Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1262 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Notfallversorgung in Niedersachsen Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP), eingegangen am 05.06.2018 - Drs. 18/1039 an die Staatskanzlei übersandt am 07.06.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 09.07.2018, gezeichnet Dr. Carola Reimann Vorbemerkung der Abgeordneten In Deutschland weisen Notaufnahmen einen immer stärkeren Andrang auf. Von 2009 bis 2015 stieg die Zahl der Notaufnahmepatienten von 2,5 auf 8,5 Millionen. Die Notfallversorgung der Krankenhäuser wird zunehmend von Patienten ohne Überweisung beansprucht, und dies auch während der Sprechstunde niedergelassener Ärzte. Laut Befragung dieser Patienten stufen viele ihre Situation gravierender ein, als auf einen Termin bei einem Allgemeinmediziner zu warten, und sie erhoffen sich im Klinikum eine umfassendere Versorgung. Doch die Befragung zeigt auch, dass einige gar nicht wissen, dass die Notaufnahme nicht die erste Anlaufstelle im Krankheitsfall ist und man dort eigentlich nicht ohne Überweisung erscheinen kann. Schon Ende 2016 forderten Kliniken mehr Geld, um das Aufkommen stemmen zu können. Der Bundesausschuss ließ daraufhin eine Evaluation durchführen mit dem Ergebnis, dass man ein Stufenkonzept aufbauen müsse, gegliedert nach Basis-, erweiterter und umfassender Versorgung. Anhand dieser Stufung solle auch die Bezuschussung ausfallen. Außerdem wurde konstatiert, dass ein Drittel der Notfallversorgung der 1 748 Kliniken geschlossen werden könnten, da diese nur 5 % der Notfallpatienten behandeln würden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zufolge könne trotzdem noch die Versorgung auch in ländlichen Gegenden gesichert werden (http://www.faz.net/ aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/jeder-dritten-klinik-wird-das-geld-fuer-die-notfallversorgung-gestri chen-15548786.html). Um eine bessere Strukturierung zu schaffen und sich mit Personen auseinanderzusetzen, die eigentlich keinen Bedarf an Notfallversorgung haben, sollen Portalpraxen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser geschaffen werden. Die Errichtung soll Wartezeiten minimieren. Laut Medienberichten gibt es an der Medizinischen Hochschule Hannover und dem Klinikum Braunschweig bereits Projekte zur Portalpraxis (https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/notfall-u-katastrophenversorgung /article/961837/notaufnahmen-kv-niedersachsen-bremst-portalpraxen.html). Vorbemerkung der Landesregierung Nach Auffassung der Landesregierung spricht man von einer „Portalpraxis“ in den Fällen, in denen eine zeitliche, räumliche und organisatorische Trennung zwischen Notfallambulanz eines Krankenhauses und dem vertragsärztlichen Notdienst entfällt. Bereits jetzt sind im Rahmen von § 75 Abs. 1 b des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) Kooperationen möglich, bei denen Notdienst-/Bereit- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1262 2 schaftsdienstpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) und Notfallambulanz an einem Krankenhausstandort vorhanden sind. In Niedersachsen gibt es derzeit 62 (von landesweit 69) Allgemeine Bereitschaftsdienstpraxen der KVN an Krankenhäusern - allerdings räumlich und organisatorisch getrennt und nicht durchgehend besetzt. Die bisherige Form der Zusammenarbeit muss weiter ausgebaut werden, idealerweise so, dass die Patientinnen und Patienten von vornherein in den für sie bedarfsgerechten Versorgungsbereich geleitet werden und eine Fehlsteuerung bereits im Ansatz unterbunden wird. Dafür können auch sogenannte Portalpraxen im o. g. Sinne geeignet sein. Zur Ausgestaltung liegen konkrete Vorschläge vor: So haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Marburger Bund bereits im September 2017 ein Konzept zur Reform der Notfallversorgung vorgelegt hat. Dies entspricht in wesentlichen Teilen wiederum Grundideen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, der am 3. Juli dieses Jahres dem Bundesgesundheitsministerium seine vollständigen Reformvorschläge zu sogenannten integrierten Notfallzentren vorgelegt hat. Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien auf Bundesebene ist vereinbart worden, dass zur Verbesserung der Notfallversorgung eine gemeinsame Sicherstellung durch Landeskrankenhausgesellschaft und Kassenärztliche Vereinigungen in gemeinsamer Finanzverantwortung geschaffen werden soll. Sobald die notwendigen Rahmenvorgaben durch den Bundesgesetzgeber auf den Weg gebracht sind, können die erforderlichen Schritte zur Bewältigung dieser Schnittstellenproblematik in Niedersachsen zügig eingeleitet werden. Jeder Vorschlag muss aber die Finanzierungsfrage an der Schnittstelle zwischen ambulant/stationär überzeugend lösen und vor allem dem Umstand Rechnung tragen, dass erfahrene Vertragsärztinnen und Vertragsärzte - insbesondere Allgemeinmediziner, also Hausärztinnen und Hausärzte - nicht der Versorgung in der Fläche entzogen werden dürfen. 1. Werden die Mittel, die nun nicht mehr einem Drittel der Kliniken für die Notfallversorgung zukommen, auf die bleibenden Notfallversorgungen umverteilt? Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 19. April 2018 seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend die Erstfassung der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern (§ 136 c Abs. 4 SGB V) beschlossen. Der Beschluss des G-BA bildet die Grundlage der nun folgenden Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien auf Bundesebene über Zu- und Abschläge für die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an der Notfallversorgung. Vertragsparteien sind der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung , der Verband der privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft . Die Landesregierung ist an diesen Verhandlungen nicht beteiligt. Sie geht aber davon aus, dass die Mittel der Krankenhäuser, die nicht mehr an der Notfallversorgung teilnehmen, auf die verbleibenden Notfallstrukturen umverteilt werden. 2. Wer legt die neuen Mittel in den einzelnen Stufen fest, und werden diese von den Fachgesellschaften /Notfallaufnahmen als ausreichend erachtet? Die Festlegung der Mittel für die einzelnen Notfallstufen erfolgt über eine Vereinbarung der Selbstverwaltung auf Bundesebene. Der Landesregierung liegen weder Informationen darüber vor, wie hoch die Zuschläge für die einzelnen Notfallversorgungsstufen sein werden, noch ob diese von den Fachgesellschaften als ausreichend erachtet werden. 3. Wie viele Klinken in Niedersachsen erfüllen die oder mindestens eine der Stufen des Konzepts des Bundesausschusses (bitte aufgeschlüsselt nach Stufen)? Der G-BA hat die Aufgabe, ein gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern, einschließlich einer Stufe für die Nichtteilnahme an der Notfallversorgung, zu entwickeln. Für jede Stu- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1262 3 fe der stationären Notfallversorgung hat der G-BA Mindestanforderungen festzulegen, insbesondere zu – der Art und der Anzahl von Fachabteilungen, – der Anzahl und der Qualifikation des vorzuhaltenden Fachpersonals sowie – dem zeitlichen Umfang der Bereitstellung von Notfallleistungen. Das System der Notfallstrukturen hat drei Stufen für die Teilnahme an der Notfallversorgung, die einen Zuschlag ermöglichen: – Stufe I - Basisnotfallversorgung, – Stufe II - erweiterte Notfallversorgung, – Stufe III - umfassende Notfallversorgung. Welche Kliniken an der stationären Notfallversorgung teilnehmen, steht erst nach den Verhandlungen über die Zu- und Abschläge für die Teilnahme an der stationären Notfallversorgung zwischen den Vertragsparteien auf Bundesebene fest. 4. Wie viele Kliniken in Niedersachsen verlieren ihren Status als Notfallkrankenhaus, und welche müssen mit Abschlägen rechnen? Gegenwärtig steht noch nicht endgültig fest, welche Krankenhäuser in Niedersachsen zukünftig an der stationären Notfallversorgung teilnehmen werden. Auf der Grundlage einer von der IGES Institut GmbH durchgeführten Befragung der deutschen Krankenhäuser ist davon auszugehen, dass von den aktuell rund 1 750 allgemeinen Krankenhäusern bundesweit zukünftig rund 1 100, also mehr als 60 %, Zuschläge erhalten. Die Krankenhäuser , die zukünftig keinen Zuschlag erhalten, haben ganz überwiegend auch in der Vergangenheit keine Notfallversorgung erbracht. Nur rund 5 % der im letzten Jahr behandelten Notfälle entfallen auf diese Krankenhäuser. Für Niedersachsen hat eine Auswirkungsanalyse des GKV-Spitzenverbandes aus März 2018 ergeben , dass 74 % der Krankenhäuser auch weiterhin an der Notfallversorgung teilnehmen werden. Zudem erhalten die Krankenhäuser die Möglichkeit, Nachbesserungen bei der personellen und/oder räumlichen Infrastruktur vorzunehmen. Demzufolge ist davon auszugehen, dass die überwiegende Zahl der Krankenhäuser in Niedersachsen weiterhin an der Notfallversorgung teilnehmen wird und keine Verschlechterungen bei einer gut erreichbaren Notfallversorgung abzusehen sind. 5. Gibt es Belege, dass die ländliche Notfallversorgung nicht unter der Schließung bzw. dem Geldmittelabschlag einiger Kliniken leidet? Auch zukünftig wird der weit überwiegende Teil der Krankenhäuser an der Notfallversorgung teilnehmen , negative Auswirkungen auf die ländliche Notfallversorgung stehen nicht zu befürchten. Zur Gewährleistung der Versorgung in der Fläche ist außerdem vorgesehen, dass alle Krankenhäuser , die einen Sicherstellungszuschlag erhalten, wie Notfallversorgungskrankenhäuser der Basisstufe behandelt werden, sofern sie eine internistische und chirurgische Abteilung vorhalten. Schließlich ist auch zu bedenken, dass die Frage der Gewährung eines Zuschlages unabhängig von der Frage ist, ob Krankenhäuser auch weiterhin Notfallversorgung erbringen dürfen, da der Beschluss zur Neugestaltung eines Systems der strukturierten Notfallversorgung nur vergütungsrechtliche Konsequenzen zur Folge hat, aber keine Ausschlusskriterien für die Erbringung von Leistungen darstellt. Die Landesregierung verfügt derzeit nicht über Informationen dazu, ob und gegebenenfalls welche Krankenhäuser aufgrund des fehlenden Zuschlags die Notfallversorgung einstellen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1262 4 6. Will sich die Landesregierung für mehr Aufklärung bezüglich des Gesundheitssystems in der Bevölkerung einsetzen? Die Versorgung der Patientinnen und Patienten im Bereitschaftsdienst (Notdienst in den sprechstundenfreien Zeiten gemäß § 75 Abs. 1 b SGB V) gehört zum Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Aus Sicht der Landesregierung ist es vorrangig Aufgabe der KVen, die Aufgaben des Bereitschaftsdienstes und dessen Erreichbarkeit über die bundesweite Nummer 116 117 bekannt zu machen. Die Aufklärung der Bevölkerung über den Bereitschaftsdienst hält die Landesregierung für wichtig und würde dahin gehende Bemühungen unterstützen. Möglichen Entwicklungen auf Bundesebene zur Neuregelung der ambulanten und stationären Notfallversorgung sollte dabei jedoch nicht vorgegriffen werden. 7. Mit welchen Kosten rechnet die Landesregierung bei der Einrichtung von Portalpraxen ? Dazu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 8. Welche Ärzte (Niedergelassen/KV Bereich/Krankenhausärzte) mit welcher Qualifikation (Zusatzbezeichnung Klinische Notfall- und Akutmedizin, keine Qualifikation) sollen in den Portalpraxen eingesetzt werden? Nach § 5 der Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) nehmen am Bereitschaftsdienst alle zugelassenen Vertragsärztinnen und -ärzte und medizinischen Versorgungszentren teil. 9. In welchen weiteren Kliniken sind Portalpraxen geplant? Nach den hier vorliegenden Informationen gibt es - bei der KVN - angesichts der zu erwartenden Initiative des Bundesgesetzgebers - keine Planungen, im Rahmen des Bereitschaftsdienstes weitere Modelle wie an der Medizinischen Hochschule Hannover oder dem Klinikum Braunschweig zu etablieren. 10. Wer soll die Steuerung der Patienten nach welchem standardisierten System übernehmen ? Für den vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst wären solche Regelungen von den Kassenärztlichen Vereinigungen zu treffen - im Falle sektorenübergreifender Lösungen (z. B. Portalpraxen) nötigenfalls unter Einbeziehung der zuständigen Krankenhausgesellschaften und der Gesetzlichen Krankenversicherung . 11. Kann bereits eine Bilanz zu den Projekten in Hannover bzw. Braunschweig gezogen werden? Die Projekte sind auf Initiative der KVN angestoßen worden. Nach Auskunft der KVN sind die beiden Modellprojekte angesichts der begrenzten Laufzeit noch nicht evaluiert; belastbare Aussagen seien derzeit noch nicht möglich. 12. Unterstützt die Landesregierung die Etablierung eines Facharztes für Notfallmedizin bzw. eine Zusatzbezeichnung für Klinische Notfall- und Akutmedizin? Die Landesregierung schließt sich in der Frage der „Etablierung eines Facharztes für Notfallmedizin bzw. einer Zusatzbezeichnung für Klinische Notfall- und Akutmedizin“ der Auffassung der Ärzte- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1262 5 kammer Niedersachsen (ÄKN) an. Die Festlegung von fachärztlichen Gebieten und von Zusatzbezeichnungen ist in Niedersachsen Gegenstand der ärztlichen Weiterbildung, die im Kammergesetz für die Heilberufe der ÄKN als Selbstverwaltungsaufgabe übertragen ist. Die ÄKN hat in der bei ihr eingeholten Stellungnahme dargelegt, dass es für die in der Weiterbildung zu treffenden Regelungen maßgeblich darauf ankomme, ob einer Bezeichnung im Hinblick auf die wissenschaftliche Entwicklung und die angemessene Versorgung der Bevölkerung erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund haben die intensiven Beratungen innerhalb der ÄKN und im Rahmen der Bundesärztekammer, eines Zusammenschlusses aller Landesärztekammern, ergeben, dass ein fachärztliches Gebiet für Notfallmedizin die genannten Kriterien nicht erfüllt. Beabsichtigt ist aber die Neueinführung einer zusätzlichen Weiterbildung „Klinische Notfall- und Akutmedizin“, die in Ergänzung zu einer fachärztlichen Kompetenz die Erstdiagnostik und Initialtherapie von Notfall - und Akutpatientinnen und -patienten im Krankenhaus sowie die Indikationsstellung und Koordination der weiterführenden fachspezifischen Behandlung in interdisziplinärer Zusammenarbeit umfassen wird. (Verteilt am 18.07.2018) Drucksache 18/1262 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Notfallversorgung in Niedersachsen