Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1738 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung In welchem Umfang nutzt das Finanzministerium Zinsderivate? Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP), eingegangen am 10.09.2018 - Drs. 18/1593 an die Staatskanzlei übersandt am 12.09.2018 Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums namens der Landesregierung vom 01.10.2018 Vorbemerkung des Abgeordneten Derivative Geschäfte ist ein Oberbegriff für Finanzprodukte am internationalen Finanz- und Kapitalmarkt , die den Wert anderer Finanzprodukte abbilden. Dabei spiegelt ein Derivat keinen eigenen Wert, sondern die Kursentwicklung eines Basiswertes wider. Das Derivat berechtigt dessen Besitzer , in der Zukunft bestimmte Anlageprodukte (z. B. Kredite) bereits heute zu einem festgelegten Kurs zu kaufen oder zu verkaufen. Steigt der Kurs in der Zukunft (z. B. Kreditmarktzins) über diesen Wert hinaus, erzielt der Anleger einen Gewinn, da er dieses Anlageprodukt aufgrund des Derivats zu einem günstigeren Preis kaufen kann und vice versa. Laut Niedersächsischem Finanzministerium bedient sich das Land im Rahmen seines Portfolio- Managements an Derivaten. Das Hauptmotiv besteht darin, auch ohne direkte Kapitalunterlegung Strukturveränderungen des Portfolios vorzunehmen. Die Ermächtigung und Verpflichtung, derartige Geschäfte einzugehen, ergibt sich aus dem für das Schuldenmanagement maßgeblichen Wirtschaftlichkeitsprinzip . Des Weiteren sieht § 34 b der Landeshaushaltsordnung (LHO) eine deklaratorische Kompetenznorm zum Abschluss von Derivaten vor. Das Finanzministerium kann im Rahmen der Kreditfinanzierung ergänzende Vereinbarungen treffen, die der Steuerung von Liquiditätsund Zinsänderungsrisiken sowie der Erzielung günstiger Konditionen und ähnlichen Zwecken bei neuen Krediten und bestehenden Schulden dienen. Ein Bericht der Welt Online vom 26. August 2018 (https://www.welt.de/wirtschaft/plus181304416/ Riskante-Geschaefte-So-verzockte-Hessen-Millionen.html) thematisierte die Derivategeschäfte des Hessischen Finanzministeriums im Krisenumfeld der Finanz- und Eurokrise 2010. Demnach musste das Land Hessen seinerzeit ca. 1,5 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise abzufedern. Im Rahmen des hessischen Kreditmanagements tätigte das Hessische Finanzministeriums 2011 90 Zinsderivatgeschäfte mit einem Einsatz von 9 Milliarden Euro. Das entspricht in etwa einem Drittel des hessischen Haushaltsvolumens und sollte dem Land Hessen günstige Zinskonditionen für die Kreditaufnahme 40 Jahre in der Zukunft sichern . Der überwiegende Teil der Derivate waren sogenannte Forward-Geschäfte, d. h., Hessen verpflichtete sich damit im Jahr 2011 auf Festzinsen für Kredite, die erst viele Jahre später, teilweise erst 2021 anlaufen würden. Sinkende Leitzinsen durch geldpolitische Entscheidungen der Europäischen Zentralbank führten statt erwarteter steigender Zinsen zu einem niedrigeren Zinsniveau als erwartet. In der Folge führt die Bedienung der vereinbarten Kreditkonditionen durch die gekauften Derivate zu einer Mehrbelastung des Landeshaushalts und einer stärkeren Inanspruchnahme von Steuergeldern zur Bedienung der Zinsaufwendungen. Laut Berechnungen der Welt setzen 13 von 16 Bundesländern Derivate ein. Demnach ist Niedersachsen seit 1993 mit 27 Derivatgeschäften und einem Nominalwert von 6,65 Milliarden Euro aktiv. Der Barwert des Portfolios beträgt derzeit minus 0,31 Milliarden Euro. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1738 2 Vorbemerkung der Landesregierung Niedersachsen steuert sein Portfolio insbesondere unter den Prinzipien Nachhaltigkeit, Ganzheitlichkeit und Durchschnittlichkeit semi-passiv. Dabei werden auch einfache Zins-Derivate ohne spekulative Ansätze in dem vom Portfolio-Management vorgegebenen Handlungsrahmen zu Zwecken der unmittelbaren Portfolio-Steuerung eingesetzt. Es handelt sich hierbei um beidseitig verpflichtende Verträge ohne optionale Komponenten. Für die Dauer ihrer Laufzeit beeinflussen sie gezielt die Chance-/Risiko-Struktur des Portfolios und können so z. B. die durchschnittliche Zinsbindungsfrist des Portfolios und/oder die Zinsausgabenvolatilität reduzieren oder erhöhen. Ihre Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit werden insofern durch ihre konkreten und gezielten strukturellen Wirkungen auf das Portfolio begründet. Das zugrunde liegende Konzept wurde in der Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen vom 27.01.2016 vom MF vorgestellt. Das Land verfügt als öffentlicher Dauerschuldner über keine Handelsbestände. Das heißt damit auch, dass Derivate i. d. R. über ihre gesamte Laufzeit im Portfolio verbleiben. Arbitrage- bzw. Gewinnerzielungs - oder spekulative Zinssicherungsabsichten werden in Niedersachsen nicht mit Derivatabschlüssen verbunden und gehören auch nicht zu den Aufgaben des Kreditreferats im MF. Der Markt- oder Barwert der im MF eingesetzten Derivate beträgt bei Abschluss 0 Euro und zum Laufzeitende ebenfalls 0 Euro. Es ist völlig normal, dass - induziert durch Marktzins-Volatilitäten - über die Laufzeit eines Derivats zum Teil sekündlich erhebliche Wertschwankungen auftreten, allerdings handelt es sich insofern um keine Wertverluste für das Land, sondern nur um bloße (Buch- )Wertveränderungen, die aus Sicht des Portfolio-Managements völlig irrelevant sind und weder im Positiven noch im Negativen verwirklicht werden (müssen). Im Übrigen sind auch die Kreditgeschäfte des Landes den gleichen wertverändernden Effekten unterworfen wie die Derivate, und auch hier gilt: Keine Handelsbestände, bei negativer Wertentwicklung keine Verluste für das Land. Etwaige für das Land bestehende positive Barwerte sind zudem bei Ausfall des Derivat-Kontrahenten durch Sicherheitsvereinbarungen (Collaterals) abgesichert. Eine sinnvolle und sachgerechte Portfolio-Steuerung basiert so wie in Niedersachsen auf dem Makro -Ansatz, d. h., dass alle im Portfolio enthaltenen Geschäfte - wie z. B. Kreditgeschäfte und Derivate - gemeinsam und ganzheitlich in ihren Wirkungen betrachtet werden müssen. Eine losgelöste Betrachtung einzelner sogenannter Composites, also z. B. nur der Derivate, ist nicht zielführend und kann zu Fehlinterpretationen führen. Das MF setzt ein professionelles Treasury-Management-System ein, das im Rahmen der tatsächlichen Erfordernisse eine detaillierte Analyse und Bewertung des Portfolios mit all seinen Bestandteilen - auch den Derivaten - ermöglicht. Eine wesentliche Grundvoraussetzung für alle Aktivitäten am Kapital- und Derivatmarkt ist zudem, dass das MF immer nur Geschäfte abschließt bzw. einsetzt, die in ihren Wirkungen verstanden, in den vorhandenen Systemen abgebildet und die in Echtzeit bewertet werden können. 1. Wie viele Derivat-Geschäfte wurden seit 1993 abgeschlossen (bitte nach Jahr, Nominalwert , Laufzeit und heutigen Barwert aufschlüsseln)? Jahr Anzahl Abschlüsse zur Portfolio- Steuerung Nominal-Volumen in Mio. Euro abgeschlossene Derivat-Laufzeiten in Jahren aktueller Barwert (brutto) in Mio. Euro, Stand 13.09.2018, 13:30 Uhr „-“ = nicht mehr im Bestand 1993 1 51,13 2,2 - 1994 1 102,26 7,8 - 1995 7 345,12 7 - 9,5 - 1996 12 843,63 5,4 - 10 - 1997 6 460,16 7,5 - 9,5 - 1998 1 102,26 9 - 1999 0 - - - 2000 1 100 10 - 2001 11 2.150 5 - 10 - Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1738 3 Jahr Anzahl Abschlüsse zur Portfolio- Steuerung Nominal-Volumen in Mio. Euro abgeschlossene Derivat-Laufzeiten in Jahren aktueller Barwert (brutto) in Mio. Euro, Stand 13.09.2018, 13:30 Uhr „-“ = nicht mehr im Bestand 2002 23 4.600 5 - 10 - 2003 14 2.600 5 - 10 - 2004 8 1.800 6 - 7 - 2005 4 1.150 2 - 10 - 2006 8 1.850 2 - 10 - 2007 8 2.000 2 - 10 - 2008 10 2.250 2 - 10 - 2009 14 3.550 2 - 10 - 2010 11 3.150 2 - 10 - 2011 8 2.000 9 - 10 -91,3 2012 8 2.050 7 - 10 -114,1 2013 2 400 10 - 2014 4 1.050 1 - 10 38,1 2015 10 3.000 1 - 10 28,2 2016 17 2.800 2 - 10 -21,5 2017 2 500 2 - 10 - 2018 5 1.100 2 - 10 1,4 2. Welche Formen von Derivat-Geschäften kommen für das Portfolio-Management des Niedersächsischen Finanzministeriums zur Anwendung (z. B. Zertifikate, Optionen, Swaps etc.)? Ausschließlich sogenannte Plain-Vanilla-Swaps (Payer- und Receiver-Swaps). 3. Nimmt das Land für die Tätigung von Derivat-Geschäften Beratungsdienstleistungen (durch unabhängige Berater, Anwaltskanzleien, Banken, Institutionen) in Anspruch? Wenn ja, welche? Nein. 4. Nutzt das Land eine Analysesoftware zur Optimierung und Risikosteuerung der Derivat- Geschäfte? Wenn ja, welche? Ja. Es wird das Treasury-Management-System ATAQ RISK von der Technosis AG in Hamburg eingesetzt. 5. Ist die Behauptung eines aktuell negativen Barwerts von minus 0,31 Milliarden Euro des niedersächsischen Derivate-Portfolios aus dem Bericht der Welt korrekt? Nein. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/1738 4 6. Welchen Wertverlauf hat das Derivat-Portfolio des Landes Niedersachsen über die Zeit genommen? Der historische Barwertverlauf kann der folgenden Grafik entnommen werden: 7. Wurde das Land Niedersachsen über die Marktwertverluste des Derivat-Portfolios durch die betreffenden Banken bzw. Vertragspartner informiert? Im Rahmen der bestehenden Collateral-Vereinbarungen werden regelmäßig die Barwerte der gemeinsamen Derivate von den Derivat-Kontrahenten zum Abgleich mitgeteilt. 8. Welche Barwertverluste würde das niedersächsische Barwert-Portfolio bis Ende 2018, 2019 und 2020 erleiden, wenn die Euro-Zinsen sowie die weiteren preisbestimmenden Faktoren auf ihrem aktuellen Niveau bleiben? Die Frage nach spekulativen Barwertveränderungen (nicht -verlusten) des Schuldenportfolios in der Zukunft kann nicht beantwortet werden. Das dafür erforderliche Barwert-Simulationsmodul wurde mangels Handelsbeständen und Relevanz für das Portfolio-Management nicht beschafft. 9. Welche Maßnahmen wurden vom Finanzministerium ergriffen, um das Derivate- Portfolio gegenüber Wertverlusten zu schützen (beispielsweise öffentliche zinspolitische Ankündigungen der EZB)? Keine. Durch solche Ereignisse kommt es zu Wertveränderungen ohne monetäre Auswirkungen, aber nicht zu verwirklichenden Wertverlusten. Diese sind im Rahmen des Portfolio-Managements irrelevant. (Verteilt am 02.10.2018) Drucksache 18/1738 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Finanzministeriums In welchem Umfang nutzt das Finanzministerium Zinsderivate?