Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2781 neu*) 1 _________________ *) Die Drucksache 18/2781 - verteilt am 08.02.2019 - ist durch diese Fassung zu ersetzen. In der Antwort zu Nummer 2 wurde der irrtümlich eingefügte Unterpunkt d) gelöscht. Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Jan-Christoph Oetjen, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Sind die Vorgaben in der bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“ (PDV 300) und deren Umsetzungspraxis diskriminierend? Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Jan-Christoph Oetjen, Susanne Victoria Schütz und Björn Försterling (FDP), eingegangen am 09.01.2019 - Drs. 18/2540 an die Staatskanzlei übersandt am 14.01.2019 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 06.02.2019 Vorbemerkung der Abgeordneten Bei der Polizeidienstvorschrift (PDV 300) handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift über die ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit. Polizeidienstvorschriften „beinhalten die bundesweit gültigen und schriftlich niedergelegten verbindlichen Regelungen für den Polizeidienst“ (Mollers, Wörterbuch der Polizei, 3. Aufl. 2018, Leitfaden). Auf die schriftliche Frage des Mitglieds des Abgeordnetenhauses von Berlin Marcel Luthe (FDP- Fraktion) bestätigte der Berliner Senat am 15. Februar 2018, dass „nach Nr. 10.3.1 der bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift 300 zur Ärztliche(n) Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit (...) der Verlust oder ein diesem gleichzusetzender Schwund beider Hoden die Polizeidiensttauglichkeit bei Bewerbern“ ausschließe (Drucksache 18/13368, AGH Berlin). Laut Medienberichten sind zudem Menschen, deren Gebärmutter nicht „funktionsfähig“ ist, von der Polizeidiensttauglichkeit ausgeschlossen. Auch Menschen, die über kein „intaktes andrologisches (männliches) bzw. gynäkologisches (weibliches) Hormonsystem“ verfügen, seien von der Diensttauglichkeit der Polizei ausgeschlossen (https://www.siegessaeule.de/no_cache/newscomments/ article/4168-transphobie-bei-der-polizei-bundesregierung-will-diskriminierung-beenden.html). Diese Vorgaben machen es inter- und transgeschlechtlichen Menschen unter Umstanden unmöglich , in den Dienst der Polizei gestellt zu werden. Für die meisten Transmänner und Transfrauen, die sich geschlechtsangleichenden Operationen unterzogen haben, ist eine hormonelle Behandlung lebenslang notwendig. Nach aktuellen medizinischen Möglichkeiten verfügen Transmänner und Transfrauen nach solchen Operationen auch nicht über funktionsfähige Hoden oder eine funktionsfähige Gebärmutter. Auch intergeschlechtliche Menschen verfügen unter Umständen nicht über funktionsfähige Hoden oder eine funktionsfähige Gebärmutter oder ein „intaktes andrologisches (männliches) bzw. gynäkologisches (weibliches) Hormonsystem“ und werden demnach vom Polizeidienst ausgeschlossen. Vorbemerkung der Landesregierung Die Polizeidiensttauglichkeit der Bewerberinnen und Bewerber für den Polizeivollzugsdienst wird auf der Grundlage der Polizeidienstvorschrift (PDV) 300 „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“ -Ausgabe 2012- beurteilt. Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2781 2 Belastbarkeit. Die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit der Bewerberinnen und Bewerber müssen dabei insbesondere die Verwendung im Außen- und (Wechsel)Schichtdienst, den körperlichen Einsatz gegen Personen, die Anwendung unmittelbaren Zwangs und den Gebrauch von Waffen zulassen . Polizeidienstfähigkeit setzt die Verwendbarkeit zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder dem Amt entsprechenden Stellung voraus, ohne Rücksicht darauf, ob die Beamtin oder der Beamte im Außen- oder im Innendienst eingesetzt ist. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Polizeivollzugsdienst sind deshalb nach besonderen Maßstäben zu beurteilen. An diesen Anforderungen hat sich die Prüfung der Polizeidiensttauglichkeit von Bewerberinnen und Bewerbern zu orientieren. 1. Handelt es sich bei der POV 300 um eine Verwaltungsvorschrift im Geltungsbereich der niedersächsischen Polizei? Bei der PDV 300 handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift im Geltungsbereich der niedersächsischen Polizei. Die PDV 300 -Ausgabe 2012- wurde mit RdErl. d. MI v. 7. November 2012 - P 25.41-12504.1.12 - VORIS 21026 - mit folgender Maßgabe für die Polizei Niedersachsen als verbindlich erklärt: „Eine Bewerberin oder ein Bewerber ist als polizeidienstuntauglich zu beurteilen, wenn ein oder mehrere die Polizeidiensttauglichkeit ausschließende Merkmale festgestellt werden, die in der Anlage 1.1 unter einer Merkmalnummer aufgeführt sind, es sei denn, eine Gesamtbetrachtung des Gesundheitszustandes führt zu dem Ergebnis, dass das Merkmal oder die Merkmale keine Auswirkungen auf die Polizeidiensttauglichkeit haben.“ 2. Trifft es zu, dass laut POV 300 die unten genannten Kriterien die Polizeidiensttauglichkeit bei Bewerberinnen und Bewerbern ausschließen? Bitte erläutern. Wie lautet dazu die konkrete Formulierung in der PDV 300? a) Der Verlust oder ein diesem gleichzusetzenden Schwund beider Hoden, b) das Nichtvorhandensein einer „funktionsfähigen Gebärmutter“ und/oder c) ein nicht „intaktes andrologisches (männliches) bzw. gynäkologisches (weibliches ) Hormonsystem“. In der aktuell noch gültigen PDV 300 sind in der Anlage 1.1 folgende Kriterien als Merkmale genannt , die eine Polizeidiensttauglichkeit grundsätzlich ausschließen: a) unter 10.3.1 „Verlust oder diesem gleichzusetzender Schwund beider Hoden“, b) entfällt, da in der PDV 300 nicht aufgeführt, c) unter 10.3 „Bei Bewerbern muss das andrologische Hormonsystem intakt sein“, sowie unter 10.4 „Bei Bewerberinnen muss das gynäkologische Hormonsystem intakt sein“. Nach aktuellem Bearbeitungstand werden die in der Fragestellung genannten Kriterien aufgrund einer fachlichen Neubewertung nicht beziehungsweise nicht mehr in der überarbeiteten PDV 300 erwähnt werden. Aktuell wird bereits im Rahmen der Auswahl- und Einstellungsuntersuchungen grundsätzlich auf die Prüfung der oben genannten Ausschlusskriterien a und c verzichtet, da bei einer Gesamtbetrachtung des Gesundheitszustandes davon ausgegangen werden kann, dass diese Merkmale keine Auswirkung auf die Polizeidiensttauglichkeit haben. 3. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Handhabung der PDV 300 im Sinne der Frage 2 in den anderen Bundesländern? Zur konkreten Handhabung der aktuellen PDV 300 im Sinne der Frage 2. in den anderen Bundesländern liegen dem Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport keine Erkenntnisse vor. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2781 3 4. Was versteht die Landesregierung unter einem „intakten andrologischen (männlichen) bzw. gynäkologisch (weiblichen) Hormonsystem“ insbesondere bei Beamtinnen und Beamten? Bitte erläutern. Da das andrologische beziehungsweise gynäkologische Hormonsystem nach der Überarbeitung der PDV 300 keine Erwähnung mehr finden wird, wird diesbezüglich auf eine Erläuterung verzichtet . 5. Wie begründet die Landesregierung das Vorhandensein der oben genannten Ausschlusskriterien a, b und c? Und wie sieht die Landesregierung dies im Lichte des Artikels 3 Abs. 3 GG in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 1 Abs. 3 GG? Da das andrologische beziehungsweise gynäkologische Hormonsystem nach der Überarbeitung der PDV 300 keine Erwähnung mehr finden wird, wird diesbezüglich auf eine Erläuterung verzichtet . Das Ausschlusskriterium b ist in der aktuellen PDV 300 schon jetzt nicht aufgeführt. Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 2. 6. Wie bewertet die Landesregierung das Vorhandensein der oben genannten Ausschlusskriterien a, b und c? Entfällt, auf die Antwort zu 5. wird verwiesen. 7. Sind die oben genannten Kriterien a, b und c nach Kenntnisstand der Landesregierung mit einer Leistungsschwäche im Polizeidienst verbunden? Wenn ja, welche Belege hat sie dafür? Bitte erläutern. Entfällt, auf die Antwort zu 5. wird verwiesen. 8. Falls ja, kann die Anwendung der PDV 300 bezüglich der oben genannten Kriterien a, b und c dazu führen, dass transgeschlechtliche Menschen nach ihrer Transition und intergeschlechtliche Menschen nicht für den Polizeidienst zugelassen werden? Entfällt, auf die Antwort zu 5. wird verwiesen. 9. Wie beurteilt die Landesregierung die Diskriminierung transgeschlechtlicher und intergeschlechtlicher Menschen über das Vorhandensein der oben genannten Ausschlusskriterien a, b und c? Entfällt, auf die Antwort zu 5. wird verwiesen. 10. Wie viele Fälle abgelehnter Bewerberinnen und Bewerber aufgrund der oben genannten Kriterien a, b und c sind der Landesregierung in den letzten zehn Jahren bekannt? Statistische Daten über Bewerberinnen und Bewerber, die aufgrund der in Frage 2. genannten Kriterien in den letzten zehn Jahren gegebenenfalls abgelehnt wurden, liegen dem Ministerium für Inneres und Sport nicht vor. Aus datenschutzrechtlichen Gründen und aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht werden keine Statistiken über detaillierte medizinische Ablehnungsgründe geführt und dürften auch nicht weiter gegeben werden. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/2781 4 11. Plant die Landesregierung, diese Personen für den Fall einer Änderung der PDV 300 zu informieren? Entfällt, auf die Antwort zu 10. wird verwiesen. 12. Befürwortet die Landesregierung eine Änderung der POV 300 bezüglich der oben genannten Kriterien a, b und c? Wenn ja, bitte die geplanten Änderungen und den diesbezüglichen Zeitplan erläutern. Wenn nein, wie begründet die Landesregierung das Festhalten an den Ausschlusskriterien in der PDV 300? Eine Änderung der PDV 300 mit Wegfall beziehungsweise Nichtaufnahme der oben genannten Ausschlusskriterien ist beabsichtigt und befindet sich derzeit in Vorbereitung. Die Abschlusssitzung der eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der PDV 300 im Auftrag des von der Innenministerkonferenz eingesetzten Arbeitskreises II (Innere Sicherheit) fand im November 2018 statt. Der Entwurf des Abschlussberichtes befindet sich derzeit in der internen Schlussabstimmung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Nach erfolgter Beschlussfassung durch die Gremien erfolgt die Beauftragung der Vorschriftenkommission mit der Überarbeitung der PDV 300. 13. Gibt es vergleichbare Regelungen bezüglich der oben genannten Kriterien a, b und c in anderen Tätigkeitsfeldern des öffentlichen Dienstes in Niedersachsen? Wenn ja, welche ? Wenn nicht, warum gibt es sie im Polizeidienst? Vergleichbare Regelungen sind hier nicht bekannt. Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 5. 14. Welche Erfahrungen bezüglich einer Sicherheitsgefährdung für sich selbst und andere und der physischen und psychischen Belastbarkeit wurden mit Menschen im Polizeidienst gemacht, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben ? Ist das aus Sicht der Landesregierung ein Grund zur Aufrechterhaltung der oben genannten Ausschlusskriterien a, b und c? Bitte erläutern. Dem Ministerium für Inneres und Sport liegen keine Erkenntnisse über eine Sicherheitsgefährdung für sich selbst und andere sowie über die physische und psychische Belastbarkeit von Menschen im Polizeidienst, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben, vor. Im Übrigen siehe Antwort zu Frage 2. (Verteilt am 12.02.2019) Drucksache 18/2781 neu*) Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung gemäß § 46 Abs. 1 GO LT mit Antwort der Landesregierung Sind die Vorgaben in der bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“ (PDV 300) und deren Umset-zungspraxis diskriminierend? Vorbemerkung der Abgeordneten Vorbemerkung der Landesregierung 1. Handelt es sich bei der POV 300 um eine Verwaltungsvorschrift im Geltungsbereich der niedersächsischen Polizei? 2. Trifft es zu, dass laut POV 300 die unten genannten Kriterien die Polizeidiensttauglich-keit bei Bewerberinnen und Bewerbern ausschließen? Bitte erläutern. Wie lautet dazu die konkrete Formulierung in der PDV 300?a) Der Verlust oder ein diesem gleichzusetzenden Schwund beider Hoden,b) das Nichtvorhandensein einer „funktionsfähigen Gebärmutter“ und/oderc) ein nicht „intaktes andrologisches (männliches) bzw. gynäkologisches (weibli-ches) Hormonsystem“. 3. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Handhabung der PDV 300 im Sinne der Frage 2 in den anderen Bundesländern? 4. Was versteht die Landesregierung unter einem „intakten andrologischen (männlichen) bzw. gynäkologisch (weiblichen) Hormonsystem“ insbesondere bei Beamtinnen und Beamten? Bitte erläutern. 5. Wie begründet die Landesregierung das Vorhandensein der oben genannten Aus-schlusskriterien a, b und c? Und wie sieht die Landesregierung dies im Lichte des Arti-kels 3 Abs. 3 GG in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 1 Abs. 3 GG? 6. Wie bewertet die Landesregierung das Vorhandensein der oben genannten Aus-schlusskriterien a, b und c? 7. Sind die oben genannten Kriterien a, b und c nach Kenntnisstand der Landesregierung mit einer Leistungsschwäche im Polizeidienst verbunden? Wenn ja, welche Belege hat sie dafür? Bitte erläutern. 8. Falls ja, kann die Anwendung der PDV 300 bezüglich der oben genannten Kriterien a, b und c dazu führen, dass transgeschlechtliche Menschen nach ihrer Transition und in-tergeschlechtliche Menschen nicht für den Polizeidienst zugelassen werden? 9. Wie beurteilt die Landesregierung die Diskriminierung transgeschlechtlicher und inter-geschlechtlicher Menschen über das Vorhandensein der oben genannten Ausschluss-kriterien a, b und c? 10. Wie viele Fälle abgelehnter Bewerberinnen und Bewerber aufgrund der oben genannten Kriterien a, b und c sind der Landesregierung in den letzten zehn Jahren bekannt? 11. Plant die Landesregierung, diese Personen für den Fall einer Änderung der PDV 300 zu informieren? 12. Befürwortet die Landesregierung eine Änderung der POV 300 bezüglich der oben ge-nannten Kriterien a, b und c? Wenn ja, bitte die geplanten Änderungen und den diesbe-züglichen Zeitplan erläutern. Wenn nein, wie begründet die Landesregierung das Fest-halten an den Ausschlusskriterien in der PDV 300? 13. Gibt es vergleichbare Regelungen bezüglich der oben genannten Kriterien a, b und c in anderen Tätigkeitsfeldern des öffentlichen Dienstes in Niedersachsen? Wenn ja, wel-che? Wenn nicht, warum gibt es sie im Polizeidienst? 14. Welche Erfahrungen bezüglich einer Sicherheitsgefährdung für sich selbst und andere und der physischen und psychischen Belastbarkeit wurden mit Menschen im Polizei-dienst gemacht, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen ha-ben? Ist das aus Sicht der Landesregierung ein Grund zur Aufrechterhaltung der oben genannten Ausschlusskriterien a, b und c? Bitte erläutern.