Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Abgeordneter Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung Wie können 4 200 km Gleisbett in Niedersachsen ohne die Anwendung von Herbiziden unkrautfrei und verkehrssicher gehalten werden? Anfrage des Abgeordneten Jörg Bode (FDP), eingegangen am 05.12.2017 - Drs. 18/48 an die Staatskanzlei übersandt am 08.12.2017 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 29.01.2018, gezeichnet In Vertretung Frank Doods Vorbemerkung des Abgeordneten Die Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat ist durch eine Entscheidung der EU um fünf Jahren verlängert worden. Die Diskussion um den Wirkstoff beschäftigt auch die Landesregierung. Der Landesumwelt - und vormalige Verkehrsminister Lies hat sich wie folgt geäußert: „Wir fordern ein klares Verbot von Glyphosat in Deutschland - möglichst vor Ablauf der Fünfjahresfrist“ (PI des MU vom 28.11.2017). Am 01.12.2017 forderte die SPD-Bundestagsfraktion das Einsatzende von Glyphosat an Gleisanlagen. Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast traf folgende Feststellung zu Glyphosat: „Aber jedem sollte klar sein: Die Zeit für Glyphosat läuft ab“ (HAZ, 04.12.2017). Derzeit gibt es kein wirksames alternatives Verfahren zur Beseitigung von wuchernden Pflanzen an Gleisanlagen. Alternative Verfahren, wie z. B. Flüssigstickstoff, Mikrowellen, Hochfrequenzenergie, Infrarotstrahlung, Heißdampf oder das Saugrechenverfahren, wurden durch die Deutsche Bahn AG erprobt. Die aufgeführten Methoden sind deutlich langsamer in der Anwendung und weniger wirksam . Wegen mangelnder Betriebstauglichkeit stehen nach Kenntnis des Fragestellers derzeit keine alternativen Lösungen zur Anwendung im Gleisbett zur Verfügung. Unkräuter auf Gleisanlagen stellen ein Sicherheitsrisiko dar. Die Bekämpfung von wuchernden Pflanzen ist seit 1931 gesetzlich vorgeschrieben, um die Elastizität des Schottergefüges zu erhalten . Demnach müssen Hohlräume im Schotterbett erhalten bleiben, und Verstopfungen durch Wurzeln und abgestorbene Pflanzenteile sind zu vermeiden. Vorbemerkung der Landesregierung Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) sind verpflichtet, ihre Eisenbahninfrastruktur in betriebssicherem Zustand zu halten (§ 4 Abs. 3 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes [AEG]). Bestandteil dieser Sicherheitspflichten ist es, störenden Bewuchs aus den Gleisanlagen fernzuhalten. Für diesen Zweck haben die EIU bisher im Gleisbereich Herbizide - in der Regel solche mit dem Wirkstoff Glyphosat - eingesetzt. Die bundeseigene DB Netz AG erhält die für den Einsatz von Herbiziden auf sogenanntem Nichtkulturland - also auf Flächen, die weder land- oder forstwirtschaftlich noch gärtnerisch genutzt werden - notwendige Ausnahme nach § 12 Abs. 2 des Pflanzenschutzgesetzes (PflSchG) aufgrund der besonderen Zuständigkeit des Bundes für die Eisenbahnen des Bundes nach § 4 Abs. 6 AEG vom Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 2 Eisenbahn-Bundesamt. Entsprechende Ausnahmen für den Einsatz glyphosathaltiger Mittel wurden der DB Netz AG laut Aussage des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. in der Vergangenheit auch erteilt. Die nichtbundeseigenen EIU (NE EIU) in Niedersachsen benötigen dagegen eine Ausnahme der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die im Jahr 2016 für glyphosathaltige Mittel nicht erteilt wurde. Daher können wegen fehlender Zuständigkeit des Landes für die Gleisanlagen der DB Netz AG keine Aussagen zu den dortigen Verhältnissen getroffen werden. Die nachstehenden Ausführungen betreffen vielmehr ausschließlich die NE EIU in Niedersachsen. 1. Wie ist derzeit die Zulassung von Herbiziden in Deutschland im Allgemeinen geregelt? Die Zulassung erfolgt durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) unter Beteiligung weiterer Bundesbehörden wie Julius Kühn-Institut, Bundesinstitut für Risikobewertung und Umweltbundesamt; letztere ist Einvernehmensbehörde. Geprüft werden u. a. ökotoxische und toxische Eigenschaften der fertig formulierten Produkte sowie die Wirkung und Pflanzenverträglichkeit. Die Wirkstoffzulassung läuft auf Europäischer Ebene. 2. Hält die Landesregierung die derzeitig gültigen Zulassungsverfahren für Herbizide für fachlich ausreichend und angemessen? Die Landesregierung hält das derzeitige Zulassungsverfahren fachlich in einigen Punkten für verbesserungswürdig . Antragsteller müssen ein umfangreiches Dossier für ihr Produkt vorlegen, um eine Zulassung zu erhalten. Darin enthalten sind zahlreiche Studien über die Umweltverträglichkeit (z. B. Versickerungsverhalten, Vogel-, Gewässertoxikologie), das Rückstandsverhalten in Boden /Pflanze sowie die toxikologischen Eigenschaften. Allerdings sollten nach Ansicht der Landesregierung zum einen Fragen zur Biodiversität künftig stärker berücksichtigt werden und zum anderen sollte die Transparenz im Hinblick auf die Studien, die von der Industrie in Auftrag gegeben und mit den Genehmigungsanträgen eingereicht werden, verbessert werden. Dazu zählen Maßnahmen, wie z. B. der öffentliche Zugang zu Rohdaten aus Studienberichten, die sicherstellen sollen, dass die vom Antragsteller vorgelegten Studien unabhängig und vorurteilsfrei durchgeführt wurden. 3. Welche Risiken bergen nach Ansicht der Landesregierung die aktuellen Zulassungsverfahren für Herbizide? Die Zulassung sieht vor, dass eine umfangreiche und gründliche fachliche Prüfung des Produkts in Deutschland erfolgt. Bei potenziellen Gefahren, die vom Produkt ausgehen können, setzt das BVL Risikominderungsmaßnahmen in Form von bußgeldbewehrten Anwendungsbestimmungen fest, die bei der Anwendung des Pflanzenschutzmittels (PSM) eingehalten werden müssen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 4. Gibt es spezielle Prüf- und Zulassungsverfahren bei der Anwendung von Herbiziden auf Gleisanlagen? Besonders für den Anwendungsbereich „Gleisanlagen“ wird im Rahmen des Zulassungsverfahrens das Versickerungsverhalten der eingesetzten Wirkstoffe bewertet. Die Bewertung erfolgt aufgrund von prognostizierten Sickerwasserkonzentrationen durch Lysimeterstudien, Gleisversickerungsstudien oder durch Computersimulationen. Für Letzteres kommen EU-anerkannte Berechnungsmodelle wie PELMO, PEARL oder EXPOSIT zur Anwendung. Mit der Zulassung kann das BVL Zulassungsinhabern die Auflage erteilen, weitere Studien nach der Zulassung durchzuführen. Dies kann besonders bei Gleisanwendungen der Fall sein. Derartige Auflagen können Fundaufklärungen bei Pflanzenschutzmittelfunden im Grundwasser oder ein verpflichtendes Nachzulassungsmonitoring (Monitoring nach Gleisanwendungen) sein. Mit den Ergebnissen dieser Maßnahmen kann die Zulassungsbehörde die Zulassung von Gleisherbiziden und gegebenenfalls die Wirksamkeit der vom BVL getroffenen Risikomanagementmaßnahmen überprüfen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 3 5. Wenn ja: Wie fallen die Prüf- und Zulassungsverfahren für die Anwendung von Herbiziden auf Gleisanlagen aus? Die Verfahren fallen so aus, dass diese zulassungsfähig sind, sofern Grenzwerte der zu erwartenden Sickerwasserkonzentration nicht überschritten werden. Werden für Pflanzenschutzmittelwirkstoffe im Rahmen des Zulassungsverfahrens Konzentrationen > 0,1 µg/l prognostiziert, kann eine Zulassung nicht oder nur dann erfolgen, wenn durch zusätzliche Risikominderungsmaßnahmen die zu erwartende Konzentration verringert wird. Die Zulassungsvoraussetzungen und das Zulassungsverfahren für Gleisanlagen-Herbizide sind vergleichbar mit denen für PSM, die für andere Anwendungsgebiete zugelassen werden. Auf die Antwort zu Frage 4 wird verwiesen. 6. Welche Schwächen bergen die gesetzlich vorgeschriebenen Prüf- und Zulassungsverfahren bei der Anwendung von Herbiziden auf Gleisanlagen nach Ansicht der Landesregierung ? Es werden keine besonderen Schwächen gesehen. 7. Kann die Landesregierung bestätigen, dass es derzeit kein wirksames und betriebstaugliches alternatives Verfahren zur Freihaltung von Gleisanlagen und Schienenwegen von wuchernden Pflanzen gibt? Zur chemischen Unkrautbekämpfung auf Gleisanlagen stehen lediglich die beiden Ersatzwirkstoffe Flumioxazin (ein zugelassenes Mittel) und Flazasulfuron (ein zugelassenes Mittel) zur Verfügung. Beide Wirkstoffe haben eine nicht ausreichende und vor allem nicht nachhaltige herbizide Wirkung. Flumioxazin wirkt gegen einjährige ein-/zweikeimblättrige Unkräuter, jedoch ausschließlich gegen samenauflaufende, nicht jedoch gegen rhizombildende Unkräuter oder mehrjährige Mutterunkrautpflanzen . Höher gewachsene Unkräuter werden nur „angesengt“, nicht aber abgetötet. Die Anwendung muss exakt bis maximal zum Stadium „2. Laubblatt bzw. Blattpaar entfaltet“ erfolgen, später ist eine ausreichende herbizide Wirkung nicht mehr gegeben. Speziell für die meisten niedersächsischen Gleisbetreiber ist es daher vor dem Hintergrund des frühen Anwendungszeitpunkts und des schmalen Zeitfensters von nur drei Wochen (ca. Ende März bis Anfang April) fast unmöglich, alle verunkrauteten Gleisabschnitte in einer Vegetationsperiode chemisch zu behandeln. Flazasulfuron ist ein Sulfonylharnstoff, der als Bodenherbizid wirkt, auch Blattwirkung ist vorhanden . Es wirkt gegen ein-/zweikeimblättrige Unkräuter. Nach der Behandlung bleiben die Pflanzen lange stehen, seine Ätzwirkung ist nur dort, wo Mittelkontakt stattgefunden hat. Nicht getroffene Pflanzenteile bleiben stehen und überleben gegebenenfalls. Ein weiteres Problem ist der Anwendungszeitraum : Flazasulfuron wirkt erst bei einer ausreichend warmen Witterung (mindestens 15° C). Wirksame Anwendungen sind daher nur ab ca. Mai/Juni möglich. Die Wirksamkeit ist auch abhängig von der Pflanzengröße, erst bei einer Unkrauthöhe von 10 bis 20 cm kann die Pflanze ausreichend abgetötet werden. Bei wenig Niederschlag ist die Wirkung deutlich schlechter, sodass gegebenenfalls Benetzer-Zusatzstoffe eingesetzt werden müssen. Nicht chemische Verfahren für die Unkrautbekämpfung auf Gleisanlagen sind in der Entwicklung, jedoch noch nicht praxisreif (s. auch Antwort zu Frage 8). Erschwerend kommt hinzu, dass die beiden Alternativwirkstoffe für Glyphosat aus gefahrstoffrechtlicher , toxikologischer und ökotoxikologischer Sicht bedenklicher sind als der Wirkstoff Glyphosat. Wohlgemerkt gelten diese Aussage und die folgende Beschreibung der Eigenschaften für den jeweiligen Wirkstoff in konzentrierter Form, also nicht die verdünnte Spritzflüssigkeit, die ausgebracht wird. Eigenschaften Flumioxazin (Auszug): Kennzeichnung nach Gefahrstoffverordnung: giftig (T), RK050: Sehr giftig für Wasserorganismen, kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 4 haben. RX061: Kann das Kind im Mutterleib schädigen. Auflagen Pflanzenschutzrecht: NW262 Das Mittel ist giftig für Algen, NW264 Das Mittel ist giftig für Fische und Fischnährtiere, NW265 Das Mittel ist giftig für höhere Wasserpflanzen. Eigenschaften Flazasulfuron (Auszug): Kennzeichnung nach Gefahrstoffverordnung: RK050: Sehr giftig für Wasserorganismen, kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben. Auflagen Pflanzenschutzrecht: NW262 Das Mittel ist giftig für Algen, NW265 Das Mittel ist giftig für höhere Wasserpflanzen. Vergleich mit Eigenschaften Glyphosat (Auszug): Kennzeichnung nach Gefahrstoffverordnung: RA161 Enthält Formaldehyd. Kann allergische Reaktionen hervorrufen; RK051 Giftig für Wasserorganismen , kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben. Auflagen Pflanzenschutzrecht : NW262 Das Mittel ist giftig für Algen, NW264 Das Mittel ist giftig für Fische und Fischnährtiere , NW265 Das Mittel ist giftig für höhere Wasserpflanzen. Die DB Netz AG als größtes EIU in Deutschland und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. als Branchenverband bemühen sich gemeinsam, weiterhin die Erforschung und Entwicklung von alternativen Methoden zur Vegetationskontrolle im Gleisbereich voranzutreiben und so mittelfristig den Einsatz von Herbiziden im Gleisbereich überflüssig zu machen. 8. Wenn nicht: Welche bewährten und betriebstauglichen Verfahren sind der Landesregierung für die Freihaltung von Gleisanlagen und Schienenwegen von wuchernden Pflanzenbeständen bekannt? Es gibt zurzeit keine bewährten und betriebstauglichen Verfahren für Gleisanlagen. Bekannte nicht chemische Verfahren im Rahmen des integrierten Pflanzenschutzes wie mechanische (Bürsten-, Rotor-), thermische (Heißdampf-, Heißschaum-, Heißwasser-), Infrarot-Verfahren sind nicht auf den Anwendungsbereich Gleisanlagen adaptiert und zum Teil gar nicht anwendbar. Erste sensorgesteuerte Applikationen für den chemischen Unkrautschutz auf Gleisen sind bereits im Einsatz. Auf die Antwort zu Frage 7 wird verwiesen. 9. Wie beurteilt die Landesregierung die Notwendigkeit der Freihaltung von Schotterbetten an Gleisanlagen von wuchernden Pflanzen mit Bezug auf die Sicherheit des Bahnverkehrs ? Die Unkrautbekämpfung auf verkehrsführenden Schienenwegen ist aus Verkehrssicherungsgründen eine der vorrangigsten Aufgaben von Gleisbetreibern. Wegen der besonderen Eigenschaften des Schotterbettes gilt dies insbesondere für eingeschotterte Gleisanlagen wie sie beispielsweise im Bereich der sogenannten freien Strecke anzutreffen sind. Seit Mai 2015 wurden in Niedersachsen zunächst keine glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittel auf Gleisanlagen gemäß § 12 Abs. 2 PflSchG mehr genehmigt. Die Anwendung der zur Verfügung stehenden Alternativwirkstoffe hat im Zeitraum bis heute nicht zu dem erwünschten Erfolg geführt. Der Anteil verkrauteter Gleisabschnitte hat seitdem in Niedersachsen deutlich zugenommen. Bereits Ende 2016 hat die zuständige Bahnaufsichtsbehörde signalisiert, einige Streckenabschnitte aufgrund starker Verunkrautung und der damit einhergehenden Gefährdung der Verkehrssicherheit stillzulegen. Daraufhin wurde im Jahr 2017 die partielle Anwendung glyphosathaltiger PSM für Gleisanlagen und Anlagen des schienengebundenen Verkehrs unter strengen Auflagen wieder genehmigt. Das Konzept der partiellen Genehmigung sieht vor, dass der Antragsteller verpflichtet wird, vor der Antragstellung seine gesamten Gleisstrecken in folgende drei Kategorien einzuteilen: Gleiskategorie A: besonders stark verunkrautete Gleisabschnitte, Genehmigung der Anwendung eines glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittels im Splittingverfahren zweimal pro Jahr mit jeweils halber Aufwandmenge. Gleiskategorie B: normal verunkrautete Gleisabschnitte, Genehmigung der Behandlung mit den Alternativmitteln Flumioxazin und/oder Flazasulfuron als Wirkstoffe, jeweils eine Anwendung pro Jahr und pro Wirkstoff mit jeweils maximaler Aufwandmenge. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 5 Gleiskategorie C: wenig bis keine verunkrautete Gleisabschnitte, keine PSM-Anwendung geplant, Angabe der Streckenkilometer im Antrag notwendig. Der Gleisbetreiber muss sich demnach bereits im Vorfeld der Beantragung gewissenhaft und verantwortungsbewusst Gedanken machen, welche Gleisabschnitte behandlungsbedürftig sind und welche nicht. Ziel ist es, den Einsatz von PSM insbesondere mit dem Wirkstoff Glyphosat im Sinne des Integrierten Pflanzenschutzes auf das notwendige Mindestmaß zu reduzieren. Anträge mit nicht ausreichender Einteilung in die o. g. Gleiskategorien müssen daher abgelehnt werden. Da die tatsächliche Verunkrautung von Gleisstrecken in der bevorstehenden Vegetationsperiode nicht exakt abgeschätzt werden kann, muss eine Abschätzung auf Basis des Zustands des Vorjahres erfolgen . In 2017 wurden 55 % aller Gleiskilometer privater Gleisbetreiber in Niedersachen nach dem oben beschriebenen Kategorien-Konzept beurteilt und behandelt. Davon wurden 42 % mit glyphosathaltigen PSM behandelt, 41 % mit Alternativmitteln und 17 % der Gleise wurden nicht chemisch behandelt. Niedersächsische Gleiskilometer, für deren Verkehrssicherheit die Deutsche Bahn zuständig ist, sind hier nicht enthalten. Außerdem ist an allen Verkehrs- und Infrastrukturanlagen der niedersächsischen Häfen (aus verkehrssicherungstechnischen Gründen) bedarfsgerecht Aufwuchsbekämpfung durchzuführen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. 10. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Größenordnung der Verunreinigung /Belastung von Gleisschotter durch Herbizide im Allgemeinen und Glyphosat einschließlich des Glyphosat-Abbauproduktes AMPA im Besonderen in Bereichen mit besonderer Nutzung (gemeint sind z. B. Lokabstellgleise, Haltebereiche vor Signalen und in Bahnhöfen, Zungenbereiche von Weichen, Rangierbereiche, Verladestellen, Wartungs -, Reparatur- und Betankungsgleise etc.)? Im Gleisschotterbereich sind bisher keine Untersuchungen auf Glyphosat/AMPA durchgeführt worden , wohl aber in zahlreichen Grundwassermessstellen in der Nähe von Gleisanlagen. Gemäß dem Niedersächsischen Grundwassermonitoring des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz nach Wasserrahmenrichtlinie wurden im Zeitraum 2008 bis 2013 in insgesamt 1 180 beprobten Messstellen ein Befund > 0,1 µg/l und sechs Befunde über der Bestimmungsgrenze ermittelt. Für das Abbauprodukt AMPA, welches auch aus anderen Grundwasserkontaminanten (z. B. Waschmittel) entstehen kann, wurden im Zeitraum 2008 bis 2013 zwei Befunde mit >3 µg/l ermittelt. Im Rahmen von Bauvorhaben der NE EIU sind Einzelfälle bekannt geworden, in denen ausgebauter Gleisschotter wegen umweltgefährdender Rückstände auch aus der vorherigen Anwendung von Herbiziden als Sondermüll entsorgt werden musste. Erkenntnisse über die Größenordnung einer möglichen generellen Belastung von Gleisschotter liegen der Landesregierung nicht vor. 11. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Größenordnung der Verunreinigung / Belastung von Gleisschotter durch Herbizide im Allgemeinen und Glyphosat einschließlich des Glyphosat-Abbauproduktes AMPA im Besonderen im Bereich der sogenannten freien Strecken? Auf die Antwort zu Frage 10 wird verwiesen. 12. Für welche Herbizid-Wirkstoffe/Produkte bestehen derzeit Zulassungen für die Anwendung an/auf Gleisanlagen? Auf die Antwort zu Frage 7 wird verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 6 13. Wie stuft die Landesregierung die Wirkstoffe Flumioxazin und Flazasulfuron im Verhältnis zu Glyphosat bei der Anwendung an/auf Gleisanlagen ein? Auf die Antwort zu Frage 7 wird verwiesen. 14. Mit Bezug auf die Presseinformation von Umweltminister Lies vom 28.11.2017: Welche Herbizide bzw. Wirkstoffe dürfen nach Ansicht der Landesregierung in den nächsten Jahren noch Anwendung auf Gleisbetten finden? Nach Zulassung von Glyphosat für weitere fünf Jahre werden in den kommenden Jahren Glyphosat sowie die beiden Ersatzwirkstoffe Flumioxazin (ein zugelassenes Mittel) und Flazasulfuron (ein zugelassenes Mittel) voraussichtlich zur Verfügung stehen. Im Hinblick auf ein zukünftig zu erwartendes Anwendungsverbot von glyphosathaltigen PSM sind die EIU gehalten, ihre Forschungsaktivitäten zur Entwicklung von alternativen Verfahren zur Unkrautbekämpfung auf Gleisanlagen mit Nachdruck weiterzuentwickeln und zu intensivieren, damit sie zukünftig auch ohne den Einsatz von glyphosathaltigen PSM die Betriebssicherheit der Eisenbahninfrastruktur gewährleisten können. 15. Mit Bezug auf die Presseinformation von Umweltminister Lies vom 28.11.2017: Für welchen Zeitraum dürfen welche Mittel/Herbizide/Wirkstoffe nach Auffassung der Landesregierung noch Anwendung zu Hemmung bzw. Beseitigung von Pflanzenaufwuchs auf Gleiskörpern finden? Auf die Antworten zu den Fragen 7 und 14 wird verwiesen. 16. Auf welche Art und Weise werden derzeit landeseigene Gleisbetten und Hafenanlagen frei von wuchernden Pflanzenbeständen gehalten? Die Eisenbahninfrastruktur der überwiegend im Landeseigentum stehenden Eisenbahnen- und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser GmbH wurde bis 2015 mit glyphosathaltigen Herbiziden von Vegetation frei gehalten. Im Jahr 2016 sind dem Unternehmen die für den Einsatz von Herbiziden auf Gleisanlagen notwendigen Ausnahmen ausschließlich für Herbizide erteilt worden, die kein Glyphosat enthielten. Für 2017 sind diese Ausnahmen je nach Ausmaß des Bewuchses für glyphosathaltige Herbizide und für Herbizide ohne Glyphosat erteilt worden. Im Bereich der Hafenbahnen der Häfen von NPorts und JadeWeserPort werden je nach Lage, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit manuelle, mechanische oder chemische Aufwuchsbekämpfungen durchgeführt. Auf die Antwort zu Frage 9 wird verwiesen. 17. Welche Verkehrs- und Infrastrukturanlagen des Landes Niedersachsen könnten von einem Anwendungsverbot von Pflanzenschutzmitteln, z. B. Herbizide, konkret betroffen sein? Von einem Verbot der Anwendung von Herbiziden auf Nichtkulturland wären folgende landeseigenen Verkehrs- und Infrastrukturanlagen betroffen: – Eisenbahnen- und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser GmbH (260 km Gleislänge), – Hafeneisenbahnen NPorts (94 km Gleislänge), – Hafeneisenbahn JadeWeserPort (14 km Gleislänge). Die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr hat die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in Form von Totalherbiziden bei der Unterhaltung von Bundes-, Landes- und zum Teil Kreisstraßen in den letzten Jahrzehnten bereits in großem Umfang reduziert. An schwer zu- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 7 gänglichen Bereichen, wo mechanische oder thermische Verfahren nicht eingesetzt werden können , erfolgt nach Genehmigung des Pflanzenschutzamtes der Einsatz des Pflanzenschutzmittels GARLON. Glyphosat wird dagegen nicht mehr eingesetzt. Außerdem wären Gleisanlagen und Anlagen des schienengebundenen Verkehrs, Verkehrsflächen im kommunalen Bereich (Straßen, Wege, Plätze, Bürgersteige, Rad- und Wanderwege) und Verkehrsflächen auf Industrie- und Gewerbeflächen betroffen. In vergleichbarer Weise wird sich der Wegfall des Wirkstoffs Glyphosat auf andere unkrautsensible Bereiche auswirken: Dies sind elektrische Umspannwerke, Strommasten und -leitungen, Gas- und Ölförderanlagen. In diesen Bereichen ist eine mechanische Unkrautbeseitigung wegen Feuer- und Explosionsgefahr so gut wie unmöglich. Auch andere nicht chemische Verfahren wie thermische Verfahren oder Infrarottechnik kommen hier nicht infrage. Für diese Flächen stehen lediglich die nicht ausreichend wirksamen Präparate mit den Wirkstoffe Flumioxazin, Pelargonsäure oder Maleinsäurehydrazid /Pelargonsäure zur Verfügung. 18. Ab welchem Jahr ist die Pflege bzw. Unterhaltung sämtlicher Gleisanlagen in Niedersachsen frei von Glyphosat und anderen Herbizidwirkstoffen? Die Eisenbahnbranche hat sich im Rahmen von Gesprächen mit dem Land Niedersachsen verpflichtet , Forschungsprojekte zu initiieren, um Alternativen für den Einsatz von Glyphosat zu entwickeln . Von diesen Forschungsergebnissen hängt es u. a. ab, ob und wann die Pflege der Gleisanlagen ohne den Einsatz von Glyphosat und anderer Herbizidwirkstoffen möglich wird. Eine herbizidfreie effektive Pflege und Unterhaltung von Gleisanlagen des schienengebundenen Verkehrs ist mit dem Stand der heutigen Technik nicht möglich. Auf die Antwort zu Frage 7 wird verwiesen. 19. Ist die Sicherheit von Gleiskörpern aus Schotter trotz des geforderten mittelfristigen Verzichts auf den Einsatz von Glyphosat aus Sicht der Landesregierung gewährleistet? Unter der Voraussetzung, dass geeignete und zugelassene glyphosatfreie Alternativstoffe oder geeignete und zugelassene Alternativmethoden zur Vegetationskontrolle im Gleisbereich zur Verfügung stehen, ist davon auszugehen, dass die Betriebssicherheit der betreffenden Gleisanlagen auch bei einem Verzicht auf den Einsatz glyphosathaltiger Herbizide gewährleistet werden kann. 20. Wird es für den Fall unverhältnismäßiger Pflanzenbestände an Gleisanlagen künftig zu Geschwindigkeitsreduzierungen auf niedersächsischen Gleisstrecken aus Sicherheitsgründen kommen? Bei unverhältnismäßig stark verkrauteten Gleisanlagen können Betriebseinschränkungen - wie beispielsweise Geschwindigkeitsreduzierungen - notwendig werden. 21. Wie stellt sich die Landesregierung die Gewährleistung der Verkehrssicherheit von Gleisanlagen aus Schotter vor, wenn der Einsatz von Glyphosat oder Herbiziden verboten wird? Dies hängt von den Ergebnissen der von der Eisenbahnbranche angestoßenen Forschung ab. Auf die Antwort zu Frage 7 wird verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 8 22. Mit Bezug auf die Presseinformation von Umweltminister Lies vom 28.11.2017: Auf welche konkreten überprüf- und belastbaren Zweifel bezieht sich Umweltminister Lies, wenn er „aufgrund der Zweifel an der Sicherheit des Mittels“ (gemeint ist Glyphosat, Anmerkung des Fragestellers) einen Verzicht aus Vorsorgegründen fordert? Das Vorsorgeprinzip ist anzuwenden, wenn trotz einer umfassenden wissenschaftlichen Bewertung die Besorgnis besteht, dass die möglichen Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit von Menschen , Tieren oder Pflanzen nicht hinreichend bestimmt sind. Zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Glyphosat bestehen unterschiedliche wissenschaftliche Bewertungen. 23. Teilt die Landesregierung die Forderung: „Wir fordern ein klares Verbot von Glyphosat in Deutschland - möglichst vor Ablauf der Fünfjahresfrist“, von Umweltminister Lies, und wenn ja, auf welche wissenschaftliche oder sonstige Grundlage bezieht sich diese Forderung? Da Glyphosat nicht selektiv, sondern gegen alle zum Zeitpunkt der Ausbringung grünen Pflanzen wirkt, ist bei Anwendung dieses Herbizids von einer beträchtlichen Auswirkung auf Nichtzielorganismen auszugehen. Das gilt sowohl im Ackerbau als auch in der Grünlandwirtschaft. Aus landwirtschaftlicher Sicht völlig unproblematische Arten der Ackerbegleitflora werden ebenso getroffen wie die zahlreichen Pflanzenarten einer Wiese oder Weide, wenn z. B. im Rahmen einer Grünlanderneuerung Glyphosat eingesetzt wird und damit die pflanzliche Artenvielfalt der Grünlandnarbe weitgehend und sehr viel stärker als durch mechanische Maßnahmen (Pflugeinsatz) nachhaltig vernichtet wird. Dies gilt insbesondere für mehrjährige Pflanzen, von denen als Beispiel die Acker-Feuerlilie genannt sei. Im Rahmen der Nahrungskette werden sowohl die auf diese Pflanzen angewiesenen Insekten als auch die von letzteren profitierenden Vögel in Mitleidenschaft gezogen. Wegen der großflächigen und regelmäßigen Anwendung und der nicht-selektiven Wirkung auf alle grünen Pflanzen ist davon auszugehen, dass die Glyphosatanwendung nicht unwesentlich am Rückgang der pflanzlichen Artenvielfalt in der Agrarlandschaft beteiligt ist. Da Insekten nicht nur auf ein Blütenangebot über möglichst weite Teile des Jahres angewiesen sind, sondern vielfach auch an speziellen Futterpflanzenarten auftreten, ist ein enger Zusammenhang zwischen dem Rückgang pflanzlicher Artenvielfalt und der Insektenvielfalt und -biomasse, die wiederum für Artengruppen wie z. B. Vögel oder Laufkäfer relevant sind, zu befürchten. So zeigen beispielsweise vergleichende Untersuchungen auf Ackerflächen mit Glyphosatbehandlung und unbehandelten angrenzenden Randstreifen deutliche Unterschiede in der Pflanzenartenvielfalt und im Auftreten von Radnetzspinnen (Snoo 1999, Landscape & Urban Planing Vol. 46; Haughton et al. 1999, Journal of Arachnology 27). 24. Auf welche Herbizide und anderen Pflanzenschutzmittel bezieht sich diese Forderung gegebenenfalls noch (bitte um Auflistung von PSM oder zugelassenem Wirkstoff)? Die Forderung bezieht sich auf den Wirkstoff Glyphosat und glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel. 25. Können die Menschen in Niedersachsen auf ein generelles Verbot aller Pflanzenschutzmittel , bei denen „Zweifel an der Sicherheit“ bestehen, im Laufe der Legislaturperiode rechnen? Auf europäischer Ebene entscheidet die Europäische Kommission über die Zulassung eines Wirkstoffs . Ein Pflanzenschutzmittel kann national in einem Mitgliedstaat nur zugelassen werden, wenn die in ihm enthaltenden Wirkstoffe die europaweite Genehmigung zum Inverkehrbringen gemäß der Verordnung (EG) 1107/2009 besitzen. Muss bei einem Stoff durch dessen vorgesehene Verwendung mit dem Eintritt gefährlicher Folgen gerechnet werden und kann dieses Risiko nicht durch eine wissenschaftliche Bewertung mit hinreichender Sicherheit bestimmt werden, sind zur Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus präventi- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/244 9 ve Entscheidungen, wie z. B. Stoffverbote oder -einschränkungen, erforderlich. Das Vorsorgeprinzip ist bei der Zulassung der Wirkstoffe und der Pflanzenschutzmittel einzuhalten (s. Antwort zu Frage 22). PSM-Wirkstoffen wird auf EU-Ebene im Rahmen der regelmäßigen Wirkstoffüberprüfung die Zulassung entzogen, gegebenenfalls auch partiell, falls sich bei der Überprüfung ein erhöhtes Sicherheitsrisiko herausstellt. Die EU-weite Substitutionsregelung sieht vor, dass solche PSM mit erhöhtem Risiko durch andere risikoarme Mittel ersetzt werden, sofern keine anderen Gründe wie Wirkungsverlust , Resistenzen etc. dagegensprechen. 26. Wenn ja: Bei welchen Pflanzenschutzmitteln oder Wirkstoffen außer Glyphosat sind der Landesregierung „Zweifel an der Sicherheit“ oder „Sorgen vor gesundheitlichen Auswirkungen “ noch bekannt (bitte ausführliche Auflistung)? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 27. Wird sich die Landesregierung für ein umfängliches Herbizidverbot in Haus- und Kleingärten sowie auf sämtlichen öffentlichen Wegen und Plätzen in den nächsten fünf Jahren einsetzen? Gemäß § 12 des Pflanzenschutzgesetzes dürfen Pflanzenschutzmittel auch auf gärtnerisch genutzten Flächen eingesetzt werden. Es handelt sich hierbei um ein Bundesgesetz, das auch für Niedersachsen gilt. Auf öffentlichen Wegen und befestigten Plätzen dürfen Pflanzenschutzmittel mit Einzelfallgenehmigung durch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen eingesetzt werden. Das Ministerium für Ernährung , Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Landwirtschaftskammer Niedersachsen im Mai 2015 per Erlass angewiesen, „bis auf Weiteres keine Genehmigungen für die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel auf Nichtkulturland“ zu erteilen. Laut Erlass kann in begründeten Einzelfällen von dieser Verfahrensweise abgewichen werden. Grundsätzlich wird die neue Landesregierung an diesem Verfahren festhalten. Genehmigungen für den Einsatz anderer Herbizide werden auf Nichtkulturland auch restriktiv erteilt , in erster Linie wenn die Verkehrssicherungspflicht gefährdet ist. Eine Anwendung im Haus- und Kleingartenbereich sollte restriktiver gehandhabt werden. (Verteilt am 06.02.2018) Drucksache 18/244 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Abgeordneter Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Wie können 4 200 km Gleisbett in Niedersachsen ohne die Anwendung von Herbiziden un-krautfrei und verkehrssicher gehalten werden?