Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2488 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Immer mehr Betrugsfälle mit dem sogenannten Enkeltrick? Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 29.11.2018 - Drs. 18/2224 an die Staatskanzlei übersandt am 03.12.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 20.12.2018 Vorbemerkung des Abgeordneten Am 07.11.2018 informierte die Wolfsburger Polizei in einer Meldung über einen Fall, bei dem ein Ehepaar Opfer sogenannter Ekeltrickbetrüger geworden sei. „Es war gegen 14.30 Uhr, als das Telefon des Rentnerehepaares klingelte. Es meldete sich eine unbekannte weibliche Stimme, die vorgab , die Frau des Enkelsohnes zu sein. Die Unbekannte erklärte mit aufgeregter Stimme, dass der Enkelsohn für den Kauf eines Fahrzeugs Geld benötige. Ein Bekannter würde demnächst vorbeikommen und das Geld abholen. Wenig später erschien der unbekannte Dritte und nahm das geforderte Bargeld an sich. Danach verschwand er in unbekannte Richtung“ (https://www. presseportal.de/blaulicht/pm/56520/4110045). Eine weitere Form dieses Kriminalitätsphänomens ist der sogenannte Polizistentrick, bei dem sich die Betrüger als Polizisten ausgeben und von meist älteren Opfern hohe Summen Bargeld „ergaunern “ (NDR.de, 17.11.2018). „Der Trick funktioniert überraschend häufig. Die Beute liegt laut einem Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA) bei etwa vier Millionen Euro. Das sind 60 %mehr als im gesamten Vorjahr“ (NDR.de, 17.11.2018). Laut dem Bericht des NDR bekomme allein die Polizei Hannover bis zu 48 Hinweise pro Tag. „Das sind allerdings nur die Fälle, die bei der Polizei registriert wurden. Wie viele Betrugsversuche gescheitert sind, ist unbekannt.“ (NDR.de, 17.11.2018). Vorbemerkung der Landesregierung Der sogenannte Enkeltrick ist eine besonders perfide Form des Betrugs, der für Opfer existenzielle Folgen haben kann. Sie können dadurch hohe Geldbeträge verlieren oder sogar um ihre Lebensersparnisse gebracht werden. Mit den Worten „Rate mal, wer hier spricht“ oder ähnlichen Formulierungen rufen Betrüger bei meist älteren und allein lebenden Personen an, geben sich als Verwandte, Enkel oder auch gute Bekannte aus und bitten kurzfristig um Bargeld. Als Grund wird ein finanzieller Engpass oder eine Notlage vorgetäuscht, beispielsweise ein Unfall, ein Auto- oder Computerkauf. Die Lage wird immer äußerst dringlich dargestellt. Oft versuchen die Betrüger, ihre Opfer durch wiederholte Anrufe unter Druck zu setzen und zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Sobald das Opfer zahlen will, wird ein Bote angekündigt, der das Geld abholt. Haben die Betroffenen die geforderte Summe nicht parat, werden sie gebeten, unverzüglich zur Bank zu gehen und dort den Betrag abzuheben. Nicht selten ruft der Täter sogar ein Taxi, wenn das Opfer den Weg nicht mehr zu Fuß bewältigen kann. Besonders betroffen sind allein lebende, ältere Menschen - sie können sich meist nicht mit jemandem aus ihrem näheren Lebenskreis beraten. Hinzu kommen noch weitere Faktoren wie Seh- oder Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2488 2 Hörschwäche: So halten sie schnell die fremde Stimme am Telefon für die eines Verwandten. Auch Vereinsamung, Zerstreutheit und Demenz machen Senioren zu leichten Opfern. 1. Welche verschiedenen Varianten gibt es in diesem Phänomenbereich? Als „Enkeltrick“ werden die Straftaten bezeichnet, bei denen ein Anrufer eine verwandtschaftliche Beziehung (Enkel, Neffe etc.) oder andere soziale Beziehungen (Freunde, Bekannte) vortäuscht, um so an das Geld der Geschädigten zu gelangen. Als spezielle Variante gelten die „Schockanrufe“. Betrüger wenden sie vor allem bei älteren Menschen aus den ehemaligen Sowjetstaaten an. Sie melden sich sehr häufig in russischer Sprache telefonisch und behaupten, dass ein Enkel oder ein anderer naher Verwandter in einen Verkehrsunfall oder in ein Strafverfahren verwickelt sei und sich deshalb im polizeilichen Gewahrsam befände. Gegen Zahlung einer hohen Bargeldsumme würde von einer weiteren Strafverfolgung abgesehen und der Verwandte aus der Haft entlassen werden. Das Geld werde eine Person im Auftrag des Gerichts oder einer Behörde in ziviler Kleidung kurzfristig abholen. Unter dem Oberbegriff „Call-Center-Betrug“ werden Straftaten subsumiert, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass die Anrufer aus Call-Centern anrufen, um unterschiedliche Ausprägungen von Betrugstaten wie Gewinnversprechen, Erlangung von Wertkartencodes oder falsche Polizeibeamte/Amtspersonen zu begehen. Unter dem Phänomen „Call-ID-Spoofing - Betrug durch falsche Polizeibeamte“ werden sämtliche Arten des Betrugs verstanden, bei denen - die Kontaktaufnahme der Täter offensichtlich aus Callcentern stattfindet, - ein arbeitsteiliges Vorgehen der Täter vorliegt bzw. anzunehmen ist und - es sich bei den Geschädigten überwiegend um ältere Menschen handelt, wobei die Art der verwendeten Legende zunächst unerheblich ist. Zur Steigerung der Glaubwürdigkeit, Verschleierung der Identität bzw. des tatsächlichen Aufenthaltsortes wird mittels Technik, des sogenannten Spoofings, eine seriöse deutsche Rufnummer generiert , z. B. die Rufnummer der örtlichen Polizeidienststelle bzw. die Rufnummer 110. 2. Werden diese Betrugsfälle in Niedersachsen besonders statistisch erfasst? Der „Enkeltrick“ und seine in der Antwort zu Frage 1 erläuterten Varianten werden in der nach bundesweit einheitlichen Kriterien erstellten Polizeilichen Kriminalstatistik nicht explizit erfasst; eine Aggregation der Delikte erfolgt grundsätzlich in der Rubrik „Sonstige weitere Betrugsarten“. „Anrufe falscher Polizeibeamter“ können darüber hinaus u. a. unter „Amtsanmaßung“ und „Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen“ erfasst werden. 3. Wie viele Fälle des sogenannten Enkeltricks oder ähnlicher Betrugsformen gab es in Niedersachsen seit 2013? Bitte nach Jahren, Betrugsform und Polizeiinspektionen aufschlüsseln . Valide, über Jahre miteinander vergleichbare Fallzahlenverläufe des „Enkeltricks“ oder ähnlicher Betrugsformen können mithilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht abgebildet werden und liegen insoweit nicht vor (vgl. Antwort zu 2). Sofern im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS spezielle Suchbegriffe (z. B. „Call- ID-Spoofing“) verwendet wurden, lassen sich die Delikte manuell recherchieren. Die nachfolgenden Daten sind mithin nur eingeschränkt aussagekräftig und stellen demzufolge lediglich eine Annäherung an das Hellfeld dar. In diesem Zusammenhang ist das ausgeprägte Dunkelfeld zu berücksichtigen. In der repräsentativen Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamts Nie- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2488 3 dersachsen „Befragung zu Sicherheit und Kriminalität in Niedersachsen 2017“ wurde die Anzeigequote bei Betrugsstraftaten mit 24 % angegeben. „Enkeltrick“ Für die Kalenderjahre 2013 bis 2015 liegen ausschließlich Zahlen auf Landesebene vor: Enkeltrick 2013 2014 2015 Fälle Niedersachsen 508 439 1023 Die Recherche im Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS erbrachte für die Kalenderjahre 2016 und 2017 sowie für den Zeitraum 01.01.2018 bis zum 30.11.2018 folgende Zahlen: Enkeltrick 2016 2017 Bis 11/2018 PD Braunschweig 214 227 116 PI Braunschweig 76 97 43 PI Gifhorn 40 55 35 PI Goslar 9 35 15 PI Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel 60 29 15 PI Wolfsburg/Helmstedt 29 11 8 PD Göttingen 122 103 103 PI Göttingen 61 45 44 PI Hameln-Pyrmont/Holzminden 9 4 7 PI Hildesheim 17 25 16 PI Nienburg/Schaumburg 14 13 16 PI Northeim/Osterode 21 16 20 PD Hannover 127 96 42 PI Burgdorf 29 39 13 PI Garbsen 18 17 7 PI Hannover-Mitte - 1 - PI Hannover-Ost 22 6 8 PI Hannover-Süd 28 6 4 PI Hannover-West 8 13 4 ZKD Hannover 22 14 6 PD Lüneburg 67 110 97 PI Celle 19 19 15 PI Harburg 5 7 13 PI Heidekreis 19 32 26 PI Lüneburg/Lüchow/Uelzen 18 31 28 PI Rotenburg 3 13 10 PI Stade 3 8 5 PD Oldenburg 73 109 191 PI Cloppenburg/Vechta 5 10 21 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2488 4 PI Cuxhaven 4 8 35 PI Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch 8 10 24 PI Diepholz 6 15 28 PI Oldenburg-Stadt/Ammerland 33 41 23 PI Verden/Osterholz 8 7 30 PI Wilhelmshaven/Friesland 9 18 30 PD Osnabrück 53 125 159 PI Aurich/Wittmund - - 7 PI Emsland/Grf. Bentheim 30 28 44 PI Leer/Emden - 2 6 PI Osnabrück 23 95 102 Fälle Niedersachsen 656 770 708 „Anrufe falscher Polizeibeamter“ Die Recherche im Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS erbrachte für die Kalenderjahre 2016 und 2017 sowie für den Zeitraum 01.01.2018 bis zum 30.11.2018 folgende Zahlen: Anrufe falscher Polizeibeamter 2013 2014 2015 2016 2017 Bis 11/2018 PD Braunschweig 7 7 11 18 89 120 PI Braunschweig 2 3 3 6 20 15 PI Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel 3 1 4 3 16 9 PI Gifhorn 1 1 - 1 27 14 PI Goslar 1 1 1 2 12 63 PI Wolfsburg/Helmstedt - 1 3 6 14 19 PD Göttingen 2 10 31 48 162 188 PI Göttingen 1 2 11 15 30 55 PI Hameln-Pyrmont/Holzminden 1 1 4 1 15 20 PI Hildesheim - 5 11 6 37 23 PI Nienburg/Schaumburg - 1 3 20 67 77 PI Northeim/ Osterode - 1 2 6 13 13 PD Hannover 3 45 28 74 98 111 PI Burgdorf - 1 - 9 6 PI Garbsen 3 2 1 - 2 1 PI Mitte - - - - - - PI Ost - 1 1 - 3 1 PI Süd - - - - 7 5 PI West - 1 - 1 3 4 ZKD Hannover - 41 25 73 74 94 Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2488 5 PD Lüneburg 8 26 30 40 544 664 PI Celle 2 - 4 10 79 116 PI Harburg - - 5 11 166 121 PI Lüneburg/Lüchow-Dannenberg/ Uelzen 2 5 2 6 106 103 PI Rotenburg 2 2 9 3 112 148 PI Heidekreis 2 13 7 7 39 52 PI Stade - 6 3 3 42 124 PD Oldenburg 16 73 52 41 1498 2146 ZKI Oldenburg 3 - - - 5 9 PI Cloppenburg/Vechta 2 2 11 9 86 325 PI Cuxhaven 1 1 1 1 30 273 PI Delmenhorst/Oldenburg-Land/ Wesermarsch 1 14 15 2 106 219 PI Diepholz 3 1 8 11 47 183 PI Oldenburg-Stade/Ammerland 2 3 9 13 791 316 PI Verden/Osterholz 3 49 6 2 280 704 PI Wilhelmshaven/Friesland 1 3 2 3 153 117 PD Osnabrück 13 9 84 36 536 717 PI Aurich/Wittmund 2 2 6 1 27 12 PI Emsland/Grafschaft Bentheim 5 - 55 17 234 200 PI Leer/Emden 1 - 8 3 23 7 PI Osnabrück 5 7 15 15 252 498 Fälle Niedersachsen 49 170 236 257 2927 3946 4. Welches Konzept verfolgt die Landesregierung, um diesem Kriminalitätsphänomen entgegenzuwirken? Das Landeskriminalamt Niedersachsen wertet seit mehreren Jahren intensiv die Trickstraftaten zum Nachteil älterer Menschen aus. Das Phänomen „Call-ID-Spoofing – Betrug durch falsche Polizei -beamte“ steht aktuell im besonderen Fokus der dortigen „Zentralstelle Wirtschaftskriminalität“. Die bereits intensivierten Ermittlungen gestalten sich wegen der besonderen Tatumstände und der häufig international agierenden Täter sehr aufwändig. Neben den Ermittlungen ist daher die Prävention dieser Delikte ein Schwerpunkt der polizeilichen Maßnahmen. Die Aufklärung von potenziellen Opfern erfolgt durch gezielte und wiederholte Öffentlichkeitsarbeit der Polizei. Darüber hinaus findet eine enge Zusammenarbeit mit den Kreditinstituten in Niedersachsen statt. Durch die Zentralstelle Prävention des Landeskriminalamts Niedersachsen und das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) wurden Materialien für potenzielle Betroffene und für Mitarbeiter von Banken und Geldinstituten entwickelt, die an die niedersächsischen Polizeidienststellen verteilt wurden und bei Banken und Geldinstituten ausliegen . Warnmeldungen und Hinweise der Polizei werden durch die Bankzentralen gezielt an die Filialen gesteuert. Zudem sind diese Phänomene und deren Präventionsmöglichkeiten Inhalt der Ausbildung von verschiedenen Kreditinstituten. Ein direkter Austausch mit den Banken erfolgt beispielsweise in gemeinsamen Tagungen wie dem „Forum Sicherheit im Bargeldverkehr“, dem „Bankensi- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2488 6 cherheitstag der Volks- und Raiffeisenbanken“ oder den „Sicherheitstagen des Sparkassenverbandes Niedersachsen“. 5. Wie bewertet die Landesregierung, dass diese Form des Betrugs bis dato nicht gesondert in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst wird? Sieht die Landesregierung hier Handlungsbedarf? Über die manuelle Recherche im Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS lässt sich eine grundsätzlich ausreichende phänomenbezogene Erkenntnis herstellen. Demzufolge wurden entsprechende Präventions- und Ermittlungsmaßnahmen bereits initiiert und intensiviert. Ob eine darüber hinausgehende Einführung einer gesonderten Auswertemöglichkeit im Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS einen hinreichenden Mehrwert im Verhältnis zu erhöhten Erfassungsaufwänden erzeugt, wird derzeit geprüft. (Verteilt am 03.01.2019) Drucksache 18/2488 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Immer mehr Betrugsfälle mit dem sogenannten Enkeltrick? Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 29.11.2018 - Drs. 18/2224 an die Staatskanzlei übersandt am 03.12.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 20.12.2018