Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2525 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Praxis der Abschiebungshaft in Niedersachsen seit 2015 Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 05.12.2018 - Drs. 18/2320 an die Staatskanzlei übersandt am 07.12.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 08.01.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten In der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage zur Praxis der Abschiebungshaft (Bundesratsdrucksache 19/5817 vom 16.11.2018), die auf Rückmeldungen der Länder basiert, finden sich folgende Informationen zu Niedersachsen: In Niedersachsen befanden sich seit 2015 in jedem Jahr 13, 11 bzw. 10 Personen länger als sechs Monate in Abschiebungshaft. Ausschließlich in Niedersachsen wurden seit 2015 Minderjährige in Abschiebungshaft genommen. In 2015 waren es acht, in 2016 14, in 2017 16 und im ersten Halbjahr 2018 acht Minderjährige. Die Neue Osnabrücker Zeitung berichtete am 30.11.2018, die zwecks Beantwortung der Großen Anfrage von der Landesregierung an die Bundesregierung übermittelten Zahlen zu minderjährigen Inhaftierten in der Abschiebungshaft seien aufgrund eines Büroversehens falsch, und Niedersachsen habe keine minderjährigen Flüchtlinge in Abschiebungshaft genommen. Tatsächlich würden unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehende Elternteile mit schulpflichtigen und minderjährigen Kindern grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft genommen. Das habe die Landesregierung auf Nachfrage der Zeitung mitgeteilt. Im juristischen Wortgebrauch werden die Wörter „Grundsatz“ und „grundsätzlich“ relativierend verwendet - als übliche Richtschnur, von der in Einzelfällen auch abgewichen werden kann (siehe auch den Eintrag „Grundsatz“ bei WIKIPEDIA.de). Vorbemerkung der Landesregierung Die Daten aus Niedersachsen, die für die Beantwortung der Großen Anfrage zur Praxis der Abschiebungshaft - Bundesratsdrucksache 19/5817 - an den Bund übermittelt worden sind, waren aufgrund eines Büroversehens fehlerhaft. Diese Daten sind mittlerweile korrigiert und für die Erstellung der endgültigen Antwort auf die parlamentarische Anfrage an den Bund gesandt. In Niedersachen sind in den Jahren 2015 bis 2018 keine Minderjährigen in Abschiebungshaft genommen worden. Im Jahr 2017 befanden sich zwei Personen mehr als sechs Monate in Abschiebungshaft . Anträge auf Erlass von Abschiebungshaft werden von den Ausländerbehörden auf Grundlage der individuellen Umstände des Einzelfalls beim zuständigen Amtsgericht gestellt. Die Ausländerbehörden werden hierbei in eigener Zuständigkeit tätig. Das Innenministerium hat in der Regel keine Kenntnis von diesen Einzelfällen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2525 2 1. Wie lauten die korrekten Zahlen zu den minderjährigen Abschiebungsgefangenen? Wie viele Minderjährige waren also jeweils in den einzelnen Jahren seit 2015 in Niedersachsen wo genau, also in welcher Einrichtung, in Abschiebungshaft? Wie alt waren diese? Wie viele der Minderjährigen in Abschiebungshaft waren unbegleitet? Wie viele und welche Begleitpersonen waren in jedem einzelnen Fall jeweils mit den Minderjährigen in Abschiebungshaft? Bitte mit Angaben zu Geschlecht und Herkunftsstaat. Es wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. 2. Wie definiert die Landesregierung „grundsätzlich“ in diesem Zusammenhang? Ist definitiv ausgeschlossen, dass in Niedersachsen unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehende Elternteile mit schulpflichtigen oder minderjährigen Kindern in Abschiebungshaft genommen werden? Falls nein, welche Ausnahmen und welche Gründe für Ausnahmen gab es jeweils in den einzelnen Jahren seit 2015 für die einzelnen Personengruppen? Bitte mit Angaben zu Geschlecht, Alter, Herkunftsstaat, Stadium der Schwangerschaft, Anzahl der beteiligten Familienmitglieder. Es besteht der Grundsatz, keine vulnerablen Personen in Abschiebungshaft zu nehmen. In besonders gelagerten Einzelfällen kann von diesem Grundsatz abgewichen werden, beispielsweise bei Vorliegen einer erheblichen Straffälligkeit einer Person, die kurz vor Erreichen der Volljährigkeit steht und bei der eine Fluchtgefahr begründet werden kann. Seit 2015 sind keine unbegleiteten Minderjährigen, Familien oder alleinerziehenden Elternteile mit schulpflichtigen oder minderjährigen Kindern in Abschiebungshaft genommen worden. Im September 2018 wurde im Rahmen der Amtshilfe für ein anderes Bundesland die Abschiebungshaft bei einer schwangeren Person vollzogen. Dieser Einzelfall war Anlass, die Aufnahmebedingungen in Langenhagen für die anderen Bundesländer um den Zusatz zu erweitern, dass unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehende Elternteile mit schulpflichtigen und minderjährigen Kindern in der Abteilung Langenhagen nicht angenommen werden. 3. Welche rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere auch Erlasse der Landesregierung , gelten für Minderjährige in Abschiebungshaft, und wurden diese eingehalten? Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Erlass von Abschiebungshaft finden sich in § 62 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). In den „Rechtlichen Hinweisen und verfahrensmäßigen Vorgaben zur Organisation und Durchführung des Rückführungs- und Rücküberstellungsvollzugs (Abschiebung) und zur Beantragung von Abschiebungshaft“ vom 24.08.2016, dem sogenannten Rückführungserlass, ist unter Nr. 7.6 geregelt , dass unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehenden Elternteile mit schulpflichtigen und minderjährigen Kindern grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft zu nehmen sind. Die Landesregierung sowie der nachgeordnete Bereich handeln auf Grundlage des geltenden Rechts. 4. Warum lautet die Formulierung im sogenannten Rückführungserlass vom 24.08.2016 unter 5.1 „Deshalb ist bei der Vorbereitung der Abschiebung sicherzustellen, dass die Interessen der Betroffenen umfassend berücksichtigt werden, insbesondere wenn es sich um besonders betreuungsbedürftige Personengruppen, wie Familien oder alleinerziehende Elternteile mit schulpflichtigen oder minderjährigen Kindern, Schwangere, unbegleitete Minderjährige, lebensältere, behinderte oder erkrankte Personen handelt .“, hingegen aber unter 7.6 „Unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien oder alleinerziehende Elternteile mit schulpflichtigen und minderjährigen Kindern sind Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2525 3 grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft zu nehmen.“? Sind nach 7.6 also nur Familien oder alleinerziehende Elternteile, die schulpflichtige minderjährige Kinder haben, nicht in Abschiebungshaft zu nehmen, oder genügt allein die Schulpflichtigkeit oder die Minderjährigkeit ? Im letzteren Fall: Wird die Landesregierung den Erlass korrigieren, indem sie das „und“ durch ein „oder“ ersetzt? Der Rückführungsvollzug in Niedersachsen wird unter Beachtung humanitärer Aspekte durchgeführt . Dabei ist darauf zu achten, dass die Belastungen, die mit einer zwangsweisen Rückkehr verbunden sind, für alle Beteiligten so gering wie möglich ausfallen. Wenn die Durchsetzung einer Abschiebung im Einzelfall allerdings nur aus der Abschiebungshaft sichergestellt werden kann, ist dieses gesetzlich vorgesehene Instrument unter Maßgabe der Vorgaben des Rückführungserlasses anzuwenden. Der Regelungsgehalt in der Nr. 7.6 des Rückführungserlasses erstreckt sich darauf, dass Minderjährige und schulpflichtige Minderjährige grundsätzlich nicht in Abschiebungshaft zu nehmen sind. Soweit schulpflichtige Kinder bereits die Volljährigkeit erreicht haben, wird unabhängig von den übrigen Familienmitgliedern entschieden. Eine klarstellende Erläuterung wird den Ausländerbehörden vorsorglich übermittelt werden. 5. In wie vielen Fällen wurden jeweils in den einzelnen Jahren seit 2015 die Minderjährigen aus der Abschiebungshaft heraus abgeschoben? Bitte mit Angaben zu Herkunftsstaaten . Es wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. 6. Warum ist die Tendenz steigend, und mit welcher Zielsetzung oder Perspektive geht die Landesregierung an das Thema „Minderjährige in Abschiebungshaft“ heran? Es wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. 7. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen bzw. wird sie noch ergreifen, um Minderjährige in Abschiebungshaft zu schützen, ihnen eine altersgerechte Umgebung zu bieten und zu vermeiden, dass Minderjährige überhaupt in Abschiebungshaft genommen werden? Vom Grundsatz, Minderjährige nicht in Abschiebungshaft zu nehmen, kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn von dem minderjährigen Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht. In diesen Fällen kann gemäß § 62 a Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Abschiebungshaft auch in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden. 8. Wie viele Minderjährige waren jeweils in den einzelnen Jahren seit 2015 aus Niedersachsen und wie viele aus anderen und welchen Bundesländern in Abschiebungshaft? Bitte mit Angaben zu Geschlecht und Herkunftsstaat. Es haben sich im gefragten Zeitraum keine Minderjährigen in Abschiebungshaft in der Justizvollzugsanstalt Hannover, Abteilung Langenhagen befunden. Soweit Ausländerinnen oder Ausländer aus anderen Bundesländern in Niedersachsen in Abschiebungshaft genommen werden sollen, ist eine Inhaftnahme von Minderjährigen ausgeschlossen. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2525 4 9. Warum befanden sich Personen länger als sechs Monate in Abschiebungshaft? Die Dauer der Abschiebungshaft ist gesetzlich geregelt und wird auf Grundlage der individuellen Umstände des Einzelfalls vom Haftrichter verhängt. Zu den zwei Fällen im Jahr 2017 liegen der Landesregierung keine näheren Erkenntnisse vor. 10. War in allen Fällen, in denen die Haft länger als sechs Monate dauerte, die gesetzliche Voraussetzung erfüllt, dass die inhaftierte Person ihre Abschiebung verhinderte? Wie viele dieser Inhaftierungen erfüllten diese Voraussetzung nicht oder stellten sich als rechtswidrig heraus und gegebenenfalls aus welchen Gründen? Es wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. 11. Welche Gründe gibt es dafür, in Fällen der Verhinderung der Abschiebung durch die inhaftierte Person die Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus zu verlängern? Hält die Landesregierung diese Verlängerungsmöglichkeit für verhältnismäßig oder für eine Art Sanktionierung der Abschiebungsverhinderung? Bitte begründen. Die Gründe für eine Verlängerung der Abschiebungshaft, die im Verhalten der betroffenen Person liegen, sind individuell und werden vom Haftrichter bewertet. Ein solches Verhalten kann insbesondere dann vorliegen, wenn die betroffene Person durch Vernichtung von Dokumenten die Abschiebung zu verhindern versucht. Abschiebungshaft ist keine Strafe. Sie dient entweder der Vorbereitung der Ausweisung oder - in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle - zur Sicherung der Abschiebung. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Jede Anordnung und jede Entscheidung über die Verlängerung der Haft ist vom Richter unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu treffen. 12. Welche Mittel sind in den einzelnen Fällen, in denen die Abschiebungshaft länger als sechs Monate dauerte, der Abschiebungshaft vorausgegangen, um dem Anspruch, Abschiebungshaft nur als letztes Mittel einzusetzen, zu genügen? Dazu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. (Verteilt am 11.01.2019) Drucksache 18/2525 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Praxis der Abschiebungshaft in Niedersachsen seit 2015 Anfrage der Abgeordneten Anja Piel und Belit Onay (GRÜNE), eingegangen am 05.12.2018 - Drs. 18/2320 an die Staatskanzlei übersandt am 07.12.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 08.01.2019