Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2215 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer und Imke Byl (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Koalitionsvertrag gebrochen? - Warum nicht mehr Erdverkabelung bei Stromtrassen in Niedersachsen ? Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer und Imke Byl (GRÜNE), eingegangen am 25.10.2018 - Drs. 18/1967 an die Staatskanzlei übersandt am 29.10.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 29.11.2018 Vorbemerkung der Abgeordneten Auch auf Initiative der damaligen rot-grünen Landesregierung wurde 2015 das Energieleitungsausbaugesetz des Bundes in Richtung auf mehr Erdverkabelung verändert. Damit sollte die Akzeptanz für den notwendigen Netzausbau erhöht werden und auch bei Wechselstromleitungen mehr Erdverkabelung insbesondere in Siedlungsnähe erfolgen. Zurzeit führt das Land das Raumordnungsverfahren zum Bau der 380-kV-Leitung für den Streckenabschnitt von Lüstringen bis zur Landesgrenze NRW durch. Nach den Vorschlägen des Betreibers sollen nur im Raum Osnabrück, nicht aber an anderen Stellen mit Siedlungsnähe Erdverkabelungen durchgeführt werden. Ein Großteil der Strecke würde dann oberirdisch verlaufen, wogegen sich Proteste der Bürgerinitiativen, des Landkreises Osnabrück und der Kommunen richten. Diese fordern, dass das Land Niedersachsen vom Netzbetreiber Amprion mehr Erdverkabelungsabschnitte auf der Strecke insbesondere mit der AGS-Technik durchführe. Für eine Erdverkabelung auf ihrem Gebiet liegen nach Angaben der Bürgerinitiative „Keine 380-kV- Leitung am ‚Teuto‘“ auch 60 Einverständniserklärungen von land- und forstwirtschaftlichen Eigentümern vor, die ihre Fläche für eine Erdverkabelung zur Verfügung stellen möchten. Das seien nahezu alle entlang der Trasse. Die rot-grüne Landesregierung hatte 2017 angekündigt, so viel Erdverkabelung wie rechtlich möglich anordnen zu wollen. SPD und CDU kündigen in ihrem Koalitionsvertrag an: „In der Nähe von Wohnbebauung sollen Höchstspannungsleitungen möglichst unterirdisch verlegt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass der Flächenverbrauch durch moderne Verlegetechnik stark reduziert wird. Die Akzeptanz für Eingriffe im Zuge der Energiewende kann durch eine angemessene und dauerhafte Ausgestaltung von Entschädigungsregelungen erhöht werden.“ Vorbemerkung der Landesregierung Bei den von Niedersachsen in Landeszuständigkeit zu genehmigenden Netzausbauvorhaben handelt es sich um zwölf Projekte im Höchstspannungsnetz mit einer Gesamtstreckenlänge von ca. 900 km. Davon werden sechs Projekte nach dem Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) und sechs Projekte nach dem Bundesbedarfsplangesetz (BBPIG) geplant. Mehr als ein Viertel davon ist bereits genehmigt, in der Bauvorbereitung oder im Bau. Von den Projekten, die sich derzeit in der Genehmigungsphase befinden, sind alle außer zwei (Nr. 37 Emden/Ost–Halbemond und Nr. 38 Dollern–Elsfleth/West im BBPIG) als Pilotprojekte für die Erprobung der Teilerdverkabelung gesetzlich vorgesehen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2215 2 Mit Änderung des Netzausbaurechts 2015 wurden aufgrund des Einsatzes der damaligen Landesregierung zur Ausweitung der Erdverkabelung der Netzausbauprojekte im Drehstrombereich jeweils vier Netzausbauprojekte nach BBPlG und EnLAG in niedersächsischer Genehmigungsverantwortung als Pilotprojekte für die Erprobung der Teilerdverkabelung vorgesehen. Dazu gehört auch das Leitungsprojekt Wehrendorf–Gütersloh (Nr. 16 EnLAG). Die Landesregierung hält es unverändert für notwendig, für alle Drehstromprojekte die Option für Teilerdverkabelung zu öffnen, um Trassenkonflikte zu vermeiden. Diese Position wurde auch im Rahmen des Konsultationsverfahrens für den Netzentwicklungsplan Strom 2030 vertreten. Das EnLAG-Projekt Nr. 16 „Wehrendorf–Gütersloh“ ist in Niedersachsen in zwei Abschnitte unterteilt (Wehrendorf–Lüstringen und Lüstringen–Landesgrenze NRW). Der südliche Abschnitt (Lüstringen –Landesgrenze NRW) befindet sich im Raumordnungsverfahren; für den nördlichen Teil (Wehrendorf –Lüstringen) wurde das Raumordnungsverfahren noch nicht eröffnet. 1. Was tut die Landesregierung, um das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel einer möglichst unterirdischen Verlegung von Höchstspannungsleitungen in der Nähe von Wohnbebauung umzusetzen? Welche konkreten Maßnahmen wurden bisher in die Wege geleitet ? Die Landesregierung setzt sich, wie in der Vorbemerkung ausgeführt, seit Jahren im Rahmen der Beteiligungsverfahren dafür ein, dass es Erdverkabelungsmöglichkeiten für die niedersächsischen Leitungsbauprojekte gibt. Im Landes-Raumordnungsprogramm Niedersachsen (LROP) wurden im Abschnitt 4.2 Ziffer 07 Regelungen für den Leitungsausbau festgelegt. So müssen z. B. gemäß Satz 6 Höchstspannungsfreileitungstrassen einen Abstand von 400 m zu Wohngebäuden einhalten, wenn diese im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) liegen und diese Gebiete dem Wohnen dienen. Eine Unterschreitung des 400-m-Abstands zum Innenbereich ist in Niedersachsen nur noch in Form von Erdkabeln möglich (es sei denn, die Ausnahmeregelung im LROP Abschnitt 4.2 Ziffer 07 Satz 9 greift). Dieses Ziel der Raumordnung ist durch den Vorhabenträger einzuhalten, da eine Planfeststellung nur für Vorhaben möglich ist, die mit Zielen der Raumordnung im Einklang stehen. Bei einer Unterschreitung des im LROP (nur) als Grundsatz der Raumordnung geregelten 200-m-Abstands im Außenbereich muss zumindest die Möglichkeit zur Erdverkabelung geprüft werden (LROP Abschnitt 4.2 Ziffer 07 Satz 13). In Satz 3 ist als Grundsatz der Raumordnung formuliert, dass die Erprobung der unterirdischen Leitungsverlegung bei der Planung von Höchstspannungstrassen berücksichtigt und dies zur Lösung von Konflikten der Siedlungsannäherung sowie mit dem Naturschutzrecht als Planungsalternative geprüft werden soll. Die o. g. Erfordernisse der Raumordnung sowie die gesetzlich gegebenen Möglichkeiten zur Teilerdverkabelung werden in den Planungsverfahren geprüft und berücksichtigt. Hierbei legt das Land Wert darauf, dass die Erforderlichkeit der Erdverkabelung bereits im Raumordnungsverfahren vertieft untersucht wird. Die endgültige Entscheidung über Erdkabelabschnitte wird jedoch erst mit Abschluss des Planfeststellungsverfahrens gefällt. Die Einstufung von Projekten als Pilotprojekte für Teilerdverkabelung bedeutet jedoch, dass für diese Vorhaben weiterhin die Regeltechnik der Freileitung gilt und lediglich in Teilabschnitten eine Teilerdverkabelung zulässig ist, sofern die gesetzlich festgelegten Auslösekriterien zutreffen. 2. Wie viele Kilometer der o. g. geplanten 380-kV-Leitung sollen als Erdverkabelung durchgeführt werden? Im Raumordnungsverfahren für den o. g. südlichen Leitungsabschnitt des EnLAG-Projekts Nr. 16 wurde vom Vorhabenträger Amprion GmbH ein Erdkabelabschnitt über ca. 4 km beantragt. Dies wird im Raumordnungsverfahren ergebnisoffen geprüft. Eine Festlegung erfolgt erst mit Abschluss des Planfeststellungsverfahrens. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2215 3 3. Wird die oberste Raumordnungsbehörde im Verfahren durchsetzen, dass Amprion mehr Erdkabelabschnitte als bislang geplant bauen muss? Verfahrensführende Behörde für das Raumordnungsverfahren ist das Amt für regionale Landesentwicklung Weser-Ems (obere Landesplanungsbehörde). Diese prüft den Antrag ergebnisoffen und wird im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zur Festlegung einer raum- und umweltverträglichen Trasse auch die Erforderlichkeit von Teilerdverkabelungen prüfen. Das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens ist von der Planfeststellungsbehörde zu berücksichtigen. 4. Welche „moderne Verlegetechnik“, die den Flächenverbrauch bei der Erdverkabelung stark reduziert, ist laut Koalitionsvertrag gemeint? Naturgemäß ist mit der Aussage des Koalitionsvertrags keine bestimmte Verlegetechnik adressiert, sondern grundsätzlich alle, die flächenschonend arbeiten. Die Formulierung ist technologieoffen gewählt. Über die Verlegetechnik entscheidet im gegebenen rechtlichen Rahmen der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB). Die Landesregierung ist auch dazu mit den ÜNB in von ihr eingerichteten Projektsteuerkreisen in regelmäßigem Dialog. 5. Wann setzt sich das Land über eine Bundesratsinitiative zur Veränderung des EnLAG in Richtung mehr Erdverkabelung ein? Die Landesregierung hat sich im Rahmen der Konsultation zum Netzentwicklungsplanverfahren Strom 2030 erneut dafür eingesetzt, für alle Drehstromprojekte die Option für Teilerdverkabelung zu öffnen. Diese Position wird weiter in Beteiligungsverfahren verfolgt, obwohl der Einsatz von Erdkabelsystemen auf Höchstspannungsebene im Drehstrombereich noch nicht dem Stand der Technik entspricht. Mit den Erdkabelpilotvorhaben auf Höchstspannungsebene konnten noch keine Erfahrungen im regulären Betrieb gewonnen werden. 6. Wie beurteilt die Landesregierung die AGS-Technik unter den Aspekten Flächenschonung , landwirtschaftliche Nutzung, Umweltfreundlichkeit und Kosten? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 6 und 7 zusammen beantwortet. 7. Aus welchen technischen Gründen lehnt die Landesregierung bzw. lehnen die entsprechenden Planungsbehörden die Technologie der AGS-Verfahrenstechnik ab? Auf Basis welcher Gutachten wurden diese Aussagen getroffen? Die Technologie der AGS-Verfahrenstechnik ist eine neue innovative Verlegetechnik für Erdkabelbauvorhaben im Energiebereich. Sie wirkt zunächst vielversprechend bezüglich der Aspekte Flächenschonung , landwirtschaftliche Nutzung und Umweltfreundlichkeit. Es liegen jedoch keine gesicherten Erkenntnisse zu dem Einsatz der AGS-Technik im Höchstspannungsbereich vor, sodass keine Beurteilung zu den in der Frage 6 genannten Aspekten durch die Landesregierung vorgenommen werden kann. Da zudem Erfahrungen und Präqualifikationen im realen Höchstspannungseinsatz bisher nicht vorliegen, entspricht die AGS-Technik hierfür derzeit nicht dem anerkannten Stand der Technik. Die Landesregierung erwartet von den Vorhabenträgern, dass der erforderliche Ausbau der Stromnetze mit möglichst geringen Belastungen für Mensch und Natur erfolgt. Nach § 11 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes ist der Stromnetzausbau die Aufgabe der Betreiber von Energieversorgungsnetzen . Die Planung der gesetzlich festgelegten Projekte aus dem EnLAG und dem BBPlG erfolgt durch die Übertragungsnetzbetreiber. Auch eine Bewertung und abschließende Technikentscheidung für eine sichere, zuverlässige und leistungsfähige Energieübertragung trifft letztlich der Übertragungsnetzbetreiber als Vorhabenträger und nicht die Landesregierung. Da das AGS-Verfahren bisher noch nicht marktreif entwickelt wurde, ist eine abschließende Beurteilung durch die Landesregierung nicht möglich (siehe auch Unterrichtung des Ausschusses für Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2215 4 Umwelt, Energie und Klimaschutz durch die Landesregierung am 04.09.2017). Im April 2018 fand ein Termin zur Vorstellung der AGS-Verfahrenstechnik im Wirtschaftsministerium statt, an dem auch Vertreter des Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, des Instituts für Elektrische Energieversorgung und Hochspannungstechnik der Leibniz Universität Hannover und des ÜNB TenneT teilnahmen. Die Vorstellung und fachliche Erörterung der von der AGS Verfahrenstechnik GmbH angebotenen AGS-Schmaltrassen Verlegetechnik ergab erneut, dass sie nicht dem anerkannten Stand der Technik entspricht und somit durch den verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber noch nicht in 380-kV-Wechselstromvorhaben einsetzbar ist. Wichtige technische Fragen, u. a. der Umgang mit Störungen bei derartig mit dem AGS-Verlegeverfahren realisierten Höchstspannungsleitungen im Stromübertragungsnetz, sind noch nicht geklärt, und erforderliche Zertifizierungen stehen in Teilen noch aus. Ein Zeitpunkt, zu dem diese Technologie im Höchstspannungs-Wechselstromnetz einsetzbar sein wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Ablehnung der Technologie durch die Landesregierung nicht erfolgt ist. 8. Ist seitens der Landesregierung die Beauftragung eines unabhängigen Gutachtens beabsichtigt , und wenn nein, warum nicht? Wurde der AGS-Verfahrenstechnik die Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben, und ist diese in die Bewertung durch die Landesregierung eingeflossen? Nein, weil die Beauftragung eines Gutachtens in die Zuständigkeit des Übertragungsnetzbetreibers fallen würde, der die Technologiewahl der Verlegung zu treffen hat. Des Weiteren wird zu der Möglichkeit der Stellungnahme durch die AGS-Verfahrenstechnik auf die Beantwortung der Fragen 6 und 7 verwiesen. (Verteilt am 03.12.2018) Drucksache 18/2215 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer und Imke Byl (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Koalitionsvertrag gebrochen? - Warum nicht mehr Erdverkabelung bei Stromtrassen in Nie-dersachsen?