz. Komplex II - Ermittlungskommission (EK) „Malt I + II“: Die Verfahren bezüglich des Verdachts der Bestechlichkeit und der Vorteilsgewährung wurden in der ZKI Oldenburg bearbeitet. Zum Komplex I: Während der Gesamtdauer der polizeilichen Ermittlungen im Zusammenhang mit der Explosion wurde der polizeiliche Personaleinsatz sukzessive den tatsächlichen Anforderungen angepasst. Neben den in der EG „Organo“ eingesetzten Beamten waren anlassbezogen und temporär auch Sondereinsatzkräfte (Technische Ermittlungsgruppe Umweltschutz - TEGU, Kriminaltechnisches Institut - KTI des Niedersächsischen Landeskriminalamts pp.) in die Ermittlungen involviert. Eine stundengenaue Aufstellung der an den Ermittlungen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter existiert nicht. Die folgende Darstellung der zeitlichen Aufwände für die Polizei wurde vom Leiter der EG „Organo“ aufgrund dort vorliegender Informationen zu Einsatz- und Ermittlungszeiträumen erhoben. Für die Berechnung wurde eine Arbeitswoche mit fünf Arbeitstagen mit je acht Dienststunden angesetzt. Enthalten sind auch die Einsatzzeiten der Sondereinsatzkräfte. In der Phase des ersten Angriffs vom 09.09.2014 bis zum 11.09.2014 waren ca. 60 Beamte mit insgesamt ca. 1 000 Dienststunden im Einsatz. In der anschließenden Ermittlungsphase waren ca. 15 Polizeivollzugsbeamte und Beschäftigte in unterschiedlichen zeitlichen Umfängen insgesamt ca. 13 200 Stunden an den Ermittlungen beteiligt . Auf Grundlage der vorgenannten Berechnungen waren im Komplex I somit Polizeibeamte mit einer Gesamtstundenzahl von ca. 14 200 Dienststunden tätig. Die angefallen Arbeitszeiten im Komplex I sind in der Zeit vom 09.09.2014 bis zur Endabgabe des Vorgangs an die Staatsanwaltschaft am 17.03.2016 entstanden. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8851 3 Zum Komplex II: In der ZKI Oldenburg wurde der Ermittlungskomplex von einer Hauptsachbearbeiterin geleitet. Eine stundengenaue Aufstellung der an den Ermittlungen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter existiert ebenfalls nicht. Zunächst war ein Mitarbeiter der Datenverarbeitungsgruppe der ZKI Oldenburg ca. 160 Dienststunden mit der Aufbereitung elektronischer Asservate beschäftigt. Im Anschluss erfolgte die Auswertung der Dateien in den Monaten Mai, Juni und Juli 2015 mit drei Ermittlern und einer Arbeitszeit von ca. 930 Dienststunden. Im August waren noch zwei Ermittler mit der Datenauswertung mit einem Zeitrahmen von ca. 130 Stunden betraut. Von September 2015 bis Oktober 2016 hat die Hauptsachbearbeiterin in ca. 2 000 Dienststunden die Ermittlungsarbeit allein fortgesetzt. An Ortsterminen, Besprechungen und Durchsuchungsmaßnahmen waren während dieser Zeit darüber hinaus 38 Polizeibeamte mit insgesamt 340 Dienststunden beteiligt. Auf der Grundlage der vorgenannten Berechnungen waren im Komplex II somit insgesamt Polizeibeamte mit einer Gesamtstundenzahl von 3 560 Dienststunden tätig. Im Komplex II sind Arbeitszeiten in der Zeit vom Eingang des Verfahrens in der ZKI Oldenburg am 23.02.2015 bis zur endgültigen Abgabe an die Staatsanwaltschaft am 23.06.2017 angefallen. In der Polizeidirektion Oldenburg waren in die Ermittlungen Organo-Fluid insgesamt Polizeibeamte mit einer Gesamtzahl von rund 17 760 Arbeitsstunden eingebunden. Eine Aufstellung der Arbeitszeiten nach Jahren ist - da entsprechende Aufzeichnungen nicht existieren und retrograd nur unter unverhältnismäßig großem Aufwand mit einer im Ergebnis fraglichen Validität erhoben werden können - nicht möglich. 2. Wird die Anzahl der Personen, die in diesem Ermittlungsverfahren ermitteln, aufgrund des übergebenen Gutachtens von der CDU-Fraktion am 29.09.2017 erhöht, wenn ja, inwiefern und, wenn nein, warum nicht? Das Gutachten der CDU-Fraktion beschäftigt sich mit der Frage, ob und gegebenenfalls ab wann der Anlagenkomplex des Unternehmens Organo Fluid Dr. Koczott GmbH vor dem 09.09.2014 vom Geltungsbereich der Störfallverordnung und der Seveso-II-Richtlinie umfasst war. Auswirkungen hat die Beantwortung dieser Frage auf die Genehmigungslage und damit auf das Grundverfahren 601 Js 48125/14. Eine Erhöhung des Personaleinsatzes bei den Ermittlungen ist vor diesem Hintergrund nicht notwendig, da die Genehmigungslage bekannt und gegebenenfalls lediglich neu zu bewerten ist. 3. Wann können die Bürger mit einer Aufklärung des Falls rechnen? 601 Js 48125/14: Nach Abschluss der tatsächlichen und rechtlichen Bewertung. 601 Js 7364/15: Soweit der Verdacht des kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem Betreiber der Anlage und einem Mitarbeiter des Gewerbeaufsichtsamtes Cuxhaven bestand (Bestechung/Bestechlichkeit), ist das Verfahren gegen beide Beschuldigte gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Im Hinblick auf die durch den Anlagenbetreiber an diverse Mitarbeiter von Behörden gewährten Weihnachtspräsente ist das Verfahren wegen des Verdachts der Vorteilsgewährung gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf das Grundverfahren eingestellt worden. Soweit gegen den Mitarbeiter des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Cuxhaven der Verdacht besteht , Vorteile auch von anderen Personen angenommen zu haben, ist das Verfahren noch anhängig . Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/8851 4 601 Js 32588/16: Die Ermittlungen in diesem Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. 4. Beabsichtigt die Staatsanwaltschaft, das bzw. die Verfahren im Oktober - kurz nach der Landtagswahl - einzustellen, und, wenn ja, warum? Ein Abschluss der Verfahren ist unabhängig von den Landtagswahlen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 5. Wenn ja (Frage 4): Wird Frau Ministerin Niewisch-Lennartz die Staatsanwaltschaft im Lichte der o. g. Gutachten anweisen, die Ermittlungen fortzuführen? Wenn nein, warum nicht? Im Grundverfahren 601 Js 48125/14 ist bisher keine verfahrensabschließende Entscheidung der Staatsanwaltschaft Verden ergangen, sodass derzeit bereits deshalb kein Anlass für dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen durch das Justizministerium besteht, die im Übrigen auch in erster Linie der Generalstaatsanwaltschaft Celle oblägen. (Ausgegeben am 13.11.2017) Drucksache 17/8851 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/8810 Wie werden die Ermittlungen in Ritterhude vorangebracht? Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums