Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/111 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Horst Kortlang (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Welche Alternativen gibt es zur Ausweisung des Naturschutzgebietes Tideweser? Anfrage des Abgeordneten Horst Kortlang (FDP), eingegangen am 20.11.2017 - Drs. 18/10 an die Staatskanzlei übersandt am 23.11.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 21.12.2017, gezeichnet Olaf Lies Vorbemerkung des Abgeordneten „Die Tideweser zwischen Lemwerder und der Nordsee ist ein vielgenutzter Verkehrs- und Wirtschaftsraum . Gleichzeitig bildet der Unterlauf des Stromes einen wertvollen Biotopkomplex für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten.“, heißt es in einer Pressemitteilung des NLWKN vom 19.06.2017 (https://www.nlwkn.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/verfahren-zum-natur schutzgebiet-tideweser-laeuft-an-154863.html, Abrufdatum: 25.10.2017). Im Hinblick auf die geplante Ausweisung des Naturschutzgebiets Tideweser zeichnen sich mögliche Konflikte zwischen ökologischen Anforderungen auf der einen Seite und ökonomischen sowie sozialen Anforderungen auf der anderen Seite ab. Die Wesermarsch ist mit ihrer ausgedehnten Weidetierhaltung landwirtschaftlich geprägt. Die Industrie, die vielfach hafenbezogen ist (Nordenham, Brake, Elsfleth, Berne, Lemwerder), ist ebenfalls ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Vorbemerkung der Landesregierung Die Ausweisung eines Schutzgebiets „Tideweser“ dient der EU-rechtlich geforderten Sicherung des FFH-Gebiets 203 „Unterweser“, von Teilen der FFH-Gebiete 026 „Nebenarme der Weser mit Strohauser Plate und Juliusplate“ und 187 „Teichfledermausgewässer im Raum Bremerhaven/Bremen“ sowie der sich räumlich mit diesen überlagernden Teile des EU-Vogelschutzgebiets V27 „Unterweser “. Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) geht von der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Natura-2000-Gebiete aus, der grundsätzlich durch hoheitliche Sicherung Rechnung zu tragen ist (s. Vorbemerkungen der Landesregierung zu Drs. 17/872). Auf das anhängige EU-Vertragsverletzungsverfahren (2014/2262) wegen unzureichender Sicherung der Gebiete von Gemeinschaftlicher Bedeutung (FFH-Gebiete) wird verwiesen. In diesem Rahmen hat Deutschland gegenüber der EU-Kommission zugesichert, die hoheitliche Sicherung bis Ende 2018 und die Festlegung der notwendigen Managementmaßnahmen bis Ende 2020 umzusetzen . Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/111 2 1. Wurde das gesamte Gebiet des geplanten Naturschutzgebietes Tideweser vom Land Niedersachsen als europäisches Schutzgebiet nach der FFH-Richtlinie bzw. nach der Vogelschutzrichtlinie an die EU gemeldet, wenn nein, welche Gebiete wurden in welchem Umfang nicht gemeldet? Ja. Das gesamte Gebiet des geplanten Schutzgebiets „Tideweser“ ist Teil der Natura-2000-Kulisse. 2. Wird die Ausweisung des Naturschutzgebietes Tideweser im derzeit geplanten Umfang von der EU alternativlos gefordert und, wenn ja, warum? Die FFH-Gebiete sind grundsätzlich in dem Umfang zu sichern, wie sie an die europäische Kommission gemeldet wurden. Für die Sicherung ist eine förmliche, im Hinblick auf den räumlichen Umfang vollständige und endgültige Unterschutzstellung, die das Gebiet Dritten gegenüber rechtswirksam abgrenzt und die Anwendung einer mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Schutz- und Erhaltungsregelung zur unmittelbaren Folge hat, erforderlich (EuGH, Urt. v. 07.12.2000 - C-374/98; vgl. Gellermann in: Landmann/Rohmer, BNatSchG, Kommentar, 2010, § 32, Rn. 9 m.w.N.). 3. Wird von der EU alternativlos die Ausweisung als Naturschutzgebiet gefordert und, wenn ja, warum? § 32 BNatSchG setzt die europäischen Anforderungen zur Sicherung der Natura-2000-Gebiete in nationales Recht um. Gemäß § 32 Abs. 2 BNatSchG sind sie entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG zu erklären. Durch geeignete Gebote und Verbote sowie Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen ist sicherzustellen, dass den Anforderungen des Artikels 6 der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) entsprochen wird, § 32 Abs. 3 Satz 3 BNatSchG. Grundsätzlich ist die hoheitliche Sicherung auch durch Festsetzung als Landschaftsschutzgebiet möglich. Dabei liegt die Auswahl zwischen den Schutzgebietskategorien im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Naturschutzbehörde. Das Instrument des Vertragsnaturschutzes kann einem Gebiet nach einschlägiger Rechtsprechung - auch mangels Rechtswirkung gegenüber Dritten - keinen ausreichenden rechtlichen Schutzstatus verleihen und scheidet somit als Sicherungsinstrument aus (EuGH, Urteil vom 25.11.1999 - Az.: Rs. C-96/98 - Rdnrn. 26 ff.). 4. Ist es möglich, dass Gewässer- und Uferbereiche statt als Naturschutzgebiet auch als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen werden und, wenn nein, warum nicht? Auf die Ausführungen zu Frage 3 wird verwiesen. 5. Ist es möglich, dass die sonstigen Bereiche statt als Naturschutzgebiet auch als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen werden und, wenn nein, warum nicht? Auf die Ausführungen zu Frage 3 wird verwiesen. 6. Hätte die Ausweisung als Landschaftsschutzgebiet Vorteile gegenüber der Ausweisung als Naturschutzgebiet und, wenn ja, welche? Eine Landschaftsschutzgebietsverordnung müsste - genauso wie eine Naturschutzgebietsverordnung - den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügen. Diese beinhalten insbesondere die Bewahrung oder Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes der Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse nach Artikel 2 Abs. 2 der FFH-Richtlinie und als Instrument dafür das Verschlechterungsverbot des Artikels 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie. Auch eine Landschaftsschutzgebietsverordnung müsste die spezifischen Vorschrif- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/111 3 ten enthalten, die die Erhaltungsziele und besonderen Belange des jeweiligen Natura-2000-Gebiets sicherstellen. 7. Warum hat das Umweltministerium die Zuständigkeit für das geplante Schutzgebiet per Erlass auf den NLWKN übertragen? Im gemeinde- und kreisfreien Gebiet der Küstengewässer einschließlich des Dollarts, des Jadebusens und der Mündungstrichter der Bundeswasserstraßen Ems, Weser und Elbe (soweit außerhalb des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“) nimmt der NLWKN die Aufgaben der unteren Naturschutzbehörde wahr (§ 3 Abs. 2 der Verordnung über die Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Naturschutzes und der Landschaftspflege [ZustVO-Naturschutz] vom 18.07.2011). Für die Flächen des geplanten Schutzgebiets „Tideweser“, soweit sie in den Gebieten der Landkreise Wesermarsch, Cuxhaven und Osterholz liegen, wurde dem NLWKN die Zuständigkeit für die hoheitliche Sicherung auf Antrag und mit Zustimmung der betreffenden Landkreise gemäß § 32 Abs. 2 NAGBNatSchG übertragen. Der Erlass zur Zuständigkeitsübertragung wurde auf die Dauer von 18 Monaten (geplante Dauer der Bearbeitung inkl. Durchführung des Verordnungsverfahrens) befristet und endet am 31.03.2018. Die Zuständigkeitsübertragung kann verlängert werden. Alternativ könnte die Zuständigkeit auch an Landkreise zurückfallen. Für diesen Fall würde das Gebiet des geplanten Schutzgebiets „Tideweser“ durch mehrere Verordnungen gesichert werden. 8. War die Übertragung der Zuständigkeit auf den NLWKN und damit die Einschränkung des Einflusses der Landkreise auf die Unterschutzstellung des Gebietes Tideweser alternativlos und, wenn ja, warum? Nein. Auf die Ausführungen zu Frage 7 wird verwiesen. 9. Welche Möglichkeiten haben die Landkreise infolge der Übertragung der Zuständigkeit auf den NLWKN noch, auf den Prozess der Unterschutzstellung des Gebietes Tideweser Einfluss zu nehmen? Vor dem Erlass der Schutzgebietsverordnung ist das Einvernehmen mit den drei betroffenen Landkreisen Cuxhaven, Osterholz und Wesermarsch herzustellen. 10. Kann der vielgenutzte Verkehrs- und Wirtschaftsraum nach der geplanten Unterschutzstellung weiter uneingeschränkt von der Schifffahrt genutzt werden - auch im Hinblick auf die Zufahrten zu den zahlreichen Werften, Häfen und Industrieanlagen? Die Schutzgebietsausweisung „Tideweser“ dient der Umsetzung europarechtlicher Anforderungen. Eine zukünftige Verordnung muss die dazu zwingend notwendigen und vor dem Hintergrund der bestehenden Nutzungsanforderungen angemessenen Regelungen umfassen. Die sich aus der FFH-Richtlinie ergebenden Anforderungen an die Verträglichkeit von Projekten mit den Natura- 2000-Zielen bestehen unabhängig von der geplanten Schutzgebietsausweisung und der gewählten Schutzgebietskategorie. Das geplante Schutzgebiet setzt hier keine weitergehenden Anforderungen . Insofern werden die bestehenden Nutzungen sowie künftige Projekte zur Hafenentwicklung durch die geplante Ausweisung des Schutzgebiets „Tideweser“ grundsätzlich nicht erschwert. Der Verordnungsentwurf sieht vor, die der Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben der Wasserstraßenund Schifffahrtsverwaltung des Bundes dienenden Maßnahmen einschließlich der vertraglich obliegenden Pflichten sowie das Befahren mit Wasserfahrzeugen innerhalb des Geltungsbereichs des Bundeswasserstraßengesetzes von den Verboten der Verordnung auszunehmen (vgl. § 3 Abs. 3 der Schutzgebietsverordnungen). Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/111 4 11. Kann das Gebiet der Tideweser nach der geplanten Unterschutzstellung weiter uneingeschränkt von der Landwirtschaft genutzt werden? Der Verordnungsentwurf sieht in § 4 Abs. 3 die Freistellung der ordnungsgemäßen landwirtschaftlichen Bodennutzung nach guter fachlicher Praxis gemäß § 5 Abs. 2 BNatSchG sowie nach den im Verordnungsentwurf im Einzelnen aufgeführten Vorschriften vor. Die an die Freistellung geknüpften Bewirtschaftungsauflagen dienen der Umsetzung europarechtlicher Anforderungen. Sie beschränken sich auf insbesondere zur Einhaltung des Verschlechterungsverbots unabhängig vom Schutzregime zwingend notwendige und vor dem Hintergrund der bestehenden Nutzungsanforderungen angemessene Regelungen. (Verteilt am 03.01.2018) Drucksache 18/111 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Horst Kortlang (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Welche Alternativen gibt es zur Ausweisung des Naturschutzgebietes Tideweser?