Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1275 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christopher Emden (AfD) Antwort der Niedersächsischen Staatskanzlei namens der Landesregierung Bewertung von öffentlich-rechtlicher Programmqualität und Programmausgewogenheit durch die Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christopher Emden (AfD), eingegangen am 09.05.2018 - Drs. 18/1137 an die Staatskanzlei übersandt am 20.06.2018 Antwort der Niedersächsischen Staatskanzlei namens der Landesregierung vom 16.07.2018, gezeichnet Dr. Jörg Mielke Chef der Staatskanzlei Vorbemerkung des Abgeordneten In der Antwort auf die Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung vom 19.02.2018 (Drucksache 18/377) antwortete die Landesregierung auf eine Frage nach der Bewertung des Rundfunkangebots „FUNK“, es sei „nicht Sache der Landesregierung, öffentlich-rechtliche Inhalte oder Formate zu bewerten oder zu beurteilen“ (Antwort auf Frage 3 in Drucksache 18/468 vom 13.03.2018). Mit Verweis auf diese Antwort wird ebenfalls eine Stellungnahme zur Programmausgewogenheit von „FUNK“ abgelehnt. (Antwort auf Frage 4 in Drs. 18/468 vom 13.03.2018). Die Ablehnung einer Bewertung von Fragen zur konkreten Programmqualität und Programmausgewogenheit durch die Landesregierung gibt im Hinblick auf laufende und anstehende gesellschaftliche und politische, vor allem aber parlamentarische Debatten zur Rolle und Zukunft des öffentlichrechtlichen Rundfunks Anlass zu weiteren Fragen. Vorbemerkung der Landesregierung Vor dem Hintergrund von Artikel 5 GG sowie der umfänglichen und einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nutzt die Landesregierung gerne die Gelegenheit, dem Fragesteller gesellschaftliche Funktion und rechtliche Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erläutern. Die Rundfunkfreiheit dient der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Freie Meinungsbildung als Voraussetzung sowohl der Persönlichkeitsentfaltung als auch der demokratischen Ordnung vollzieht sich in einem Prozess der Kommunikation, der ohne Medien, die Informationen und Meinungen verbreiten und selbst Meinungen äußern, nicht aufrecht erhalten werden könnte. Unter den Medien kommt dem Rundfunk wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft besondere Bedeutung zu. Freie Meinungsbildung wird daher nur in dem Maß gelingen, wie der Rundfunk seinerseits frei, umfassend und wahrheitsgemäß informiert (BVerfGE, 90, 60, 87). Der Rundfunk erfüllt die Vermittlungsfunktion durch sein Programm, und zwar nicht nur durch dessen politischen und informierenden Teil. Rundfunkfreiheit ist daher vor allem Programmfreiheit (BVerfGE 59, 231). Sie gewährleistet, dass Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an publizistischen Kriterien ausrichten können. Es ist der Rundfunk selbst, der aufgrund seiner professionellen Maßstäbe bestimmen darf, was der gesetzliche Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt (BVerfGE 90, 60, 87). Damit unvereinbar ist eine Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1275 2 unmittelbare Einflussnahme Dritter auf das Programm (BVerfGE 87, 181) ebenso wie Einflüsse, die die Programmfreiheit mittelbar beeinträchtigen können (BVerfGE 73, 118). Indienstnahmen des Rundfunks drohen nicht nur vonseiten des Staates, sondern auch von gesellschaftlichen Mächten. Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur als ein an staatliche Organe und Institutionen gerichtetes Abwehrrecht verstanden , sondern auch gegenüber maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppierungen ((BVerfGE 12, 205, 262).). Das Grundrecht verlangt vielmehr eine positive Ordnung, welche sicherstellt, dass es die Vielfalt der Themen und Meinungen aufnimmt und wiedergibt, die in der Gesellschaft eine Rolle spielen. Zu diesem Zweck sind materielle, organisatorische und prozedurale Regelungen notwendig , die an der Aufgabe des Rundfunks orientiert sind und erreichen können, was Artikel 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit bewirken will (vgl. BVerfGE 57, 295, 320). So beschreibt das Bundesverfassungsgericht, dass Repräsentanten des Staates der Gefahr ausgesetzt seien, die Rundfunkfreiheit ihren Interessen unterzuordnen. Gegen die Gängelung der Kommunikationsmedien durch den Staat haben sich die Kommunikationsgrundrechte ursprünglich gerichtet, und in der Abwehr staatlicher Kontrolle der Berichterstattung finden sie weiterhin ihr wichtigstes Anwendungsfeld (BVerfGE 57, 295). So schließt die Rundfunkfreiheit aus, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar einen Veranstalter von Rundfunk beherrscht. In dem Beherrschungsverbot erschöpft sich die Garantie der Rundfunkfreiheit gegenüber dem Staat aber nicht. Vielmehr soll jede politische Instrumentalisierung des Rundfunks ausgeschlossen werden (BVerfGE 90, 60,88). Dieser Schutz bezieht sich nicht nur auf Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelungen, sondern umfasst vielmehr auch die subtileren Mittel in direkter Einwirkung, mit denen sich staatliche Organe Einfluss auf das Programm verschaffen oder Druck auf die im Rundfunk Tätigen ausüben können (BVerfGE 73, 118). Der Staat besitzt solche Mittel, weil er es ist, der im Interesse des Normziels von Artikel 5 Abs. 1 GG den Rundfunk organisiert, Konzessionen mit Übertragungskapazitäten versieht, beaufsichtigt und zum Teil auch finanziert. Die damit zwangsläufig eröffneten Einflussmöglichkeiten auf die publizistische Tätigkeit sollen indessen so weit wie möglich ausgeschaltet werden (BVerfGE 90, 60,89). 1. Inwieweit tangiert es aus Sicht der Landesregierung die inhaltliche Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Programmqualität und die Ausgewogenheit der bereitgestellten Programme einer eigenen kritischen und für die Öffentlichkeit transparenten eigenen Bewertung zu unterziehen? Die Landesregierung enthält sich aus den in der Vorbemerkung beschriebenen Gründen jeder Bewertung von Programminhalten. 2. Verneint die Landesregierung die Auffassung, dass die legislative Zustimmung zum vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk benötigten Finanzrahmen eine politische Rechenschaftsverantwortung dazu begründet, inwiefern mit den Mitteln Programmqualität und Programmausgewogenheit sichergestellt werden? Ja, denn nur die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung geforderte strikte Enthaltung kann dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Unabhängigkeit sichern. Dies gilt - bezogen auf die Legislative - besonders vor dem Hintergrund, dass die elektronischen Medien ebenso wie die Presse als Berichterstatter z. B. über parlamentarische Vorgänge und Debatten, aber auch über die im Parlament vertretenen Parteien und deren Vertreterinnen und Vertreter Transparenz herstellen und eine Kontrollfunktion ausüben (vgl. BVerfGE 90, 60, 89). Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1275 3 3. Wie begründet die Landesregierung die Auffassung, dass man für eine politische Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das politische Eingehen auf die Qualität und Ausgewogenheit betroffener Sender und Programmangebote ausklammern bzw. vollständig an den Rundfunkrat auslagern könne? Siehe Vorbemerkung. Die Landesregierung gedenkt auch weiterhin die von Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht formulierten Maßgaben hinsichtlich der Unabhängigkeit des öffentlichrechtlichen Rundfunks von staatlichem Einfluss zu beachten. Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Angebote von ARD, ZDF und DLR bleibt allein den Anstalten und ihren Gremien vorbehalten . (Verteilt am 19.07.2018) Drucksache 18/1275 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christopher Emden (AfD) Antwort der Niedersächsischen Staatskanzlei Bewertung von öffentlich-rechtlicher Programmqualität und Programmausgewogenheit durch die Landesregierung