Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1407 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Imke Byl und Anja Piel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Fachberatungsstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend - gibt es ausreichende Hilfestrukturen in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Imke Byl und Anja Piel (GRÜNE), eingegangen am 10.07.2018 - Drs. 18/1284 an die Staatskanzlei übersandt am 18.07.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 14.08.2018, gezeichnet Dr. Carola Reimann Vorbemerkung der Abgeordneten Im Fall von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche stellt der schnelle, niedrigschwellige und unbürokratische Zugang zu Beratungsangeboten eine wichtige Hilfe und Unterstützung für Betroffene dar. Diese wird in freier Trägerschaft von spezialisierten Fachberatungsstellen, die sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend als erkennbaren Schwerpunkt aufweisen, geleistet. Vorbemerkung der Landesregierung Für das Land Niedersachsen hat es hohe Priorität, für alle hier lebenden Kinder und Jugendlichen sehr gute Lebensbedingungen zu schaffen und ihnen optimale Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten . Das Land Niedersachsen ist sehr bestrebt, Kinder und Jugendliche wirksam und effektiv vor Misshandlung, Vernachlässigung und Gewalt jeglicher Form zu schützen. Bei Gewalterfahrungen sollen betroffene Kinder und Jugendliche kurzfristig eine leicht zugängliche, gut erreichbare und kompetente Beratung wahrnehmen können. Das Land Niedersachsen hat in den vergangenen 30 Jahren mit spezialisierten Beratungsstellen ein landesweit sehr effektives Hilfesystem etabliert, das im Fall von sexualisierter Gewalt von betroffenen Kindern und Jugendlichen in Anspruch genommen werden kann. 1. Wie viele spezialisierte Fachberatungsstellen gibt es in Niedersachsen, die das Thema sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend als erkennbaren Schwerpunkt aufweisen? In der Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe werden auf Grundlage der „Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ aktuell 22 Fachberatungsstellen für Kinder und Jugendliche, die von Gewalt - und damit auch von sexualisierter Gewalt - betroffen sind, beraten und gefördert (mit Standorten in Aurich, Bad Bentheim, Bad Zwischenahn, Brake, Braunschweig, Buchholz, Cuxhaven, Emden, Göttingen, Hameln, Hildesheim, Lingen, Meppen, Northeim, Osnabrück, Peine, Soltau, Verden, zweimal Wilhelmshaven, Wolfsburg, Worpswede). Davon werden 20 Fachberatungsstellen in freier und zwei Fachberatungsstellen in kommunaler Trägerschaft geführt. Des Weiteren werden vier Kinderschutz-Zentren (mit den Standorten Hannover, Oldenburg, Osnabrück , Nordostniedersachsen - letzteres seit 01.04.2018 im Aufbau) gefördert. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1407 2 Neben diesen mit Landesförderung betriebenen spezialisierten Einrichtungen gibt es in Niedersachsen weitere ohne Landesmittel tätige Beratungsstellen mit dem Schwerpunkt Unterstützung bei sexualisierter Gewalt. Die hier bekannten Beratungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche bei sexualisierter Gewalt sind im Internetportal www.kinderschutz-niedersachsen.de erfasst und in der Adressdatenbank mit Kontaktdaten zu recherchieren. Auch die vom Land geförderten Frauenhäuser, Mädchenhäuser und Beratungsstellen für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind, bieten grundsätzlich auch den Kindern und Jugendlichen Hilfestellung bei sexuellen Übergriffen. Sieben Beratungseinrichtungen weisen davon einen ausschließlichen Schwerpunkt auf sexualisierte Gewalt bei Kindern und Jugendlichen aus. Sie befinden sich in verschiedenen Regionen des Landes, haben aber keinen örtlichen Zuständigkeitsbereich . Das Land fördert flächendeckend spezialisierte Einrichtungen, die mit umfangreichen Unterstützungsangeboten Betroffenen zur Verfügung stehen. 2. Wie groß ist jeweils die Bevölkerungszahl, für die eine einzelne spezialisierte Fachberatungsstelle zuständig ist? Auf die Ausführungen unter Ziffer 1 wird verwiesen. Die einzelnen Fachberatungsstellen sind in der Regel für die Gebietskörperschaft zuständig, in der sie ihren Sitz haben. Sie werden aber auch von Betroffenen aus angrenzenden Gebietskörperschaften frequentiert, z. B. aus Gründen der verkehrstechnischen Erreichbarkeit. Daher sind keine Aussagen zur Bevölkerungszahl, dem Gebiet in flächenmäßiger Hinsicht (s. Frage 3) sowie der Anzahl der Landkreise (s. Frage 4), für die eine einzelne spezialisierte Fachberatungsstelle zuständig ist, möglich. Das Einzugsgebiet der Kinderschutz-Zentren umfasst in der Regel mehrere Gebietskörperschaften. Kinder und Jugendliche nehmen vermehrt auch Onlineberatungen in Anspruch. Damit werden sich perspektivisch regionale Zuordnungen und Zuständigkeiten zunehmend verschieben. 3. Wie groß ist das Gebiet in flächenmäßiger Hinsicht, für das eine einzelne spezialisierte Fachberatungsstelle jeweils zuständig ist? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 4. Für wie viele Landkreise mit welcher Bevölkerungszahl sind die einzelnen spezialisierten Fachberatungsstellen jeweils zuständig? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 5. In wie vielen Fachberatungsstellen gibt es spezifische Angebote für verschiedene Betroffenengruppen (Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Fluchterfahrung, männliche erwachsene Betroffene , weibliche erwachsene Betroffene, Jungen, Mädchen, LGBTIQ* etc.)? Die landesgeförderten Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche stehen grundsätzlich allen jungen Menschen unabhängig von Herkunft und Geschlecht zur Verfügung. Sie sind dem Prinzip der gendergerechten Beratung verpflichtet. Die Beratungsdienste werden von Kindern, Jugendlichen und jungen Heranwachsenden bis zum Alter von 27 Jahren in Anspruch genommen . Migrationssensibler Kinderschutz hat sich gerade in den vergangenen Jahren profiliert. Es bestehen vielerorts Angebote für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung. Aktuell wird im Kinder- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1407 3 schutz-Zentrum Hannover ein spezifisches Angebot für Menschen mit Migrationshintergrund und Fluchterfahrung vorgehalten. Die Beratungsstellen für weibliche erwachsene Betroffene (siehe Nummer 1) halten verschiedene spezifische Angebote vor oder verweisen die Betroffenen an spezialisierte Institutionen. Sofern bestehendem Beratungsbedarf im Einzelfall nicht entsprochen werden kann, ist es gängige Praxis, an spezialisierte Einrichtungen weiterzuvermitteln. 6. Wie viele Personalstellen werden in den einzelnen spezialisierten Fachberatungsstellen durch öffentliche Gelder finanziert? Handelt es sich dabei um Landesmittel oder kommunale Mittel (bitte aufschlüsseln nach Landesmitteln und kommunalen Mitteln mit einer Angabe der Höhe der Förderung)? Bei den landesgeförderten Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sind im Jahr durchschnittlich 44 hauptamtliche Fachkräfte in Voll- und Teilzeit tätig. Das Land stellt dafür folgende Finanzmittel zur Verfügung: 2016: 479 585 Euro (20 Beratungsstellen), 2017: 493 444 Euro (20 Beratungsstellen), 2018: 589 564 Euro (22 Beratungsstellen). Die Beratungsstellen werden bis auf eine Ausnahme über kommunale Mittel gegenfinanziert. Die Höhe der kommunalen Förderung wird nicht nach Personal- und Sachkosten differenziert erfasst. Eine Angabe zu der Höhe kommunaler Mittel für die Personalkosten kann daher nicht erfolgen. Ergänzend erhalten einige Fachberatungsstellen Förderungen aus Drittmitteln. In den vier Kinderschutz-Zentren werden in 2018 insgesamt 28 Voll- und Teilzeitstellen mit Landesmitteln anteilig finanziert. 2016 und 2017 waren es 19 Stellen in zwei Kinderschutz-Zentren. Der Zuschuss wird zu den zuwendungsfähigen Gesamtkosten der Kinderschutz-Zentren gewährt. Die Verteilung auf Personal- und Sachkosten obliegt den Kinderschutz-Zentren. Die Höhe der bewilligten Landeszuwendung für Personal- und Sachkosten: 2016: 390 000 Euro (zwei Kinderschutz-Zentren), 2017: 390 000 Euro (zwei Kinderschutz-Zentren), 2018: 746 860 Euro (vier Kinderschutz-Zentren). Die Höhe der kommunalen Förderung wird nicht nach Personal- und Sachkosten differenziert erfasst . Die Förderung der Beratungsstellen für Mädchen und Frauen, die von Gewalt betroffen sind, bemisst sich nach Pauschalen für die Beratungsfälle und die Prävention- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Beratungsstellen können die Zuwendung sowohl für Personal als auch für Honorar- und Sachkosten einsetzen. Über sonstige öffentliche Mittel liegen keine Angaben vor. 7. In welcher Höhe erhalten die spezialisierten Fachberatungsstellen Zuschüsse zu Sachkosten aus öffentlichen Mitteln (bitte aufschlüsseln nach Landesmitteln und kommunalen Mitteln)? Gemäß 4.2.2 der Förderrichtlinie können den Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bis zu 1 000 Euro Sachkosten für die Fortbildung der Fachkräfte und Öffentlichkeitsarbeit entsprechend den nachgewiesenen Aufwendungen gewährt werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1407 4 Für Sachkosten sind Landesmittel in folgender Höhe bewilligt worden: 2016: 19 000 Euro (20 Beratungsstellen) 2017: 19 000 Euro (20 Beratungsstellen) 2018: 21 500 Euro (22 Beratungsstellen) Angaben zu den Kinderschutz-Zentren und den Beratungsstellen für Mädchen und Frauen siehe Nummer 6. Die Höhe der kommunalen Förderung wird nicht nach Personal- und Sachkosten differenziert erfasst . 8. Bewertet die Landesregierung die Hilfestrukturen in Niedersachsen für Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend als ausreichend? In den zurückliegenden 30 Jahren ist in Niedersachsen ein effektives Hilfssystem entwickelt worden , das betroffenen Kindern und Jugendlichen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, zur Verfügung steht. Die mit Landesförderung betriebenen Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die Kinderschutz-Zentren sowie die Gewaltberatungsstellen bieten leicht zugängliche und sehr professionelle Unterstützung an. Aktuell ist es mit der Förderung von zwei neuen Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und zwei zusätzlichen Kinderschutz-Zentren gelungen, das Hilfenetz im Flächenland Niedersachsen noch enger zu knüpfen. Bei den Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche stehen Beratungsangebote auch Betroffenen angrenzender Gebietskörperschaften offen. Diese Praxis trägt zur Verbesserung der Hilfestruktur hinsichtlich der Erreichbarkeit und Zugänge wesentlich bei. Die bei den Beratungsstellen im Bereich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und bei dem Deutschen Kinderschutzbund (DKSB) Landesverband Niedersachsen deutlich ansteigenden Anfragen - insbesondere im Bereich der Beratung nach SGB VIII 8 a „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung “ sowie zur Implementierung von Schutzkonzepten in Einrichtungen - bestätigen den bestehenden Bedarf und die hohe Akzeptanz der Einrichtungen im Kinderschutz. Gerade in den vergangenen zehn Jahren sind außerdem verschiedene Modellvorhaben (z. B. Projekt „Sichere Orte“ mit dem Deutschen Kinderschutzbund Landesverband Niedersachsen, Projekt „Kinderschutz-Konzepte“ mit dem Deutschen Kinderschutzbund Landesverband Niedersachsen, Projekt „Grenzgebiete“ mit der Landesstelle Jugendschutz, Projekt „Sexualisierte Gewalt im Sport“ mit dem LandesSportBund Niedersachsen e. V.) gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen durchgeführt worden. Auf dieser Basis ist es gelungen, weitreichend für das Thema sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu sensibilisieren, Kinder und Jugendliche in Einrichtungen , Schulen, Sportvereinen zu erreichen, neue Kooperationsbezüge auf institutioneller Ebene herzustellen und Fachkräfte zu qualifizieren. An diesen Zielstellungen, Betroffenen notwendige und gut erreichbare Beratungsangebote vorzuhalten und über Präventionsangebote und Qualifizierung sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu minimieren, arbeiten die in diesem Arbeitsfeld tätigen Beratungsstellen kontinuierlich. (Verteilt am 16.08.2018) Drucksache 18/1407 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Imke Byl und Anja Piel (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Fachberatungsstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend - gibt es ausreichende Hilfestrukturen in Niedersachsen?