Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2136 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Imke Byl (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Eichenprozessionsspinner-Befall: Was tut das Land? Anfrage der Abgeordneten Imke Byl (GRÜNE), eingegangen am 16.10.2018 - Drs. 18/1876 an die Staatskanzlei übersandt am 19.10.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 20.11.2018 Vorbemerkung der Abgeordneten Insbesondere in diesem Sommer kam es durch die hohen Temperaturen zu einer starken Ausbreitung des Eichenprozessionsspinners in mehreren niedersächsischen Landkreisen. Auch der Landkreis Gifhorn war davon betroffen. Die sehr feinen Brennhaare der Eichenprozessionsspinner- Raupen rufen bei Menschen und Tieren allergieähnliche Symptome wie heftigen Juckreiz hervor. Lange galt der Eichenprozessionsspinner als fast ausgestorben, breitet sich nun jedoch, begünstigt durch den Klimawandel, wieder aus.1 Die Bekämpfung ist schwierig. Nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) ist das Absaugen und Absammeln eine kostspielige Maßnahme, und der großflächige Einsatz von Pestiziden, z. B. durch Hubschrauberüberfliegungen, tötet nicht nur den Eichenprozessionsspinner, sondern schädigt auch andere zum Teil geschützte Tierarten. Daher sollten chemische oder biologische Bekämpfungsmittel erst nach Abwägung aller Alternativen in Betracht gezogen werden. Das UBA empfiehlt, soweit möglich, das temporäre Absperren betroffener Gebiete, um den Kontakt zwischen Brennhaaren und Menschen zu verhindern.2 Die Landesregierung hat angekündigt, „im Frühjahr“ 2019 „großflächig Hubschrauber zum Einsatz kommen“ zu lassen und damit großflächig Pestizide zu sprühen (Stenografischer Bericht der 25. Sitzung des Landtags). Einen genaueren Zeitplan oder Finanzierungszusagen für die betroffenen Kommunen legte sie nicht vor. Vorbemerkung der Landesregierung Bei der Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners ist grundsätzlich zwischen zwei Zielen zu unterscheiden : erstens einer Bekämpfungsnotwendigkeit aus Waldschutzgründen. Diese ist grundsätzlich nur gegeben, wenn einem bestimmten Eichenbestand ein mehrfacher starker Kahlfraß droht. Eine solche Bekämpfung erfolgt grundsätzlich nach Pflanzenschutzrecht mit dafür vorgesehenen und zugelassenen Mitteln und Methoden. Zweitens einer Bekämpfungsnotwendigkeit zum Schutz der Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen der Brennhaare der Eichenprozessionsspinner . Eine solche Bekämpfung erfolgt nach den Regeln des Biozidrechts. In vielen Fällen müssen nach einer Bekämpfung entlang von Straßen und Siedlungsbereichen die benachbarten Waldbestände als Quelle für eine Neuausbreitung der Eichenprozessionsspinner in die Siedlungsbereiche hinein angesehen werden. Hier stellt sich die Frage, ob nicht auch in vielen Waldbeständen 1 Vgl. https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article214474053/Eichenprozessionsspinnerbreitet -sich-in-Braunschweig-aus.html [abgerufen am 28.09.2018]. 2 Vgl. https://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/biozide/biozidprodukte/insektizide/infor mationen-eichenprozessionsspinner [abgerufen am 28.09.2018]. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2136 2 Bekämpfungsmaßnahmen aus hygienischen Gründen - also nach Biozidrecht - sinnvoll und notwendig erscheinen, um eine jährliche Wiederkehr der Bekämpfungsnotwendigkeit in den Publikumsbereichen zu vermeiden. 1. Wie sieht der konkrete Zeitplan der Landesregierung bezüglich eigener Maßnahmen zur Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners aus, bis wann erfolgten also die genaue Feststellung des Bedarfs, die Festlegung der zu treffenden Maßnahmen und gegebenenfalls die Festlegung der zu überfliegenden Gebiete, die Ausschreibung, eine Beratung der betroffenen Kommunen usw.? Die Zeit bis zum Jahresende dient der Festlegung der Bekämpfungsnotwendigkeiten. In den ersten beiden Monaten des Jahres 2019 muss die kartographische Feinplanung erfolgen, bis Ende März die planerische Konzertierung der verschiedenen Bekämpfungsmaßnahmen. In den ersten Aprilwochen muss die Planung der jeweiligen Einsatzgruppen vor Ort abgeschlossen werden. Voraussichtlich Ende April/Anfang Mai werden innerhalb eines relativ engen Zeitfensters die notwendigen Bekämpfungsmaßnahmen umzusetzen sein. Dieses beginnt mit Erreichen des sogenannten Mausohrstadiums der Eichenblätter und dem Schlupf der Raupen. Es muss möglichst abgeschlossen sein, bevor die Raupen das zweite Raupenstadium erreicht haben (Ausbildung der Gifthaare). 2. Welche Pestizide will die Landesregierung dabei einsetzen, und welche Umweltauswirkungen haben diese (z. B. Wirkung auf andere Insektenarten und Arten, die höher in der Nahrungskette stehen, auf Oberflächengewässer und Gewässerlebewesen, mögliche Auswirkungen auf Menschen)? Die Landesregierung plant bisher keinen eigenen Pestizideinsatz, abgesehen von demjenigen, der zu reinen Waldschutzzwecken vorgesehen werden muss. Hier wird auf das Pflanzenschutzmittel Karate Forst flüssig abgestellt, da nur dieses eine hinreichende Wirksamkeit bei hoher Anwendungssicherheit gewährleisten kann. Andere zugelassene Pflanzenschutzmittel sind sehr empfindlich für den Einfluss der ultravioletten Strahlung und des Regens. Ersterer führt zu einer schnellen Zersetzung am Ausbringungsort, letzterer zu einem schnellen Abwaschen - beide Einflüsse führen leicht zu weitgehender Wirkungslosigkeit. Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA) hat in umfangreichen Untersuchungen nachgewiesen, dass auch der Einsatz von Karate Forst flüssig keine nachhaltigen negativen Auswirkungen auf die restliche Kronenfauna von Eichenbeständen hat. Dies ist vor allem auf den sehr frühzeitigen Einsatz im Jahr und die geringe Wirkungsdauer bei der niedrigen Dosierung zurückzuführen, die für Eichenprozessionsspinner als notwendig angesehen wird. 3. Inwiefern wird die Landesregierung die betroffenen Kommunen finanziell unterstützen? Diese Frage wird geprüft, wenn der tatsächliche Umfang der notwendigen Bekämpfungsmaßnahmen feststeht. 4. Inwiefern unterstützt die Landesregierung die betroffenen Kommunen mit fachlicher Beratung zur Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners? Für die fachliche Beratung können die Kommunen auf den Sachverstand und die Erfahrung der NW-FVA zurückgreifen. 5. Was können Land und Kommunen tun, um natürliche Fressfeinde des Eichenprozessionsspinners zu stärken? Wirksame bzw. kurzfristig erfolgversprechende Handlungsansätze zur Stärkung natürlicher Fressfeinde sind nicht zu erkennen, so lassen sich beispielsweise Kuckucke nicht züchten, auch die Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2136 3 Zucht von Puppenräubern ist allein wegen des dafür notwendigen Aufwands kein viabler Weg, die Populationen der Fressfeinde zu stärken. Als Gegenspieler wichtiger als die Fressfeinde sind Parasiten und Parasitoide sowie Krankheiten. Diese sind in ihrer Existenz direkt abhängig von der Entwicklung der Eichenprozessionsspinnerpopulation selber - allen Erfahrungen der Vergangenheit nach kommen sie wirksam erst nach mehreren Jahren zum Tragen, wenn folglich die Eichenbestände bereits so häufig kahl gefressen wurden, dass zumindest weite Teile davon dem Untergang geweiht sind 6. Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es, um die Gesundheit von Passantinnen und Passanten ohne den Einsatz von Pestiziden zu schützen? In allen publikumsträchtigen Bereichen ist eine möglichst vollständige Entfernung aller Nester und Raupen des Eichenprozessionsspinners durch Fachfirmen vorzusehen, diese erfolgt zum Teil zurzeit noch. Nichtsdestotrotz ist auch dort ein Insektizideinsatz in der Regel kaum zu vermeiden, da mit mechanischen Methoden gegen die kleinen, unauffälligen Raupen nicht vorgegangen werden kann und größere Exemplare bereits Gifthaare produzieren. Dieses aber ist wirksam nur durch einen Insektizideinsatz vor der Ausbildung der Gifthaare zu verhindern. 7. Verkraftet ein vitaler Eichenbestand einen Raupenfraß durch den Eichenprozessionsspinner ? Ja, ein einmaliger Kahlfraß durch Schmetterlingsraupen führt in der Regel nicht zum Absterben der Eichen. Kommen andere Stressfaktoren hinzu, kann die Vitalität allerdings lebensbedrohlich eingeschränkt werden. Durch mehrfachen Kahlfraß oder andere Faktoren verursachte kritische Blattverluste von mehr als 75 % bringen Eichen nach Untersuchungen der NW-FVA nach ein bis drei Jahren zum Absterben. 8. In welchem Zustand sind die Eichen in Niedersachsen und speziell in den vom Eichenprozessionsspinnerbefall betroffenen Regionen? Die jährlichen Waldzustandserhebungen der NW-FVA belegen, dass sich die Vitalität der Eichen in den niedersächsischen Probeflächen seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1984 kontinuierlich verschlechtert hat. Wichtige Hinweise liefern die zu beobachtenden Blattverluste. Der Grad der mittleren Kronenverlichtung der über 60 Jahre alten Eichen ist von 16 % (1984) Blattverlust auf 33 % (2018) angestiegen. Damit ist die Eiche die Baumart mit den größten Vitalitätseinbußen und seit Jahren forstliches Sorgenkind Nummer eins. Jüngere Eichen unter 60 Jahren zeigen einen viel günstigeren Verlauf mit einem Kronenverlichtungswert von aktuell 7 % (2018). Parallel zu den Kronenverlichtungswerten ist der Anteil starker Schäden an älterer Eiche angestiegen. Er hat sich in den letzten sechs Jahren bei 3 % pro Jahr eingependelt. Trotz der massiven Vitalitätsverluste beträgt die Absterberate im Mittel der Jahre 1984 bis 2018 nur 0,2 % (2018: 0,3 %). In Jahren mit Insektengradationen (besonders in den Jahren 1996 bis 1997 und 2011) wurden vermehrt mittlere und starke Fraßschäden und eine erhöhte Absterberate an Eiche beobachtet. Im Waldschutzmeldeportal der NW-FVA wurden EPS-Vorkommen in den Bereichen der Niedersächsischen Forstämter (NFÄ) Wolfenbüttel, Göhrde und Ankum erfasst. Das mit Abstand größte Vorkommen des EPS liegt 2018 mit 358,8 ha im Raum Parsau-Rühen-Dröming, es ist Landes-, Privat- und Körperschaftswald betroffen. Die Fraßkartierung ergab dort eine bislang noch unbefressene Waldfläche von 72,3 ha sowie Flächen mit geringem Fraß auf 64,6 ha, mit mittlerem Fraß auf 66,3 ha sowie mit starkem Fraß bis Kahlfraß auf 155,5 ha. Die NW-FVA empfiehlt dort aus Gründen des Waldschutzes und des Walderhalts auf einer mehrfach kahl gefressenen Teilfläche die Bekämpfung des EPS, da hier die Eichenwälder akut in ihrer Existenz bedroht sind. In den Wäldern der übrigen Regionen mit festgestelltem EPS-Vorkommen sind die Fraßerscheinungen weniger auffällig. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2136 4 9. Welche Einflussfaktoren schädigen die Eichenbestände? Nach Untersuchungen der NW-FVA gehen Absterbeerscheinungen in Eichenbeständen oft auf mehrere zusammenwirkende Faktoren zurück. In der „Eichenkomplexerkrankung“ spielen Witterungsextreme (z. B. starke Spätwinterfröste/Temperaturstürze, Trockenheit, Überstauung) in Kombination mit wiederholtem, starkem Blattfraß (Raupen mehrerer Schmetterlingsarten der „Eichenfraßgesellschaft “ einschließlich EPS) eine herausragende Rolle. Nachfolgender Befall durch Mehltau kann die Schäden verstärken, denn er sorgt in manchen Jahren dafür, dass betroffene Eichen nur wenige Wochen im Jahr eine intakte Belaubung aufweisen. Dies führt zu einer verminderten Einlagerung von Reservestoffen mit vermindertem Blattaustrieb im nächsten Jahr und zum Rückgang funktionsfähiger Feinwurzeln, der Wasserstress zur Folge hat. Im weiteren Erkrankungsverlauf sind Sekundärschädlinge wie Eichenprachtkäfer und bodenbürtige Wurzelfäulen, vornehmlich hervorgerufen durch Hallimasch-Arten, von Bedeutung. Diese können stark vorgeschädigte Eichen zum Absterben bringen. Aber auch ein spontanes Absterben ohne weitere Sekundärschädigungen ist möglich. Beim Eichenprozessionsspinner sind die beschriebenen Effekte besonders virulent, da dieser sehr frühzeitig mit dem Fraß beginnt und die Fraßperiode der Raupen sehr lange andauert, sodass den Eichen oftmals auch der Regenerationsaustrieb - sozusagen deren Notfallmaßnahme zur Aufrechterhaltung der Betriebssysteme - in kurzer Zeit vernichtet wird. Das ist bei den anderen Mitgliedern der Eichenfraßgesellschaft so nicht der Fall. 10. Welche Anpassungsmaßnahmen sind für eine zukunftsfähige Forstpolitik notwendig, um Vorsorge für die Auswirkungen des Klimawandels zu treffen? Die Landesregierung hat 2012 die als Langzeitstrategie konzipierte „Empfehlung für eine niedersächsische Strategie zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels“ vorgelegt (Download: https://www.umwelt.niedersachsen.de/download/100543). Forstpolitisches Ziel dieser Strategie ist es, den Wald, seine Schutzfunktionen, seine Wirtschaftskraft, seine Leistungen für die Natur und das Gemeinwohl dauerhaft zu erhalten und wo möglich zu verbessern. Die forstliche Strategie sieht vier übergeordnete Handlungsziele vor, die zum Teil nur langfristig, zum Teil kurzfristig umgesetzt werden können und zu großen Teilen bereits eingeleitet wurden: 1. Intensivierung der langfristigen Waldentwicklung Ziel ist es, die Entwicklung standortgerechter, vielfältiger, stabiler, anpassungs- und leistungsfähiger und ökologisch wertvoller Mischbestände zu intensivieren. 2. Absicherung von forstlicher Forschung und Beratung Ziel ist es, die begleitende forstliche Forschung langfristig abzusichern und die Beratung aller Waldbesitzenden dauerhaft zu gewährleisten. In Niedersachsen und seinen drei Partnerländern nimmt die NW-FVA mit ihren vier Abteilungen Waldwachstum, Waldschutz, Waldgenressourcen und Umweltkontrolle die praxisorientierte Forschung und Beratung aller Waldbesitzarten wahr. 3. Weiterentwicklung und Sicherung des Waldmonitorings Im Kontext europäischer und nationaler Erfordernisse ist ein auf Niedersachsen abgestimmtes Waldmonitoring zu verwirklichen, das u. a. die Folgen des Klimawandels auf den Wald dokumentiert , eine Grundlage für die Weiterentwicklung von Anpassungsstrategien ist sowie auch deren Umsetzung darlegt. Ein wichtiger Baustein ist die „Verordnung über Erhebungen zum forstlichen Umweltmonitoring (ForUmV)“ vom 20. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4384). Die Bundesverordnung verpflichtet die Länder zur Grunddatenerhebung zur Vitalität der Wälder und zu Wirkungszusammenhängen in Waldökosystemen sowie zur Einrichtung von Beobachtungsflächen für ein intensives Monitoring. 4. Berücksichtigung der künftigen Anbaueignung der Baumarten Die heute stockenden Waldbestände müssen aufgrund der langen Produktionszeiträume sowohl mit den jetzigen als auch mit künftigen Klimabedingungen auskommen. Daher müssen alle forstli- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2136 5 chen Maßnahmen sowohl die Wuchsbedingungen der heute wachsenden Waldbestände (kurz- bis mittelfristige Maßnahmen) als auch den weit in die Zukunft weisenden klimagerechten Waldaufbau (mittel- bis langfristige Maßnahmen) im Blickfeld haben. Maßgeblich ist dabei die künftige Anbaueignung der Baumarten bezüglich Klimatoleranz, Leistungsfähigkeit und ökologischer Verträglichkeit . Wegen der zahlreichen Einzelmaßnahmen zur Umsetzung der vier übergeordneten Anpassungsziele wird auf die o. a. Veröffentlichung Seiten 76 bis 86 sowie auf die Tabellen 187 bis 191 verwiesen . (Verteilt am 20.11.2018) Drucksache 18/2136 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Imke Byl (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Eichenprozessionsspinner-Befall: Was tut das Land?