Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2521 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christoph Plett, Thomas Ehbrecht, Frank Oesterhelweg, Oliver Schatta, Veronika Koch und Laura Rebuschat (CDU) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung Wird die Lernmethode „Lesen durch Schreiben“ („Schreiben nach Gehör“) kritisch überprüft oder abgeschafft? Anfrage der Abgeordneten Christoph Plett, Thomas Ehbrecht, Frank Oesterhelweg, Oliver Schatta, Veronika Koch und Laura Rebuschat (CDU), eingegangen am 05.12.2018 - Drs. 18/2321 an die Staatskanzlei übersandt am 07.12.2018 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung vom 08.01.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Die Bonner Psychologin Una Röhr-Sendlmeier hat im September 2018 die ersten Ergebnisse ihres bereits vier Jahre dauernden Auftrags veröffentlicht, Schreiblernmethoden an Grundschulen zu untersuchen . Darüber berichtete u. a. die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 28.09.2018. In der Bonner Studie wurden die Rechtschreibleistungen von mehr als 3 000 Grundschulkindern in Nordrhein- Westfalen systematisch nach der jeweils angewendeten Lernmethode erfasst und ausgewertet. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder, die mit der Lernmethode „Lesen durch Schreiben“ unterrichtet wurden, am Ende der vierten Klasse 55 %mehr Rechtschreibfehler machten als Kinder, die mit der Methode der Rechtschreibfibel schreiben lernten. Bei der Lernmethode „Lesen durch Schreiben“, besser bekannt als „Schreiben nach Gehör“, schreiben Kinder ab der ersten Klasse so, wie sie meinen, dass es richtig ist. Korrigiert werden sie bis zur dritten Klasse nicht. Erst danach müssen sie die richtige Rechtschreibung erlernen. Bei der Fibel-Methode lernen Kinder ab der ersten Klasse Buchstaben und Wörter schrittweise und rechtschreibkonform . Die Ergebnisse der Bonner Studie führten zu einer Diskussion darüber, ob die Methode des „Schreibens nach Gehör“ noch Anwendung finden sollte. So spricht sich der Deutsche Lehrerverband bundesweit für ein Verbot dieser Schreiblernmethode aus. In Baden-Württemberg und Hamburg wurde die Methode bereits wieder abgeschafft, Nordrhein-Westfalen will sie zukünftig auf das erste Schuljahr begrenzen. Vorbemerkung der Landesregierung Es ist Aufgabe des Kultusministeriums, auf der Grundlage der länderübergreifenden Bildungsstandards verbindliche Rahmenvorgaben für die Schulen zu erlassen und deren Umsetzung zu überprüfen . Mit welchen Methoden die Schulen die verbindlichen Vorgaben realisieren, obliegt dabei der Entscheidung der einzelnen Schule. Mit der zum 01.01.2007 in Kraft getretenen Änderung des § 32 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) wurde den Schulen die Eigenverantwortung übertragen, die sich u. a. auch auf „die Planung, Durchführung und Auswertung des Unterrichts“ bezieht. Zur Evaluation der eigenen Arbeit dienen den Schulen u. a. die Vergleichsarbeiten, die im dritten Schuljahrgang geschrieben werden. Die sich hieraus ergebenden Ergebnisse werden in den Fachkonferenzen ausgewertet, um bestmöglich Verbesserungen herbeizuführen. Zu den Aufgaben der Fachkonferenz in der jeweiligen Grundschule für das Fach Deutsch gehören u. a. die Empfehlung Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2521 2 für Unterrichtswerke und Absprachen zu Lektüren und sonstigen Materialien, die für das Erreichen der Kompetenzen wichtig sind. Das Erlernen der Rechtschreibung ist ein langer Prozess, der mit der Grundschulzeit noch nicht abgeschlossen ist und alle Fächer miteinbezieht. Da unser Schriftsystem als Grundprinzip auf einer weitgehenden Lauttreue basiert, kann gerade im Erstunterricht die starke Motivation der Schülerinnen und Schüler durch freies Schreiben aufgegriffen werden. Erste Schreibversuche, die sich am Klangbild der Worte ausrichten, sind eine Entwicklungsstufe im Prozess des Rechtschreiblernens, die als alphabetische Rechtschreibstufe bezeichnet wird. Die alphabetische Rechtschreibstufe beinhaltet die Einblicke in die Zusammenhänge von gesprochener und geschriebener Sprache auf der Ebene der Laut-Buchstaben-Zuordnungen (lautorientiertes Schreiben). Sie kommt in den ersten ein bis eineinhalb Jahren zur Anwendung und geht über in die orthographische Strategie, zu der das Erkennen und Verwenden orthographisch bedeutsamer Einheiten wie z. B. häufig auftretende Buchstabenkombinationen und Silben gehören. Erst nach der Stufe des lautorientierten Schreibens können die Schülerinnen und Schüler (allerdings schon in der ersten Klasse beginnend) Strategien und Wissen erwerben, um zunehmend normorientiert schreiben zu können. Im Prozess des Schriftspracherwerbs ist es deshalb wichtig, eindeutige Rückmeldungen zu fehlerhaften Schreibungen zu geben, um die Schülerinnen und Schüler auf diesem Weg zu unterstützen. Die sogenannte Methode „Schreiben nach Gehör“ bzw. „Lesen durch Schreiben“ orientiert sich an der alphabetischen Strategie, die die Grundlage des Schriftspracherwerbs darstellt. Die Kinder schreiben nicht nach Gehör, sondern orientieren sich beim Schreiben am Sprechen. Dabei versuchen sie, die Lautkette des Gesprochenen zu gliedern, um den Sprechlauten passende Buchstaben zuzuordnen. Dazu benutzen sie eine Anlauttabelle, die nur ein Hilfsmittel im Unterricht darstellt. Vor diesem Hintergrund bauen die Schulen einzelne Elemente dieser sogenannten Methode zur Unterstützung in den Unterricht ein. In der Praxis kombinieren viele Lehrkräfte verschiedene Methoden. Die „reine Lehre“ der sogenannten Methode „Schreiben nach Gehör“ wendet nach Einschätzung des Kultusministeriums in Niedersachsen fast keine Schule an. Andererseits liegen Anlauttabellen als etabliertes Instrument fast jeder Fibel bei. Auch in den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz ist lautentsprechendes Schreiben als Zwischenschritt zum richtigen Schreiben genannt. Bei allen Methoden, die zum Einsatz kommen, ist es entscheidend, dass die Lehrkraft fachlich ausreichend qualifiziert ist und den theoretischen Hintergrund der von ihr ausgewählten Methodik und Didaktik kennt. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse aus der oben genannten Bonner Studie? Das Untersuchungsdesign der noch nicht veröffentlichten Studie ist nicht bekannt. Es fehlen u. a. konkrete Angaben – zur Auswahl der teilnehmenden Schulen sowie zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten , – zu den Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler, – zum Kompetenzstand der unterrichtenden Lehrkräfte, – zum Verfahren (z. B. ob Unterrichtsbeobachtungen oder Abfragen neben Testungen Grundlage der Studie sind), – zur Beteiligung von Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern sowie – zum Unterrichtseinsatz der verschiedenen Methoden (einzeln oder gemischt). Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2521 3 Zudem kann die Frage, ob die Stichprobenziehung der mehr als 3 000 Kinder aus zwölf Schulen fachlich sinnvoll war und die Studie für den Schreibunterricht bundesweit repräsentativ ist, erst nach der Veröffentlichung festgestellt werden. Zu beachten ist darüber hinaus, dass es keine „Fibelmethode“ gibt, sondern ein breites Spektrum didaktisch-methodisch unterschiedlicher Lehrgänge. Diese unterschiedlichen didaktisch-methodischen Ansätze werden von den Lehrkräften in Abhängigkeit von der jeweiligen Schülerschaft differenziert genutzt. Insofern lassen sich Effekte nicht einfach einem eingesetzten Konzept oder einer Methode zurechnen. Zudem werden auch in der Wissenschaft die unterschiedlichen Ansätze kontrovers diskutiert. 2. Inwieweit plant die Landesregierung, die Lernmethode „Schreiben nach Gehör“ kritisch zu überprüfen oder ganz abzuschaffen? Die durch § 32 Abs. 1 NSchG garantierte Eigenverantwortung der Schulen in Bezug auf die Planung , Durchführung und Auswertung des Unterrichts ermöglicht den Schulen erhebliche Freiräume bei der Gestaltung des Unterrichts. Eine kurzfristige Abfrage des Kultusministeriums unter den Grundschulen ergab jedoch, dass in Niedersachsen in mindestens 90 % der Grundschulen beim Rechtschreiblernen ein fibelbasierter Lehrgang zum Einsatz kommt. Um allen Schülerinnen und Schülern in ihrer individuellen Lernentwicklung gerecht zu werden, bringen die Lehrkräfte darüber hinaus noch weitere, vielfältige Materialien zum Einsatz. Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung nach Abschaffung der Methode „Lesen durch Schreiben“, die in Niedersachsen nie eingeführt und auch nie durch das Land und dessen Institutionen propagiert wurde, aktuell als nicht angebracht sowie auf der Grundlage der Bestimmungen des NSchG schwierig umsetzbar. 3. Inwieweit hält es die Landesregierung für sinnvoll, eine Empfehlung an die Grundschulen auszusprechen, welche Lernmethode sie zur Vermittlung der Rechtschreibkenntnisse priorisiert einsetzen sollten? Mit der Veröffentlichung von Materialien für einen kompetenzorientierten Unterricht im Primarbereich für den Bereich Orthografie hat das Kultusministerium bereits 2015 den Grundschulen Materialien zur Verfügung gestellt, die die beiden den Unterricht bestimmenden Reflexionsebenen Planung und Auswertung miteinander in Beziehung setzen: – Planung eines kognitiv anregenden, fachlich sachangemessenen und lerngruppenbezogenen Unterrichts sowie – Auswertung des durchgeführten Unterrichts: regelmäßige Vergewisserung der tatsächlich erreichten Kompetenzen bei allen Schülerinnen und Schülern. Ausgehend von Ausführungen zur Struktur der Orthografie und dem Rechtschreiblernen als Entwicklungsprozess bieten im Orthografieband ein Orientierungswortschatz und ein Kapitel zur Diagnostik Unterstützung für die Planung von Aufgaben zum Kompetenzerwerb oder zur Kompetenzüberprüfung . Weitere Kapitel sollen dazu beitragen, eine didaktische und fachübergreifende Einordnung des Bereichs Rechtschreibung zu ermöglichen. Sie enthalten eine Übersicht zu Konzepten für das Rechtschreiblernen mit ihren Möglichkeiten und Risiken sowie von Ausblicken auf die Rechtschreibung in anderen Fächern und auf das Rechtschreiben ab dem 5. Schuljahrgang. Das Kerncurriculum für das Fach Deutsch für die Grundschulen ist kürzlich überarbeitet worden und trat zum 01.08.2017 in Kraft. Darin findet der Bereich Orthografie eine stärkere und deutlichere Betonung, indem u. a. eindeutige Festlegungen zum Rechtschreibkönnen aufgeführt sind. Auch das Üben erfährt eine veränderte Bedeutung. So sollen durch das Hervorheben von Wiederholung und Vertiefung Basiskompetenzen gesichert werden. Es ist das Ziel am Ende der Grundschulzeit, Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2521 4 dass die Schülerinnen und Schüler grundlegende Rechtschreibregeln und -techniken sowie Rechtschreibstrategien kennen und anwenden können. Folgende weitere unterstützende Maßnahmen befinden sich aktuell in der Vorbereitung: – Einführung des Programms „Lesen macht stark“: Zielsetzungen des Programms sind u. a. das frühzeitige Erkennen der Kinder mit Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb, die Ableitung individueller Förderung und die Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Das Programm kann schulformübergreifend etabliert werden und hat nachweislich positive Effekte auf die Kompetenzentwicklung im Bereich Lesen und Schreiben. – Erarbeitung und Bereitstellung exemplarischer Lernaufgaben: Exemplarische Aufgaben für das Fach Deutsch sowie didaktisch-methodische Hinweise und Korrekturangaben sollen durch eine Kommission aus Fachlehrkräften erarbeitet werden. Konkrete Empfehlungen seitens des Kultusministeriums zu Methoden zur Vermittlung der Rechtschreibfertigkeiten sind nicht geplant. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. (Verteilt am 10.01.2019) Drucksache 18/2521 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christoph Plett, Thomas Ehbrecht, Frank Oesterhelweg, Oliver Schatta, Veronika Koch und Laura Rebuschat (CDU) Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums Wird die Lernmethode „Lesen durch Schreiben“ („Schreiben nach Gehör“) kritisch überprüft oder abgeschafft?