Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1176 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay und Julia Willie Hamburg (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung Herkunftssprachlicher Unterricht als Chance - Wird die neue Landesregierung dem Potenzial der Mehrsprachigkeit ausreichend gerecht? Anfrage der Abgeordneten Belit Onay und Julia Willie Hamburg (GRÜNE), eingegangen am 24.05.2018 - Drs. 18/960 an die Staatskanzlei übersandt am 28.05.2018 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung vom 21.06.2018, gezeichnet In Vertretung Gaby Willamowius Vorbemerkung der Abgeordneten 25 % der Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen stammen aus Einwandererfamilien. Im bundesweiten Durchschnitt hat seit Mitte der 2000er-Jahre jedes dritte Kind unter sechs Jahren einen Migrationshintergrund. Wissenschaftliche Untersuchungen weisen darauf hin, dass der vollständige Erwerb der Herkunftssprache sowohl allgemein für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten als auch speziell für den Erwerb einer Zweit- oder Drittsprache von elementarer Bedeutung ist und das Fundament für schulischen Erfolg bereitet. Nach Angaben des Kultusministeriums aus dem Jahr 2016 lernen bereits heute 4 379 Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen Türkisch in der Grundschule. In der vergangenen Wahlperiode wurden seitens der Landesregierung Maßnahmen zur Ausbildung von zukünftigen Lehrkräften ergriffen. Zudem erfolgte eine Ansprache von bereits im Dienst befindlichen Lehrkräften, ob Interesse besteht, an herkunftssprachlichem Unterricht mitzuwirken. Weitere Qualifizierungsmaßnahmen waren in Planung. Vor diesem Hintergrund stellen sich für die Weiterentwicklung von Schulen und deren Angebot herkunftssprachlichen Unterrichts durch die neue Landesregierung folgende Fragen. Vorbemerkung der Landesregierung Es ist aus Sicht der Landesregierung unstreitig, dass eine gute Kenntnis der Herkunftssprache den Erwerb weiterer Sprachen einschließlich der Umgebungssprache begünstigen kann oder ihn zumindest nicht beeinträchtigen muss. Die Hauptverantwortung für den Erwerb der Herkunftssprache liegt allerdings in der Familie. Dort, wo Eltern viel mit ihren Kindern sprechen und ihnen als sprachliches Vorbild dienen, sind die Aussichten für den Erwerb der Herkunftssprache gut. Wo sie dies nicht tun, können Kindertageseinrichtung und Schule nur sehr begrenzt einen Ausgleich schaffen. Vor diesem Hintergrund ist die Landesregierung bemüht, das schulische Sprachenangebot behutsam zu ergänzen. Ziel ist es, möglichst vielen Schülerinnen und Schülern Gelegenheit zu bieten, vorhandene Kenntnisse in anderen als den etablierten schulischen Fremdsprachen zu bewahren und auszubauen, insbesondere auch im Bereich der jeweiligen Schrift- und Bildungssprache. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1176 2 Wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches ergänzendes Sprachenangebot an Schulen ist, dass die einzelne Schule dieses Angebot wünscht und aktiv bewirbt. Außerdem muss sichergestellt sein, dass qualifizierte Lehrkräfte zur Verfügung stehen. 1. Inwiefern wird die neue Landesregierung die Maßnahmen der vorigen Landesregierung weiter vorantreiben, um Mehrsprachigkeit an Schulen weiter zu fördern und möglicherweise zeugnisrelevant zu machen? Das Ziel der Förderung der Mehrsprachigkeit an Schulen wird weiterhin verfolgt. Schon jetzt sind herkunftssprachliche Kenntnisse im Zusammenhang mit Sprachfeststellungsprüfungen und Sprachprüfungen zeugnisrelevant. Auf Grundlage des Runderlasses „Förderung von Bildungserfolg und Teilhabe von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache“ vom 01.07.2014 können Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache, die unmittelbar in die Schuljahrgänge 5 bis 10 aufgenommen werden (sogenannte Seiteneinsteiger), eine Sprachfeststellungsprüfung ablegen, um damit fehlende Kenntnisse in versetzungsrelevanten Fremdsprachen zu ersetzen. Schülerinnen und Schüler des Sekundarbereichs I, die in den Schuljahrgängen 5 bis 10 am Wahlunterricht in ihrer Herkunftssprache kontinuierlich teilgenommen haben, können eine Sprachprüfung in der Herkunftssprache ablegen. Beide Prüfungen, insbesondere die Sprachfeststellungsprüfungen, haben einen hohen Stellenwert im Zeugnis; sie sind ausgleichs- bzw. versetzungsrelevant. Die Zeugnisrelevanz ist außerdem gegeben , wenn die jeweilige Herkunftssprache zum Fremdsprachenangebot der Schule gehört, wie das für Sprecherinnen und Sprechern des Englischen in der Fläche gilt. Über Pilotprojekte wie das bisherige Polnisch-Angebot am Gymnasium Goetheschule, Hannover, kann ein niedrigschwelliger Einstieg in den Status einer weiteren schulischen Fremdsprache ermöglicht werden. Dadurch werden das Fach und der darin erteilte Unterricht zeugnisrelevant. 2. Werden derzeit noch laufende respektive bereits abgeschlossene Modellprojekte zum Thema Mehrsprachigkeit ausgewertet und weiterverfolgt sowie neue Projekte oder Maßnahmen aufgelegt? Welche sind das gegebenenfalls? Anknüpfend an das Projekt „Mehrsprachig erfolgreich sein“ aus den Jahren 2012 bis 2015 wird nach Möglichkeiten gesucht, an Modellstandorten in Schulen Schülerinnen und Schüler auf Zertifikatsprüfungen in Sprachen wie Türkisch, Polnisch und Arabisch vorzubereiten. Einen Einstieg speziell für Arabisch bietet dazu die neue Praxis, einen Teil der Sprachfeststellungsprüfungen Arabisch als externe Zertifikatsprüfungen durchzuführen. Es erscheint denkbar, den Kreis der Prüflinge um solche zu erweitern, die Arabisch gar nicht als Ersatz für eine andere schulische Fremdsprache benötigen, sondern zusätzlich nachweisen wollen. 3. Inwieweit wird die schrittweise Erweiterung des Angebots herkunftssprachlicher Lehramtsfächer weiter vorangetrieben respektive beibehalten (bitte gegebenenfalls mit angedachtem Zeitplan auflisten)? Es gibt keine herkunftssprachlichen Lehramtsfächer, es gibt lediglich sprachliche Lehramtsfächer. Anerkannte Fremdsprachen, für die zurzeit in Niedersachsen ein Lehramtsstudium möglich ist, sind: Chinesisch, Englisch, Französisch, Griechisch, Latein, Niederländisch, Russisch, Spanisch. Es bestehen keine konkreten Pläne der Landesregierung, den Fächerkanon für das Lehramtsstudium im Bereich Sprachen zu erweitern. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1176 3 4. Inwiefern werden zukünftig herkunftssprachliche Angebote an Schulen ausgeweitet oder reduziert (bitte auflisten nach Schulen)? Herkunftssprachlicher Unterricht an Grundschulen gemäß dem vorstehend genannten Runderlass wird eingerichtet, wenn mindestens zehn Schülerinnen und Schüler für solchen Unterricht angemeldet sind, die Schule die Einrichtung eines solchen Angebots befürwortet und eine qualifizierte Lehrkraft zur Verfügung steht. Insofern ist das Angebot im Wesentlichen nachfrageorientiert und wird gerade nicht durch die Landesregierung gesteuert. Es können lediglich nachträglich Zahlen darüber erhoben werden, welche Schulen welche herkunftssprachlichen Angebote in einem bestimmten Schuljahr gemacht haben. 5. Welche Broschüren stellt die Landesregierung aktuell zur Verfügung, um Eltern und Schülerinnen und Schüler zum Thema herkunftssprachlicher Unterricht zu informieren ? Eine allgemeine Broschüre zum Sprachenangebot in den niedersächsischen Schulen ist zurzeit in Vorbereitung. 6. Wie gestalten sich aktuell die Kooperationen mit Hochschulen im Bereich herkunftssprachlicher Unterricht? Es besteht eine Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen im Bereich Türkisch, und zwar durch Beratung, Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen und Erstellung eines Angebots für eine Nachqualifizierung von Lehrkräften. 7. Inwiefern beabsichtigt die Landesregierung, Kooperationen mit Hochschulen im Bereich herkunftssprachlicher Unterricht auszuweiten oder einzustellen? Die Zusammenarbeit soll bedarfsbezogen fortgeführt werden. 8. Welche standardisierten Abfragemöglichkeiten gibt es an Schulen, um Herkunftssprache und Interesse an herkunftssprachlichem Unterricht zu erheben? Eine Abfrage zu den Herkunftssprachen und einem etwaigen Interesse an herkunftssprachlichem Unterricht ließe sich gegebenenfalls durchaus effektiv mit der Schulanmeldung verbinden. Die Gestaltung von Anmeldeformularen unterfällt jedoch der Zuständigkeit der Schulen bzw. der Schulträger , eine Standardisierung durch das Land ist derzeit nicht beabsichtigt. 9. Hat die Landesregierung Schritte unternommen, um die Anerkennung von im Ausland erworbenen Lehramtsabschlüssen zu vereinfachen und den Quereinstieg hier zu verbessern ? Wenn ja, welche? Eine Vereinfachung der Prüfung von im Ausland erworbenen Lehramtsabschlüssen ist nur sehr eingeschränkt möglich. Die Feststellung der Gleichwertigkeit mit einer niedersächsischen Lehramtsausbildung setzt voraus , dass zwischen der im Ausland absolvierten Lehramtsausbildung und der hiesigen keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Aufgrund der unterschiedlich ausgestalteten Lehramtsausbildungen in den Herkunftsländern bestehen teilweise erhebliche Unterschiede, beispielsweise in Studienstrukturen , niedrigeren Eingangsvoraussetzungen, im Niveau des Hochschulabschlusses, aber auch in einer fehlenden, dem hiesigen Vorbereitungsdienst vergleichbaren praktisch-pädagogischen Ausbildung. Bei Feststellung wesentlicher Unterschiede sind diese auszugleichen. Einschlägige Berufserfahrung findet dahin gehend Berücksichtigung, dass sie zum Ausgleich des fehlenden Vorbereitungsdienstes herangezogen wird. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1176 4 Der vorgesehene Ausgleich dieser Unterschiede in den Lehramtsausbildungen dient insbesondere der Sicherung der Qualitätsstandards an niedersächsischen Schulen. Unabhängig von der Feststellung der Gleichwertigkeit besteht aber auch für Lehrkräfte mit einer im Ausland absolvierten Lehrerausbildung aufgrund des Runderlasses vom 23.02.2015 die Möglichkeit der Bewerbung um Einstellung in den Schuldienst im Rahmen des Quereinstiegs. Dies ist insbesondere für diejenigen möglich, deren Abschluss sowohl vom Niveau her, aber auch von den Studieninhalten mindestens einem Unterrichtsfach zugeordnet werden kann. Des Weiteren ist für diese Lehrkräfte - unabhängig von einem formalen Anerkennungsverfahren - auch der Einsatz als herkunftssprachliche Lehrkraft möglich. Die Einstellungs- und Qualifikationsvoraussetzungen sind im vorstehend benannten Runderlass „Förderung von Bildungserfolg und Teilhabe von Schülerinnen und Schülern nichtdeutscher Herkunftssprache“ geregelt. 10. Wenn ja, hat sie bereits Zahlen, die auf eine bessere Aufnahme von Lehrkräften mit im Ausland erworbenen Abschlüssen in den Schuldienst bzw. Maßnahmen zum Quereinstieg hindeuten? Es wird auf die Beantwortung der Frage 9 verwiesen. 11. Wie unterstützt die Landesregierung die Einrichtung bilingualer Kindergärten? Tageseinrichtungen für Kinder in Niedersachsen werden in Trägerschaft von Kommunen und freier Wohlfahrtspflege betrieben. Das Kultusministerium ist im Rahmen der Wahrnehmung der Aufgaben des überörtlichen Trägers der Jugendhilfe gemäß § 85 SGB VIII zuständig für die Aufsicht und Beratung der Kindertagesstätten. Der Träger einer Einrichtung kann auf der Grundlage des gesetzlichen Auftrages der Tageseinrichtungen, des Orientierungsplans für Bildung und Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder sowie der ihn ergänzenden Handlungsempfehlungen die pädagogische Konzeption seiner Einrichtung mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen versehen. Zu einem solchen Schwerpunkt könnten u. a. auch bi- oder trilinguale Konzepte gehören. 12. Hat sich die Praxis seit der Beschlussfassung in der Drucksache 17/7784 geändert? Die Praxis hat sich seit der Beschlussfassung in der oben genannten Drucksache nicht geändert. 13. Wie hat sich die Anzahl der Kindergärten seit der Beschlussfassung in der Drucksache 17/7784 geändert? Ob und gg in welchem Umfang in Kindertagesstätten bi- oder sogar trilinguale Angebote erfolgen, wird landesseitig nicht statistisch erfasst. Demzufolge liegt dem Kultusministerium keine valide Übersicht über Kindertagesstätten mit derartigen Angeboten vor. Dessen ungeachtet sind dem Kultusministerium derzeit elf Kindertagesstätten bekannt, die zwei- oder sogar dreisprachige Angebote in ihrer pädagogischen Konzeption verankert haben. Zu den angebotenen Sprachen gehören neben Englisch und Französisch auch Spanisch und Chinesisch. (Verteilt am 25.06.2018) Drucksache 18/1176 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay und Julia Willie Hamburg (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums Herkunftssprachlicher Unterricht als Chance - Wird die neue Landesregierung dem Potenzial der Mehrsprachigkeit ausreichend gerecht?