Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2624 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Andrea Schröder-Ehlers (SPD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung „Fuel Dumping“ über Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Andrea Schröder-Ehlers (SPD), eingegangen am 13.12.2018 - Drs. 18/2415 an die Staatskanzlei übersandt am 18.12.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung namens der Landesregierung vom 18.01.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten In der Süddeutschen Zeitung war am 28. November 2018 zu lesen, dass militärische sowie zivile Luftfahrzeuge bei Notfällen im Landeanflug massenhaft Kerosin ablassen. Dies passiert auch über besiedelten Gebieten. Vorbemerkung der Landesregierung Verkehrsflugzeuge sind in einer Vielzahl von Fällen so konstruiert, dass ihr maximales Startgewicht deutlich höher als ihr maximal zulässiges Gewicht für Landungen ist. Dies gilt insbesondere für Verkehrsflugzeuge, die auf Langstreckenflügen eingesetzt werden und daher im Verhältnis zu ihrem Gesamtgewicht überdurchschnittlich große Mengen Kerosin mit sich führen können. Die auf das jeweilige Flugzeug bzw. seine einzelnen Komponenten wirkenden physikalischen Kräfte sind bei Starts geringer als diejenigen bei Landungen. Diese Konstruktionsweise ist im Normalbetrieb unproblematisch, da das Gesamtgewicht des Verkehrsflugzeugs aufgrund des Kerosinverbrauchs während der vorgesehenen Flugstrecke unter den Wert des maximal zulässigen Landewichts absinkt . Technisch wäre es möglich, Konstruktionen zu schaffen, bei denen das maximal zulässige Landegewicht dem maximalen Startgewicht entspricht. Eine solche Vorgabe ist jedoch unter wirtschaftlichen wie auch Umweltgesichtspunkten abzulehnen. Denn sie würde konstruktionstechnisch zu einem erheblich höheren Flugzeuggewicht führen. Dies wiederum bedeutete einen erhöhten Kerosinverbrauch und damit einhergehend erheblich höhere Emissionen von Kohlenstoffdioxid (CO2) bei jedem einzelnen Flug. Ist eine Flugzeugführerin/ein Flugzeugführer eines Verkehrsflugzeugs aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse (Notfälle) im Einzelfall gezwungen, einen anderen Zielflughafen als den ursprünglich geplanten anzusteuern und liegt dieser von der Flugstrecke her soweit vor dem geplanten Zielort, dass im Zeitpunkt der Landung das maximal zulässige Landegewicht noch überschritten würde, ist vorgesehen, das jeweilige Flugzeug rechtzeitig vor Einleitung des Landevorgangs zu enttanken. Dieses dient der erforderlichen Gewährleistung der Sicherheit von Menschen an Bord des Verkehrsflugzeugs sowie am Boden. Liegt ein solcher Notfall vor, meldet die Besatzung des Verkehrsflugzeugs der Deutschen Flugsicherung (DFS) Informationen zu der geplanten Enttankung (u. a. Position, Zeit und Flughöhe, Grund für den Treibstoffablass, Beginn, Dauer und Menge des Treibstoffablasses ). Daraufhin identifiziert die Lotsin/der Lotse der DFS im Austausch mit der Pilotin/dem Piloten ein verkehrsarmes Gebiet, um den Treibstoffablass in einer Mindesthöhe von 6 000 ft (1 800 m) über Grund störungsfrei zu ermöglichen. Ist dieses Gebiet erreicht, folgt ein Treibstoffablass bei einer Geschwindigkeit (in der Regel) von 600 bis 700 km/h über Ventile an den Flügeln des Verkehrsflugzeugs. Deutschlandweit ist es in den Jahren von 2010 bis 2017 pro Jahr durch- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2624 2 schnittlich zu lediglich 18 Treibstoffablässen gekommen, wobei durchschnittlich ca. 500 t Kraftstoff pro Jahr abgelassen worden sind (vgl. Deutscher Bundestag, Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen 18/9571 und 19/367, Antwort-Drucksachen 18/9917 und 19/477). Die Frage nach den Umweltauswirkungen durch das Ablassen von Kerosin wurde in der Vergangenheit immer wieder kontrovers diskutiert. In den vergangenen Jahren wurden daher verschiedentlich Messungen vorgenommen, um zu ermitteln, ob und - wenn ja - in welchen Mengen nach Treibstoffschnellablässen Kerosinbestandteile am Boden ankommen. Trotz des Einsatzes empfindlicher Analyseverfahren konnten bisher keine Anhaltspunkte für eine relevante Kontamination des Bodens oder von Pflanzen durch Kerosin nach Treibstoffschnellablässen erbracht werden. Eine Zusammenstellung bisheriger Untersuchungen ist dem Sachstandsbericht „Zu Umweltauswirkungen durch Treibstoffschnellablass“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags (WD 8-3000-049/17, 28.12.2017) zu entnehmen. 1. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse zu Häufigkeit und Menge zum Enttanken („Fuel Dumping“) von Flugzeugen insbesondere beim Landeanflug auf den Flughafen Hamburg und durch die über Niedersachsen anfliegenden Flugzeuge in den vergangenen Jahren vor? Für die Jahre 2010 bis 2017 wird auf die in der Vorbemerkung genannten Bundestagsdrucksachen verwiesen. Seit dem 01.01.2018 werden die Fälle von Treibstoffschnellablässen (auch unter Angabe der abgelassenen Treibstoffmengen) von der DFS an das Luftfahrtbundesamt zur Veröffentlichung gemeldet und sind unter https://www2.lba.de/data/fueldumping/fueldumping.pdf für die Öffentlichkeit abrufbar. Hieraus ergeben sich für 2018 zwei Fälle von Treibstoffschnellablässen mit einer Gesamtmenge von 61 t abgelassenem Treibstoff, die zumindest zum Teil über niedersächsischem Gebiet erfolgt sind. 2. Was passiert mit dem abgelassenen Treibstoff, und wie ist dieser auf der Erdoberfläche wahrnehmbar? Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die bereits zitierte Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Titel „Ablassen von Treibstoff durch Militärflugzeuge und zivile Luftfahrzeuge“ (BT-Drucksache 18/9917 vom 06.10.2016, dort Frage 4) verwiesen. Diese basiert im Wesentlichen auf einem Planfeststellungsbeschluss vom 13.08.2004 für den Ausbau des Verkehrsflughafens Schönefeld des Ministeriums für Stadtentwicklung , Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg. Dieser stellt unter den Entscheidungsgründen dar, dass beim Treibstoffschnellablass das Kerosin mit Hochleistungspumpen in kleinste Tröpfchen verwirbelt und von den Turbulenzen hinter dem Flugzeug zu einem feinen Nebel verteilt wird. Außerdem heißt es dort weiter: „Bei einer angenommenen Fluggeschwindigkeit von 450 km/h und einer Gesamtablassrate mittels Schnellablassventilen von 1 600 Kilogramm pro Minute sowie einer unterstellten Verteilungsbreite von einem Kilometer errechnet sich eine Verdünnung des abgelassenen Treibstoffs auf 0,21 Gramm je Quadratmeter. Der weitaus größte Teil des Nebels sinkt jedoch nicht zu Boden, sondern verdunstet noch in den höheren Luftschichten und verbleibt in der Atmosphäre, bis er durch die Strahlungsenergie der Sonne in Wasser und Kohlendioxid umgewandelt wird. Bei einem Treibstoffschnellablass in der Mindestflughöhe von 1 500 Metern, bei Windstille und einer Bodentemperatur von 15° Celsius sind es rechnerisch ca. 8 % der insgesamt abgelassenen Treibstoffmenge , die den Erdboden erreicht. Damit lässt sich eine theoretische Bodenbelastung von 0,02 Gramm Kerosin pro Quadratmeter ermitteln.“ Die bei dieser modellhaften Betrachtung vorausgesetzte völlige Windstille ist unter realen Bedingungen allerdings äußerst unwahrscheinlich. Bereits geringe Luftbewegungen und die damit verbundene Durchmischung der Luft bewirken, dass der freigesetzte Treibstoff praktisch vollständig verdampft, ehe er den Boden erreichen kann. Auf diese Betrachtung stützt sich auch das Landesamt für Umwelt des Landes Rheinland-Pfalz in seinem schriftlichen Bericht zum Thema „Risiken von abgelassenem Kerosin für Gesundheit und Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2624 3 Umwelt“ für den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr des Landtages Rheinland-Pfalz. Darin führt das Landesamt weiter aus, dass sich rechnerisch je nach Bodentiefe ein Gehalt von ca. 0,1 mg bzw. von ca. 0,03 mg Kerosin je kg Boden ergeben würde und somit selbst mit den empfindlichsten , validierten und normierten Analysenverfahren der Bodenanalytik nicht nachweisbar sei. Die Berechnung fußt auf einer Bodentiefe von 0 bis 10 cm bzw. 10 bis 35 cm (Beprobungstiefe „Kinderspielfläche , Wohngebiet“ gemäß Anhang 1, Tabelle 1, Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung [BBodSchV]) einer angenommenen Bodendichte von 2 mg/m3 und einer homogenen Verteilung des Kerosins auf einer Fläche von 1 m2. Aus Sicht des vorsorgenden Bodenschutzes sind nach Auffassung des Landesamts für Umwelt des Landes Rheinland-Pfalz unter den zuvor genannten Annahmen und Voraussetzungen keine nachteiligen Effekte zu erwarten. Der Niedersächsischen Landesregierung liegen derzeit keine anderslautenden Hinweise vor. Zur weiteren wissenschaftlichen Aufarbeitung der Thematik hat die Umweltministerkonferenz den Bund im Mai 2017 zur Durchführung einer aktuellen Bewertung zu Umfang und Auswirkungen von Treibstoffablässen auf Umwelt und Gesundheit auf Grundlage neuester wissenschaftlicher Grundlagen aufgefordert. Das Forschungsvorhaben befindet sich seit Februar 2018 in der Umsetzung durch das Umweltbundesamt (UBA). Dieses hat ein Forschungsvorhaben zu „Wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Rückständen/Ablagerungen von Kerosin nach dem sogenannten Fuel dumping“ beauftragt. Neben der Zusammenstellung von Ergebnissen aus Messprogrammen werden in dem benannten Vorhaben des UBA Modelle unterschiedlicher Szenarien bezüglich ihrer Auswirkung von Treibstoffablass auf Böden und Gewässer abgeleitet und bewertet. Die Veröffentlichung des o. g. Forschungsvorhabens des UBA bleibt abzuwarten. 3. Besteht ein Gesundheitsrisiko für Menschen? Flugturbinenkraftstoff kann Benzol enthalten, das für den Menschen eine kanzerogene (krebserregende ) Wirkung hat. Ferner sind bei Kontakt mit Benzol Schleimhautreizungen im Mund- und Rachenraum oder im Magen-Darm-Trakt sowie Reizungen der Augen und der Haut bekannt. Diese Effekte sind jedoch konzentrationsabhängig. Inwieweit relevante Konzentrationen der abgelassenen Treibstoffmenge beim Menschen ankommen können, ist abhängig u. a. von der Ablasshöhe , den Witterungsbedingungen (UV-Einstrahlung, Verwirbelungen), Abbauprozessen in der Luft sowie der Fluggeschwindigkeit. Ergänzend hierzu wird auch auf die Vorbemerkung sowie die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Der Landesregierung liegen keine Informationen vor, die darauf hindeuten, dass bei erfolgten Kerosinablässen über niedersächsischem Gebiet Konzentrationen erreicht worden wären, die zu unmittelbaren oder zu mittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit geführt haben könnten oder führen können. Im Übrigen wird auf die in der Vorbemerkung genannten Ausführungen der Bundesregierung (BT-Drucksache 18/9917, Antwort zu der dortigen Frage 8) verwiesen. Insoweit hat die Bundesregierung dargestellt, dass die bei Treibstoffschnellablässen erreichten Konzentrationen auf den Menschen wirkenden Kerosins bei weitem nicht geeignet seien, gesundheitsschädliche Wirkungen hervorzurufen. Zu aktuellen Untersuchungen durch das UBA wird im Übrigen auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen . (Verteilt am 22.01.2019) Drucksache 18/2624 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Andrea Schröder-Ehlers (SPD) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung „Fuel Dumping“ über Niedersachsen?