Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2465 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Julia Hamburg und Helge Limburg (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung „Verfassungsschützer wollen keinen Bruch mit DITIB“ Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Julia Hamburg und Helge Limburg (GRÜNE)), eingegangen am 16.11.2018 - Drs. 18/2153 an die Staatskanzlei übersandt am 22.11.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 20.12.2018 Vorbemerkung der Abgeordneten Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 09.11.2018 in ihrem Onlineportal, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (kurz: DITIB) bereits im September 2018 als sogenannten Prüffall eingestuft habe, um den Verband mit Geheimdienstmitteln zu überwachen. Das Bundesamt wollte nach dem Bericht gegen DITIP wegen Extremismusverdacht ermitteln, womit der Einsatz von V-Leuten und Abhörmaßnahmen möglich gewesen wären. Nach den Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR haben fast alle Landesämter für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz widersprochen. Besonders die Länder mit großen DITIP-Landesverbänden, wie Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, sollen den Vorstoß des Bundesamts als überzogen kritisiert haben . Dennoch gebe es „eine andere Kritik an DITIP“, „einige DITIP-Imame sollen in Deutschland gegen Kritiker der türkischen Regierung spioniert haben“. Diese Imame im „Rahmen der Spionageabwehr zu beobachten, finde breite Zustimmung“ der Länder. Damit würde der Dialog mit der Organisation nicht abgebrochen und nicht gegen die DITIP ermittelt, sondern gegen Einzelpersonen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll an alle Landesämter ein 66 Seiten umfassendes Dossier zu den Verbindungen der DITIP zur türkisch-nationalistischen Bewegung Milli Görus und zu den Rechtsextremen Grauen Wölfen versandt haben. 1. Ist es richtig, dass die Landesregierung Niedersachsen die DITIP nicht für eine extremistische Organisation hält? Eine Prüfung durch den niedersächsischen Verfassungsschutz ergab, dass aktuell kein ausreichender Anfangsverdacht für eine Beobachtung des DITIB-Landesverbands Niedersachsen/Bremen vorliegt. Sollten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gemäß § 3 NVerfSchG vorliegen, werden diese durch den niedersächsischen Verfassungsschutz bearbeitet. 2. Wann hat es in welcher Form eine Abfrage des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) an den Verfassungsschutz in Niedersachsen zu den extremistischen Tätigkeiten der DITIP in Niedersachsen gegeben? Unter Beteiligung des Verfassungsschutzverbundes prüft das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) aktuell eine Beobachtung des DITIB-Bundesverbandes. Auf die nicht-öffentliche bzw. vertrauliche Unterrichtung der Landesregierung am 18.10.2018 im Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes wird hingewiesen. Hinsichtlich der Thematik erfolgt weiterhin anlassbezogen Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2465 2 eine fortlaufende Unterrichtung des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes durch die Landesregierung. 3. Hat die Landesregierung dem Bundesamt auf eine Anfrage im Sinne der Ziffer 2 oder bei Übersendung des Dossiers zur DITIP mitgeteilt, dass Niedersachsen die geplante Überwachung „für den falschen Weg“ hält? Wenn nein, warum nicht? Siehe Beantwortung zu Frage 2. 4. Wie bewertet die Landesregierung den Vorstoß des Bundesamtes für Verfassungsschutz , die DITIP zu einem Verdachtsfall zu machen? Siehe Beantwortung zu Frage 2. 5. Wie bewertet die Landesregierung die Überlegung, einzelne Imame der DITIP im Rahmen der Spionageabwehr zu beobachten? Grundsätzlich bearbeitet der niedersächsische Verfassungsschutz im Rahmen der Spionageabwehr Verdachtsfälle. Sofern Tatsachen auf eine Spionagetätigkeit einzelner Imame der DITIB hinweisen , nimmt die Spionageabwehr des niedersächsischen Verfassungsschutzes eine entsprechende Verdachtsfallbearbeitung auf. Ein Verdachtsfall im Zusammenhang mit der DITIB liegt in Niedersachsen aktuell jedoch nicht vor. 6. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, bei denen Imame der DITIP in Niedersachsen Kritikerinnen und Kritiker der türkischen Regierung ausspioniert haben (bitte einzelne Zusammenhänge und Hintergründe darlegen)? Zu den bundesweit gegen die DITIB vorgebrachten Spionagevorwürfen ist festzustellen, dass die Ausforschung regimekritischer Einrichtungen und Personen auch durch die DITIB, als verlängerter Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet, erfolgt sein könnte. Es kann von daher nicht ausgeschlossen werden, dass möglicherweise gesammelte Informationen auch an den türkischen Nachrichtendienst MIT weitergegeben worden sein könnten. Zu der Frage, ob es Bespitzelungen von Kritikerinnen und Kritikern der türkischen Regierung durch Imame der DITIB in Niedersachsen gegeben habe, wird zunächst auf die Drucksachen 17/7350 und 17/7588 verwiesen. Im Januar 2017 erreichte die Landesregierung der Hinweis, dass sich der Imam der DITIB-Moschee in Braunschweig im Rahmen des Gebets positiv zu den politischen Entwicklungen in der Türkei geäußert habe. Er sei willens, Gülen-Anhänger und andere Oppositionelle namentlich an türkische Behörden zu melden. Hierzu teilte das BKA im April 2017 mit, dass der GBA hinsichtlich der Verdachtslage bezüglich § 99 StGB (Geheimdienstliche Agententätigkeit) keine Hinweise auf einen Anfangsverdacht sehe. Den niedersächsischen Sicherheitsbehörden liegen darüber hinaus keine Erkenntnisse dazu vor, dass Imame der DITIB in Niedersachsen Kritikerinnen und Kritiker der türkischen Regierung ausspioniert haben. 7. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über Verbindungen der DITIP Niedersachsen zu verfassungsfeindlichen Organisationen? Auf die nicht-öffentliche bzw. vertrauliche Unterrichtung der Landesregierung am 18.10.2018 im Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes wird hingewiesen. Hinsichtlich der Thematik erfolgt anlassbezogen weiterhin eine fortlaufende Unterrichtung des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes durch die Landesregierung. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2465 3 8. Wie hat sich die Zusammenarbeit der Landesregierung mit der DITIP in Niedersachsen seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 im Vergleich zum vorangegangenen Zeitraum verändert? Der DITIB-Landesverband Niedersachsen/Bremen ist einer der langjährigen Partner des Landes Niedersachsen. Die Landesregierung hat von Beginn der Verhandlungen an zum Ausdruck gebracht , dass die Staatsferne der DITIB eine Voraussetzung für die Anerkennung als Religionsgemeinschaft ist, und damit im weiteren Fortgang der Gespräche erwartet, dass sich DITIB strukturell, politisch und ideologisch von der Regierung in der Türkei löst und sich klar von der türkischen Religionsbehörde Diyanet abgrenzt. Vor diesem Hintergrund hatte der Putschversuch vom 15.07.2016 keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Verhältnis des Landes zu DITIB. Belastungen ergaben sich jedoch aus den Berichten öffentlicher Medien, wonach es nach dem Putschversuch zu Spitzeltätigkeiten einzelner Imame und Religionsbeauftragter in den Moscheen gekommen sein soll. Die Landesregierung hat gegenüber dem niedersächsischen DITIB-Landesverband unmissverständlich klar gemacht, dass der niedersächsische DITIB-Landesverband nur dann langfristiger Partner des Landes sein kann, wenn sich der Verband nicht politisch instrumentalisieren lässt. Eine mangelnde Unabhängigkeit des Landesverbandes vom türkischen Staat steht einer Kooperation des Landes mit dem Verband entgegen. Vor diesem Hintergrund begrüßt die Landesregierung jegliche Bestrebungen des DITIB-Landesverbandes , die erforderlichen Veränderungen herbeizuführen, und steht für den Dialog weiterhin zur Verfügung. Für den Bereich der Polizei Niedersachsen bestehen insbesondere allgemeine Kooperationsansätze mit islamischen Organisationen. Dazu gehört, dass auf Ebene der örtlich zuständigen polizeilichen Staatsschutzdienststellen (Polizeiinspektionen) regelmäßig Kooperationsgespräche mit Einflusspersonen bzw. Verantwortlichen islamischer Einrichtungen (z. B. Moscheevereine) stattfinden. Darüber hinaus sind grundsätzlich vertrauensbildende, dem gemeinsamen Dialog dienende Maßnahmen (Präventionsprojekte) mit muslimischen Organisationen und Akteuren vor Ort durch Präventionsfachkräfte (Polizeiinspektionen) vorgesehen. Der Aufbau, die Pflege und der Austausch von und mit Netzwerken anderskultureller und -religiöser Vereine, Gemeinschaften und Einrichtungen betreffen auch die Gemeinden der DITIB. Vor diesem Hintergrund werden seitens der Polizei der Dialog und der Austausch mit niedersächsischen Gemeinden der DITIB auch nach dem in der Frage genannten Ereignis geführt. In der Gesamtschau wird einem Bericht des LKA zufolge seitens der niedersächsischen Polizeidirektionen von einem professionell-sachorientierten sowie vertrauensvollen Umgang mit Angehörigen der DITIB berichtet, sodass im Zuge der nach dem in der Anfrage genannten Ereignis intensivierten polizeilichen Dialogmaßnahmen insofern keine kennzeichnende Veränderung in der Zusammenarbeit konstatiert wird. Allerdings ist mitzuteilen, dass sich in Einzelfällen, aber auch unabhängig von dem genannten Ereignis in der Türkei, die Zusammenarbeit verschlechtert habe. So wurden beispielsweise in den nachfolgenden Monaten in einzelnen Fällen eine angespannte Situation, eine Spaltung der örtlichen „DITIB-Basis“ und die Zurückgezogenheit bzw. ein distanzierter Umgang mit Angehörigen einer Gemeinde registriert sowie der Eindruck einer deutlichen Verschärfung der Sichtweise eines Vorstandes in Religionsfragen gewonnen. Daneben ist aber auch ein Beklagen über zunehmende Anordnungen und Interventionen unterschiedlichster Art durch den DITIB-Bundesvorstand bekannt. Im Einzelfall wurde eine latente, aber deutlich feststellbare Feindseligkeit gegenüber andere Auffassungen vertretenden Türken (z. B. Anhänger der Gülen-Bewegung) und Kurden wahrgenommen . In Niedersachsen wurde im Jahr 2016 die Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI) eingerichtet. Die KIP NI bündelt, institutionalisiert und intensiviert die Aktivitäten und die bereits vorhandenen Netzwerke relevanter Akteure im Bereich der Islamismusprävention in Niedersachsen . Die Arbeit der KIP NI wird durch einen Beirat bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft begleitet, der für den Austausch zu Fragen der Extremismusprävention fungiert. In dem am 17.11.2017 konstituierten Beirat sind muslimische Organisationen vertreten, dazu gehört u. a. der DITIB Landesverband Niedersachsen und Bremen e. V. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2465 4 Im September 2016 wurde vor dem Hintergrund der Ereignisse nach dem Putschversuch in der Türkei mit Einverständnis der Landesverbände DITIB und Schura das Zulassungsverfahren für Bewerberinnen und Bewerber, die im Bereich der muslimischen Gefängnisseelsorge tätig werden wollen , um eine Anfrage beim Landeskriminalamt Niedersachsen erweitert, um sicherzustellen, dass dort oder in den polizeilichen Verbunddateien keine sicherheitsrelevanten Erkenntnisse - auch aus dem Bereich des polizeilichen Staatsschutzes - über die Bewerberin bzw. den Bewerber vorliegen. Bislang gab es bei keiner in der muslimischen Gefängnisseelsorge tätigen Person entsprechende Erkenntnisse. Für die im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung liegenden Themenfelder (z. B. Jugendhilfe, Jugendarbeit, Familienförderung, Integration und Prävention ) ergaben sich auf Ebene der Landesregierung bisher keine Änderungen in der Zusammenarbeit . (Verteilt am 21.12.2018) Drucksache 18/2465 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Julia Hamburg und Helge Limburg (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens „Verfassungsschützer wollen keinen Bruch mit DITIB“