Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg, Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Antisemitistische Anschläge und Übergriffe 2016 und 2017 Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg, Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 27.08.2018 - Drs. 18/1485 an die Staatskanzlei übersandt am 30.08.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 28.09.2018 Vorbemerkung der Abgeordneten Nach der Studie „Die enthemmte Mitte“ der Universität Leipzig aus dem Jahr 2016 sind 10,9 % der Befragten der Meinung, dass der Einfluss von Jüdinnen und Juden heute noch zu groß sei. 9,6 % sind der Ansicht, die Juden hätten etwas Eigentümliches an sich und passten nicht so recht zur Gesellschaft. Immer wieder kam es zu Anschlägen auf jüdische Einrichtungen. Diese sind häufig dem rechten Spektrum zuzuordnen, aber auch aus anderen Teilen der Gesellschaft sind Übergriffe begangen worden. Vorbemerkung der Landesregierung Für die Landesregierung hat die Verhinderung und Bekämpfung von Antisemitismus hohe Priorität. Insbesondere die hiesigen Sicherheitsbehörden messen der Bekämpfung von Antisemitismus im Rahmen der Abwehr von Gefahren und der Verfolgung von Straftaten hohe Bedeutung bei. Dies gilt in besonderem Maße für Bedrohungen aus den Phänomenbereichen des islamistischen Extremismus und des Rechtsextremismus. Es wird ergänzend auf die Antworten zu gleichlautenden Fragestellungen der Kleinen Anfrage zur schriftlichen Beantwortung in der Drs. 18/1479 hingewiesen. 1. Wie viele Angriffe/Anschläge/Sachbeschädigungen wurden nach Kenntnis der Landesregierung in den Jahren 2016 und 2017 auf Synagogen, jüdische Vereine, Verbände, Friedhöfe oder sonstige Gebäudekomplexe, die mit Menschen jüdischen Glaubens assoziiert werden könnten, in Niedersachsen begangen (bitte Aufschlüsselung nach Tatzeit , Ort, Art der Einrichtung, Deliktart sowie Kategorisierung des Vorfalls in polizeilichen Meldesystemen)? Im Zusammenhang mit Angriffen/Anschlägen/Sachbeschädigungen auf Synagogen, jüdische Vereine , Verbände, Friedhöfe oder sonstige Gebäudekomplexe, die mit Menschen jüdischen Glaubens assoziiert werden könnten, kam es in den Jahren 2016 und 2017 zu insgesamt sieben Straftaten. Die Vorgänge sind der nachfolgenden Auflistung zu entnehmen: Jahr Ort Art d. Einrichtung Delikt Kategorie 1 2016 Hannover Friedhof/Predigthalle § 304 StGB PMK Hasskriminalität Antisemitisch 2 2016 Pattensen Jüdische Gedenktafel § 304 StGB Hasskriminalität Antisemitisch 3 2016 Braunschweig Gedenksteine (Stolpersteine ) § 304 StGB Hasskriminalität Antisemitisch Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 2 Jahr Ort Art d. Einrichtung Delikt Kategorie 4 2017 Braunschweig Gedenkstätte Schillerstraße § 304 StGB Hasskriminalität Antisemitisch 5 2017 Hannover Gedenktafel der Kestnergesellschaft § 304 StGB Hasskriminalität Antisemitisch 6 2017 Osnabrück Jüdisches Denkmal/Alte Synagoge § 304 StGB Hasskriminalität Antisemitisch 7 2017 Braunschweig Gedenktafel „Schill-Denkmal “ § 304 StGB Hasskriminalität Antisemitisch 2. In wie vielen Fällen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, in wie vielen Fällen konnten eine oder mehrere Täterinnen/ein oder mehrere Täter ermittelt werden, in wie vielen Fällen kam es zu Verurteilungen (bitte aufschlüsseln und mit jeweiligem Vorfall verknüpfen )? In allen sieben Fällen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es konnte nur in einem Fall (s. Nr. 3 der o. a. Auflistung) ein Täter ermittelt werden. Dieses Verfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In den anderen Verfahren konnte kein Täter ermittelt werden. Die Verfahren wurden ebenfalls gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. 3. Hält die Landesregierung zusätzliche Sicherungsmaßnahmen an der jüdischen Glaubensgemeinschaft zuzurechnenden Gebäuden gemäß aktueller Einschätzung der Sicherheitslage in Niedersachsen für notwendig? Falls ja, welche Maßnahmen wurden seitens der Landesregierung zum Schutz der individuellen Freiheit der Religionsausübung getroffen? Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden bewerten aufgrund vorliegender sicherheitsrelevanter Erkenntnisse fortlaufend und aktuell potenzielle Gefährdungslagen in ihrem Zuständigkeitsbereich und treffen darauf aufbauend die erforderlichen gefahrenabwehrenden Maßnahmen. Insofern sind auch jüdische Einrichtungen in Abhängigkeit der aktuellen Erkenntnislage Bestandteil dieser Bewertungsprozesse. 4. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zur Gefährdung jüdischer Einrichtungen in Niedersachsen durch dschihadistische Terrororganisationen? Es liegen ausdrücklich keine Erkenntnisse in Bezug auf eine konkrete Gefährdung jüdischer Einrichtungen in Niedersachsen vor. Gemäß aktueller Lagefortschreibung des BKA besteht sowohl für das Bundesgebiet als auch für deutsche Interessen in verschiedenen Regionen der Welt eine anhaltend hohe Gefährdung, die sich jederzeit in Form von gefährdungsrelevanten Ereignissen bis hin zu jihadistisch motivierten Anschlägen oder Entführungen konkretisieren kann. Islamistische Gruppierungen setzen bei der Auswahl potenzieller Ziele für terroristische Aktivitäten auf ein breit gefächertes Spektrum. Symbolhafte und sogenannte weiche Anschlagsziele rücken dabei immer weiter in den Vordergrund. In diesem Rahmen können insbesondere mögliche Anschlagsziele, die maßgeblich mit der Glaubensausrichtung der sogenannten westlichen Welt und somit auch dem christlichen sowie jüdischen Glauben in Zusammenhang stehen, nicht ausgeschlossen werden. 5. In welchem Rahmen ist die Auseinandersetzung mit Antisemitismus Teil des Lehrcurriculum im Land Niedersachsen? Die Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus ist in den Kerncurricula verschiedener Unterrichtsfächer und Schulformen verankert. Auf dieser Grundlage und entsprechend den schuleigenen Arbeitsplänen haben Lehrkräfte die Aufgabe, den Unterricht in eigener pädagogischer Verant- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 3 wortung derart zu gestalten, dass die erwarteten fachbezogenen Kompetenzen erworben werden können. Neben der Beschäftigung mit dem Thema Antisemitismus machen verschiedene niedersächsische Kerncurricula darüber hinaus deutlich, dass das Judentum seit vielen Jahrhunderten ein integraler Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur, Geschichte und Gesellschaft ist. a) Welche themenspezifischen Inhalte sind Teil des Lehrplans? Die nachstehend aufgeführten Inhalte der Lehrpläne zur Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus sind schulformspezifisch gegliedert: Haupt-, Real- und Oberschulen Zum Thema Antisemitismus werden direkte sowie indirekte Kompetenzbezüge insbesondere in den nachfolgend aufgeführten Unterrichtsfächern des Sekundarbereiches I hergestellt. Darüber hinaus kann eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus ebenfalls in (außer-)schulischen Projekten, anderen Unterrichtsfächern sowie unter Berücksichtigung des fächerübergreifenden Unterrichts behandelt werden. Die Thematisierung hängt an dieser Stelle von der schulinternen Schwerpunktsetzung ab. An Haupt-, Real- und Oberschulen erfolgt die Auseinandersetzung mit Antisemitismus in unterschiedlichen Unterrichtsfächern. So sieht das Unterrichtsfach Geschichte eine explizite Behandlung der Thematik innerhalb der Themenbereiche „NS-Diktatur in Deutschland“ sowie „Begegnungen unterschiedlicher Kulturen in Europa“ vor. Die Schülerinnen und Schüler – bewerten die Ausgrenzung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung als beispielloses Verbrechen gegen die Menschlichkeit, – vergleichen nationalsozialistische Ideologie mit rechtsextremistischen Vorstellungen von heute und nehmen dazu Stellung, – untersuchen Erscheinungsformen des Antisemitismus in Vergangenheit und Gegenwart, – diskutieren Ängste und Vorurteile von Mehrheiten und Minderheiten in der Geschichte und heute , – erörtern den Widerspruch zwischen jüdischen Kulturleistungen in Deutschland und antisemitischen Vorurteilen. Darüber hinaus akzentuieren die Unterrichtsfächer Evangelische Religion, Katholische Religion sowie Islamische Religion die Auseinandersetzung mit Antisemitismus innerhalb des inhaltsbezogenen Kompetenzbereiches „Nach Religionen fragen“. Die Schülerinnen und Schüler – beschreiben, dass Menschen unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften angehören und friedlich miteinander leben können (Evangelische Religion), – erläutern Möglichkeiten eines respektvollen Umgangs von Christen, Juden und Muslimen im Alltag (Evangelische Religion und Islamische Religion), – problematisieren intolerantes Verhalten gegenüber Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen in Geschichte und Gegenwart (Evangelische Religion und Islamische Religion), – benennen und erläutern die grundlegenden Feste, Rituale und Symbole des Judentums und begegnen ihnen respektvoll (Katholische Religion). Im Unterrichtsfach Werte und Normen soll eine Schwerpunktsetzung während der Behandlung der Leitthemen „Leben in Vielfalt“, „Menschenrechte und Menschenwürde“, „Ethische Grundlagen für Konfliktlösungen“ sowie „Deutungsmöglichkeiten und -grenzen von Religionen und Weltanschauungen “ erfolgen. Die Schülerinnen und Schüler – diskutieren Möglichkeiten und Voraussetzungen eines toleranten Zusammenlebens, Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 4 – diskutieren Beispiele von Verletzungen der Menschenrechte, u. a. Formen von Diskriminierung (z. B. Rassismus), – benennen verschiedene Formen und Ursachen von Konflikten und Gewalt sowie religiös begründete Auseinandersetzungen. Ergänzend ermöglicht das Unterrichtsfach Politik während der Behandlung der Themenfelder „Gerechtigkeit für alle?“, „EU - ein Garant für Frieden, Wohlstand und Sicherheit?“ sowie „Erreichen wir eine grenzenlose Sicherheit?“ eine Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus. Gymnasium, Gesamtschule, Berufliches Gymnasium, Abendgymnasium und Kolleg In den Kerncurricula der Integrierten Gesamtschulen (IGS) für die Schuljahrgänge 5 bis 10 wird der Begriff „Antisemitismus“ nicht explizit benannt. Allerdings wird der diesbezügliche Hintergrund in den unten angeführten Kerncurricula thematisiert: In den Kerncurricula für die Integrierte Gesamtschule, Schuljahrgänge 5 bis 10 „Evangelische Religion “ und „Katholische Religion“ von 2009 ist „Toleranz“ in den Bildungsbeiträgen als Grundanliegen christlicher Bildung benannt, das die Berücksichtigung multikultureller und multireligiöser Lebenssituationen zwingend einbezieht. Umgesetzt werden solch zentrale Ziele in den Kompetenzbeschreibungen beider Kerncurricula. Das zum 01.08.2017 in Kraft getretenen Kerncurriculum Werte und Normen der IGS führt hier grundlegend in den Bildungsbeiträgen den Toleranzgedanken, das Menschenbild der Aufklärung sowie Prinzipien des demokratischen und sozialen Rechtsstaats aus. Explizit wird das Thema „Ethische Grundlagen für Konfliktlösungen“ (Ethik, Gewalt, Konflikt, Toleranz) für die Jahrgänge 9 und 10 im Kompetenzbereich Moral und Ethik zur lebensweltlichen, politisch-soziologischen und ethischen Perspektive hin ausdifferenziert. Im integrierten Fach Gesellschaftslehre der IGS ist die Förderung von Demokratiebildung und Menschenrechten konstitutiv angelegt, ebenso wie die Förderung der kritischen Urteilsfähigkeit. Dieses ist sowohl im Bildungsbeitrag unter Bezug auf die Schlüsselprobleme als auch in den Kompetenzbeschreibungen („Urteilskompetenzen“) unter Einschluss der politischen, historischen und geografischen Dimension im Kerncurriculum (2014) angelegt. Aktuelle Begriffe der politischen Diskussion wie „Radikalisierung, Extremismus, Populismus“ sind im Kerncurriculum zwar nicht explizit genannt, die mit diesen Begriffen einhergehenden Problematiken werden aber insbesondere in den Lernfeldern „Individuum und soziale Welt“, „Herrschaft und politische Ordnung“ sowie „Zeit und Wandel“ thematisiert. Ein Materialienband zum Kerncurriculum Gesellschaftslehre ist erstellt. Dieser Praxisband enthält ein didaktisch-methodisch differenziertes Unterrichtsbeispiel für die Schuljahrgänge 9 und 10 zum Thema „Rechtsruck in Deutschland - Zum Spannungsfeld von Populismus/Extremismus und demokratischen Grundwerten“. Im Kerncurriculum Katholische Religion für das Gymnasium Schuljahrgänge 5 bis 10 (2016) finden sich die folgenden Bezüge zum Thema Antisemitismus: Kapitel 3.2.6 Religionen (S. 28 f.): – Nachbarschaft und Freundschaft, – Stellung der Frau in den Religionen, Intoleranz, religiös motivierte Gewalt, – christlicher Antijudaismus, islamischer Fundamentalismus, – Unterscheidung der sozialen, ökonomischen und politischen Dimensionen bei der Beurteilung der Religionen, Spannungsverhältnis von Kultur und Religion. Im Kerncurriculum Geschichte für das Gymnasium Schuljahrgänge 5 bis 10 finden sich die folgenden Bezüge zum Thema Antisemitismus: Schuljahrgänge 9 und 10 (S. 22): Weltdeutung und Religion/Elemente der nationalsozialistischen Ideologie (und deren Wurzeln): Rassenideologie, Antisemitismus, Führermythos, „Volksgemeinschaft“ Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 5 Im Kerncurriculum Geschichte für das Gymnasium - gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule - gymnasiale Oberstufe, das berufliche Gymnasium, das Abendgymnasium und das Kolleg (2017) finden sich die folgenden Bezüge zum Thema Antisemitismus: – Rahmenthema 2 - Wechselwirkungen und Anpassungsprozesse in der Geschichte, Wahlmodul 7: Jüdisches Leben in Deutschland im langen 19. Jahrhundert (S. 38): – Rechtliche und ökonomische Stellung der Juden im frühen 19. Jahrhundert (u. a. Auswirkungen der Französischen Revolution, Judenemanzipation in Preußen 1812), – Jüdische Akkulturation und Assimilation im aufstrebenden Bürgertum (Salonkultur [z. B. Rahel Varnhagen von Ense], Konversionen, Erschließung neuer Berufsfelder) und ihre Grenzen , – Jüdisches Leben im Deutschen Kaiserreich (u. a. bürgerliche Biografien [z. B. Walther Rathenau, Albert Ballin, Lise Meitner]; Einwanderung von Juden aus Osteuropa; Teilnahme am Ersten Weltkrieg), – Beginnender Antisemitismus und jüdische Reaktionen (Berliner Antisemitismusstreit; Neuformierung jüdischer Identität; Zionismus). – Rahmenthema 3: Wurzeln unserer Identität, Wahlmodul 3 - Deutschland auf dem Weg zur Demokratie – Der Vormärz und die Revolution von 1848 (u. a. Hambacher Fest, die „Göttinger Sieben“, die Frankfurter Nationalversammlung, strukturelle Modernisierung trotz Scheitern der Revolutionäre ), – Verfassung von 1871 und Obrigkeitsstaat (u. a. Wahlrecht, Sozialgesetzgebung, Wilhelminismus , Gleichstellung der Juden und Antisemitismus), – Demokratische Errungenschaften und Belastungsfaktoren der Weimarer Republik (u. a. Frauenwahlrecht, republiktragende und ablehnende Parteien, „Machtergreifung“), – Lehren aus der nationalsozialistischen Diktatur bei der Gründung der Bundesrepublik 1949 (u. a. Grundgesetz), – Erinnerungsorte der deutschen Demokratie (u. a. Paulskirche, Nationalhymne, Schwarz- Rot-Gold). – Wahlmodul 7 - Nationalsozialismus und deutsches Selbstverständnis – Hintergründe (u. a. Faschismus in Europa) und Inhalte der NS-Ideologie (Sozialdarwinismus /Antisemitismus, Führerprinzip, „Volksgemeinschaft“, Lebensraumideologie, Antiparlamentarismus , Antibolschewismus), – Ideologie und Praxis (u. a. Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten, „Euthanasie“, Aufbau des Führerstaates, Vernichtungskrieg im Osten, Holocaust/Shoah), – Zwischen Anpassung und Widerstand im nationalsozialistischen Deutschland (u. a. Widerstandsbegriff , bürgerlicher, kirchlicher und militärischer Widerstand, Widerstand aus der Arbeiterschaft ), – Aufarbeitung von Schuld und Verantwortung nach 1945 und in den beiden deutschen Staaten (u. a. juristische Aufarbeitung, Umgang mit dem 8. Mai, Kontroverse um die Wehrmachtsausstellung ). Im Kerncurriculum Katholische Religion für das Gymnasium - gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule - gymnasiale Oberstufe, das Berufliche Gymnasium, das Kolleg (2017), finden sich die folgenden Bezüge zum Thema Antisemitismus: Religionen - Biografisch-lebensweltliche Perspektive und Biblische, kirchliche, theologische Perspektive und Philosophisch-weltanschauliche Perspektive (S. 22). Globalisierung, Migration und Flucht, Religion und Aufklärung, Fundamentalismus, Synkretismus, „Kampf der Kulturen“, Religion und Gewalt, Antijudaismus, Umgang mit Fremdheit, Religion und Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 6 ethnische Konflikte, unterschiedliches Verständnis von Menschenrechten; Friede, Menschenrechte und Ökologie in den Weltreligionen; Folgen kolonialer Vergangenheit, Armut und Ausbeutung, religiös begründete Diskriminierung und Verfolgung Im Kerncurriculum Evangelische Religion für das Gymnasium - gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule - gymnasiale Oberstufe, das Berufliche Gymnasium, das Kolleg, finden sich die folgenden Bezüge zum Thema Antisemitismus: Vielfalt der Religionen - Was glauben die anderen? (S. 30). „Teilen einer gemeinsamen heiligen Schrift, Veränderung der christlichen Wahrnehmung des Judentums in den letzten Jahrzehnten, Erinnerungskultur, Umgang mit gegenwärtigem Antisemitismus “. Berufsbildende Schulen Für die berufsbildenden Schulen in Niedersachsen gelten schulformübergreifende Rahmenrichtlinien für das Unterrichtsfach „Politik“, in denen sichergestellt wird, dass sich der Unterricht an aktuellen Gegenwarts- und Zukunftsfragen orientiert. Dies beinhaltet auch die Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus. In den Rahmenrichtlinien für das Fach Politik finden sich Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung mit obigem Thema insbesondere in den Lernfeldern – „Demokratie gestalten und vertreten“, – „Eigene Lebenskonzepte entwickeln und andere respektieren“. Beispielhaft wird zudem auf das Lernfeld „Demokratie gestalten und vertreten“ hingewiesen. Dort finden sich u. a. die folgenden Kompetenzbeschreibungen: – „Die Schülerinnen und Schüler beschreiben Elemente und Ziele der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und analysieren darin enthaltene Konflikte.“ – „Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung auseinander und prüfen Gegenmaßnahmen.“ In den ergänzenden Unterrichtshinweisen finden sich als mögliche Vorschläge u. a. explizit die folgenden Themenbereiche: – Extremismus - Wie wehrhaft ist unsere Demokratie? – Meinungsfreiheit - ein uneingeschränktes Recht für alle? Im Religionsunterricht in den berufsbildenden Schulen begegnen Schülerinnen und Schüler dem christlichen Glauben und setzen sich mit Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen auseinander . Der Unterricht soll dazu beitragen, Orientierung in Fragen und Inhalten des christlichen Glaubens und der Religionen zu geben, ohne bei den Schülerinnen und Schülern ein spezifisch christliches Bekenntnis voraussetzen zu können. Die Kompetenzen der Lernfelder werden anhand von Lernsituationen erworben. So setzt sich das Lernfeld „Den Menschen aus christlicher Perspektive wahrnehmen“ auf unterschiedlichen Niveaustufen beispielsweise mit den Fragestellungen „Und was glaubst Du“ oder „Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um?“ auseinander, das Lernfeld „Religiöses Leben deuten“ fragt „Glauben wir alle an denselben Gott?“ oder „Können wir alle miteinander beten?“. Das Lernfeld „Verantwortungsbewusst Handeln“ thematisiert „Kirche und Politik“. Im Bereich der Weiterbildung findet sich der direkte Anknüpfungspunkt im Lernfeld „Religiöses Leben aus eigener und fremder Perspektive deuten und verstehen“. Lernsituationen greifen z. B. auf: „Juden, Christen und Muslime beten gemeinsam“. Zudem bieten sich zu der Thematik Projektwochen, Exkursionen, Feste der Religionen u. ä. an. Förderschulen Im Sekundarbereich I der Förderschule im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung kann die Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Fachbereich Sachunterricht in der inhaltsbezogenen Perspektive Öffentlichkeit und Gesellschaft erfolgen, während die Thematik im Sekundarbereich II in den Kompetenzbereich personale Bildung im Themenbereich Werte und Normen sowie in den Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 7 Kompetenzbereich gesellschaftliche Bildung im Themenbereich Politik und Ökologie einbezogen werden kann. b) Wie werden Lehrkräfte für antisemitische Äußerungen und den Umgang damit sensibilisiert ? Das Kultusministerium unterstützt eine Reihe von Maßnahmen und Projekten der politischen Bildung , die die demokratische Teilhabe und Partizipation junger Menschen befördern und sich gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Ideologien der Ungleichwertigkeit richten. Dazu zählen auch Maßnahmen, die Lehrkräfte explizit für den Umgang mit antisemitischen Äußerungen sensibilisieren. Zu nennen wäre hier beispielsweise das Netzwerk „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“, dem in Niedersachsen fast 300 Titelschulen angehören. Die Bundeskoordination des Netzwerks hat verschiedene Materialien veröffentlicht, die auch explizit den Umgang mit Antisemitismus in der Schule zum Thema haben (z. B. das Handbuch „Lernziel Gleichwertigkeit - Grundstufe/Sekundarstufe“, 2015/2016 oder der Baustein „Antisemitismus und Migration“, 2017). Diese Materialien wurden und werden den Schulen vom Kultusministerium zu unterschiedlichen Anlässen zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus bietet das Kultusministerium im Rahmen von Fachtagungen Workshopangebote zum Thema „Antisemitismuskritische Bildungsarbeit“ an. So finden beispielsweise am 13.09.2018 ein regionales Vernetzungstreffen des Netzwerks „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ für die Region Hannover oder am 27.09.2018 in Hannover die vom Kultusministerium und dem Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung veranstaltete Fachtagung „Gegen Radikalisierung und Ideologien der Ungleichwertigkeit - Wie kann Schule präventiv handeln ?“ statt. 6. Gibt es Fort- oder Weiterbildungen für Lehrpersonal zum Themenkomplex Antisemitismus ? a) Welche dieser Angebote sind verpflichtend, welche freiwillig? Lehrkräfte sind gemäß § 51 Abs. 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) verpflichtet, sich zur Erhaltung der Unterrichtsbefähigung in der unterrichtsfreien Zeit fortzubilden. Eine Verpflichtung zur Teilnahme an Fortbildungen eines bestimmten Themas besteht nicht. b) In welcher Höhe werden diese Angebote vom Land Niedersachsen gefördert? Die Fortbildungsangebote des Landes Niedersachsen sind grundsätzlich kostenfrei. Die Finanzierung erfolgt aus zentralen Fortbildungsmitteln oder gegebenenfalls aus den Fortbildungsmitteln, die den Schulen zur Verfügung stehen. c) Wie viele Teilnehmende konnten die Kurse im Einzelnen verzeichnen? Landestreffen der „Schulen ohne Rassismus - Schulen mit Courage“ 04.12.2017 300 Teilnehmende, 06.12.2018 ca. 200 bis 300 Teilnehmende. Zielsetzung der landesweiten Veranstaltung ist es, Schülerinnen und Schüler sowie Pädagoginnen und Pädagogen im Netzwerk „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ zu befähigen und zu unterstützen, Ideologien der Ungleichwertigkeit und menschenfeindliche Einstellungen als solche zu erkennen und Strategien zu entwickeln, wie man deren Herausbildung und Verfestigung entgegenwirken kann. Die Akteure sollen neben pädagogischen Tipps und Anregungen auch die Möglichkeit erhalten sich darüber austauschen, wie ein gutes und solidarisches Miteinander in der Schule gelingen kann. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 8 Lehrerfortbildung in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem 22.09. - 30.09.2016 22 Teilnehmende, 11.10. - 22.10.2017 19 Teilnehmende, 03.10 - 14.10.2018 16 Teilnehmende. Inhaltliche Schwerpunkte der Fortbildung sind eine Unterstützung des Lehrens und Lernens der jeweiligen historischen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten sowie ein Austausch über pädagogische und didaktisch-methodische Fragen im Zusammenhang mit der Vermittlung der Geschichte der Shoah und anderer nationalsozialistischer Verbrechen und ihren Folgen sowie von relevanten historisch-politischen Informationen und Materialien. Gegen Radikalisierung und Ideologien der Ungleichwertigkeit - Wie kann Schule präventiv handeln ? 27.09.2018 max. 150 Teilnehmende Die Tagung richtet sich an Lehrkräfte, Beratungslehrkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter , Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sowie Schülerinnen und Schüler ab Klasse 10. Die Zielsetzung ist es, in Zeiten zunehmender Tabubrüche im öffentlichen politischen Diskurs die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu befähigen, diese als solche zu erkennen und kritisch zu hinterfragen bzw. diese Fähigkeit an Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Demokratie behauptet und entwickelt sich durch aktives Eintreten für ihre Werte. Der Schul- und Unterrichtsalltag muss daher Abschied nehmen vom „nur“ Reagieren auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hin zu einem offensiv gelebten und solidarischen Miteinander. Ziel ist die Schule, die sich für Demokratie engagiert. Die Fachtagung gibt einen Überblick über verschiedene Formen und Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit , Neo-Salafismus, Sexismus, Trans-/Homophobie, Antiromaismus). AG „Erinnerungskultur“ Zielsetzung dieser Arbeitsgemeinschaft ist die Erarbeitung einer Materialsammlung mit guten Beispielen zum Thema „Erinnern und Gedenken“, darunter auch Bezüge zum Thema Antisemitismus. Neben diesen zentralen Angeboten werden durch regionale Kompetenzzentren für die regionale Lehrkräftefortbildung aktuell weitere, thematisch einschlägige Veranstaltungen angeboten, wie beispielsweise „Evangelische Religion - Fortbildung durch Fachberaterinnen und Fachberater des Gymnasiums: Antisemitismus als Herausforderung im Religionsunterricht“ durch das Kompetenzzentrum Bad Bederkesa (Evangelisches Bildungszentrum, 18.09.2018, max. 25 Teilnehmende) sowie das Kompetenzzentrum Leuphana Universität Lüneburg (27.09.2018, max. 25 Teilnehmende ). 7. Welche Maßnahmen der Jugendbildung im Themenbereich Antisemitismus werden vom Land Niedersachsen angeboten oder gefördert? In welcher Höhe? Zum Themenbereich Antisemitismus gibt es eine Reihe von Aktivitäten sowohl der verbandlichen als auch der nichtverbandlichen und kommunalen Jugendarbeit. Beispielhaft seien hier einige Projekte der verbandlichen Jugendarbeit genannt: Im Rahmen des Programms Generation gab es in 2015/2016 das Projekt „Mit jedem Wort - Botschafter für Anne Frank“ der Evangelischen Jugend Hameln-Pyrmont. Die AG zur Arbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Landesjugendring beschäftigt sich zentral mit dem Thema Gedenkarbeit - die Gestaltung und Ausrichtung des Internationalen Workcamps Bergen-Belsen. In diesem Kontext gibt es aktuell von der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend auch die Kampagne „Spuren suchen - 2018 - Zeichen setzen!“ (http://www.aejn.de/). Das Projekt Tacheles (www.projekt-tacheles.de) des Bundes der Alevitischen Jugend auf Bundesebene wurde von vielen Vertreterinnen und Vertretern aus Niedersachsen mitgestaltet. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1720 9 Das Land Niedersachsen leistet auf der Grundlage des Jugendförderungsgesetzes Zuwendungen für Maßnahmen der Jugendbildung. Für den Einsatz von Jugendbildungsreferentinnen und Jugendbildungsreferenten in der verbandlichen Jugendarbeit werden Zuwendungen für Personalkosten und Sachkosten gewährt. Daneben werden Bildungsveranstaltungen von anerkannten auf Landesebene tätigen Jugendverbänden nach der Richtlinie zur Förderung von Bildungsveranstaltungen in der Jugendarbeit gefördert . Ziel der Zuwendungen ist es, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern und sich dabei an ihren Lebenswelten und Interessen zu orientieren. Die Angebote stärken ihre soziale Kompetenz und ihre Persönlichkeitsbildung und fördern das ehrenamtliche Engagement in der Jugendarbeit . Ferner gewährt das Land Zuwendungen zur Förderung der politischen Jugendbildung mit dem Ziel, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu stärken. Mit den Bildungsmaßnahmen in der Jugendarbeit sollen junge Menschen außerhalb der schulischen Bildung für eine aktive Mitwirkung an gesellschaftspolitischen Entwicklungen und demokratischen Prozessen gewonnen werden. Die Träger der Jugendarbeit und die Jugendorganisationen oder Jugendverbände der politischen Jugendbildung entscheiden in eigener Zuständigkeit und Verantwortung über das Angebot an Bildungsmaßnahmen . Eine Steuerung konkreter Themen oder Angebotsformen durch das Sozialministerium als zuständiges Ressort erfolgt nicht. Jedoch sind der Landesjugendring für die verbandlich organisierten Jugendverbände und das Landesjugendamt als Bewilligungsbehörde beteiligt, u. a. bei der Prüfung des Vorliegens der Zuwendungsvoraussetzungen. Für die Maßnahmen dieser Bildungsarbeit stellt das Land rund 2,2 Millionen Euro in 2018 zur Verfügung. Das Land Niedersachsen fördert darüber hinaus auf der Grundlage der „Richtlinie Demokratie und Toleranz“ Maßnahmen, die Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft entgegenwirken und ein Zeichen gegen Rechtsextremismus, Rassismus sowie Antisemitismus und für Demokratie und Toleranz setzen. Hierdurch soll die Akzeptanz und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund in Schule, Gesellschaft und Arbeitswelt gefördert und das Entgegentreten gegen integrations- und teilhabehemmende Bestrebungen und Vorurteile gestärkt werden. Gefördert werden insbesondere Projekte, die für demokratische Werte und ein tolerantes Verhalten sensibilisieren und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ermuntern und befähigen, für Menschenrechte und Vielfalt einzutreten. Als Maßnahmen kommen z. B. Informationsveranstaltungen, Schulprojekte und Jugendkongresse in Betracht sowie Projekte mit Vorbildcharakter oder Projekte von landesweiter Bedeutung. Ein besonderer Schwerpunkt der Richtlinie liegt in der Rechtsextremismusprävention. Durch Projekte und Maßnahmen sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch Vermittlung grundlegenden Wissens für die Gefahren des Rechtsextremismus sensibilisiert und so in die Lage versetzt werden, die Gefahren von diskriminierenden und menschenfeindlichen Verhaltensweisen und Einstellungen zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren. Der Haushaltsansatz für die „Richtlinie Demokratie und Toleranz“ beträgt in 2017 und 2018: 945 000 Euro pro Haushaltsjahr; davon 500 000 Euro für das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus . (Verteilt am 02.10.2018) Drucksache 18/1720 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg, Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport Antisemitistische Anschläge und Übergriffe 2016 und 2017