Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2203 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Miriam Staudte und Imke Byl (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz namens der Landesregierung Natürliche Waldentwicklung: Beharrt die Landesregierung auf geschützten Offenland-Flächen im Moor? Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Miriam Staudte und Imke Byl (GRÜNE), eingegangen am 25.10.2018 - Drs. 18/1965 an die Staatskanzlei übersandt am 29.10.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz namens der Landesregierung vom 27.11.2018 Vorbemerkung der Abgeordneten In einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten fordert der BUND eine Korrektur des Runderlasses zur Natürlichen Waldentwicklung von MU und ML vom 11.07.2018. Dabei geht es um das Ziel, 10 % der Landeswaldfläche einer natürlichen Entwicklung zu überlassen (NWE 10), wie es in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt des Bundes definiert ist. Die Landesregierung hatte bei ihrem Kabinettsbeschluss 2017 laut Anlage zur Pressemitteilung Folgendes zur Flächenauswahl beschlossen: „Wichtiger Hinweis: Es ist davon auszugehen, dass im Zuge des Umsetzungsprozesses einzelne Flächen bzw. Flächenteile aus rechtlichen Gründen nicht umgesetzt werden können. Zwingend wegfallende Flächen werden durch andere Flächen im gleichen Umfang ersetzt. Daher ist diese Tabelle noch vorläufig.“ Im Runderlass des Landwirtschafts- und Umweltministeriums vom 11.07.2018 wird jedoch verfügt, die Flächenkulisse der Landesforsten ohne weitere Prüfungen unverändert umzusetzen. Als Beispiele nennt der BUND u. a. das Bissendorfer Moor und das Otternhagener Moor der Hannoverschen Moorgeest, die als FFH-Gebiet und Naturschutzgebiet unter Schutz stehen. Im Zuge der Pflegemaßnahmen werden hier bislang immer wieder Bäume und Bewuchs entfernt, um die Naturschutzziele für den Erhalt einer Hochmoorlandschaft zu erreichen. Vorbemerkung der Landesregierung Mit dem Programm der natürlichen Waldentwicklung auf 10 % der Landeswaldflächen leistet Niedersachsen einen wirkungsvollen Beitrag zu den Zielen der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt der Bundesregierung. Die niedersächsische NWE10-Flächenkulisse wurde in mehreren Schritten erarbeitet und soll bis 2020 (für den Nationalpark Harz bis 2022) umgesetzt werden. Nach einer ersten bundesweiten Bestandsaufnahme bereits nutzungsfreier Wälder im Rahmen des „NWE5“-Projekts im Jahr 2013 wurde die vorläufige Flächenkulisse 2015 durch ein erstes Auswahlverfahren unter Beteiligung der Anstalt Niedersächsische Landesforsten (NLF), des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft , Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) auf rund 8 % erweitert und mit Stand einer Eröffnungsbilanz 2015 veröffentlicht (https://www.nw-fva.de/NWE5ip/). Für den Lückenschluss auf volle 10 % haben die genannten Fachbehörden auch Vorschläge im Rahmen einer Bürgerbeteiligung geprüft. Die rot-grüne Landesregierung hat in ihrer Sitzung vom 26.09.2017 mit der Entscheidung zum „NWE10“-Programm die Flächenkulisse für die natürliche Entwicklung auf 10 % der Landeswaldflä- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2203 2 chen formell beschlossen. Auf einer Waldfläche von insgesamt 333 km2 (33 320 ha) der Landesforsten einschließlich Nationalpark Harz und der Domänen- und Moorverwaltung sollen sich vom Holzeinschlag und Pflegearbeiten ungestörte Naturwälder entwickeln. Näheres regelt der gemeinsame Runderlass des ML und des MU „Natürliche Waldentwicklung auf 10 % der niedersächsischen Landeswaldflächen (NWE10) als Beitrag zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ vom 01.07.2018, der im Anhang die vorläufigen Flächen für den Lückenschluss auflistet. Inbegriffen ist ein Flächenpuffer mit Ersatzflächen für aus zwingenden rechtlichen Gründen entfallende Waldbestände . Der im Beschluss der Landesregierung vom 26.09.2017 enthaltene Hinweis auf die Vorläufigkeit der Tabelle bezieht sich nur auf die Lückenschlusskulisse. Die Überprüfung der Flächen erfolgt zurzeit gemeinsam durch NLF, NW-FVA und NLWKN. Die Regelung im gemeinsamen Erlass des ML und des MU vom 11.07.2018, die Umsetzung ohne weitere Prüfungen unverändert umzusetzen , gilt für die Kulisse zum Stand der Eröffnungsbilanz zum Stichtag 01.06.2015 (s. Vorbemerkung der Abgeordneten). 1. Warum verzichtet die Landesregierung auf die von Rot-Grün vorgesehene, naturschutzfachliche und rechtliche Überprüfung der Flächenkulisse für die Natürliche Waldentwicklung ? Nach den vorgezogenen Landtagswahlen vom 15.10.2017 hat die neue von SPD und CDU geführte Landesregierung die von der rot-grünen Vorgängerregierung beschlossene Flächenkulisse unverändert aufgegriffen und die naturschutzfachlichen und rechtlichen Belange abgewogen. Sofern sich die Bedenken des BUND auf die Kartendarstellung Flächenkulisse im NWE-NI-Info- Portal (https://www.nw-fva.de/NWE5ip/) der NW-FVA gründen, ist darauf hinzuweisen, dass die momentane Darstellung nur die ungefähren Flächengrößen und -lagen auf einem mittlerweile veralteten Stand zeigt. Auf der Website wird auf den Kartenstand (Zwischenbilanz 2015) deutlich hingewiesen : „Eine Aktualisierung der Website erfolgt, sobald der NWE-Flächenbestand abschließend geklärt ist.“ Die abschließende Klärung steht noch aus. Mit Blick auf das zeitliche Ziel 2020 (bzw. 2022 für den NLP Harz) gilt der Grundsatz „Sorgfalt vor Schnelligkeit“. Die vom BUND, Landesverband Niedersachsen e. V., im „Offenen Brief“ angeführten naturschutzfachlichen Zielkonflikte zwischen natürlicher Waldentwicklung und Erhalt von Mooren sind grundsätzlich zutreffend. Daher wurde bei der Auswahl der Flächen geprüft, wo die im Brief aufgeführten Zielkonflikte vorliegen. In diesen Fällen wurden die Moore nicht in die Flächenkulisse aufgenommen . Beispiele sind Flächen im Bunkenmoor (LK Nienburg) oder im Hemslinger Moor (LK Rotenburg ). Diesen Stand bildet das NWE-NI Info-Portal noch nicht ab. Die Moore bei Bissendorf und Otternhagen sind Teil der Hannoverschen Moorgeest. Hier wird auf insgesamt rund 2 240 ha ein umfassendes EU-gefördertes Renaturierungsprojekt durch den NLWKN koordiniert, in welches die NLF etwa 160 ha Fläche einbringen. Aufgrund einer sehr kleinparzellierten Eigentumsstruktur läuft ein Flurbereinigungsverfahren, sodass gegenwärtig die finale Lage der NLF-Flächen noch nicht feststeht. Das Krähenmoor im Landkreis Nienburg zählt zu den bedeutendsten Mooren Niedersachsens. Die NLF und der Landkreis erarbeiten derzeit eine Kooperationsvereinbarung , auf deren Basis das Moor eigentümerübergreifend entwickelt werden soll. Im Zuge des Gesamtkonzepts sind auch umfassende Renaturierungen geplant. Zwischen den NLF und den Naturschutzverwaltungen besteht Einigkeit darüber, dass in allen drei genannten Mooren zukünftig einerseits Flächen vorhanden sind, die zum Erhalt und zur Entwicklung der Moore der dauerhaften Pflege bedürfen, und andererseits solche, die der natürlichen Entwicklung überlassen werden können. Einigkeit besteht auch über die Größenordnung der Flächen, die Teil der NWE-Kulisse werden. Noch nicht entschieden wurde, wo genau diese Flächen innerhalb der Moore liegen werden, da dies erst im Zuge der konkreteren Planungen in den einzelnen Mooren auf Grundlage naturschutzfachlicher Einschätzungen festgelegt werden wird. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2203 3 2. Sind Moorflächen, Grünland- und Heideflächen geeignet, um hier eine natürliche Waldentwicklung umzusetzen? Der Fokus bei der Auswahl geeigneter Flächen für NWE10 lag nie bei Moor-, Grünland- und Heideflächen , sondern bei mit Bäumen bestockten Waldflächen einschließlich naturnaher Moorwälder, sofern dort nicht andere naturschutzfachliche Ziele vorrangig sind. Die deutschen Forstbetriebe nutzen bundesweit als einheitliche, flächendeckend etablierte statistische Betriebsgröße für Wald die Klassifizierungen „Holzboden“ und „Nichtholzboden“ (z. B. Gebäude , Straßen, Gärten, Ödland, Wege ...). Diese Einteilung liegt auch der Bundeswaldinventur zugrunde . Um geeignete Wälder für das NWE10-Programm auszuwählen, wäre die „Holzbodenfläche “ das bestgeeignete Instrument zur Ermittlung der Referenzfläche (Fläche des Niedersächsischen Landeswalds) sowie der NWE-geeigneten Waldgebiete gewesen. In der vorigen Legislaturperiode wurde entschieden, für die Referenzfläche (Gesamtfläche des Landeswalds) statt der „Holzbodenfläche“ den „Wald im Sinne des Gesetzes“ (NWaldLG) heranzuziehen . Hierzu gehören nach § 2 Abs. 4 Nr. 3 NWaldLG auch „Moore, Heiden, Gewässer und sonstige ungenutzte Ländereien, die mit Wald zusammenhängen und natürliche Bestandteile der Waldlandschaft sind“. Insofern wurden weitere, möglicherweise baumfreie oder baumfrei zu haltende Lebensräume in die Kulisse einbezogen. Grundsätzlich können nach dem bundesweit gültigen NWE-Konzept auch waldfähige Entwicklungsflächen einbezogen werden. 3. Laut NWE-Strategie der Bundesregierung sollen naturschutzfachlich geeignete bestehende Wälder einer Wildnisentwicklung unterzogen werden. Ist dies bei den vom BUND genannten Moorflächen der Fall? Nein, es wird auch auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Die NWE10-Kulisse weist neben Flächen des Nationalparks Harz eine weitere Waldfläche im Süntel (Landkreis Hameln-Pyrmont) mit 1 301 ha aus. Mit diesen Flächen leistet Niedersachsen seinen Beitrag sowohl zum 5-Prozent- NWE- als auch zum 2-Prozent-Wildnisziel des Bundes. Die Ausweisung weiterer Wald- oder Moorflächen aus dem NWE10-Programm als Wildnis-Entwicklungsgebiet ist nicht vorgesehen. 4. Kann die Landesregierung ausschließen, dass es auf den in der Eröffnungsbilanz vorgesehenen NWE10-Flächen zu rechtlichen Konflikten mit dem Naturschutz kommt? Im Zuge der Abstimmung mit den beteiligten Behörden und Flächeneigentümern ist es Ziel, mögliche Zielkonflikte zu lösen. 5. Welche Ersatzflächen sieht die Landesregierung vor, um ungeeignete Flächen aus der NWE10-Kulisse zu ersetzen? Über den Bedarf an Ersatzflächen kann erst nach Abschluss der laufenden fachlichen Prüfungen der beteiligten Behörden entschieden werden. Im Kabinettsbeschluss und auch real ist für rechtliche Konfliktfälle ein Flächenpuffer von 300 ha bereits berücksichtigt. 6. Plant die Landesregierung eine Ausweitung der NWE10-Flächen im Solling, um ungeeignete Offenlandstandorte zu ersetzen? Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 7. Was tut die Landesregierung, um die Umsetzung der Moorrenaturierung zu unterstützen , die im Rahmen des LIFE+ Projekts „Hannoversche Moorgeest“ geplant sind? Das Land Niedersachsen ist selbst Projektträger des LIFE+-Projekts und bringt daher - unter Verwendung von Fördermitteln der EU aus dem EU-Umweltprogramm LIFE und gemeinsam mit der Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2203 4 Region Hannover - in erheblichem Umfang eigenes Personal und Finanzmittel in das Projekt ein. Zur Unterstützung des LIFE+-Projekts „Hannoversche Moorgeest“ wurde im Jahr 2012 ein „vereinfachtes Flurbereinigungsverfahren“ nach § 86 des Flurbereinigungsgesetzes (FlurbG) eingeleitet, welches vom Amt für regionale Landesentwicklung Leine-Weser durchgeführt wird. 8. Welche Ergebnisse konnten durch die Flurbereinigung bislang erzielt werden, um die nötigen Flächen für die Moorrenaturierung zu gewinnen? Im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens stehen den rund 900 privaten Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Flurbereinigungsverfahrens drei Optionen zur Verfügung: der Verzicht auf Landabfindung nach § 52 FlurbG (Verkauf), ein wertgleicher Flächentausch gegen eine Fläche außerhalb des Projektgebiets sowie die Gestattung der Renaturierungsmaßnahmen gegen einen finanziellen Ausgleich. Für wertgleichen Tausch stehen derzeit Tauschflächen in einer Größenordnung von rund 200 ha in den Nutzungsarten Wald, Acker und Grünland zur Verfügung. Diese Tauschflächen befinden sich überwiegend gleichmäßig um die vier Moore herum verteilt. Die Flächenverfügbarkeit soll in Absprache mit dem NLWKN und im Hinblick auf die Durchführung der vier Planfeststellungsverfahren und die sich anschließenden Baumaßnahmen in der Reihenfolge Schwarzes Moor, Bissendorfer Moor, Otternhagener Moor, Helstorfer Moor sichergestellt werden . Bislang konnten 320 Landverzichtserklärungen nach § 52 FlurbG über eine Fläche von 525 ha abgeschlossen werden. Durch bislang 20 abgeschlossene Gestattungsverträge stehen weitere rund 23 ha für das Naturschutzprojekt zur Verfügung. Als Zwischenlösung können in Fällen, bei denen sich der Flächentausch z. B. aus Gründen der noch notwendigen Lastenfreistellung verzögert, sogenannte Bauerlaubnisverträge abgeschlossen werden, sodass auch hier die Flächenverfügbarkeit gegeben ist. (Verteilt am 29.11.2018) Drucksache 18/2203 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Miriam Staudte und Imke Byl (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Natürliche Waldentwicklung: Beharrt die Landesregierung auf geschützten Offenland-Flächen im Moor?