Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1230 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Gewalt gegen Polizeibeamte - Was sind die Folgen? Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 08.06.2018 - Drs. 18/1057 an die Staatskanzlei übersandt am 12.06.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 03.07.2018, gezeichnet In Vertretung Stephan Manke Vorbemerkung des Abgeordneten Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2017 ist die Zahl der Fälle von Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte erneut angestiegen. 41,7 % der 3 179 Fälle waren Körperverletzungen. Es vergeht kein Tag, an dem keine Angriffe gegen Vollzugsbeamte gemeldet werden. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung misst dem Thema „Gewalt gegen Polizeibeamte“ einen hohen Stellenwert bei. So hat sie in der vorangegangenen Legislaturperiode vermehrt in die Ausrüstung und die Eigensicherung von Polizeibeamtinnen und -beamten investiert. Daneben hat Niedersachsen im Juni 2015 auf der Innenministerkonferenz im Saarland eine Initiative zur Überprüfung strafrechtlicher Vorschriften zum Schutz von Polizeibeamtinnen und -beamten unterstützt. Auch die Polizei Niedersachsen widmet sich mit großer Aufmerksamkeit dem Phänomenbereich „Gewalt gegen Polizeibeamte“. Im Rahmen der polizeieigenen Strategie 2020 wurden in diesem Kontext Ziele und Maßnahmen, u. a. zu den Themen der Eigensicherung, Ausstattung, Kommunikation , Einsatznachbereitung sowie Gewaltforschung, entwickelt, die kontinuierlich fortgeschrieben werden. Weiterhin werden fortlaufend Analysen des Phänomens Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte (PVB) auf der Grundlage bestehender Lagebilder (Bund, Land, Behörden ) sowie der Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik vorgenommen. Dieses erfolgt, unter Einbeziehung der Behörden, mit dem Ziel der Identifizierung von Handlungsfeldern sowie der Entwicklung von Handlungsempfehlungen. Die Vermeidung und Reduzierung von Gewalt gegen PVB und die damit verbundenen Deeskalationsstrategien sind ein wichtiger Schwerpunkt der Strategie 2020 und damit auch essentieller Bestandteil der Aus- und Fortbildung der Polizei Niedersachsen. Diesem Ziel wird bereits in der Ausbildung im Rahmen des akkreditierten Bachelorstudiengangs an der Polizeiakademie Niedersachsen eine große Bedeutung beigemessen. Gleich zu Beginn des Studiums werden die Studierenden auf den Umgang mit konfliktbehafteten Situationen in der polizeilichen Praxis vorbereitet. Inhaltlich werden u. a. psychologische und soziologische Erklärungsansätze thematisiert. Hierbei wird das Thema „Gewalt und Polizei“ mehrdimensional betrachtet und vermittelt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1230 2 Nach der Ausbildung dient das erst im vergangenen Jahr umfänglich überarbeitete Polizeitrainingskonzept der Zielsetzung, PVB vor Gewalt und Verletzungen zu schützen und die Akzeptanz polizeilichen Einschreitens zu steigern. Ziel aller Polizeitrainings ist es, durch Vermittlung von Handlungskompetenz ein größtmögliches Maß an Sicherheit für alle Beteiligten im Rahmen polizeilicher Einsätze zu gewährleisten. In den Trainings werden u. a. die Fähigkeiten zur Stressbewältigung, Eingriffstechniken sowie Taktik und Eigensicherung zur erfolgreichen Bewältigung von Einsätzen erlernt . Auch auf die Bewältigung von Einsatzlagen mit erhöhter Eigengefährdung (Schwerpunkt Terrorlagen ), Notzugriffen und Amoklagen ist die niedersächsische Polizei durch intensive Trainings und Schulungen bestmöglich vorbereitet. Das bisherige Konzept zur Bewältigung von besonderen Einsatzlagen wird aktuell durch eine landesweite Arbeitsgruppe überarbeitet und in einem neuen Konzept „Lebensbedrohliche Einsatzlagen“ fortgeschrieben. In praktischen Trainings soll die Bewältigung solcher Einsatzsituationen anschließend den PVB vermittelt werden. Ein wesentlicher Baustein, das Erlebte bei konflikt- und gewaltbehafteten Situationen zu verarbeiten , ist eine strukturierte Einsatznachbereitung. Zur Nachbereitung von Gewaltfällen sowie einer noch weiter gehenden Betreuung und Fürsorge für PVB hat am 01.01.2017 die Durchführung einer flächendeckenden strukturierten Einsatznachbereitung und Nachsorge im Anschluss an konflikt-/gewaltbehaftete Situationen im polizeilichen Alltag im Rahmen eines Projektes begonnen. Das noch bis September 2018 laufende Projekt soll Belastungen frühzeitig erkennen helfen, Einsätze strukturell reflektieren, Erkenntnisse für zukünftige Einsätze generieren und eine optimale Nachsorge von betroffenen PVB implementieren. Die strukturierte Nachbereitung ist somit ein Baustein in der professionellen Einsatzbewältigung, auch zur zukünftigen Verhinderung von gewalttätig eskalierenden Situationen. Darüber hinaus stehen zur Erstbetreuung von PVB mit einer Gewalterfahrung nach entsprechenden Ereignissen weiterhin geschulte Kriseninterventionsteams, die Regionalen Beratungsstellen, der Sozialwissenschaftliche Dienst, der Medizinische Dienst und der Kirchliche Dienst in Polizei und Zoll zur Verfügung. Die Daten zu den Fragen 1 bis 5 wurden im Rahmen einer Abfrage bei den Polizeibehörden und der Polizeiakademie Niedersachsen mit Stichtag 13.06.2018 erhoben. Es ergeht der Hinweis, dass durch Gewalt gegen PVB sowohl physische als auch psychische Verletzungsfolgen entstehen können. 1. Wie viele Polizisten in Niedersachsen waren im Jahr 2017 aufgrund im Dienst erlittener Verletzungen zeitweise dienstuntauglich? 220 PVB waren im Jahr 2017 aufgrund durch Gewalt gegen PVB im Dienst erlittener Verletzungen zeitweise dienstunfähig erkrankt. 2. Wie viele Polizisten in Niedersachsen wurden im Jahr 2017 aufgrund im Dienst erlittener Verletzungen vorzeitig in den Ruhestand versetzt? 4 PVB wurden im Jahr 2017 aufgrund durch Gewalt gegen PVB im Dienst erlittener Verletzungen vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Der Zeitpunkt des Vorfalls kann hierbei naturgemäß in den vorangegangenen Jahren liegen. 3. Wie viele Suizide gab es bei niedersächsischen Polizeivollzugsbeamten im Jahr 2017? Im Jahr 2017 gab es 5 Suizide niedersächsischer PVB. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1230 3 4. Bei wie vielen dieser Suizide von Polizeibeamten ist ein dienstlicher Zusammenhang erkennbar? Ein gesicherter dienstlicher Zusammenhang war bei keinem der unter Antwort 3 aufgeführten Suizide erkennbar. 5. Wie viele Polizisten wurden nach traumatischen Einsätzen im Jahr 2017 betreut? Die psychosoziale Unterstützung der niedersächsischen PVB wird in erster Linie durch die Regionalen Beratungsstellen der Polizeibehörden und der Polizeiakademie Niedersachsen gewährleistet. Die Annahme der Angebote der psychosozialen Unterstützung beruht auf Freiwilligkeit und die Durchführung findet in einem geschützten, vertrauensvollen Rahmen unter Beachtung des Verschwiegenheitsgebotes statt. Aus diesen Gründen verzichten die Regionalen Beratungsstellen grundsätzlich auf eine themengenaue Aufschlüsselung der Beratungsanlässe, so dass dem Landespolizeipräsidium keine validen Daten darüber vorliegen, wie viele niedersächsische PVB im Jahr 2017 nach traumatischen Anlässen im Sinne von Gewalt gegen PVB durch die Regionalen Beratungsstellen betreut wurden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 6. Welche Maßnahmen hat das Innenministerium seit 2017 ergriffen, um die Polizeiarbeit angesichts steigender Arbeitsbelastung sicherer zu machen? Die Polizei Niedersachsen hat sich mit einer sorgfältigen und intensiven Prüfung, einer großen Beteiligung der Anwendenden sowie gezielten Investitionen auf die sich verändernde Sicherheitslage eingestellt. Die vorliegenden Konzepte sind mit Betroffenen und Experten intensiv erarbeitet (insbesondere in Workshops) und abgestimmt worden. Die hiesige Pflicht zur modernen, sachgerechten Ausstattung der Landespolizei ist umfänglich erfüllt. Die PVB des Landes Niedersachsen sind umfänglich mit den benötigten Führungs- und Einsatzmitteln sowie Waffen ausgestattet. Die Verfügbarkeit von optimaler persönlicher Schutzausstattung für jede und jeden PVB unterliegt dabei der höchsten Priorität. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die Eigensicherung und den Schutz vor gewalttätigen Angriffen gelegt. Alle PVB erhalten in Niedersachsen eine persönlich angepasste ballistische Unterziehschutzweste der Schutzklasse 1 (Schutz vor Handfeuerwaffen mit Vollmantelweichkerngeschossen). Nach Ablauf der 10-jährigen Herstellergewährleistung werden diese Schutzwesten ausgetauscht und vernichtet . Eine Verlängerung der Tragezeit findet - wie in anderen Bundesländer praktiziert - in Niedersachsen nicht statt. Die Angehörigen der geschlossenen Einheiten (Bereitschaftspolizei und Aufrufhundertschaften) sind mit einer leichten und - im Bereich der Festnahmeeinheiten - mit einer schweren Körperschutzausstattung sowie persönlich mit einem Schlagschutzhelm ausgestattet. Die leichte Körperschutzausstattung wurde jüngst komplett erneuert und um einen Stichschutz erweitert. Die Funkstreifenwagen wurden mit Überziehschutzwesten (sogenannte Plattenträgern) der Schutzklasse 4 ausgestattet (schützt vor Langwaffen mit Hartkerngeschossen). Weiter ist vorgesehen, ballistische Schutzhelme für die polizeiliche Praxis analog der Plattenträger zu beschaffen. Das erforderliche Beschaffungsverfahren ist veranlasst. Die Visiereinrichtung der Maschinenpistole H&K MP 5 wird aktuell mit einem sogenannte Leuchtpunktvisier aufgerüstet. Die Einführung von Bodycams hat im Dezember 2016 begonnen. Aktuell erfolgen Maßnahmen zur flächendeckenden Einführung. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. (Verteilt am 10.07.2018) Drucksache 18/1230 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung