Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2051 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Ist das Abfalllager Gorleben für schwach- und mittelradioaktive Abfälle gegen einen Flugzeugabsturz gesichert? Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte (GRÜNE), eingegangen am 11.10.2018 - Drs. 18/1807 an die Staatskanzlei übersandt am 12.10.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 30.10.2018 Vorbemerkung der Abgeordneten Ein TÜV-Gutachten aus dem Jahr 1980 soll der Sicherheitsnachweis sein, dass vom Abfalllager Gorleben für schwach und mittelradioaktive Abfälle auch im Falle eines Flugzeugabsturzes keine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgehen würde, so berichtet es die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg in einer Pressemeldung: „Im Frühjahr, auf einer öffentlichen Ratstagung in Meetschow, meinten die Vertreter der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) zunächst, für das Abfalllager gäbe es keine Berechnungen , korrigierten sich dann jedoch gegenüber der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow- Dannenberg (BI) und sorgten selbst dafür, dass der BI seitens des niedersächsischen Umweltministeriums eine Stellungnahme des TÜV-Nord aus dem Jahr 1980 vorgelegt wurde, die einen Flugzeugabsturz auf das Abfalllager für unwahrscheinlich und die Ausbreitung einer radioaktiven Wolke in östlicher Richtung für unbedeutend hält. Das war damals das grüne Licht für die Inbetriebnahme. Unklar ist, ob überhaupt jemals eine neue, modernisierte Expertise erstellt wurde.“ Das Gutachten geht u. a. von der Annahme aus, dass Gorleben in der Flugüberwachungszone entlang der damaligen, innerdeutschen Grenze liegt und militärische Flüge dort nicht erfolgen würden. Auch „vergleichsweise geringe Aktivitätsinventare“ werden angeführt. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass „der Flugzeugabsturz auf das Abfalllager Gorleben nicht in die Kategorie der Auslegungsstörfälle eingeordnet werden muss“. Die Bundesregierung antwortete auf eine Anfrage der Grünen (Drs. 18/12790), dass in den Jahren 2014 bis 2016 „in einem Umkreis von ca. 9 km um die Gemeinde Gorleben 85 577 durch die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH erfasst Überflüge von zivilen Luftfahrzeugen“ stattfanden. Davon fielen 11 883 in die schwerste Flugzeugkategorie ab 136 t, in die auch der Jumbo-Jet Boeing 747 gehört. Vorbemerkung der Landesregierung 1. Einleitung Der Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen, der sogenannte Betrieb des Abfalllagers Gorleben (ALG), wurde im Jahr 1983 erstmals genehmigt. Im Jahr 1995 erfolgte ein umfassender Nachtrag zu dieser Genehmigung aufgrund einer beantragten Nutzungserweiterung. Im Rahmen dieser beiden Genehmigungsverfahren wurde u. a. auch das Ereignis „Flugzeugabsturz “ untersucht. Als Szenario wurde hierbei der zufällige Absturz eines Militärflugzeugs angesetzt. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2051 2 Die den beiden Genehmigungsverfahren zugrunde liegenden Untersuchungen stammen aus den Jahren 1980/1981 sowie 1990 bis 1992. Aktuell sind im Rahmen der periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) 2016 bis 2018 für das ALG erneute Betrachtungen zum Ereignis „Flugzeugabsturz“ durchgeführt worden. 2. Vorgehensweise und Einflussfaktoren In den bisherigen Untersuchungen wurden die potenziellen radiologischen Auswirkungen des Ereignisses „Flugzeugabsturz“ ermittelt (Ereignisanalyse). Ein zufälliger Absturz eines Militärflugzeugs wurde im Rahmen der Einwirkungen von außen als auslegungsüberschreitendes Ereignis, d. h. nicht als Auslegungsstörfall, eingeordnet. Dagegen ist das Szenario eines absichtlich herbeigeführten Absturzes eines Passagierflugzeugs nicht Bestandteil der Ereignisanalyse einer derartigen sicherheitstechnischen Begutachtung. Bezüglich der Bedeutung dieses Ereignisses wurde in der Untersuchung zum ALG von 1980/1981 das Kapitel 19.1 der seinerzeit bereits verfügbaren Reaktor-Sicherheitskommission (RSK)-Leitlinien für Druckwasserreaktoren herangezogen, d. h. der Stand von Wissenschaft und Technik bei Kernkraftwerken . Heute werden die ESK (Entsorgungskommission)-Leitlinien als aktuelles Regelwerk für die Zwischenlagerung herangezogen. Die anzusetzende mechanische Einwirkung durch den Aufprall und die Kerosinmenge des Militärflugzeugs sind hier vorgegeben. 3. Berechnungsvorgaben Die Vorgaben zur Berechnung der Strahlenexposition der Bevölkerung aufgrund der Emission von radioaktiven Stoffen sind mehrmals modifiziert und aktualisiert worden. Während der erstgenannten Untersuchung zum ALG war lediglich die für den bestimmungsgemäßen Betrieb eines Kernkraftwerks konzipierte „Allgemeine Berechnungsgrundlage“ verfügbar. Während der zweitgenannten Untersuchung zum ALG waren die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift“ sowie die für Auslegungsstörfälle eines Kernkraftwerks konzipierte Störfallberechnungsgrundlage verfügbar. Spezifische Berechnungsvorgaben für das Ereignis eines zufälligen Absturzes eines Militärflugzeugs sind erst seit 2013 verfügbar. Der Reduzierung der Schadensauswirkung wird gemäß der ESK-Leitlinie Rechnung getragen, wenn die unter realistischen Randbedingungen ermittelten radiologischen Auswirkungen keine einschneidenden Maßnahmen des Katastrophenschutzes erforderlich machen. 4. Untersuchung 1980/1981 In der ersten Untersuchung aus dem Jahr 1980/1981 wurden als betroffene Behältertypen 200-l-Fässer mit gepressten bzw. zementierten Abfällen zugrunde gelegt. Darüber hinaus wurden die Aktivitätsinventare ermittelt, die zu der maximal zulässigen Dosisleistung von 2 mSv/h an der Oberfläche der Abfallgebinde führen. Weiterhin wurde ein modellmäßig angenommenes Nuklidspektrum mit hohen Anteilen an radiologisch bedeutsamen Radionukliden herangezogen. Zur Ermittlung der potenziellen Strahlenexpositionen wurden die in der Allgemeinen Berechnungsgrundlage zusammengestellten Modelle herangezogen und an störfallbedingte Szenarien angepasst . Die berechneten Strahlenexpositionen lagen unter den Störfall-Planungsrichtwerten des § 28 Abs. 3 der seinerzeit gültigen Strahlenschutzverordnung. 5. Untersuchung 1990 bis 1992 In der zweiten Untersuchung aus den Jahren 1990 bis 1992 wurden als betroffene Behältertypen 200-l- bzw. 400-l-Fässer, zylindrische Beton- bzw. Gussbehälter sowie Container aus Stahlblech, Beton oder Gusseisen zugrunde gelegt. Es wurde von den spezifischen Aktivitätskonzentrationen für die verschiedenen Abfallgebinde, welche im Rahmen der Nutzungserweiterung beantragt waren , ausgegangen und ein abdeckendes Spektrum der nuklidspezifischen Aktivitätsfreisetzungen abgeleitet. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2051 3 Zur Ermittlung der potenziellen Strahlenexpositionen wurde die Störfallberechnungsgrundlage herangezogen sowie Änderungen einiger Modellparameter, die sich aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift ergaben. Die damalige Bewertung hat ergeben, dass im Falle eines Flugzeugabsturzes keine katastrophenartigen Auswirkungen auf die Umgebung zu besorgen sind. 6. Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) 2016 bis 2018 Im Jahr 2016 hat der Betreiber die PSÜ für das ALG vorgelegt, die sich u. a. auch mit dem Ereignis „Flugzeugabsturz“ beschäftigt. Neben den beiden unter Ziffer 4 und 5 genannten Untersuchungen für das ALG führt der Betreiber auch die Ergebnisse aus dem Genehmigungsverfahren zur Lagerung von sonstigen radioaktiven Stoffen im benachbarten Transportbehälterlager aus dem Jahr 2013 an. Diese Ergebnisse zieht der Betreiber für die Bewertung des Ereignisses „Absturz einer Militärmaschine “ für das ALG heran, wonach keine einschneidenden Maßnahmen des Katastrophenschutzes zum Tragen kommen. Ein wesentliches Ergebnis der PSÜ ist, dass der Betreiber aus Sicht der Aufsichtsbehörde richtig dargestellt hat, dass die vorliegenden Nachweise aus den Jahren 1980/1981 und 1990 bis 1992 nicht mehr dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen und die Ergebnisse aus dem o. g. Genehmigungsverfahren aus dem Jahr 2013 nicht anlagenspezifisch sind. Der Betreiber hat sich aus diesem Grund dazu verpflichtet, die potenziellen radiologischen Auswirkungen des Ereignisses „Flugzeugabsturz“ anlagenspezifisch für das ALG neu zu ermitteln. Das MU wird auf eine zügige Vorlage der Ergebnisse hinwirken. Nach allen der Landesregierung hier vorliegenden Informationen ist davon auszugehen, dass die vom Betreiber neu zu berechnenden Strahlenexpositionen auch weiterhin die Eingreifrichtwerte für die Einleitung von einschneidenden Maßnahmen des Katastrophenschutzes unterschreiten werden . 1. Ist es zutreffend, dass das TÜV-Gutachten von 1980 bis heute als Sicherheitsnachweis für das Abfalllager Gorleben gilt? Nein. 2. Von welchem Inventar des Abfalllagers geht das Gutachten von 1980 aus? Siehe Vorbemerkung. 3. Hält die Landesregierung die im TÜV-Gutachten von 1980 zugrunde gelegten Annahmen auch heute noch für zutreffend? Siehe Vorbemerkung. 4. Ist nach heutiger Rechtslage ein Flugzeugabsturz im Rahmen der Störfallbetrachtungen für das Abfalllager Gorleben zu berücksichtigen? Siehe Vorbemerkung. 5. Auf welcher rechtlichen Grundlage wurde seit 1980 wann von wem geprüft, inwiefern das Abfalllager Gorleben gegen einen bzw. mehrere Flugzeugabstürze gesichert ist? Siehe Vorbemerkung. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2051 4 6. Wurden dabei auch der Absturz einer Militärmaschine sowie der Absturz eines großen Zivilflugzeugs berücksichtigt? Siehe Vorbemerkung. 7. Inwiefern wurde dabei eine eigenständige Betrachtung für das Abfalllager unabhängig vom Transportbehälterlager durchgeführt? Die beiden Untersuchungen 1980/1981 und 1990 bis 1992 wurden als eigenständige Betrachtungen für das Abfalllager unabhängig vom Transportbehälterlager durchgeführt. (Verteilt am 07.11.2018) Drucksache 18/2051 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Ist das Abfalllager Gorleben für schwach- und mittelradioaktive Abfälle gegen einen Flugzeugabsturz gesichert?