Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner und Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung VW-Diesel-Affäre: Wie ist die Aussage „Wir können ja den Konzern nicht verarmen lassen …“ (Staatsanwaltschaft Braunschweig, 14.06.2018) zu verstehen? Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner und Jörg Bode (FDP), eingegangen am 21.06.2018 - Drs. 18/1206 an die Staatskanzlei übersandt am 05.07.2018 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 03.08.2018, gezeichnet In Vertretung des Staatssekretärs Rust Vorbemerkung der Abgeordneten Am 13.06.2018 teilte die Volkswagen AG in einer Ad-hoc-Mitteilung mit, dass der Konzern „einen Bußgeldbescheid im Zusammenhang mit der Dieselkrise“ (https://www.volkswagenag.com/ de/news/2018/06/VW_Group_fine_diesel_crisis.html) der Staatsanwaltschaft Braunschweig „akzeptiert “ (ebenda). Demnach hat der Konzern im Zeitraum von rund acht Jahren (2007 bis 2015) Aufsichtspflichtverletzungen in der Abteilung Aggregate-Entwicklung zu verantworten. Die Folge war, dass weltweit Fahrzeuge mit den Dieselaggregaten Typ E 189 und Typ E 288 mit einer „unzulässigen Softwarefunktion“ (ebenda) in einer Größenordnung von 10,7 Millionen Pkw „beworben, an Abnehmer veräußert und in den Verkehr gebracht“ (ebenda) worden sind. Juristen stufen die Akzeptanz des Bußgeldes durch Volkswagen als Beweis für eine arglistige Täuschung in der VW- Dieselaffäre ein und prophezeien, dass „die Erfolge von Verbrauchern nahezu garantiert“ (http://www.umweltruf.de/2018_PROGRAMM/news/news3.php3?nummer=3843) seien. Am 13./14.06.2018 erläuterte die Staatsanwaltschaft Braunschweig das verhängte Bußgeld „wegen einer Ordnungswidrigkeit“ (https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_ goettingen/Staatsanwalt-erlaeutert-Milliarden-Bussgeld-fuer-VW-,vw4322.html). Im Rahmen der Erläuterungen führte die Staatsanwaltschaft aus, dass es „dabei nicht wie auf einem orientalischen Basar (zuging)“ (ebenda) und dass „berücksichtigt worden (sei), dass noch zahlreiche zivilrechtliche Verfahren gegen VW anhängig seien“ (ebenda). „Wir können ja den Konzern nicht verarmen lassen und diese Ansprüche dann ins Leere laufen lassen“ (ebenda), so die Staatsanwaltschaft Braunschweig. Laut Handelsblatt hat die Staatsanwaltschaft den für Volkswagen vorteilhaften Deal mit den Juristen des VW-Konzerns „in den vergangenen Wochen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen …ausgehandelt“ (Handelsblatt, 15.06.2018). Die Staatsanwaltschaft nutzt bei ihrer Ermessensentscheidung den gesetzlichen Rahmen der möglichen Ahndung nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) in Höhe von 5 Millionen Euro aus und schöpft den von der Staatsanwaltschaft errechneten „wirtschaftlichen Vorteil“ in Höhe von 995 Millionen Euro ab. In Summe ergibt die Geldbuße 1 Milliarde Euro. Die Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils in Bezug auf die Anzahl der geschädigten Kunden bzw. manipulierten Kraftfahrzeuge unter Abzug der Kosten für die nachträglichen Software-Updates ergibt nach überschlägiger Berechnung des Fragestellers eine ersparte Aufwendung (Kostenersparnis) pro Kraftfahrzeug von 92,99 Euro. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist zuständig für eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des VW-Konzerns im Zuge des sogenannten Dieselskandals. Das Land Nieder- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 2 sachsen wird im Aufsichtsrat des VW-Konzerns von Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann und Ministerpräsident Stephan Weil vertreten. Letzterer wirkt zugleich als Mitglied im Präsidium des Aufsichtsrats mit. 1. Welchen genauen Personalbedarf hat die Generalstaatsanwaltschaft bzw. die Staatsanwaltschaft Braunschweig aufgrund der Mehrbelastung im Zuge der VW-Abgasaffäre angemeldet, und in welchem zeitlichen Ablauf konnte dieser abgedeckt werden? Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat im Zuge der VW-Abgaskomplexe folgenden Personalmehrbedarf für die Staatsanwaltschaft Braunschweig geltend gemacht: zum 1. Januar 2016: 3 Kräfte im staatsanwaltlichen Dienst, zum 1. September 2016: 2 Kräfte im staatsanwaltlichen Dienst, zum 1. Februar 2017: 1 Kraft im staatsanwaltlichen Dienst, zum 1. März 2017: 1 Kraft im staatsanwaltlichen Dienst, zum 13. März 2017: 1 Kraft im staatsanwaltlichen Dienst, zum 2. Mai 2017: 1 Kraft im staatsanwaltlichen Dienst, zum 1. Juni 2017: 2,5 Kräfte im staatsanwaltlichen Dienst und 1 Kraft im Bereich der Serviceeinheiten, zum 1. September 2017: 1/2 Kraft als Wirtschaftsreferentin/-referent. Der Personalbedarf konnte jeweils in vollem Umfang zum erbetenen Zeitpunkt gedeckt werden. Der Staatsanwaltschaft Braunschweig stehen damit derzeit insgesamt 13,0 zusätzliche Kräfte zur Bewältigung der Mehrbelastung infolge der VW-Abgaskomplexe zur Verfügung. 2. Inwieweit wurde der Generalstaatsanwaltschaft bzw. der Staatsanwaltschaft Braunschweig zusätzliches Personal zur Verfügung gestellt, welches eine spezielle Qualifikation bei den sich in der VW-Affäre stellenden Fragen aufweisen kann? Durch die Bereitstellung der unter Nummer 1 genannten Kräfte im staatsanwaltschaftlichen Dienst konnten Dezernentinnen und Dezernenten mit Erfahrung im Wirtschaftsstrafrecht entlastet und zur Bearbeitung von Ermittlungsverfahren in den „VW-Komplexen“ freigestellt werden. So konnten die Kräfte mit speziellem wirtschaftsstrafrechtlichem Sachverstand gezielt eingesetzt werden. 3. Gab es insoweit eine bundesweite Ausschreibung, um besonders qualifiziertes Personal zu finden? Nein. Diese war zur Deckung des Bedarfs an besonders qualifiziertem Personal auch nicht erforderlich . 4. Vor dem Hintergrund der Antwort auf Frage 7 der Anfrage „Einflussnahme der Staatskanzlei auf die Justiz?“ (Drucksache 18/983), derzufolge das MJ regelmäßig über den Stand der Ermittlungen gegen den VW-Konzern in Form von Berichten informiert wird: Wer hat Einsicht in die Berichte und was genau wird mit den Berichten bezweckt? Das staatsanwaltschaftliche Berichtswesen dient einerseits der Ausübung der Dienstaufsicht und andererseits der Unterrichtung der Landesregierung. Zugang zu den Berichten über die Ermittlungen gegen den VW-Konzern hat im Justizministerium nur das funktional notwendige Personal, namentlich der sachbearbeitenden Referatsleiter, die diesen vertretenden Referenten, der Leiter der Strafrechtsabteilung, die Geschäftsstellen und Vorzimmerkräfte dieser Abteilung, die Pressestelle, das Büro der Ministerin, der Staatssekretär sowie die Ministerin. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 3 5. Vor dem Hintergrund der Antwort auf Frage 8 der Anfrage „Einflussnahme der Staatskanzlei auf die Justiz?“ (Drucksache 18/983), derzufolge das MJ regelmäßig über den Stand der Ermittlungen gegen den VW-Konzern in Form von Berichten informiert wird: Werden auch Absichtsberichte von der Staatsanwaltschaft Braunschweig hinsichtlich der geplanten Verfahrensschritte eingefordert und wer hat Einsicht in diese Berichte? Nein. 6. Wie viele Absichtsberichte hat die Landesregierung von den Generalstaatsanwaltschaften und den ihnen nachgeordneten Staatsanwaltschaften in welchen Verfahren in den Jahren 2015 bis Juni 2018 angefordert, und was war der Hintergrund dieser Anforderungen? Die Berichtspflichten in Straf- und Bußgeldsachen sind in der Allgemeinverfügung des MJ vom 23.10.2015 - 4107-402.27 -, veröffentlicht in der niedersächsischen Rechtspflege S. 2015, geregelt. Die Erstattung von Absichtsberichten ist darin nicht vorgesehen. Diese werden auch nur in den sehr seltenen Fällen angefordert, in denen ein besonderes Informationsinteresse besteht, nicht jedoch mit dem Ziel einer Einflussnahme auf die staatsanwaltschaftliche Entscheidung. Gleichwohl berichten Staatsanwaltschaften gelegentlich eigeninitiativ über beabsichtigte Verfahrensweisen, was die genannte AV zulässt. Eine systematische Erfassung sogenannter Absichtsberichte erfolgt mangels Notwendigkeit nicht, sodass auch keine vollständige Übersicht über diese gegeben werden kann. In welchem Umfang es zwischen dem 01.01.2015 und dem 30.06.2018 zur Anforderung von Absichtsberichten bei Staatsanwaltschaften gekommen ist, könnte deshalb nur durch eine händische Auswertung von mindestens 3414, zum Teil mehrbändigen Vorgängen des Justizministeriums festgestellt werden. Eine solche Auswertung kann jedoch wegen des damit verbundenen Aufwands mit den personellen Ressourcen des Justizministeriums zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage nicht geleistet werden. Erinnerlich ist ein Fall, in dem die beabsichtigte Verfahrensweise einer Staatsanwaltschaft erfragt worden ist. Dabei ging es um den beabsichtigten Umgang im Hinblick auf eine Strafverfolgungsermächtigung . 7. In welchen Verfahren im Zeitraum 2015 bis Juni 2018 wurden Einzelfallweisungen den Generalstaatsanwaltschaften und den ihnen nachgeordneten Staatsanwaltschaften erteilt , was wurde damit beabsichtigt, und sind diesen Einzelfallweisungen Anforderungen von Absichtsberichten vorangegangen? Im Rahmen der Ausübung der Dienstaufsicht (§ 147 Nr. 2 GVG) kommt es gelegentlich zu Einzelfallweisungen des Justizministeriums an die Generalstaatsanwaltschaften und die diesen nachgeordneten Staatsanwaltschaften. Diese dienen regelmäßig ausschließlich der Korrektur von Rechtsanwendungsfehlern . Eine Übersicht hierüber wird nicht geführt und würde wiederum eine nicht zu leistende händische Auswertung des Vorgangsbestandes erfordern. Erinnerlich sind für den in Rede stehenden Zeitraum allerdings insgesamt sieben Fälle von Einzelfallweisungen: Am 28.09.2015 ist die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig gebeten worden, auf die Richtigstellung der fehlerhaften Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom selben Tag zur VW-Abgasaffäre hinzuwirken, in der unzutreffend ausgeführt worden war, dass bereits ein Ermittlungsverfahren gegen Prof. Martin Winterkorn eingeleitet worden sei, obwohl es sich tatsächlich nur um die Prüfung eines Anfangsverdachts gehandelt hatte. Dieser Fall ist später noch einmal im Rahmen einer Dienstbesprechung mit den Leiterinnen und Leitern der Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwaltschaften aufgegriffen worden und hat zu einer allgemeinen Weisung im Zusammenhang mit der von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu unterscheidenden Prüfung eines strafrechtlichen Anfangsverdachts geführt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 4 In drei Fällen wurden die Generalstaatsanwaltschaften im Rahmen der Bearbeitung sogenannter weiterer Dienstaufsichtsbeschwerden um die Wiederaufnahme der Ermittlungen gebeten. In einem Fall wurde eine Staatsanwaltschaft um Angabe der zutreffenden Rechtsgrundlage für die Einstellung eines Verfahrens gebeten. In einem weiteren Fall wurde eine Staatsanwaltschaft gebeten, den zügigen Fortgang der Ermittlungen sicherzustellen, nachdem zuvor berichtet worden war, dass aufgrund personeller Engpässe bei der Polizei erst eine von mehreren erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen habe realisiert werden können. In einem weiteren Berichtsvorgang wurde die Generalstaatsanwaltschaft um die Prüfung der Wiederaufnahme gebeten. Den Weisungen ging in keinem Fall die Anforderung eines Absichtsberichtes voraus. 8. Vor dem Hintergrund der Antwort auf Frage 9 der Anfrage „Einflussnahme der Staatskanzlei auf die Justiz?“ (Drucksache 18/983), derzufolge sich das MJ bei der Ausübung des Weisungsrechtes an „langjährig praktizierten Grundsätzen“ orientieren würde: Welche Grundsätze sind das im Einzelnen und woraus ergeben sie sich? Die Weisungsrechte und daraus erwachsende Pflichten ergeben sich aus §§ 145 bis147 des Gerichtsverfassungsgesetze (GVG). Als Landesjustizverwaltung übt das Justizministerium durch seine strafrechtliche Fachabteilung die Dienstaufsicht über alle niedersächsischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte einschließlich der Generalstaatsanwälte aus (§ 147 Nr. 2 GVG). Insoweit kommt ihm das sogenannte externe Weisungsrecht zu. Die der Wahrung des Legalitätsprinzips dienende Weisungsbefugnis der Landesjustizverwaltung nach § 147 Nr. 2 GVG wird auf das rechtlich Zwingende beschränkt und nach folgenden Grundsätzen ausgeübt: - Grundvoraussetzung einer Weisung ist deren rechtliche Zulässigkeit. Daher muss jeder Weisung ein zumindest vertretbarer Rechtsstandpunkt zugrunde liegen, der vor der jeweiligen Kontrollinstanz verantwortet werden kann. Für die Landesjustizverwaltung ist diese Kontrollinstanz der Landtag. - Eine Weisung bedarf in tatsächlicher Hinsicht einer sicheren Beurteilungsgrundlage. Denn der Weisungsgeber trägt die volle Verantwortung für den dadurch gesteuerten weiteren Gang des Verfahrens. Für die Hauptverhandlung vor Gericht ist mit Rücksicht auf die elementaren Verfahrensgrundsätze der freien Beweiswürdigung und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in besonderem Maße Zurückhaltung geboten. Denn Vorgesetzte, welche nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen haben, werden kaum in der Lage sein, sachgerechte Anträge zur Schuld- und Straffrage zu formulieren. - Ein der Staatsanwaltschaft gesetzlich zustehendes Ermessen wird von der Landesjustizverwaltung grundsätzlich bis zur Grenze des Nicht- oder des Fehlgebrauchs akzeptiert. Dies gilt in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht. - Eine Weisung muss sachlich unabweisbar geboten sein. Beurteilen die Verantwortungsträger bei Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft die Sachlage einvernehmlich, besteht gesteigerter Begründungsbedarf für eine gegenteilige Weisung. Neben der rechtlichen Zulässigkeit ist die Frage einer Weisung in diesem Fall vor allem daraufhin zu prüfen, ob sie nach Abwägung aller gegen sie sprechenden Argumente unerlässlich ist. - Eine Weisung muss als solche zweifelsfrei erkennbar sein und sich deutlich von unverbindlichen Ratschlägen unterscheiden. Sie wird deshalb, sofern keine Einigung zustande kommt, schriftlich erteilt. Durch die Beachtung dieser Grundsätze sind Einzelfallweisungen nicht nur sehr selten. Es ist auch sichergestellt, dass sie allein sachlichen Geboten folgen und frei von politischer Opportunität sind. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 5 9. Über welchen Zeitraum erstreckten sich die Verhandlungen zwischen der VW AG und der Staatsanwaltschaft Braunschweig bezüglich des Ordnungswidrigkeitsverfahrens? Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Braunschweig fanden entsprechende Rechtsgespräche von März bis Juni 2018 statt. 10. Wie viele Termine hat es gegeben, bis der „für Volkswagen vorteilhafte Deal“ (Handelsblatt, 15.06.2018) ausgehandelt war? Bis zum Erlass des Bußgeldbescheides durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat es zwischen ihr und den Verfahrensbevollmächtigten der Volkswagen AG acht Termine gegeben. 11. Wie und wann erfuhren die Mitglieder der Landesregierung, insbesondere die VW- Aufsichtsratsmitglieder Ministerpräsident Weil und Minister Dr. Althusmann sowie Ministerin Havliza, zum ersten Mal von Verhandlungen zwischen der VW AG und der Staatsanwaltschaft Braunschweig bezüglich des Ordnungswidrigkeitsverfahrens? Die VW-Aufsichtsratsmitglieder Ministerpräsident Weil und Minister Dr. Althusmann sind am 13.06.2018 mündlich bzw. fernmündlich im Rahmen ihrer Aufsichtsratstätigkeit seitens der Volkswagen AG über das Thema informiert worden. Die Justizministerin wurde am 12.06.2018 hausintern davon in Kenntnis gesetzt, dass der Erlass eines Bußgeldbescheides seitens der Staatsanwaltschaft Braunschweig unmittelbar bevorstehe (vgl. dazu Ziff. 17). Über vorausgegangenene Rechtsgespräche war ihr nichts bekannt. Die übrigen Mitglieder der Landesregierung haben aus den allgemeinen Presseveröffentlichungen von den Verhandlungen erfahren. 12. Waren Mitglieder der Landesregierung indirekt oder direkt an den Verhandlungen zwischen der VW AG und der Staatsanwaltschaft Braunschweig bezüglich des Ordnungswidrigkeitsverfahrens beteiligt oder involviert? Nein. 13. Wenn ja, in welcher Form und über welche Dauer bzw. Anzahl der Kontakte? Entfällt. 14. Wann wurde der Aufsichtsrat von VW über die Verhandlungen zwischen der VW AG und der Staatsanwaltschaft Braunschweig bezüglich des Ordnungswidrigeitsverfahrens informiert? Der Aufsichtsrat der Volkswagen AG wurde in einer Sitzung am 13.06.2018 über das Thema informiert . 15. Wann wurde der Aufsichtsrat von VW über die Ergebnisse der Verhandlungen zwischen der VW AG und der Staatsanwaltschaft Braunschweig bezüglich des Ordnungswidrigkeitsverfahrens informiert? Auf die Antwort zu Nummer 14 wird Bezug genommen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 6 16. Waren die VW-Aufsichtsratsmitglieder Ministerpräsident Weil und Minister Dr. Althusmann vor dem 13.06.2018 mit dem Ordnungswidrigkeitsverfahren formell oder informell beteiligt? Auf die Antworten zu Nummer 11, 12 und 14 wird Bezug genommen. 17. Auf welche Art und Weise war das Justizministerium mit dem Ordnungswidrigkeitsverfahren zwischen der VW AG und der Staatsanwaltschaft Braunschweig direkt oder indirekt beteiligt? Im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen gegen verantwortliche Mitarbeiter der Volkswagen AG im Zusammenhang mit Abgasmanipulationen bei Dieselmotoren (sogenannte NOx-Verfahren) wegen des Verdachts des Betruges u. a. ist am 14.04.2016 ein Bußgeldverfahren gemäß §§ 30, 130 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gegen die Volkswagen AG als Unternehmen wegen Straftaten und/oder Ordnungswidrigkeiten von Organen und Leitungspersonen, durch die das Unternehmen bereichert worden ist, eingeleitet worden. Das Justizministerium wurde mit Bericht vom 15.04.2016, der dort am 18.04.2016 einging, über die Einleitung informiert. In einem weiteren Bericht der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 14.02.2017 wurden am Rande rechtliche Ausführungen zu dem Bußgeldverfahren gemacht. Am 12.06.2018 fand in den Räumlichkeiten des Justizministeriums auf Wunsch der Staatsanwaltschaft sowie der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig ein Gespräch zwischen dem Justizstaatssekretär , dem Leiter der Strafrechtsabteilung, dem Leiter des zuständigen Fachreferats sowie dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt in Braunschweig, der Leitenden Oberstaatsanwältin in Braunschweig, einer Oberstaatsanwältin und einem Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Braunschweig statt. Dabei wurde mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig den Erlass eines Bußgeldbescheides gegen die Volkswagen AG in Höhe von 1 Milliarde Euro wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht durch einen Hauptabteilungsleiter der Volkswagen AG im Zusammenhang mit den Dieselmotoren Typ E 189 und Typ E 288 beabsichtige. Der sanktionierende Teil der Geldbuße solle auf den nach dem OWiG zulässigen Maximalbetrag für fahrlässige Aufsichtspflichtverletzungen von 5 Millionen Euro festgesetzt werden. Der vermögensabschöpfende Anteil der Geldbuße werde mit 995 000 000 Euro berechnet. Ein Entwurf des beabsichtigten Bußgeldbescheides wurde anlässlich dieses Gesprächs nicht vorgelegt. Die rechtlichen Konsequenzen eines bestandskräftigen Bußgeldbescheides auf nationale und internationale Verfahren wurde insbesondere vor dem Hintergrund des Verbotes der doppelten Ahndung (Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz , Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen und Art. 50 EU-Grundrechtecharta) erörtert . Dem beabsichtigten Vorgehen der Staatsanwaltschaft Braunschweig ist seitens des Justizministeriums nicht entgegengetreten worden. Es wurde vereinbart, dass Frau Justizministerin Havliza über die von der Staatsanwaltschaft Braunschweig beabsichtigte Vorgehensweise in Kenntnis gesetzt werden solle, was noch am 12.06.2018 erfolgte (vgl. Nummer 11). Im Hinblick auf die Auswirkungen eines Bußgeldbescheides auf den Börsenkurs der Volkswagen AG wurde darüber hinaus absolutes Stillschweigen vereinbart. Weitere Personen wurden über das Gespräch nicht informiert. Der Bußgeldbescheid vom 13.06.2018, der am selben Tag bestandskräftig wurde, wurde - ohne Anlagen - am 13.06.2018 von der Staatsanwaltschaft Braunschweig unmittelbar an das Justizministerium übermittelt. Er ging am 14.06.2018 ein. 18. Wurde vonseiten des Justizministeriums indirekt oder direkt Einfluss auf die Berechnung, auf die Berechnungsmethode oder Einzelfaktoren der Berechnung genommen und, wenn ja, an welcher Stelle und in welcher Form? Nein. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 7 19. Trifft es zu, dass sämtliche Vorstände der Einzelmarken von VW, der VW- Gesamtvorstand und der Aufsichtsrat des VW-Konzerns am 13.06.2018 über die Akzeptanz des Bußgeldes entschieden haben? Über Entscheidungen der Vorstände der Einzelmarken von VW sowie über Entscheidungen des Gesamtvorstands der Volkswagen AG zu diesem Thema liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Der Aufsichtsrat der Volkswagen AG wurde in einer Sitzung am 13.06.2018 über das Thema informiert. Konkrete Inhalte von Aufsichtsratssitzungen der Volkswagen AG unterliegen der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 116 Satz 2 AktG. 20. Ist es zutreffend, dass die beiden Aufsichtsräte des Landes „wegen ihres Interessenskonflikts nicht selbst mitentschieden“ (Handelsblatt, 15.06.2018) haben? Ja. 21. Wie stuft die Landesregierung die Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft Braunschweig im Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die VW AG insgesamt, z. B. juristisch , verbraucherpolitisch, gesamtgesellschaftlich, für den Konzern und die Mitarbeiter der VW AG, für die Aktionäre, für die Händler etc., ein? Im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt das Opportunitätsprinzip. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG liegt die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Braunschweig, einen Bußgeldbescheid gegen die Volkswagen AG in Höhe von 1 Milliarden Euro zu erlassen, lässt aus juristischer Sicht keinen Ermessensfehlgebrauch erkennen. Eine weitergehende Bewertung nimmt die Landesregierung nicht vor. 22. Mit welchen Aufwendungen/Kosten für die „Umrüstung der Fahrzeuge in einen ordnungsgemäßen Zustand“ (Presseinformation der Staatsanwaltschaft Braunschweig, 13.06.2018) hat die Staatsanwaltschaft bei der Berechnung des Bußgeldes kalkuliert? Mit den Kosten/Aufwendungen, die sich aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses für die Maßnahmen ergeben, die seitens der Volkswagen AG aufgewendet werden mussten, um die im Verkehr befindlichen Fahrzeuge in einen zulassungsfähigen Zustand zu versetzen. 23. Wie beurteilt die Landesregierung das Verhältnis des durch den VW-Konzern erhofften wirtschaftlichen Vorteils durch die Manipulation der Software in Höhe von weniger als 100 Euro pro Kfz im Verhältnis zum bisher entstanden monetären Schaden und Imageschaden der VW AG? Da es sich um innerbetriebliche Verhältnisse des VW-Konzerns handelt, sieht die Landesregierung von einer Beurteilung ab. 24. Welche Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass die VW-Aufsichtsräte Ministerpräsident Weil und Minister Dr. Althusmann die Entscheidung der VW AG über Akzeptanz des Bußgeldes begrüßten? Beide Vertreter der Landesregierung begrüßen es, dass die Volkswagen AG die Geldbuße akzeptiert hat, weil das Unternehmen sich damit zu seiner Verantwortung bekennt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 8 25. Betrachtet die Landesregierung das Bußgeld als ein Gewinn für Niedersachsen, oder wie stuft sie als Anteilseigner der VW AG die zusätzlichen Einnahmen zulasten des VW- Konzerns für den Landeshaushalt ein? Die Landesregierung stuft den Hintergrund, der zur Verhängung des Bußgeldes durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig führte, als vermutlich einen der größten Schadensfälle in der deutschen und europäischen Wirtschaftsgeschichte ein. Das Bußgeld ist daher weder für die Landesregierung noch für Niedersachsen insgesamt als Gewinn zu bewerten. Gleichwohl hatte die Landesregierung darüber zu entscheiden, wie mit dem gezahlten Bußgeld in Höhe von 1 Milliarde Euro zu verfahren sein wird, um mit dieser außerordentlichen Einnahme nachhaltige positive Effekte für das Gemeinwohl zu generieren. Deshalb hat sie sich im Rahmen ihrer Beratungen über den Haushaltsplan 2019 mit dem Bußgeld und der möglichen Verwendung befasst und beschlossen, die im Landeshaushalt endgültig verbleibenden Mehreinnahmen aus der sogenannte VW-Milliarde bis zu 900 Millionen Euro vorrangig zur nachhaltigen Sicherung von Zukunftsinvestitionen und bis zu 100 Millionen Euro zur Tilgung von Altschulden zu verwenden. 26. Hätte die Staatsanwaltschaft Braunschweig theoretisch Mittel und Wege, z. B. über die Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils durch die Manipulationen des VW-Konzerns, gehabt, den VW-Konzern „verarmen zu lassen“? Nein. Die Bemessung des Bußgeldes richtet sich nach § 17 Abs. 3 OWiG. Die Absätze 3 und 4 Satz 1 enthalten in groben Zügen Richtlinien für die Zumessung der Geldbuße im Einzelfall (Mitsch, in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 17, Rn. 30-31, zitiert nach beck-online). Dabei liegt die Bemessung der Geldbuße grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des den Bußgeldbescheid erlassenden behördlichen Sachbearbeiters bzw. des Tatrichters, der sich ein umfassendes Bild von der Tat und dem Täter gebildet hat (Mitsch, aaO.). Neben zu berücksichtigenden Aktivposten hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse sind auch vermögensrechtliche Verpflichtungen jeder Art in Rechnung zu stellen, sofern sie die Leistungsfähigkeit des Täters auf lange Sicht beeinträchtigen (Mitsch, aaO., Rn. 87-89 m.w.N.). 27. Is t d ie Höhe des Bußge ldes in gewis s e r Form, z. B. Berücks ich tigung zivilrech tliche r Zahlungs ans prüche , e in Entgegenkommen der J us tiz, und wenn ja , auf we lche Art und Weis e? Nein. Auf die Antwort zu Nummer 26 wird verwiesen. 28. Vor dem Hintergrund, dass sich die 1 Milliarde Euro Bußgeld lediglich auf die „Aufsichtspflichtverletzungen bei den Abgasmanipulationen im Bereich der Stickoxide bei den Motoren EA 189 und EA 288 (Gen.3 NAR) erstreckt: Drohen dem VW-Konzern weitere Bußgeldzahlungen wegen Organisationsmängel, Aufsichtspflichtverletzungen oder sonstiger Verstöße? Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens 411 Js 49032/15 der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts der Abgasmanipulation im Bereich der Stickoxide an den Dieselmotoren Typ E 189 und Typ E 288 (Gen3 NAR): Nein. In Bezug auf weitere, bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig im Zusammenhang mit der „VW- Abgasaffäre“ anhängige Verfahren wird wegen der laufenden Ermittlungen keine Auskunft über mögliche Verfahrensabschlüsse erteilt. Ob außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Staatsanwalt Braunschweig andere deutsche Staatsanwaltschaften oder ausländische Stellen den Erlass von Bußgeldbescheiden beabsichtigen, ist nicht bekannt. Auf die Doppelverfolgungsverbote aus Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1351 9 Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz, Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen und Art. 50 EU- Grundrechtecharta wird hingewiesen. (Verteilt am 06.08.2018) Drucksache 18/1351 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner und Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung VW-Diesel-Affäre: Wie ist die Aussage „Wir können ja den Konzern nicht verarmen las-sen …“ (Staatsanwaltschaft Braunschweig, 14.06.2018) zu verstehen?