Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/288 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Miriam Staudte, Meta Janssen-Kucz und Anja Piel (Bündnis 90/Die Grünen) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung Evakuierungsradien an niedersächsischen Atomkraftwerken: Warum setzt die Landesregierung die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission zum Katastrophenschutz nicht um? Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Miriam Staudte, Meta Janssen-Kucz und Anja Piel (Bündnis 90/Die Grünen), eingegangen am 10.01.2018 - Drs. 18/174 an die Staatskanzlei übersandt am 22.01.2018 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 13.02.2018, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung der Abgeordneten Nach dem Reaktorunglück von Fukushima hat die Strahlenschutzkommission des Bundes den Notfallschutz für Atomunfälle überprüft und eine Ausweitung der Schutzradien in der Umgebung von Atomkraftwerken empfohlen. Die Innenministerkonferenz hat im Dezember 2014 beschlossen, dieser Empfehlung zu folgen. Das niedersächsische Innenministerium hat die Empfehlungen bislang nicht umgesetzt. Die Strahlenschutzkommission hält eine Ausweitung der Schutzradien um Atomkraftwerke von 20 auf 100 km für notwendig. In einer Zentralzone von 5 km muss im Notfall eine vollständige Evakuierung innerhalb von sechs Stunden erfolgen können. Ebenfalls innerhalb von sechs Stunden sind dort Jodtabletten zu verteilen. In einer Mittelzone von 20 km sind betroffene Sektoren (je nach Unfallart oder Windrichtung) innerhalb von 24 Stunden zu evakuieren und Jodtabletten innerhalb von zwölf Stunden zu verteilen. In einer Außenzone von 100 km sind in betroffenen Gebieten ebenfalls Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu ergreifen. Die Katastrophenschutzpläne der Atomkraftwerke Emsland und Grohnde basieren bislang auf einem Runderlass des Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 7. Juli 2009 (Nds. MBl. S. 678), der bereits am 31. Dezember 2014 außer Kraft getreten ist. Vorbemerkung der Landesregierung In den vergangenen gut 30 Jahren wurde mit intensiven Planungen und Vorhaltungen auf dem bestehenden Niveau ein fachlich versierter und allgemeinhin als ausreichend erachteter Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen betrieben. Mit dem Reaktorunglück von Fukushima haben sich neue Erkenntnisse in der Ausbreitung von radioaktiven Gefahrstoffen bei einem größten anzunehmenden Unfall (GAU) ergeben, die auch in die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen eingeflossen sind. Ebenfalls hat sich eine Bund-/Länderoffene Arbeitsgruppe des AK V der Innenministerkonferenz mit den Auswirkungen Fukushimas beschäftigt und darüber hinausgehende bundesweit abgestimmte Rahmenempfehlungen für verschiedene Bereiche im Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen aufgestellt, so z. B. für den Einsatz und den Aufbau von Notfallstationen . Damit hat auch Niedersachsen mit der Annahme der Vorschläge durch die IMK diese Rahmenplanungen anerkannt und daraufhin ihre Umsetzung in Angriff genommen. Mit konzeptionellen Vorarbeiten wurde bereits 2015 begonnen, wobei der ursprüngliche Zeitplan aufgrund der Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/288 2 Bewältigung der Flüchtlingskrise zwischenzeitlich gestreckt werden musste. Seitens des BMUB erfolgte dann im Frühjahr 2016 die Veröffentlichung der Rahmenempfehlungen. Seitdem werden diese auch in Niedersachsen schrittweise umgesetzt. Dem dient auch die zum Ende der vergangenen Legislaturperiode beschlossene Novelle des Niedersächsischen Katastrophenschutzgesetzes. Da hiermit zugleich weitergehendere Schutzziele als in den Rahmenempfehlungen der Strahlenschutzkommission definiert worden sind, müssen auch diese bei der Umsetzung berücksichtigt werden. Mit dem Haushalt 2018 stehen für den Gesamtkomplex der Sicherheit im Umfeld kerntechnischer Anlagen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung. Im beschlossenen Nachtrag sind Sachausgaben in Höhe von 2 Millionen Euro vorgesehen. 1. Hält die Landesregierung den Katastrophenschutz in der Umgebung der niedersächsischen Atomkraftwerke für ausreichend? Mit Verweis auf die Vorbemerkung sowie die Frage 2 kann hierzu ausgeführt werden, dass schon alle bisherigen Empfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen bis 2016 in Niedersachsen umgesetzt waren und seit 2015 schrittweise auch die neuen Rahmenempfehlungen nachvollzogen werden. Somit ist der Schutz der Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen bei einem kerntechnischen Unfall nach dem Stand der Technik organisiert und gesichert . Gleichwohl hat sich mit dem Reaktorunglück von Fukushima sowie den Beratungen im AfIuS zur Novelle des Niedersächsischen Katastrophenschutzgesetzes im Jahr 2017 ein Paradigmenwechsel in der Sicherheitseinschätzung eingestellt. Es sind deutlich höhere Anforderungen formuliert worden , um den Schutz der Bevölkerung noch weiter zu steigern bzw. einer angepassten Gefahrenherleitung gerecht zu werden. Diese Anforderungen sind in den neuen Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen sowie im NKatSG formuliert und können nun sukzessive realisiert werden. Im Ergebnis wird sich damit das schon jetzt hohe Schutzniveau für derartige Einsatzfälle noch weiter steigern lassen. 2. Warum setzt die Landesregierung die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken nicht um? Die Landesregierung hat die bestehenden Empfehlungen der Strahlenschutzkommission vom 27.10.2008 umgesetzt. Die neuen Empfehlungen, veröffentlicht vom BMUB im Frühjahr 2016, werden seitdem schrittweise umgesetzt. Zuvor haben die niedersächsischen Fachvertreter die Bemühungen auf Bund-/Länderebene eng begleitet, sodass bereits im Jahr 2015 mit konzeptionellen Vorbereitungen begonnen werden konnte (s. dazu auch die Vorbemerkung). Bis zur erstmaligen deutlichen Aufstockung der notwenigen Titel mit dem Nachtragshaushalt 2018 hat das MI seit 2016 Eigenmittel in Höhe von 269 000 Euro p.a. bereitgestellt, um die drängendsten Maßnahmen, z. B. Ausstattung von Notfallstationen oder Förderung der Messfahrzeuge auf kommunaler Ebene bzw. seitens der betroffenen Katastrophenschutzbehörden, zumindest stützen zu können. Im Jahr 2018 wird die Landesregierung im Nachtragshaushaltsgesetz erstmalig für diesen Aufgabenbereich 2 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt zusätzlich bereitstellen. Damit können nun die entsprechenden Planungsarbeiten und ersten Beschaffungsmaßnahmen begonnen werden. Mit den genannten Mehrressourcen beabsichtigt die Landesregierung eine vollständige Umsetzung der Rahmenempfehlungen bis Ende 2020. 3. Welche Schutzradien zum Schutz der Bevölkerung sehen die Notfallpläne für die Atomkraftwerke Emsland und Grohnde vor? Für das KKW Emsland und das KKW Grohnde liegen die Schutzzonen bei 2 km Zentralzone, 10 km Mittelzone, 25 km in der Außenzone und 100 km in der Fernzone. Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/288 3 4. Warum gelten in den nordrhein-westfälischen Landkreisen, die an die Atomkraftwerke Lingen und Emsland angrenzen, größere Evakuierungsradien als auf der niedersächsischen Seite? Die empfohlenen Schutzradien finden sich in den Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen der Strahlenschutzkommission/des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Es handelt sich um eine Empfehlung , der die Länder als zuständige Instanz für den Katastrophenschutz folgen können. Die Festlegung trifft jedes Land für sich. Zum Umsetzungsstand in Niedersachsen wird auf die Vorbemerkung sowie die Frage 2 verwiesen. 5. Entsprechen die Notfallpläne für die Atomkraftwerke Grohnde und Emsland den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission? Ja, sie entsprechen den Rahmenempfehlungen der Strahlenschutzkommission vom 27.10.2008. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung sowie Frage 2 verwiesen. 6. Welche niedersächsischen Landkreise und kreisfreien Städte befinden sich in einem Radius von 100 km um die Atomkraftwerke Grohnde und Emsland? Der Radius von 100 km um ein Kernkraftwerk beschreibt die Zone, in der möglichweise eine Jodblockade für Personen bis 45 Jahre erforderlich werden kann. Des Weiteren besteht eine Empfehlung für das gesamte Bundesgebiet, eine Jodblockade für Personen bis 18 Jahre und Schwangere vorzuplanen. Insofern sind alle niedersächsischen Katastrophenschutzbehörden von diesen Planungen betroffen. 7. Entsprechen die Katastrophenschutzpläne der betroffenen Landkreise und kreisfreien Städte den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission? Ja, die Sonderpläne für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen entsprechen den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission vom 27.10.2008. In Bezug auf die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission aus 2015 bzw. BMUB 2016 wird auf die Vorbemerkung bzw. Frage 2 verwiesen. 8. Wo werden die Jodtabletten bevorratet, die im Bedarfsfall in den betroffenen Landkreisen und kreisfreien Städten verteilt werden sollen? Für das KKW Emsland gibt es drei Hauptanlieferungspunkte in Lathen, Sögel und Papenburg. Dort holen die Gemeinden die Jodtabletten ab und verteilen sie eigenständig an ihre Ausgabestellen. Für das KKW Grohnde sind die Tabletten durch die Gemeinden im KatS-Zentrum Marienau abzuholen und in den Wahllokalen an die Bevölkerung auszugeben. 9. Hält die Landesregierung eine zentrale Lagerung von Jodtabletten für sinnvoll? Eine zentrale Lagerung von Jodtabletten wird aktuell nicht für sinnvoll erachtet und lediglich als Reserve und für eine Zweiteinnahme vorbereitet. Aufgrund der nun neu eingeführten zeitlichen Limitierung bei der Einnahme der Kaliumjodidtabletten ist eine stärkere dezentrale Vorhaltung in den Katastrophenschutzbehörden unausweichlich. 10. Wird die Landesregierung betroffene Landkreise und kreisfreie Städte dabei unterstützen , die Katastrophenschutzpläne möglichst schnell zu überarbeiten, und wenn ja, wie? Niedersächsischer Landtag – 18. Wahlperiode Drucksache 18/288 4 Die Landesregierung führt einen stets konstruktiven und fruchtbaren Austausch mit den Katastrophenschutzbehörden in Niedersachsen. Natürlich unterstützt die Landesregierung die Bemühungen auf kommunaler Ebene. So werden im Jahr 2018 für diesen wichtigen Aufgabenbereich Landesmittel in größerem Umfange zur Verfügung gestellt. 2 Millionen Euro stehen für die ergänzende Ausstattung von Notfallstationen, Fahrzeugbeschaffungen sowie zentrale Notfallvorhaltungen und ganz wichtig auch die Ausbildung für einen solchen Katastrophenfall zur Verfügung. Die Landesregierung steht hinter den 2017 verabschiedeten Änderungen im Katastrophenschutzgesetz und wird ab 2019 die Kommunen noch deutlich stärker arbeitsteilig und finanziell entlasten und unterstützen können Geplant sind Fahrzeug- und Materialbeschaffungen im CBRN-Schutz sowie eine landesweite Notfallplanung für derartige Ereignisse. 11. Plant die Landesregierung, die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission für verbindlich zu erklären, und wenn ja, wann? Ja, sobald die dafür erforderlichen konzeptionellen Vorarbeiten erfolgt sind, soll die Umsetzung in 2018 fortgesetzt und dann ab 2019 abgeschlossen werden. Die dafür erforderlichen Mittel und Planstellen müssen dafür in 2019 ff. durch den Landtag bewilligt werden. (Verteilt am 14.02.2018) Drucksache 18/288 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung Anfrage der Abgeordneten Christian Meyer, Miriam Staudte, Meta Janssen-Kucz und Anja Piel (Bündnis 90/Die Grünen) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport Evakuierungsradien an niedersächsischen Atomkraftwerken: Warum setzt die Landesregierung die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission zum Katastrophenschutz nicht um?