Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/271 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung „Geheimprojekt Tempo-Kontrolle“ (NP, 28.12.2017): Wie ist der Sach- und Planungsstand bezüglich der Geschwindigkeitsabschnittsüberwachung „Section Control“? Anfrage des Abgeordneten Jörg Bode (FDP), eingegangen am 08.01.2018 - Drs. 18/138 an die Staatskanzlei übersandt am 16.01.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 08.02.2018, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung des Abgeordneten Die Neue Presse berichtete am 28.12.2017, dass noch immer kein Starttermin für den bundesweit ersten Pilotversuch bezüglich einer Geschwindigkeitsabschnittsüberwachung namens „Section Control“ in Sicht sei. In der Drucksache 17/5855 führt die Landesregierung aus, dass es für solche Vorhaben keine Rechtsgrundlage gebe und eine solche Technik in Deutschland nicht zugelassen werden könne. Das Unterfangen „Section Control“ läuft seit über drei Jahren und sollte eigentlich im Sommer 2016 an den Start gehen. Vorbemerkung der Landesregierung In der Vorbemerkung des Abgeordneten werden die Ausführungen der Landesregierung in der Drucksache 17/5855 nicht korrekt wiedergegeben, was zu fehlerhaften Annahmen führt. Insoweit bedarf es zur Klarstellung zunächst der nachfolgenden Korrektur. Die Landesregierung hat in der besagten Drucksache keineswegs ausgeführt, dass eine solche Technik wie Section Control in Deutschland nicht zugelassen werden könne. Vielmehr wurde darauf verwiesen, dass diese Technik in Deutschland noch nicht zugelassen ist. Das ist ein entscheidender Unterschied. Zum Zulassungsverfahren wird im Folgenden weiter Stellung genommen. Auch die vermeintlichen Ausführungen der Landesregierung zur Rechtsgrundlage für diese Technik sind so nicht zutreffend wiedergegeben. In der Drucksache 17/5855 wird vielmehr ausgeführt, dass das Ministerium für Inneres und Sport (MI) und die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) darin übereinstimmen, dass für den dauerhaften Einsatz einer Section-Control-Anlage eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen werden muss. Ausgeführt wird aber auch, dass MI und LfD sich ebenfalls einig sind, dass ein Einsatz von Section Control zu Erprobungszwecken unter bestimmten Voraussetzungen vertretbar ist, auch ohne Vorliegen einer spezifischen Rechtsgrundlage. Zentraler Bestandteil der Verkehrssicherheitsstrategie der niedersächsischen Polizei im Rahmen der Verkehrssicherheitsinitiative 2020 ist die Überwachung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, die nachweislich einen erheblichen Einfluss auf die Abnahme von Unfallhäufigkeit und -schwere hat. Für längere Straßenabschnitte mit einer signifikanten Häufung schwerer, geschwindigkeitsbedingter Verkehrsunfälle ist die Überwachung jedoch nur bedingt geeignet, da die Verkehrsunfälle sich häufig auf einem mehrere Kilometer langen Streckenabschnitt verteilen. In der Konsequenz müssten stets mehrere stationäre oder mobile Überwachungsgeräte positioniert werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/271 2 Für längere Straßenabschnitte steht inzwischen jedoch eine Technik zur Verfügung, die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu einer gleichmäßigen, unfallpräventiven Fahrweise veranlasst: die sogenannte Abschnittsüberwachung der Geschwindigkeiten, umgangssprachlich auch Section Control genannt, mit der das Durchschnittstempo sämtlicher Fahrzeuge auf einer bestimmten Wegstrecke gemessen werden kann. Sobald ein Fahrzeug in den überwachten Bereich einfährt, erfolgt eine fotografische Erfassung des Fahrzeughecks durch die Einfahrtkamera. Dabei wird eine individuelle „Fahrzeug-Identifizierung“ (Fahrzeug-ID) erzeugt und verschlüsselt an die zentrale Anlagensteuerung übermittelt. Zusätzlich erfolgt eine zeitgleiche Übermittlung des zugehörigen fahrzeugbezogenen Einfahrtzeitstempels an die zentrale Anlagensteuerung. Bei der Ausfahrt dieses Fahrzeugs aus dem überwachten Bereich wiederholt sich dieser Prozess. Aus der Abschnittslänge und der Zeitdifferenz wird sodann mittels Weg-Zeit-Berechnung die Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt. Die jeweilige Abschnittslänge ergibt sich aus der kürzesten Verbindung zwischen Ein- und Ausfahrt, sodass Fahrstreifenwechsel oder vorhandene Kurvenverläufe keinen Einfluss haben. Es gilt jedoch: „Je kürzer die Zeit für eine benötigte Strecke, desto höher die Geschwindigkeit.“ Sofern die Berechnung im Ergebnis eine Geschwindigkeitsüberschreitung aufweist, löst die zentrale Anlagensteuerung die „Verstoßkamera“ zur Erstellung eines Frontfotos aus. Bei dieser „Verstoßkamera “ erfolgt die sogenannte Beweiserhebung/-sicherung zur Durchführung des sich anschließenden Ordnungswidrigkeitenverfahrens, und somit werden hier die das Fahrzeug führende Person und das amtliche Kennzeichen des Fahrzeugs abgelichtet. Das Frontfoto mit der Ablichtung der Fahrerin bzw. des Fahrers sowie des amtlichen Kennzeichens , die fahrzeugbezogenen Zeitstempel und Heckfotos bei Ein- und Ausfahrt sowie die ermittelte Geschwindigkeit werden in einer „Verstoßdatei“ gespeichert und digital signiert. Sofern die Berechnung im Ergebnis „keine“ Geschwindigkeitsüberschreitung aufweist, werden die Messdaten aus dem Einfahrts- und Ausfahrtsbereich unmittelbar gelöscht. Am 01.09.2014 hat das Ministerium für Inneres und Sport bekanntgegeben, diese Technik, die in Deutschland noch nicht zugelassen ist, in Niedersachsen in einem Pilotprojekt über 18 Monate zu testen. Dabei soll der Einsatz der Anlage im Echtbetrieb erfolgen, um so dessen Wirkung auf Verkehrssicherheit , -ablauf und -verhalten in der Gesamtheit evaluieren zu können. Vor diesem Hintergrund bedarf es bei den vorbereitenden Maßnahmen der Berücksichtigung und Einbeziehung einer Vielzahl an Erforderlichkeiten und Verantwortungsträgern aus den verschiedensten Bereichen. Dazu gehört neben der Vornahme des Vergabeverfahrens, der Auswahl eines Streckenabschnittes sowie des Bau- und Genehmigungsverfahrens u. a. auch die Durchführung eines erstmaligen Konformitätsbewertungsverfahrens der Anlagenmesstechnik. Letzteres wird gegenwärtig durch die zuständige Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) vorgenommen. Seitens der Landesregierung kann nicht prognostiziert werden, wann dieses von der PTB, einer Bundes - und nicht Landesanstalt, abgeschlossen sein wird. 1. Zu welchem Zeitpunkt plant die Landesregierung mit dem Beginn des Pilotprojekts „Section Control“ auf der Bundesstraße 6 zwischen Gleidingen und Laatzen? Siehe Vorbemerkung. 2. In welchem Umfang kommen in Niedersachsen Geschwindigkeitsmessgeräte zum Einsatz , die - vergleichbar mit „Section Control“ - personenbezogene Daten speichern, bevor ein Verdachtsmoment für eine Geschwindigkeitsüberschreitung gegeben ist? Die Polizei des Landes Niedersachsen setzt mobil-stationäre Geschwindigkeitsmessgeräte der Firma ESO Elektronik (Einseitensensor 3.0, 8.0), Jenoptik (Radar 6F-digital) und Vitronic (Laser- Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/271 3 scanner) ein. Zudem kommen Handlasergeschwindigkeitsmessgeräte der Firma Riegl (LR-90 und FG-21) zum Einsatz. Bei keinem der Geräte werden personenbezogene Daten gespeichert, bevor ein Verdachtsmoment für eine Geschwindigkeitsüberschreitung gegeben ist. Über Umfang und Geräteart des Einsatzes von Geschwindigkeitsmessgeräten bei den niedersächsischen Kommunen liegen keine validen Daten vor. 3. Wie bewertet die Landesregierung den Einsatz dieser Geräte in Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung ? Der Einsatz der unter 2. beschriebenen Geräte ist unproblematisch, da jeweils ein Verdacht für eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorliegen muss, bevor personenbezogene Daten gespeichert werden. Es handelt sich um die Sicherung von Beweismitteln für ein Ordnungswidrigkeitenverfahren , Rechtsgrundlage dafür ist § 100 h der Strafprozessordnung in Verbindung mit § 46 des Ordnungswidrigkeitengesetzes . Hierbei wäre auch eine verdeckte Kontrolle ohne vorherige Hinweisschilder zulässig. Bei der Section-Control-Anlage ist der Ablauf ein anderer. Hier werden in einem ersten Schritt die amtlichen Kennzeichen der durchfahrenden Fahrzeuge erfasst. Bei amtlichen Kennzeichen von Fahrzeugen handelt es sich unstreitig um personenbezogene Daten. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt jedoch solange nicht vor, wie die Daten anonym und ohne die Möglichkeit eines Personenbezuges erfasst werden. In den Nichttrefferfällen liegt kein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor, da die Daten ohne weitere Auswertung sofort und spurenlos gelöscht werden (vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 [1506 f.]). Bei einem dauerhaften Einsatz von Section-Control-Anlagen ist für die Trefferfälle eine spezifische Rechtsgrundlage wie in der Vorbemerkung ausgeführt erforderlich. MI und LfD sind sich aber auch einig, dass es einer solchen spezifischen Rechtsgrundlage in einem Pilotprojekt, so wie es in Niedersachsen geplant ist, nicht bedarf, bzw. die Landesregierung geht davon aus, dass die allgemeinen , bereits bestehenden Datenerhebungsvorschriften für ein solches Vorhaben ausreichend sind. Dies ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass es sich um eine offene Maßnahme handelt, die mit einer entsprechenden „Beschilderung“ verbunden sein muss, und der Eingriff nur oberflächlich ist. (Verteilt am 12.02.2018) Drucksache 18/271 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage des Abgeordneten Jörg Bode (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport „Geheimprojekt Tempo-Kontrolle“ (NP, 28.12.2017): Wie ist der Sach- und Planungsstand bezüglich der Geschwindigkeitsabschnittsüberwachung „Section Control“?