Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2433 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung Welche Auswirkungen hat die neue Anerkennungsverordnung auf Menschen mit Behinderungen und deren Familien? Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP), eingegangen am 13.11.2018 - Drs. 18/2105, an die Staatskanzlei übersandt am 14.11.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 17.12.2018 Vorbemerkung der Abgeordneten Die Angebote zur Unterstützung im Alltag nach § 45 SGB XI sollen dazu dienen, pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen zu entlasten. Aufgrund der Formulierung „insbesondere ehrenamtliche Helferinnen und Helfer“ in § 2 Abs. 1 Nr. 5 a AnerkVO SGB XI könnte vermutet werden, dass in der niedersächsischen Anwendungspraxis in Zukunft ausschließlich ehrenamtliche Mitarbeiter eingesetzt werden dürfen. Vorbemerkung der Landesregierung Der Bundesgesetzgeber hat im Jahr 2002 die sogenannten niedrigschwelligen Betreuungsangebote (NBA) in die Pflegeversicherung (SGB XI) aufgenommen. Zielgruppe waren seinerzeit Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, d. h. demenzkranke, geistig oder psychisch behinderte Menschen, für die nach den damaligen rechtlichen Grundlagen ein darüber hinausgehender Pflegebedarf i. S. v. § 14 SGB XI unter Umständen nicht vorlag; diese Personen wurden der sogenannten Pflegestufe 0 zugeordnet. Zur Aufgabe der NBA gehörten die Betreuung und Beaufsichtigung der zu Pflegenden in der eigenen Häuslichkeit mit dem Ziel, so auch die pflegenden Angehörigen zu entlasten. Für Betreuung und Beaufsichtigung waren nach dem Willen des Bundesgesetzgebers keine Fachkräfte erforderlich; diese qualitativen und von den Kosten her niedrigschwelligen Leistungen sollten vielmehr ausschließlich von ehrenamtlichen Kräften erbracht werden. Für die Inanspruchnahme dieser Leistungen wird aktuell ein Entlastungsbetrag nach § 45 b SGB XI von bis zu 125 Euro monatlich gewährt. Es handelt sich dabei um einen Kostenerstattungsbetrag, der nicht regelhaft an die Pflegebedürftigen ausgezahlt, sondern von den Pflegekassen für die tatsächliche Inanspruchnahme von Leistungen der NBA erstattet wird. Zu den zweckgebundenen Leistungen, für die der Entlastungsbetrag verwendet werden kann, gehören 1. Tages- und Nachtpflege, 2. Kurzzeitpflege, 3. Sachleistungen der ambulanten Pflegedienste im Sinne des § 36 SGB XI und 4. Leistungen der anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag (AZUA). Im Rahmen des Inkrafttretens der Pflegestärkungsgesetze wurden Leistungsanbieter nach Nr. 4 später unter dem Begriff „Angebote zur Unterstützung im Alltag (AZUA)“ zusammengefasst. Der Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2433 2 Bundesgesetzgeber hat die Leistungen der AZUA dabei auch inhaltlich ausgeweitet und den Anspruch auf alle Pflegebedürftigen übertragen. Zu den von den AZUA zu erbringenden Leistungen gehören nach § 45 a Abs. 1 SGB XI neben der Betreuung und Beaufsichtigung jetzt zusätzlich die Alltagsbegleitung der Pflegebedürftigen, die Pflegebegleitung der Angehörigen sowie hauswirtschaftliche Dienstleistungen im unmittelbaren Umfeld der Pflegebedürftigen. Leistungsanbieter, die ihre Leistungen mit den Pflegekassen abrechnen möchten, bedürfen dazu einer Anerkennung des Landes. Die Frage, wer unter welchen Voraussetzungen die beschriebenen niedrigschwelligen Leistungen erbringen darf und zu diesem Zweck die Anerkennung des Landes erhält, hat der Bundesgesetzgeber über eine Verordnungsermächtigung in die Hände der Länder gelegt. Niedersachsen hat die Ermächtigung mit der Niedersächsischen Verordnung über die Anerkennung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuchs umgesetzt (AnerkVO SGB XI vom 21. September 2017, Nds. GVBl. S. 311). Die bundesgesetzlichen Neuregelungen bedingen, dass die als niedrigschwellig konzipierten Leistungen jetzt grundsätzlich auch schwer Pflegebedürftigen zustehen; dieser Personenkreis kann naturgemäß jedoch kaum von ehrenamtlich tätigen Kräften betreut werden. Der Bundesgesetzgeber hat daher die Möglichkeit vorgesehen, dass Pflegebedürftige statt ehrenamtlicher Hilfe den Entlastungsbetrag auch für die Leistungen professioneller ambulanter Dienste nach § 45 b Abs. 1 Nr. 3 SGB XI einsetzen dürfen. Die ehrenamtlichen Leistungen sollen nach dem Willen der Landesregierung sowohl von der Qualität der Leistung als auch von der Höhe der Vergütung her in Niedersachsen niedrigschwellig bleiben . Dies war bereits vor Inkrafttreten der Neufassung der AnerkennungsVO geltende Rechtslage und gilt insofern unverändert fort. Aufgrund der Erfahrungen aus der langjährigen Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen war jedoch nicht zu erwarten, dass sich ehrenamtliche Kräfte für Reinigungsarbeiten im Wohnumfeld der Pflegebedürftigen zur Verfügung stellen werden. Allein im Bereich der hauswirtschaftlichen Dienstleistungen ist daher der Einsatz von professionellen Kräften zugelassen worden. 1. Trifft diese Vermutung zu? Die Vermutung, dass im Rahmen der AZUA ausschließlich ehrenamtliche Kräfte beschäftigt werden , trifft nicht zu. Für den Bereich der hauswirtschaftlichen Dienstleistungen sind ausdrücklich auch gewerblich tätige Unternehmen zugelassen. Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. 2. Sofern sie zutrifft: Ist nach Kenntnis der Landesregierung die Versorgung der Familien trotzdem sichergestellt? Siehe Antwort zu Frage 3. 3. Sofern sie zutrifft: Könnten bisher in diesem Bereich eingesetzte Mitarbeiter - beispielsweise der Lebenshilfe - nicht mehr eingesetzt werden? Wie bewertet die Landesregierung für diesen Fall die Auswirkungen des Wegfalls vertrauter Bezugspersonen für Menschen mit Behinderung und ihre Familien? Die Vermutungen treffen nicht zu, dennoch wird Folgendes ausgeführt: Die Bundesregierung erwartet auch im Bereich der niedrigschwelligen Versorgung von Pflegebedürftigen eine regelmäßige Qualitätssicherung. Das bedeutet, dass das Vorliegen der Voraussetzungen zur Erteilung der Anerkennung des Landes jährlich von der Anerkennungsbehörde geprüft wird. Sofern in der Vergangenheit entgegen den seit 2002 geltenden rechtlichen Bestimmungen der Anerkennungs VO in Einzelfällen andere als ehrenamtliche Kräfte beschäftigt worden sind, sind diese Fehlentwicklungen auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der Qualitätsprüfung zu korrigieren. Das kann auch zur Folge haben, dass bestimmte Kräfte nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2433 3 Die Harmonisierung der Pflegelandschaft mit der geltenden Rechtslage muss jedoch nicht dazu führen, dass Pflegebedürftige unversorgt bleiben. Der Entlastungsbetrag kann neben AZUA für die Leistungen (professioneller) ambulanter Dienste eingesetzt werden; im Übrigen können für Pflegebedürftige mit Behinderungen im Rahmen Familienentlastender Dienste auch Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in Anspruch genommen werden. 4. Sofern die Vermutung zutrifft: Warum wurde es für die Erbringung niedrigschwelliger Betreuungsangebote nicht ermöglicht, diese in einem „Personalmix“ aus Haupt- und Nebenamt durchzuführen? Siehe Antwort zu Frage 3. 5. Andere Bundesländer haben die Möglichkeit eines „Personalmixes“ ausdrücklich erlaubt (vgl. Brandenburg NBEA AnerkV § 5 Abs. 1). Ist geplant, dies auch in Niedersachsen klarzustellen? Die niedersächsischen Regelungen haben sich seit 2002 in der vorliegenden Form bewährt; auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Über die Jahre ist es in Niedersachsen gelungen, eine Versorgungsstruktur aufzubauen, die derzeit 572 anerkannte Leistungsanbieter umfasst; im Rahmen dieser Angebote werden hochgerechnet weit über 15 000 ehrenamtliche Kräfte eingesetzt (Stand November 2018). Die Zahlen der Anerkennungen sind weiter steigend. Eine Änderung der Anerkennungsverordnung ist vor diesem Hintergrund zurzeit nicht geplant. (Verteilt am 19.12.2018) Drucksache 18/2433 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Welche Auswirkungen hat die neue Anerkennungsverordnung auf Menschen mit Behinderungen und deren Familien?