Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1718 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Sexualstraftaten in Niedersachsen Anfrage des Abgeordneten Stephan Bothe (AfD), eingegangen am 14.08.2018 - Drs. 18/1493 an die Staatskanzlei übersandt am 30.08.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 27.09.2018 Vorbemerkung des Abgeordneten Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden im Jahr 2017 in Niedersachsen 5 749 Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bekannt. Das waren 523 Fälle mehr als 2016. Vorbemerkung der Landesregierung Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung stellen mit einem Anteil von rund 1 % einen sehr geringen Anteil an der Gesamtkriminalität dar. Mit den insofern in Rede stehenden sehr geringen Fallzahlen ist die Möglichkeit starker prozentualer Schwankungen zwischen den einzelnen Berichtsjahren verbunden. Der in der PKS 2017 dargestellte Zuwachs im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist überwiegend auf die am 10.11.2016 in Kraft getretene Verschärfung des Sexualstrafrechts zurückzuführen. In diesem Kontext ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der § 177 StGB neu gefasst und der § 184 i StGB neu konstituiert wurde. Infolgedessen wurden diesbezüglich allein in dem neuen Tatbestand „Sexuelle Belästigung“ gemäß § 184 i StGB 740 Fälle und in dem Tatbestand „sexuelle Übergriffe“ gemäß § 177 StGB 233 Fälle registriert, sodass insgesamt 973 Fälle in diesem Bereich verzeichnet wurden. In dem Bereich Tatbestand „Sexuelle Belästigung “ gemäß § 184 i StGB können Sachverhalte inbegriffen sein, die bisher als Beleidigung auf sexueller Grundlage erfasst wurden. Eine Vergleichbarkeit der Daten mit den Vorjahreswerten ist insofern nur sehr eingeschränkt möglich . Weiterhin können Änderungen im Anzeigeverhalten der Opfer die Entwicklung der PKS, die das sogenannte Hellfeld widerspiegelt, maßgeblich beeinflussen. In dem Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung könnte beispielsweise die sogenannte metoo-Debatte oder die sogenannte Nein heißt Nein-Kampagne zu einer Änderung des Anzeigeverhaltens geführt haben. An dieser Stelle ist jedoch herauszustellen, dass in dem Bereich der schweren Sexualdelikte mit 896 Fällen in 2017 im Vergleich zum Vorjahr (2016: 954 Fälle) deutlich weniger Vergewaltigungsdelikte registriert wurden. Dies entspricht einem Rückgang von 58 Taten bzw. rund 6 % (6,08 %). 1. Wie viele Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gab es von Januar bis Juni dieses Jahres in Niedersachsen (bitte aufschlüsseln nach Delikten)? Das Landeskriminalamt Niedersachsen hat zum Stand 01.09.2018 die deliktsspezifischen Zahlen der bekannt gewordenen Fälle der Hauptgruppe 1 der PKS (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ) für das erste Halbjahr 2018 erhoben. Diese sind der nachfolgend dargestellten Tabel- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1718 2 le zu entnehmen. Es wird darauf hingewiesen, dass es sich um unterjährige Daten eines laufenden PKS-Berichtsjahrs handelt. Diese sind erfahrungsgemäß noch Veränderungen unterworfen. Anzahl bekannt gewordener Fälle 2018 (Januar bis Juni, Stand: 1.9.2018) 1. Halbjahr 111710 Vergewaltigung § 177 Abs. 6 Nr. 1, 2, StGB 368 111720 Vergewaltigung im besonders schweren Fall § 177 Abs. 6 Nr. 1, 2 i. v. m. Abs. 7, 8 StGB 41 111730 Vergewaltigung von widerstandsunfähigen Personen (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4) gemäß § 177 Abs. 6 Nr. 1, 2 StGB 28 111810 Sexueller Übergriff im besonders schweren Fall § 177 Abs. 1, 2 (ohne Nr. 1) i. v. m. Abs. 6 Nr. 2, Abs. 7, 8 StGB 12 111820 Sexuelle Nötigung im besonders schweren Fall § 177 Abs. 5 i. v. m. Abs. 6 Nr. 2, Abs. 7, 8 StGB 15 111830 Sexueller Übergriff an widerstandsunfähigen Personen im besonders schweren Fall § 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 i. v. m. Abs. 6 Nr. 2, Abs. 7, 8 Nr. 2 StGB 10 111900 Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge § 178 StGB 2 112110 Sexueller Übergriff § 177 Abs. 1, 2 (ohne Nr. 1), 9 StGB 139 112120 Sexuelle Nötigung § 177 Abs. 5, 9 StGB 143 112130 Sexueller Übergriff an widerstandsunfähigen Personen § 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4, 9 StGB 26 113010 Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen ab 14 Jahren § 174 StGB 27 113020 Sexueller Missbrauch von Gefangenen/Verwahrten usw. ab 14 Jahren § 174 a StGB 2 113030 Sexueller Missbrauch - Ausnutzung einer Amtsstellung zum Nachteil von Personen ab 14 Jahren § 174 b StGB 0 113040 Sexueller Missbrauch - Ausnutzung eines Beratungs-/Behandlungs-/Betreuungsverhältnisses zum Nachteil von Personen ab 14 Jahren § 174 c StGB 1 114000 Sexuelle Belästigung gemäß § 184 i StGB 612 115000 Straftaten aus Gruppen gemäß § 184 j StGB 0 131010 Sexuelle Handlungen gemäß § 176 Abs. 5 StGB 3 131100 Sexuelle Handlungen § 176 Abs. 1 und 2 StGB 282 131200 Exhibitionistische/sexuelle Handlungen vor Kindern § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB 63 131300 Sexuelle Handlungen § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB 30 131400 Einwirken auf Kinder § 176 Abs. 4 Nr. 3 und 4 StGB 148 131500 Vollzug des Beischlafs mit einem Kind oder Vornahme einer ähnlichen sexuellen Handlung § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB 61 131600 Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern zur Herstellung und Verbreitung pornographischer Schriften § 176 a Abs. 3 StGB 12 131700 Sonstiger schwerer sexueller Missbrauch von Kindern § 176 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3 und Abs. 5 StGB 145 131800 Sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge § 176 b StGB 0 132010 Exhibitionistische Handlungen § 183 StGB 250 132020 Erregung öffentlichen Ärgernisses § 183 a StGB 16 133100 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen gegen Entgelt § 182 Abs. 2 StGB 9 133700 Sonstiger Sexueller Missbrauch von Jugendlichen § 182 StGB 24 140010 Ausübung der verbotenen Prostitution § 184 f StGB 0 140020 Jugendgefährdende Prostitution § 184 g StGB 0 141110 Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger durch Vermittlung oder gegen Entgelt § 180 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB 4 141179 Sonstige Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger § 180 StGB 0 141200 Ausbeuten von Prostituierten § 180 a StGB 2 142000 Zuhälterei § 181 a StGB 9 143010 Sonstige Verbreitung pornographischer Schriften (Erzeugnisse) § 184 Abs. 1 Nr. 3, 3 a, 4, 6, 7, 8, 9 StGB 55 143020 Verbreitung gewalt- oder tierpornographischer Schriften § 184 a StGB 6 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1718 3 Anzahl bekannt gewordener Fälle 2018 (Januar bis Juni, Stand: 1.9.2018) 1. Halbjahr 143030 Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien § 184 d StGB 7 143040 Veranstaltung und Besuch kinder- und jugendpornographischer Darbietungen § 184 e StGB 0 143100 Verbreitung pornographischer Schriften (Erzeugnisse) an Personen unter 18 Jahren § 184 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5 StGB 76 143211 Verbreitung von Kinderpornographie gemäß § 184 b Abs. 1 Nr. 1 StGB 174 143212 Besitzverschaffung für andere von Kinderpornographie gemäß § 184 b Abs. 1 Nr. 2 StGB 20 143213 Herstellung auch ohne Verbreitungsabsicht von Kinderpornographie mit tatsächlichem Geschehen gemäß § 184 b Abs. 1 Nr. 3 StGB 5 143214 Herstellung mit Verbreitungsabsicht von Kinderpornographie gemäß § 184 b Abs. 1 Nr. 4 StGB 3 143220 Verbreitung und Herstellung von Kinderpornographie gewerbs-/bandenmäßig gemäß § 184 b Abs. 2 StGB 1 143230 Besitz oder sich Verschaffen von Kinderpornographie gemäß § 184 b Abs. 3 StGB 363 143511 Verbreitung von Jugendpornographie gemäß § 184 c Abs. 1 Nr. 1 StGB 47 143512 Besitzverschaffung für andere von Jugendpornographie gemäß § 184 c Abs. 1 Nr. 2 StGB 2 143513 Herstellung auch ohne Verbreitungsabsicht mit tatsächlichem Geschehen von Jugendpornographie gemäß § 184 c Abs. 1 Nr. 3 StGB 5 143514 Herstellung mit Verbreitungsabsicht von Jugendpornographie gemäß § 184 c Abs. 1 Nr. 4 StGB 5 143520 Verbreitung und Herstellung von Jugendpornographie gewerbs-/bandenmäßig gemäß § 184 c Abs. 2 StGB 0 143530 Besitz oder sich Verschaffen von Jugendpornographie gemäß § 184 c Abs. 3 StGB 70 Summe 3 323 2. Welcher Herkunft sind die Tatverdächtigen (bitte aufschlüsseln nach Tatverdächtigen mit und ohne Migrationshintergrund sowie nach Nationalitäten)? Die durch das Landeskriminalamt Niedersachsen mit Stand 01.09.2018 dazu erfassten Nationalitäten ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle. Der jeweilige Migrationshintergrund der Tatverdächtigen wird von der PKS nicht erfasst. Die ergänzenden Hinweise bezüglich der unterjährigen Datenerhebung zur Beantwortung der Frage 1 gelten entsprechend. Anzahl Tatverdächtige (RTB) 2018 (Januar bis Juni) mit Nationalität 1. Halbjahr Deutschland 2 014 Syrien, Arabische Republik 95 Afghanistan 69 Irak 54 Türkei 43 Polen 28 Sudan 24 Serbien 21 Rumänien 18 Bulgarien 17 Iran, Islamische Republik 16 Niederlande 16 Marokko 12 Libanon 12 Griechenland 11 Pakistan 10 Kosovo 9 Portugal 8 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1718 4 Anzahl Tatverdächtige (RTB) 2018 (Januar bis Juni) mit Nationalität 1. Halbjahr Russische Föderation 8 Eritrea 7 Albanien 7 ungeklärt 7 Algerien 6 Côte d'Ivoire 6 Somalia 6 Montenegro 6 Bosnien und Herzegowina 5 Gambia 4 Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik 4 staatenlos 4 Ghana 3 Guinea 3 Liberia 3 Vereinigte Staaten 3 Indien 3 Belarus 3 Italien 3 Slowakei 3 Vereinigtes Königreich 3 Kenia 2 Libyen 2 Nigeria 2 Tunesien 2 Australien 2 Kroatien 2 Lettland 2 Ukraine 2 Ägypten 1 Benin 1 Burkina Faso 1 Burundi 1 Mali 1 Ruanda 1 Simbabwe 1 Südafrika 1 Südsudan 1 Togo 1 Zentralafrikanische Republik 1 Brasilien 1 Chile 1 Kanada 1 Suriname 1 Aserbaidschan 1 China 1 Georgien 1 Kasachstan 1 Sri Lanka 1 Usbekistan 1 Vietnam 1 Belgien 1 Frankreich 1 Litauen 1 Moldau, Republik 1 Norwegen 1 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1718 5 Anzahl Tatverdächtige (RTB) 2018 (Januar bis Juni) mit Nationalität 1. Halbjahr Österreich 1 Schweiz 1 Slowenien 1 Spanien 1 Ungarn 1 ohne Angabe/sonstiges 1 3. Wie viele der Tatverdächtigen kamen in Untersuchungshaft? In Ermittlungsverfahren niedersächsischer Staatsanwaltschaften im Zusammenhang mit Sexualstraftraten , die mutmaßlich zu Zeitpunkten im Zeitraum zwischen dem 01.01.2018 und dem 30.06.2018 begangen wurden, kamen insgesamt 30 Beschuldigte in Untersuchungshaft. 4. Wie viele dieser Fälle aus den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden bisher von den Gerichten verhandelt? Die nachfolgenden Daten stammen aus der Auswertung für Niedersachsen über die Erhebung von statistischen Daten im Straf- und Bußgeldverfahren. Verfahren, die die Straftatbestände der §§ 184 bis 184 d StGB zum Gegenstand hatten, sind in den nachfolgenden Daten nicht berücksichtigt. Im ersten Halbjahr 2018 wurden bei den niedersächsischen Amtsgerichten insgesamt 345 Strafverfahren und bei den niedersächsischen Landgerichten insgesamt 63 erstinstanzliche Strafverfahren im Zusammenhang mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erledigt. Soweit nur solche Verfahren zugrunde gelegt werden, die auch im ersten Halbjahr 2018 bei einer niedersächsischen Staatsanwaltschaft eingegangen waren, wurden im ersten Halbjahr 2018 bei den niedersächsischen Amtsgerichten insgesamt 56 Strafverfahren und bei den niedersächsischen Landgerichten insgesamt vier erstinstanzliche Strafverfahren im Zusammenhang mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung abgeschlossen. Statistische Daten für den Zeitraum, der über das erste Halbjahr 2018 hinausgeht, liegen noch nicht vor. 5. Bei wie vielen Tätern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung mit Migrationshintergrund in den Jahren 2017 und 2018 in Niedersachsen erlosch der Aufenthaltstitel aufgrund der von ihnen begangenen Straftat, und wie viele wurden daraufhin abgeschoben ? Statistische Daten im Sinne der Fragestellung liegen nicht vor. Die Veranlassung einer zeit- und personalintensiven händischen Auswertung wäre mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden und würde daher das Zumutbare und Leistbare zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur schriftlichen Beantwortung übersteigen. 6. In wie vielen Fällen, in denen Tatverdächtige nicht ermittelt werden konnten, wurde das äußere Erscheinungsbild des Tatverdächtigen mit „südländischem Aussehen“, „afrikanischer Herkunft“ oder ähnlichen Merkmalen von Zeugen beschrieben? Beschreibungen des äußeren Erscheinungsbildes von Tatverdächtigen sind nicht Gegenstand der PKS. Eine erforderliche händische Auswertung aller relevanten Ermittlungsakten ist im Rahmen der Beantwortung der vorliegenden Anfrage nicht zu leisten. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1718 6 7. Werden die Beschuldigten von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung grundsätzlich erkennungsdienstlich behandelt (Entnahme von Fingerabdrücken und DNA- Proben) und, falls nein, warum nicht? Es wird davon ausgegangen, dass die rechtlichen Vorgaben der Strafprozessordnung erfüllt und entsprechende ED-Behandlungen durchgeführt werden. 8. Wie viele Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung konnten aufgrund der nicht abgeschlossenen Ermittlungen nicht mehr in die PKS 2017 aufgenommen werden? Eine valide Auswertung hinsichtlich der Fragestellung kann anhand der PKS nicht vorgenommen werden. 9. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um dem Anstieg der Zahl von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung entgegenzuwirken? Bereits 2001 haben in Niedersachsen das Ministerium für Inneres und Sport (MI), das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) und das Justizministerium (MJ) einen gemeinsamen Landesaktionsplan entwickelt. Mit ihm wurde die Grundlage dafür geschaffen, dass häusliche Gewalt, die oft auch sexuelle Gewalt ist, in Niedersachsen auf Landesebene, aber auch auf kommunaler Ebene als eine „ressortübergreifende“ Aufgabe verstanden wird. Bereits im ersten Landesaktionsplan waren vielfältige Schutz- und Hilfemaßnahmen aufeinander abgestimmt und zusammengefasst . Sie betrafen zunächst vor allem die Arbeit der Justiz, der Polizei sowie der Beratungsstellen und Frauenhäuser und enthielten als wichtige Innovationen die Möglichkeit eines polizeilichen Platzverweises gegen Täter und ein proaktives Beratungsmodell. Mit dem Aktionsplan II - der auch vom Kultusministerium (MK) als viertes Ressort unterstützt wird - wurden die bestehenden Interventionsansätze bestätigt und neue Akzente vor allem im Bereich der Prävention gesetzt. Inzwischen bildet der Aktionsplan III zur Bekämpfung häuslicher Gewalt in Paarbeziehungen auf Landesebene die Grundlage des Handelns. Zur Umsetzung des Landesaktionsplans wurde die Koordinierungsstelle „Häusliche Gewalt“ eingerichtet . Sie ist beim Landespräventionsrat angesiedelt und fungiert als Informationsdrehscheibe zwischen verschiedenen Handlungsfeldern wie z. B. Justiz, Polizei, Beratungsstellen und Jugendhilfe sowie zwischen der Landes- und der kommunalen Ebene. Die Koordinierungsstelle unterstützt Netzwerke und Fachkräfte in Polizei, Justiz, Beratungsstellen, Frauenhäusern, Schulen, Jugendhilfe und Gesundheitswesen bei der Entwicklung und Verstetigung der Interventions- und Präventionsarbeit bei häuslicher Gewalt vor Ort. Dabei bietet die Koordinierungsstelle regelmäßig Fachveranstaltungen und Fortbildungen im Bereich der Prävention von häuslicher Gewalt und in diesem Kontext auch von sexualisierter Gewalt an. In Niedersachsen existiert ein flächendeckendes Netz an Frauenunterstützungseinrichtungen (FUE) gegen sexuelle und häusliche Gewalt. Auf Grundlage der „Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Maßnahmen für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind“ vom 30.06.2017 (Nds. MBl. Nr. 28/2017, S. 885) fördert MS derzeit 41 Frauenhäuser, 43 Gewaltberatungsstellen und Notrufe sowie 29 Beratungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt (BISS). Der Ausbau der BISS erfolgte analog der Struktur der Polizeiinspektionen in Niedersachsen , sodass in jedem Gebiet einer Polizeiinspektion ein BISS-Beratungsangebot vorgehalten wird. Nach der Richtlinie wird auch die Präventionsarbeit zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gefördert. Ein weiterer Zugang zu Opferunterstützungsdiensten insbesondere für Frauen, die Opfer von häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt geworden sind, liegt seit 2012 im Angebot „Netzwerk ProBeweis “. Opfern von häuslicher und sexueller Gewalt wird landesweit die Möglichkeit gegeben, sich auch ohne unmittelbare Anzeige nach der Tat zu jeder Tages- oder Nachtzeit untersuchen zu lassen , wobei die Verletzungen dokumentiert und die Spuren so gesichert werden, dass sie vor Gericht verwertbar sind. Die Beweissicherung kann derzeit in 35 Kliniken in Niedersachsen erfolgen (Stand: 01.09.2018). Das Netzwerk ist mit den regionalen Polizei-, Opferberatungs- und sonstigen Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1718 7 Hilfs- und Beratungseinrichtungen über Informations- und Fachveranstaltungen sowie spezifische Kooperationen verbunden. Seit 2010 fördert das MS Täterberatungsstellen, die im Sinne des Opferschutzes mit Gewalttätern in Fällen häuslicher und/oder sexueller Gewalt arbeiten. Die Angebote der Täterberatungsstellen richten sich zum einen an Männer, die von sich aus eine Veränderung an ihrem gewalttätigen Verhalten erreichen wollen. Andererseits können auch die Strafverfolgungsbehörden Tätern konkrete Auflagen erteilen und sie einer entsprechenden Einrichtung zuweisen. Seit 2012 bieten die Täterberatungsstellen aktiv Hilfe und Unterstützung nach einer polizeilichen Intervention an. Inzwischen werden in Niedersachsen elf Täterberatungsstellen gefördert. Über die oben genannten Angebote hinaus fördert das Land Niedersachsen drei Mädchenhäuser in Hannover, Osnabrück und Oldenburg sowie die Fachberatungsstellen Zentrale Koordinierungsund Beratungsstelle für Opfer von Frauenhandel in Hannover (KOBRA) und Solidarity with Women in Distress in Osnabrück und Braunschweig (SOLWODI). Die Fachberatungsstellen beraten und unterstützen im Wesentlichen die Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung . MI und MS haben bereits Ende 2015 gemeinsam das „Konzept zum Kinderschutz und Gewaltschutz für Frauen in Aufnahmeeinrichtungen des Landes für Asylbegehrende und Flüchtlinge“ entwickelt . Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen setzt dieses Konzept erfolgreich um. Insbesondere sind folgende Maßnahmen im Konzept vorgesehen: – geschlechterspezifische Unterbringung, – Sicherheitsvorkehrungen in Sanitärbereichen (gute Beleuchtung, Trennung der Geschlechter, Frauenduschzeiten), – weibliche Ansprechpartner im Sozialdienst und beim Sicherheitspersonal, – Unterstützungs- und Beratungsangebote für Gewaltbetroffene. Das Gewaltschutzkonzept wird derzeit unter Einbindung der verschiedenen Akteure evaluiert und fortgeschrieben. Dabei werden u. a. die bisherigen Zielgruppen um weitere besonders schutzbedürftige Personen erweitert. Es ist der Landesregierung ein besonderes Anliegen sicherzustellen, dass insbesondere bei der Unterbringung der Flüchtlingsfrauen und -familien in Landesunterkünften die individuelle Situation berücksichtigt wird. Dabei dient bereits der verlässliche Ablauf administrativer Vorgaben - u. a. die Erstuntersuchung, Arztbesuche, Sozialleistungen und Gespräche mit dem Sozialdienst - der Gewaltprävention . Eine enge Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner durch den Sozialdienst erleichtert es, frühzeitig Problemlagen zu erkennen. Beispielsweise findet schon im Rahmen des Erstgespräches eine umfassende Aufklärung zum Thema Kinder- und Gewaltschutz statt. Die Landesregierung wirkt der Begehung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auch durch die Unterstützung von präventiven Ansätzen entgegen. In der Zuständigkeit der jeweiligen Ressorts werden entsprechende Maßnahmen gefördert, z. B. die Erziehungskompetenzen von Eltern, zur Stärkung von Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen oder zur Einführung von Schutzkonzepten in Einrichtungen. Auf der kommunalen Ebene arbeiten Einrichtungen, Behörden, Zivilgesellschaft und Polizei oftmals in kommunalen Präventionsgremien zusammen, um ihre Präventionsarbeit untereinander abzustimmen. Die Geschäftsstelle des Landespräventionsrates (LPR) unterstützt und berät die ca. 200 kommunalen Präventionsgremien in Niedersachsen. Um die Zielgerichtetheit der kommunalen Präventionsarbeit zu unterstützen, wird vom LPR der Einsatz von Planungsmethoden wie „Communities That Care“ (CTC) in den Kommunen gefördert. Im Rahmen von CTC ist seitens des LPR z. B. die „Grüne Liste Prävention“ entwickelt worden, die kommunalen Akteuren eine Übersicht zu wissenschaftlich evaluierten Präventionskonzepten im Bereich der Elternbildung und Kompetenzförderung bei Kindern und Jugendlichen liefert. Alle Opfer von Straftaten haben ein Recht auf Information, Schutz und Hilfe. Diese Zielsetzung ist in der niedersächsischen Opferschutzkonzeption enthalten, welche die Fachstelle Opferschutz des Niedersächsischen Landespräventionsrats umsetzt. Daher betreibt die Fachstelle Opferschutz die landeseinheitliche Internetpräsenz www.opferschutz-niedersachsen.de. Auf dieser Website können Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1718 8 sich auch Betroffene von Sexualstraftaten über ihre Rechte informieren, ebenso über Möglichkeiten , einen Ausgleich über die Schädigungen aus der erlittenen Straftat zu erhalten. Die Website verweist u. a. Opfer von Sexualstraftaten, aber auch ihre Angehörigen, auf Unterstützungseinrichtungen in Niedersachsen und stellt Fachkräften, die Betroffene beraten, Informationsmaterial zur Verfügung. Im familiengerichtlichen Bereich existieren Runde Tische, Netzwerkgruppen, Arbeitsgruppen und Arbeitskreise auf örtlicher Ebene, an denen Vertreter der Gerichte, Polizei, Ärzteschaft, Frauenhäuser , Opferverbände und Beratungsstellen teilnehmen. Ferner nehmen Familienrichterinnen und Familienrichter als beratende Mitglieder im Jugendhilfeausschuss der Gemeinden teil, arbeiten mit den zuständigen Stellen der Städte und Landkreise zusammen, halten interdisziplinäre Fachtage mit Beratungsstellen ab und arbeiten in den Präventionsräten mit. Der Erlass „Sicherheits- und Gewaltpräventionsmaßnahmen in Schulen in Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft“ (Gem. RdErl. d. MK, d. MI u. d. MJ v. 01.06.2016 - 25.5-81411 - ,VORIS 22410 -, Nds. MBl. 2016 Nr. 23) verpflichtet die Schulen, ein Sicherheits- und Präventionskonzept zu erstellen und regelmäßig zu aktualisieren. In dem Erlass werden auch Straftaten, die von den Schulen umgehend bei der Polizei angezeigt werden müssen, genannt, z. B. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Anzeigepflichten). Die schulischen Präventionskonzepte sollen auch Aussagen über die curriculare Einbindung von Präventionsprogrammen enthalten. Das Land Niedersachsen bietet den Schulen mehrere wissenschaftlich evaluierte Präventionsprogramme an, die im Sinne der primären Prävention die sozialen und Lebenskompetenzen der Schülerinnen und Schüler fördern mit dem Ziel, die Kinder und Jugendlichen zu befähigen, selbstbestimmt, eigenverantwortlich und damit resilient mit Gefährdungen , auch mit sexuellen Übergriffen, umzugehen. Seit 2010 ist den Schulen die Handreichung „Im Notfall handlungsfähig bleiben“ zugänglich. Diese Handreichung enthält Hinweise, welche Maßnahmen in Krisen und Notfällen, also auch im Falle eines sexuellen Übergriffes oder Missbrauchs, zu ergreifen sind. Außerdem stehen zur Unterstützung der Schulen Krisen- und Notfallteams der Niedersächsischen Landesschulbehörde bereit. Insbesondere die Schulpsychologinnen und Schulpsychologen beraten in diesem Kontext Schulleiterinnen , Schulleiter, Kollegien, einzelne Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler auch zu sexuellen Übergriffen zwischen Schülerinnen und Schülern und zwischen lehrendem und nichtlehrendem Personal und Schülerinnen und Schülern. Seit 2016 werden den Schulen von der Schulpsychologie auch Qualifizierungskurse für schulinterne Krisenteams angeboten, diese werden sehr stark nachgefragt. In diesen Qualifizierungen geht es darum, Maßnahmen zur Prävention und auch zur Intervention von Krisen und Notfällen zu vermitteln , um die Schulleiterinnen, Schulleiter und Lehrkräfte für den Umgang mit Krisen und Notfällen kompetent zu machen. Im August 2018 hat das Kultusministerium zudem die Handreichung „Umgang mit sexuellen Grenzverletzungen in niedersächsischen Schulen“ veröffentlicht, die den Schulen neben Interventionen auch Handlungsempfehlungen zur Erstellung eines Schutzkonzeptes gibt, um die Risiken sexueller Übergriffe in den Schulen zu vermindern bzw. zu eliminieren. Im Rahmen des Programms Pro*Niedersachsen fördert das Ministerium für Wissenschaft und Kultur neben weiteren Projekten zu anderen Themen auch ein Forschungsprojekt zur „Thematisierung von sexualisierter Gewalt an Hochschulen in der Lehre und der Organisation“. (Verteilt am 02.10.2018)